Verleugnen die Buddhisten das Ich und die Christen erhöhen es? So, jetzt habe ich mich selber komplett verwirrt

...
Danke für eure inspirierenden Beiträge!
LG und Gute Nacht, Zugvogel
Danke auch Dir für Deine inspirierenden Beiträge, Zugvogel!
Mir fallen mehrere deutliche Unterschiede zwischen dem Buddhismus und dem christlichen Glauben ein.
Einer davon ist, daß der Buddhismus keinen universalen Gott kennt. Also keinen, der das gesamte Universum durchwebt, weil er es geschöpft hat. Stattdessen befindet sich im buddhistischen Glauben in unserem Universum Energie, welches dasselbe durchwebt und alles verbindet.
Diese Energie wird vom christlichen Glauben zunächst mal abgelehnt. Es wäre ja auch doppelt gemoppelt, denn Beides ist ja ähnlich. Der Christliche Gott entsteht im menschlichen Glauben. Das ist vielleicht Gott selber nicht bewußt, aber dem aufgeklärten Christen ja durchaus. Energie dagegen entsteht laut dem Buddhismus durch das Bewußtsein in den Dingen und Geschöpfen. Beides ist aber Glaube an etwas, das das gesamte Universum durchwebt und verbindet, das haben sie gemein.
Die christliche Schöpfungsidee ist vergangenheitlich veranlagt, die Schöpfung liegt in der Vergangenheit. Energie dagegen entsteht im Hier und Jetzt, im Buddhismus wird jeder Moment neu geschöpft. Wer schöpft, bist im Buddhismus also Du selber im Rahmen Deiner Natur. Damit ist der Mensch als geistschöpferisch erkannt, ebenso wie es der christliche Glaube erkennt. Das Christentum setzt dem aber noch einen Schöpfungsprozeß in der Vergangenheit auf, so daß unser Universum ohne unser menschlich-geistiges Zutun entsteht. Dadurch entsteht das "Ich".
Ist das verständlich? Vielleicht noch nicht ganz?
Ein Ich entsteht nur, wenn es ein Aussen und ein Innen gibt. Wir Westler haben hier unsere materielle Welt und wer nicht gebacken bekommt, daß dieses Aussen stets Aussen ist und in seinen Möglichkeiten begrenzt, der kommt in die Klapse. Wir sind da also so strukturiert, daß es eine geschöpfte Materie ist, in der wir leben, die wir nutzen, gestalten, für die wir auch Verantwortung tragen.
Der Ostler dagegen glaubt, daß das Äussere durch das Innere entstehe. Seine Übung ist in der Meditation in manchen Übungen sogar, die Grenze zwischen Beidem zu verwischen, z.B. indem man den Fixierpunkt des eigenen Bewußtseins in eine Kerze verschiebt. Das ist in den höheren Techniken so der Fall, d.h. das Bewußtsein verläßt den Körper, obwohl der Mensch sitzt und etwas atmet. Es ist die Kerze, es ist in der Kerze und in der Lage, an jeden beliebigen Ort zu reisen. (Dem Schamanen nicht unähnlich und natürlich gibt es auch im Buddhismus Schamanen, das darf man nicht vergessen.)
Das Ziel im Osten ist also die Auflösung des Ich. Das ist soweit ja auch allseits bekannt. Dies geschieht durch die Möglichkeit im Glauben, das Aussen mit dem Innen zu verbinden. Der Geist wird dann leer, denn er hat keinen Haltepunkt mehr. Er muß sich erst etwas suchen, daß in seine Aufmerksamkeit gerät. Diese Menschen sind daher anfällig für Beeinflussungen von aussen und leben leider in einer Welt, in der sie weniger Freiheiten haben als wir hier. Aber: es paßt sicherlich auch zu ihrer Mentalität, denn der Staat und die Partei muß bei ihnen quasi Gott ersetzen, wenn's grad keiner zum Diktator geschafft hat. Oder, wie früher in China oder noch heute in Japan, das aber Shintoismus pflegt, der Kaiser. Oder in Thailand.
Das Ziel im Westen ist die Zivilisierung des Egos. Etwas ganz Anderes. "Ich" ist hier ein Wort. Wir weben es ohne Probleme und Bedenken zwischen unsere Worte. Im Osten dagegen gibt es kein Zeichen für ein "Ich". Die traditionellen Schriften dort stellen unser "Ich" nicht zur Verfügung, sondern der Bezug auf sich selbst ergibt sich durch die Zusammenstellung der einzelnen Zeichen. Das Zeichen für Chi zum Beispiel wird in mehreren hundert Zusammenhängen anderes bedeuten. Einige dieser Zusammenhänge stellen auch das Chi der Person, oder des Ichs dar. Aber "Ich" wird im Land des Chi nie genannt. Du auch nicht. Sie sind halt kollektiv.
Unser Wort "Ich", das wir hierzulande laufend einflechten, und unsere sonstigen Worte und Buchstaben ermöglichen es uns zwar nicht, die Dinge differenzierter darzustellen, aber wir sind dadurch in der Lage, alles persönlicher darzustellen. Mit Worten. Das führt dann unter Anderem auch zu unserer Art zu diskutieren, die man im Osten so nicht kennt. Man nimmt es in der Tat nicht so persönlich, weil man kein Ich in der Schrift und Sprache hat wie wir. Sondern man lebt teils glücklich und zufrieden in ritualhafter Abhängigkeit und im Vertrauen auf die Regierung. In Japan sieht man es zur Zeit ja sehr schön, was man in China auch sähe. Nur mit anderem technischem Ergebnis.
Was hat aber nun der christliche Glaube mit dem Ich vor? Das ist ja auch noch Teil Deiner Frage. Mal sehen, ob ich dazu auch noch Worte in mir finde. *such*
Es führen und leiten. Ja, ich denke das will es mit dem Ich tun.
Es zu einer intensiven Beschäftigung mit Heiligem anregen, z.B. in Form der Heiligen Schrift oder mit den Heiligen oder mit den Sakramenten.
Die christliche Kirche, die ich besuche, möchte das Ich entschleunigen und zu einer Besinnung auf gemeinsame Werte anregen. Andere christliche Kirchen, die ich nicht besuche, möchten Menschen, also Ichs, in eine Gemeinschaft integrieren, eine Kirchengemeinde. Das hat man in den buddhistischen Ländern meines Wissens auch so nicht, diese Gemeindestruktur. Oder? Weiß das jemand?
Tja, ansonsten erlebe ich persönlich durch die Kirche und ihre Geschichten einen Zugang zu meinen Gefühlen. Schon als Kind hat sich mir das geöffnet: der Teufel, der im Aachener Dom in der Türe seinen Daumen verloren hat, den man fühlen konnte (!!!), die Priester in den Siebzigern am Weihnachten, die Lichter, die vielen Menschen, der Chor, die Orgel, das Singen.... Verstanden habe ich nix, aber es hat gewirkt. Es hat mich geöffnet, würde ich sagen, für mich selber. Mehr als das zum Beispiel meine Familie so vermochte. Und ich habe gelernt und in mein Leben übernommen: es gibt ein Geheimnis, es gibt einen unerklärbaren Schatz, es gibt etwas, das ich kleiner Pfurz nicht wissen kann. Und: wenn ich an Gott glaube, dann muß ich persönlich das auch gar nicht wissen. Ist das nicht herrlich? Wie erfrischend einfach.
Der Buddhismus dagegen stellt als Glaube kein Geheimnis zur Verfügung. Man kann im eigentlichen Sinne nichts glauben. Sondern man kann Mitglied werden in einer buddhistischen Gemeinschaft. Aber Du kannst keiner Kirche von Gläubigen beitreten, die etwas vollkommen Irrsinniges versuchen und annehmen, es gäbe einen Schöpfer und wir wären alle freie Wesen. Und es gilt, uns alle zu fördern.
Ich hoffe meine Ausführungen waren für Dich förderlich in der Differenzierung Deiner Frage.
mfg+lg an Zugvogel,
Trixi Maus