Ein "Protestpartei" wie die AfD...

Ich sehe in weiten Teilen viel weniger einen Schuldkomplex, als ein Verdrängen.

Während viele meinen, es wäre an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen, hat jeder fünfte Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren noch nie etwas von Auschwitz, Dachau, Buchenwald, usw. gehört - das ist die traurige Wirklichkeit...


Leider gibt es wohl immer weniger Geschichtsunterricht an den Schulen.

http://www.spiegel.de/lebenundlerne...n-wissen-nicht-wofuer-es-steht-a-1170423.html

Zumindest ist aber der Prozentsatz derer, die gegen einen Schlußstrich unter die Vergangenheit ziehen wollen, geringer geworden.

https://www.dasgelbeblatt.de/politik/jeder-fuenfte-jugendliche-weiss-nicht-auschwitz-1575415.html

Gruß

Luca
 
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Und die AfD-Anhänger?

Mich besorgt eher, wie viele mit der AfD sympathisieren, auch wenn sie es nicht offen zugeben, und dies auch in gebildeten Kreisen, die politisch Einfluss haben. Das wirkt sich auf alle Parteien aus, wodurch dieses rechte Gedankengut salonfähig wird. Es wird wohl so laufen, dass diejenigen ans Ruder kommen, die sich geschickter auszudrücken wissen und ihre rechtspopulistischen Ansichten ausreichend diplomatisch verpacken.
 
Ich habe nirgends behauptet das alle glaubten die Juden würden lediglich deportiert. Ich bin davon überzeugt das sehr viele wussten oder zumindest Gerüchte gehört haben das sie ermordet wurden. Es gibt aber eben Forschungen zu dem Thema und die kommen zu dem Schluss, dass die meisten nicht wussten dass die Juden ermordet wurden und tatsächlich glaubten sie würden lediglich deportiert.
Ich wollte mich da gar nicht unbedingt auf das beziehen, was du geschrieben hast, sondern nur mal loswerden, was ich dazu denke. Der Bericht, den ich verlinkt habe, zeigt ja, wie die Maschinerie im Kleinen funktionierte, wie noch die zehn Reichsmark Erlös für den versteigerten Besitz eines vier Jahre alten, deportierten Kindes fein säuberlich verbucht wurden. Das ist für mich das wirklich unbegreifliche. Ich kann zwar noch versuchen, mir irgendwie ein sadistisches Monster vorzustellen, das im KZ Menschen quält. Aber bei dem Beamten, der seinen Stempel auf diesen Beleg über 10 RM setzt, oder demHandwerker, der auf seiner Quittung "Versteigerung Judenmöbel" notiert, endet meine Vorstellungskraft. Wahrscheinlich, weil mir das zu nahe kommt, das auch ich hätte sein können, hätte ich damals gelebt.

Und wenn ich jetzt eine Formulierung von dir als Aufhänger benutze, dann mit dem Hinweis vorweg, dass du die natürlich in einem ganz anderen Zusammenhang benutzt hast, nicht um irgendwas kleinzureden oder so. Es geht um das "lediglich deportiert" werden.
Ich finde die Debatte darüber, wie weit das Ausmaß der industrielle Ermordung in der deutschen Bevölkerung bekannt war, eigentlich müßig. Vielleicht kann sie nie beantwortet werden. Aber reicht es nicht, dass die Enteignung, Entrechtung und Deportation von Juden von der Öffentlichkeit geduldet und billigend in Kauf genommen wurde? Die Nürnberger Gesetze wurden schon 1935 erlassen, das war ja nichts, was irgendwie im Geheimen ablief.

Und es wäre auch komplett unlogisch zu glauben dass es einer Mehrheit glasklar war. Denn dann wäre es auch einer Mehrheit der Juden klar gewesen und dann hätten sie sich sicherlich nicht an die Lügen der Nazis geklammert und geglaubt sie würden lediglich umgesiedelt.
Ich weiß nicht, ob das ein Argument ist. Einerseits ist der Mensch geneigt, die persönliche, individuelle Zukunft besser einzuschätzen, als es die Wahrscheinlichkeit erwarten lasst. Andererseits blieb jüdischen Deutschen nur die Alternative, ihre Heimat zu verlassen. Das ist eine hohe emotionale Hürde und ist in vielen Fällen aus schlicht nicht möglich gewesen, weil dafür das Geld fehlte oder eine Anlaufstelle im Ausland. Da konnte man vielleicht nur abwarten und hoffen, dass es nicht so schlimm werden würde, auch wenn alles dagegen sprach. Mir fällt es schwer, mich in eine solche Situation hineinzudenken, weil ich glücklicherweise noch nie in einer auch nur annähernd vergleichbaren Lage war.
 
Ach Shimon... ich habe doch laufend mit dem derzeitigen Stand der Forschung argumentiert.



Ist das hier alles falsch?

Die systematische Judenvernichtung mittels industrieller Methoden blieb den meisten Reichsdeutschen verborgen und war auch für diejenigen, die über Auslandssender oder Erfahrungsberichte von Soldaten davon gehört hatten, meist unvorstellbar. Ein damaliges Gesamtwissen über Ausmaß und Durchführung des Holocaust nehmen Historiker daher nicht an.

(...)

1943 schrieb Graf von Moltke, der durch die Judenverfolgung zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus gebracht wurde:

Mindestens neun Zehntel der Bevölkerung weiß nicht, dass wir Hunderttausende von Juden umgebracht haben … Sie haben immer noch die Vorstellung, dass die Juden nur ausgegrenzt worden sind und nun im Osten in ähnlicher Weise wie vorher in Deutschland weiterlebten.“[4]


(...)


Holocaustüberlebende berichteten in der Nachkriegszeit, dass die unmittelbar betroffenen Opfer ihr bevorstehendes Schicksal nicht ahnten oder den Gerüchten über industrialisierte Vernichtungsfabriken keinen Glauben schenken wollten:

„Der mit bürokratischer Gründlichkeit geplante, fabrikmäßig betriebene millionenfache Mord – diese nie erlebte Dimension des Verbrechens überforderte die Vorstellungskraft selbst derer, die den Nazis alle nur möglichen Schandtaten zutrauten. Das Undenkbare zu denken, Auschwitz für wirklich zu halten – dagegen sträubte sich ein psychischer Selbstschutzreflex. Das galt auch für die designierten Opfer, vor allem für die Juden Westeuropas. Bis zuletzt hielten sie die Deutschen eines solchen Verbrechens nicht für fähig…[3]

Konrad Löw schrieb dazu 2007 in der FAZ:

Das Urteil über den wahren Sachverhalt fällt noch schwerer, wenn man sich vergegenwärtigt, dass selbst zahlreiche jüdische Opfer ganz entschieden ihr Nichtwissen beteuern. Der Auschwitz-Flüchtling Friedemann Bedürftig glaubte zu wissen: Die in Auschwitz Ankommenden hatten samt und sonders nicht nur keine Ahnung, wo sie waren, sondern auch nicht die geringste davon, was ihnen zugedacht war. Sie ließen sich nicht etwa wegen ihrer ‚rassischen Minderwertigkeit‘, wie die Nazis gerne behaupteten, fast widerstandslos zur Schlachtbank führen, sondern weil sie gar nicht wussten, dass sie sich auf die Reise dahin begaben.“[4]

Löw warf Historikern wie Peter Longerich, Saul Friedländer, Ian Kershaw u. a. vor, solche Aussagen jüdischer Quellen in ihren Untersuchungen zum Thema zu übergehen.

In seiner Rede vor dem Bundestag im Januar 2012 berichtete der Holocaustüberlebende Marcel Reich-Ranicki über die bevorstehende „Umsiedlung“ des Warschauer Ghettos, dass die Warschauer Juden im Sommer 1942 nicht wussten, was bevorstand, nämlich die Deportation nach Treblinka:

„Noch am selben Tag, am 22. Juli 1942, sollte der Jüdische Ordnungsdienst, der die Umsiedlungsaktion unter Aufsicht des ‚Judenrates‘ durchführen mußte, 6000 Juden zu einem an einer Bahnlinie gelegenen Platz bringen, dem Umschlagplatz. Von dort fuhren die Züge in Richtung Osten ab. Aber noch wußte niemand, wohin die Transporte gingen, was den ‚Umsiedlern‘ bevorstand.“[5]


https://de.wikipedia.org/wiki/Zeitgenössische_Kenntnis_vom_Holocaust




Komm mir nicht mit solchen "Spitzfindigkeiten"!!! Diese Debatte geht schon seit Jahrzehnten, immer mit diesem "jammernden Unterton" . Vor allem Augen wurden Juden zusammengetriben, ich Viehfagonen eingepfercht und abtransportiert! Jeder und jede der/die zugesehen hat musste ausrechnen können, dass den Juden etwas "Schreckliches" bevorsteht! Und alles Andere ist (milde Ausgedrückt! ) eine Spitzfindigkeit !Ich habe wirklich keine Lust solch unnütze Debatten zu führen. Die Menschen haben weggeschaut, wie auch heute weggeschut wird bei dem Tot im Mittelmeer!

Shimon
 
Du bist in meinen Augen der einzige hier, der die Shoa wirklich aufarbeitet und so etwas dagegen unternimmt, daß sowas nicht wieder passiert, dafür ein großes Danke von mir, auch im Namen meiner ermordeten Vorfahren. :danke:


Loop,

die Shoah kann mann nicht aufarbeiten - die Täter sehen bis heute ihre Tatan und ihre Schuld ein. Und ohne eine Einsicht gibt es auch kein Aufarbeiten! (Und das, was Condem btreibet ist nur Spitzfindigkeit...Fakt ist: Die Menschen, nicht nur die Deutschen, sondern die Mednschen im ganz Europa, haben weggesachaut, wie sie es immer tun!)

Shimon
 
Wir haben hier ein Missverständnis. (...)

Möglicherweise, aber das ist nicht der Punkt. Du suchst hier auch wieder Ursachen für die Reaktionen auf Deine Beiträge bei den anderen. Die, die Dich missverstehen und Deine ursachenforschung persönlich nehmen. Dass einige Ursachen für die Reaktion tatsächlich bei Dir liegen könnten, scheinst Du nicht zu betrachten.

(...) Wenn ich aber das Gefühl bekomme dass jemand auf der Suche nach etwas ist, wenn mir jemand unbedingt irgendetwas unterstellen will, dann reagiere ich irgendwann ebenfalls persönlich

Aber, wenn Du vom "Schuldkomplex" derjenigen schreibst, die die Willkommenskultur gutheißen, soll das nicht persönlich genommen werden? Das ist keine Unterstellung?

Wie das auf Dich wirken soll - das ist wirklich nicht mein Punkt. Du kannst ja jederzeit dagegen schreiben. Es geht doch um Diskussion und ich halte Diskussion für den wirklich bedeutenden Prozess um mehr zu verstehen.

Wenn das nicht dein Punkt ist, brauchst Du Dich auch nicht zu wundern, dass einige Beiträge von Dir in den falschen Hals bekommen und sie persönlich nehmen.

Das stimmt so nicht ganz. Ich habe sehr viele Beiträge genau darüber geschrieben. Es gefällt Dir und einigen anderen nur nicht, denn da wirke ich dann als ob ich diese Leute irgendwie in Schutz nehmen wollen würde. Ich schrieb auch in dieser Diskussion darüber, etwa " (...) Aber es gibt eine zunehmende Wut etwa aus dem Gefühl resultiert abgehängt worden zu sein, das Gefühl der Unfairness usw. Wie sich diese Wut kanalisiert hat sehr viel mit den gerade intensiven Thematiken zu tun.(...) "

Ja, genau. Überspitzt formuliert hast Du folgendes ausgedrückt: Auf der einen Seite die psychopathologischen mit Schuldkomplex beladenen Willkommenskultur-Befürworter, die lügen und betrügen, auf der anderen seite die armen kleinen wütenden Opfer. Ich weiß, so hast Du das nicht ausgedrückt, und das denkst Du wahrscheinlich auch nicht so. Aber überspitzt ausgedrückt kommt das so rüber. Das ist ein riesiger erhobener Zeigefinger, den Du da unbewusst ausgestreckt hast.

Dass rechte Hetzportale ordentlich gelogen haben, auf sozialen medien auch viel gelogen und gehetzt wurde - sehr viel von z.B. mimikarma aufgedeckt -erwähnst Du nicht. Nun gut, deren Glaubwüridigkeit hat nicht gelitten, weil die ohnehin schon fast null war...

Ich denke nicht dass das ins OT führen würde. Es würde m.A.n. tiefer gehen. (...)

Würde es nur bedingt. Solche Vergleiche in anderen Themen können durchaus erhellend sein - in Maßen angewendet. In großen Mengen besteht die gefahr, dass es nicht tiefer ins Thema sondern weiter ins OT geht.

Die Frage ist doch hier: Wie könnte ich meine Sichtweise denn erklären ohne das es zu persönlicher Kritik führt? Ich glaube dass das nicht möglich ist.

Ich weiß es nicht. Aber vielleicht hilft es Dir weiter, indem Du mal ernst nimmst, wie Deine beiträge ankommen - wen Du wie unbewusst als (psychopathologischen) Täter und wen als Opfer darstellst, und welcher Anhänger welcher Seite darauf wie reagiert.

Du magst das alles nicht persönlich meinen, aber es kommt nunmal persönlich rüber. Wenn mir jemand sinngemäß (überspitzt) sagt: "Willkommenskultur basiert auf einem Schuldkomplex, und diejenigen, die normal ticken, sind ohnmächtige wütende Opfer und wählen deswegen AfD.", so nehme ich das durchaus persönlich. Und wieder: Ich weiß, dass Du das nicht gemeint hast und auch nicht so denkst. Aber in Deiner Darstellungsform kommt es so rüber.

Mich selbst zu verstehen ist sogar die Hauptintention. (...)

Das ist prima. Vielleicht hilft es Dir dabei, dass ich dazu meine (natürlich rein subjektiven) Eindrücke beschrieben habe und beschreibe.
 
Ich habe nirgends behauptet das alle glaubten die Juden würden lediglich deportiert. Ich bin davon überzeugt das sehr viele wussten oder zumindest Gerüchte gehört haben das sie ermordet wurden. Es gibt aber eben Forschungen zu dem Thema und die kommen zu dem Schluss, dass die meisten nicht wussten dass die Juden ermordet wurden und tatsächlich glaubten sie würden lediglich deportiert. Siehe Zitat von Graf von Moltke in meinem letzten Beitrag - und das ist nicht das einzige.

Und es wäre auch komplett unlogisch zu glauben dass es einer Mehrheit glasklar war. Denn dann wäre es auch einer Mehrheit der Juden klar gewesen und dann hätten sie sich sicherlich nicht an die Lügen der Nazis geklammert und geglaubt sie würden lediglich umgesiedelt.

Was einem auch klar sein sollte: Wir schauen von der Gegenwart auf die Vergangenheit. Wir alle (vermutlich) haben jede Menge Dokumentationen gesehen, viel darüber gelesen. Wie unvorstellbar diese Tötungsmaschinerie war kann uns daher gar nicht wirklich klar sein. Für die Menschen damals war sie so unvorstellbar das selbst die Opfer es nicht glauben konnten! Auch darüber gibt es doch Zeitzeugen - Zitat:

„Der mit bürokratischer Gründlichkeit geplante, fabrikmäßig betriebene millionenfache Mord – diese nie erlebte Dimension des Verbrechens überforderte die Vorstellungskraft selbst derer, die den Nazis alle nur möglichen Schandtaten zutrauten. Das Undenkbare zu denken, Auschwitz für wirklich zu halten – dagegen sträubte sich ein psychischer Selbstschutzreflex. Das galt auch für die designierten Opfer, vor allem für die Juden Westeuropas. Bis zuletzt hielten sie die Deutschen eines solchen Verbrechens nicht für fähig…“




Das eine schließt das andere nicht aus sondern existiert nebeneinander. Da ist sehr viel Lernen, und zwar gerade weil Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in denen Völkermorde begangen wurden tatsächlich viel aufgearbeitet hat und sich dem sehr offen gestellt hat. Aber natürlich gibt es eine Art Schuldkomplex der auch in Entscheidungen hineinspielt und sie ins Extrem bringt. Und das ist nichts Positives, weil es oft genug sogar gegenteilige Resultate erzeugt.


Es geht dir wieder nur, ob die Menschen von "Auschwitz" wussten, oder von Giftgas. Mir geht es um Wegschauen und nicht um Zycklon B! (Genauso tragen die Allierten ein gewissen Schuld an Auschwitz, da sie ab 1943(?) über Auschwitz bescheid wuissten!)

Shimon
 
Belgische Zwangsarbeiter wurden mit monatlich 50 Euro abgespeist, Belgier, die freiwillig!!! zur SS gingen bekamen und die noch lebenden bekommen immer noch Renten zwischen 425 und 1275 Euro von Deutschland gezahlt.

Eine Initiative aus Belgien will das jetzt stoppen, die Aussichten sind leider schlecht und meines Erachtens nach, kommt das viel zu spät.

http://www.msn.com/de-de/nachrichte...elgische-ss-freiwillige/ar-BBTRlha?ocid=ientp

Gruß

Luca
 
Ich wollte mich da gar nicht unbedingt auf das beziehen, was du geschrieben hast, sondern nur mal loswerden, was ich dazu denke. Der Bericht, den ich verlinkt habe, zeigt ja, wie die Maschinerie im Kleinen funktionierte, wie noch die zehn Reichsmark Erlös für den versteigerten Besitz eines vier Jahre alten, deportierten Kindes fein säuberlich verbucht wurden. Das ist für mich das wirklich unbegreifliche. Ich kann zwar noch versuchen, mir irgendwie ein sadistisches Monster vorzustellen, das im KZ Menschen quält. Aber bei dem Beamten, der seinen Stempel auf diesen Beleg über 10 RM setzt, oder demHandwerker, der auf seiner Quittung "Versteigerung Judenmöbel" notiert, endet meine Vorstellungskraft. Wahrscheinlich, weil mir das zu nahe kommt, das auch ich hätte sein können, hätte ich damals gelebt.

Ja, das war bis ins kleinste Detail durchorganisiert und damit wurde ja sofort begonnen. Anfangs, also unmittelbar nach der Machtergreifung, wurden Juden noch nicht deportiert und ermordet sondern man versuchte sie mittels Terror zum Auswandern zu bewegen. Enteignungen waren Teil dessen und man kann wohl annehmen das die organisatorischen Strukturen schon damals schrittweise aufgebaut wurden und dann alles bereit war als die Massenmorde begannen - aber das ging eben über Jahre.


Und wenn ich jetzt eine Formulierung von dir als Aufhänger benutze, dann mit dem Hinweis vorweg, dass du die natürlich in einem ganz anderen Zusammenhang benutzt hast, nicht um irgendwas kleinzureden oder so. Es geht um das "lediglich deportiert" werden.

Ich finde die Debatte darüber, wie weit das Ausmaß der industrielle Ermordung in der deutschen Bevölkerung bekannt war, eigentlich müßig. Vielleicht kann sie nie beantwortet werden. Aber reicht es nicht, dass die Enteignung, Entrechtung und Deportation von Juden von der Öffentlichkeit geduldet und billigend in Kauf genommen wurde? Die Nürnberger Gesetze wurden schon 1935 erlassen, das war ja nichts, was irgendwie im Geheimen ablief.

Es gibt da ja schon einen sehr großen Unterschied zwischen „lediglich deportiert“ und „Millionen von Menschen vergast“. Stell Dir mal vor der gesamte Nazi-Terror wäre genau so abgelaufen wie er ablief, Enteignungen und Deportationen ins Ausland - aber ohne die Massenmorde. Natürlich wäre das auch grausam, aber der Unterschied ist einfach sehr extrem. Wir schauen heute auf all das zurück und sehen es in gewisser Weise als „eins“, ein Prozess sozusagen. Aber es lief schrittweise über einige Jahre ab, verschärfte sich immer weiter.


Trotzdem, oder gerade deshalb, ist m.A.n. durchaus verständlich das das Ausmaß damals kaum erkannt werden konnte, kaum geglaubt werden konnte. Wir sprechen heute von der Unvorstellbarkeit dieser Verbrechen, aber da kommt es zu einem Paradox: Wir haben ja keinen Zweifel daran das sie geschahen. Wir haben Fotos und Filme, wir haben Berichte von Tätern und Überlebenden. Wir haben all das geballt vor uns und so denken wir auch darüber. Wir können die zeitliche Dimension und den Mangel an Information und die Effektivität der Propaganda aus unserer Perspektive gar nicht begreifen weil wir den zeitlichen Prozess nicht nachvollziehen können und weil wir nicht einfach löschen können was wir wissen um die Propaganda erfahrbar zu machen. Bei den Menschen damals war das anders, sowohl die Deutschen betreffend wie auch die Opfer des Genozids - für die meisten war es daher tatsächlich unvorstellbar.


Und inwiefern eine Mehrheit der Deutschen davon wusste und es zumindest indirekt, von den eigenen Überzeugungen her unterstützte, oder ob eine Mehrheit es nicht wusste, hat mit der Frage zu tun was so etwas überhaupt möglich macht. Das erste Szenario macht es natürlich möglich - das wäre sozusagen das eine Mehrheit das Morden zumindest indirekt unterstützte. Mein Punkt ist: Es braucht das nicht. Ich bin davon überzeugt das eine Mehrheit das Ausmaß nicht kannte und sich nicht vorstellen konnte. Es braucht keine Mehrheit um Völkermorde an Millionen zu begehen.


Die „Formel“ ist: Eine gut organisierte und vollkommen rücksichtslose Gruppe dominiert eine Mehrheit die unorganisiert ist über Informationen (Propaganda) und Emotionen (ebenfalls Propaganda). Bei letzterem wird sowohl ein Feindbild erschaffen auf das Schuld projeziert wird, es wird Angst erzeugt und es wird v.a. „Herrsche durch Teile“ angewandt und zwar psychologisch. Jene Deutsche die eigentlich nicht antisemitisch waren konnten sich zum großen Teil kaum trauen das offen zu sagen, Partei für Juden zu ergreifen weil sie nicht wussten ob sie Unterstützer finden würden, weil sie alleine sich ohnmächtig fühlen mussten. Es ist möglich eine Mehrheit in Einzelteile zu zerlegen - rein psychologisch - so dass sich jeder individuell ohnmächtig und weitgehend alleine fühlt. (Das Prinzip wird übrigens überall angewandt, schon für normale Regierungsarbeit. Es ist ja z.B. kein Zufall das eine Mehrheit wenig oder kein Vermögen hat und trotzdem beständig Parteien gewählt werden die gegen Vermögenssteuer sind.)



Jedenfalls ist es auf diese Art möglich das vergleichsweise wenige direkte Täter (womit ich jene meine die in irgendeiner Weise direkt und aktiv an den Massenmorden beteiligt waren) Millionen von Menschen umbringen, ohne das die Widerstand leisten während gleichzeitig Millionen von Menschen nicht dagegen aufstehen. Es ist ein Mangel an Wissen und ein Mangel an Organisation und auch ein Mangel an Konsequenz - letzteres entsteht aber aus den ersten zwei Aspekten. Sonst hätten solche Regime keine Chance.


Ich bin auch davon überzeugt, dass die Nazis niemals an die Macht gekommen wären wenn den Deutschen klar gewesen wäre wie weit sie Juden betreffend gehen. Die Deutschen waren noch zu Anfang der Machtergreifung kein besonders antisemitisches Volk und haben den ersten Aufrufen gegen Juden oft nicht Folge geleistet. Auch das war ein Prozess über Zeit. Irgendwann verfing die Propaganda immer mehr und dann wurden die Deutschen immer antisemitischer und möglicherweise befürwortete eine Mehrheit dann die Deportationen von Juden. Nur: Auch das bedeutet noch nicht Unterstützung der Massenmorde. Natürlich gab es auch das und vermutlich gab es einen noch größeren Teil der zwar davon wusste oder es zumindest vermutete, die Augen aber verschließen wollte. Aber wirklich unterstützt wurde das m.A.n. nicht von einer Mehrheit sondern von einer vergleichsweise kleinen Minderheit.



Ich weiß nicht, ob das ein Argument ist. Einerseits ist der Mensch geneigt, die persönliche, individuelle Zukunft besser einzuschätzen, als es die Wahrscheinlichkeit erwarten lasst. Andererseits blieb jüdischen Deutschen nur die Alternative, ihre Heimat zu verlassen. Das ist eine hohe emotionale Hürde und ist in vielen Fällen aus schlicht nicht möglich gewesen, weil dafür das Geld fehlte oder eine Anlaufstelle im Ausland. Da konnte man vielleicht nur abwarten und hoffen, dass es nicht so schlimm werden würde, auch wenn alles dagegen sprach. Mir fällt es schwer, mich in eine solche Situation hineinzudenken, weil ich glücklicherweise noch nie in einer auch nur annähernd vergleichbaren Lage war.

Hätten die Juden gewusst wie weit es gehen würde wären sie alle geflohen solange sie noch konnten. Es gibt ja viele Zeitzeugen-Berichte von Juden die glaubten sie müssten dieses Terror-Regime einfach nur einige Jahre aushalten und dann würde es sich wieder ändern. Deutschland war ja, wie gesagt, vorher vergleichsweise wenig antisemitisch und Juden haben sich recht wohl in Deutschland gefühlt und waren gut integriert, Teil der Gesellschaft. Die Nazis haben gerade das ja zur Hetze benutzt, also die vielen Juden die eine starke Stellung in der Gesellschaft hatten, vermögend waren, mächtige Positionen inne hatten usw.
 
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Komm mir nicht mit solchen "Spitzfindigkeiten"!!! Diese Debatte geht schon seit Jahrzehnten, immer mit diesem "jammernden Unterton" . Vor allem Augen wurden Juden zusammengetriben, ich Viehfagonen eingepfercht und abtransportiert! Jeder und jede der/die zugesehen hat musste ausrechnen können, dass den Juden etwas "Schreckliches" bevorsteht! Und alles Andere ist (milde Ausgedrückt! ) eine Spitzfindigkeit !Ich habe wirklich keine Lust solch unnütze Debatten zu führen. Die Menschen haben weggeschaut, wie auch heute weggeschut wird bei dem Tot im Mittelmeer!

Shimon

Das sind keine Spitzfindigkeiten. Du sagtest es gäbe Forschungen zum Thema und ich habe Dir den Stand der Forschung präsentiert.
 
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