Hallo Namo,
danke für Deine vielen Worte und den aufschlussreichen und hochinteressanten Text des Majjhima Nikaya.
Ich denke, dass wir dem Thema Advaita Vedanta nicht gerecht werden können, wenn wir einen Maßstab anlegen, der dem, wie Du sagtest,
anerkannten Standard in allen Diskussionen seit den Anfängen der klassischen griechischen Philosophie
entspricht.
Immerhin reden wir hier über Advaita Vedanta. Was hat das mit den Griechen und ihren, von der westlichen Welt übernommenen Standards zu tun?
Die Griechen waren später. Viel später.
Die vedische Kultur reicht bis zurück nach Atlantis. Die Überlieferungen wurden von der indischen Kultur bewahrt und weiterentwickelt. Also sollten wir auch die indische Logik für die Diskussion verwenden.
Mit der griechisch-aristotelischen Logik an eine indische Philosophie heranzugehen ist genauso, als würde ein Theaterkritiker ein Musical kritisieren, unter Verwendung der für das Theater gebräuchlichen Maßstäbe (oder umgekehrt).
Die Maßstäbe passen nicht und der unbedarfte Leser dieser Kritik wird unnötigerweise verwirrt!
Wie Du sicherlich weißt (da bin ich mir, bezogen auf Deine erstaunliche Belesenheit, sicher) hat sich die moderne Wissenschaft seit dem Versagen der klassischen Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Quantentheorie (was versagt, ist das Additionstheorem der Wahrscheinlichkeiten) zunehmend auf die indische Logik verlagert.
Die indische Logik baut sich nicht auf dem Satz vom Widerspruch und dem ausgeschlossenen Dritten auf, sondern auf eine vierfache Logik, die folgende Aussagen über ein Objekt zulässt:
1. es ist,
2. es ist nicht,
3. es ist und ist nicht.
4. es kann von ihm weder gesagt werden, dass es ist, noch dass es nicht ist.
In anderen Worten, die indische Logik postuliert vier Möglichkeiten:
1. Sein oder Existenz eines Objektes,
2. Nicht-Sein oder Nicht-Existenz,
3. Sein sowohl als Nicht-Sein
4. Weder Sein noch Nicht-Sein
Ausgehend von dieser Logik ist das, was Vulnerable also sagte ,weder falsch, noch eine Bifurkation, sondern AUCH richtig.
Wenn wir allerdings über Advaita Vedanta sprechen, können wir sowohl die griechische als auch die indische Logik vergessen, denn die Verfasser der Veden waren keine Philosophen, sondern Rishis.
Philosoph bedeutet Denker.
Rishi bedeutet Seher.
Das ist ein fundamentaler Unterschied
Während die griechischen Philosophien nur auf sich selbst verweisen, als Erzeugnisse des Denkens für das Denken, so verweisen die indischen Philosophien auf etwas, was jenseits von Denken ist, nämlich SEHEN.
Die Veden sind die Finger, die auf den Mond zeigen.
Der griechische Geist sagt: Ah, der Mond ist ein Finger und, da er, klassisch konditioniert, nicht auf den Mond schaut, sondern nach den Argumenten sucht, und der Finger ihm keine liefert, hält er ihn für unbrauchbar.
Die ist die aristotelische Ignoranz.
Wenn Du nach Argumenten suchst, dann such besser weiter bei den Griechen.
Und falls Du bei Advaita Vedanta Argumente findest, dann sei Dir gewiss: Dies ist nicht Advaita Vedanta. Es ist nicht der Mond, sondern der Finger.
Wenn Du einen Advaita Vedantin nach einem Argument fragst, wird er Dir sagen: Setz Dich ruhig hin , schließ die Augen und meditiere. Du brauchst nicht argumentieren. Sieh einfach hin!!
Man braucht nicht die Existenz des Ichs durch deduktive Argumente hin- oder wegzuerklären. Sieh einfach hin. Kannst Du ein Ich sehen? Da ist kein Ich. Da lässt sich nicht drüber argumentieren!
Bei Advaita Vedanta brauchst Du also die Fähigkeit zu Sehen. Aber die Fähigkeit zu Sehen, bekommst Du erst, wenn Du mit dem Argumentieren durch bist, wenn Dein Wissen Dich nicht mehr weiterbringt und Du vollkommen festgefahren bist. Dies ist Vedanta, das Ende des Wissens (bzw. Argumentierens")und der Beginn von Meditation.
Das heißt aber nicht, dass das "Wissen" verworfen werden muss.
Die Worte der Veden sind wie die Fußabdrücke eines Astronauten auf dem Mond. Sie überdauern Jahrtausende, aber sie verweisen auf einen Geist jenseits der Fußabdrücke, einen Geist, der sich von der Erde zum Himmel emporgehoben und das schier unmögliche vollbracht hat.
So wie der Fußabdruck auf dem Mond (wie ein Finger) zum Menschen zeigt, so zeigen die Worte der Veden zum Rishi, zum Seher.
Namo, Du sagst:
Ich denke, es ist eine Illusion, ein handelndes Ich verneinen zu wollen. Es bedeutet, die Wirklichkeit und die Verantwortung des eigenen Handeln zurückzuweisen.
Derjenige, der sich an eine Illusion klammert, kann zu keiner Zeit verantwortlich genannt werden.
Nur wer sehen kann, dass es kein Ich gibt, kann beginnen Verantwortung zu übernehmen, denn erst jetzt geht einem die Welt unter die Haut, ist die Zerstörung der Umwelt die eigene Zerstörung, das Leiden der Menschen das eigene Leiden etc.
Das Ende des Festhaltens an der Illusion des Ichs, ist der Anfang der Wahrheitssuche, der Verantwortung und der Rechtschaffenheit. Das Vermeiden und Umgehen dieser Ein-Sicht bedeutet das sich entziehen vor der Verantwortung und der dafür notwendigen Arbeit.
Weiterhin sagst Du:
Darüber zu diskutieren mit Argumenten
.die vom Selbst wahrgenommen werden können, hat eine Bedeutung, nicht einzelne lieblos hingeworfene abstrakte Begriffe
.
Schönheit, Sinn und Liebe liegen immer im Auge des Betrachters.
Wenn Du einzelne lieblos hingeworfene abstrakte Begriffe siehst, ist es Deine eigene Lieblosigkeit, die Du da siehst.
Dies, lieber Namo, ist natürlich nur meine ganz persönliche, subjektive Sichtweise, die selbstverständlich in keiner anderen Macht steht als in meiner,
und natürlich weiß ich auch, dass Du das alles weißt und es nur von mir noch einmal hören wolltest.
Mit herzlichen Grüßen von manosha.