Als der ehemalige kanadische Botschafter einmal auf einer geführten Tour durch den Berliner Stadtteil Neukölln fuhr, erklärten ihm die deutschen Reiseleiter, dass der Bezirk wegen seiner ethnischen Segregation in der Öffentlichkeit zu einem Symbol misslungener
Integration geworden sei. Einige Zeit später saß der Botschafter mit dem deutschen Soziologen Aladin El-Mafaalani beim Essen und erkundigte sich, was es in Deutschland eigentlich genau mit dem Begriff der "ethnischen Segregation" auf sich habe. Schließlich verwende die englischsprachige Fachliteratur diesen Begriff, wenn in einem Stadtteil mehr als die Hälfte der Einwohner ein und derselben Ethnie angehörten.
In Neukölln, so der Botschafter, sei aber genau das Gegenteil der Fall. Dort gehören nicht einmal die Leute an einer Bushaltestelle mehrheitlich einer einzigen Ethnie an. Eigentlich müsste Berlin-Neukölln im Zeitalter globalisierter Metropolen deshalb doch als Musterbeispiel gelungener Integration gelten.
Damit war der ehemalige kanadische Botschafter, obwohl er eigentlich nur einen Spaziergang durch Berlin gebucht hatte, im Sturmzentrum der deutschen Integrationsdebatte gelandet.
Ethnische Vielfalt gilt als Beweis gescheiterter Integration
Wenn es um Deutschlands Selbstverständnis als Einwanderungsland geht, klafft zwischen Empirie und Diskussion eine ziemlich riesige Lücke. In der Realität verfügt in Deutschland etwa jeder Fünfte in dieser oder jenen Form über einen Migrationshintergrund. Deutschland ist nach den USA das zweitbeliebteste Einwanderungsland - weltweit! Und trotzdem gilt ethnische Vielfalt in politischen Talkshows und biologisierenden Sachbuch-Bestsellern bis heute als Beweis gescheiterter Integration. Integration wird immer noch dann als gescheitert betrachtet, wenn am Ende etwas anderes als ein zweites Münster herauskommt.
Inzwischen aber ergreift ein guter Teil des deutschen Bevölkerungsfünftels mit nicht-deutschem Hintergrund Berufe wie Staatsanwalt, Journalist oder Universitätsprofessor, und seitdem äußert sich das Unbehagen am gängigen deutschen Integrationsbegriff sehr viel konkreter. Wohin, so etwa eine der Fragen, sollen sich etwa SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi oder die Staatsministerin Aydan Özoğuz eigentlich noch integrieren? Und warum wird immer noch allen Ernstes diskutiert, ob der
Islam zu Deutschland gehört, während doch die Religionsfreiheit vom Grundgesetz garantiert wird und sich diese Frage deshalb ohnehin erübrigen sollte?