Lieber Christoph!
Zu Husserl, den zu zitieren ich mich keineswegs scheue, im Gegenteil:
Ich kann Hellingers Verweigerung eines wissenschaftlichen Diskurses gut respektieren zumal ja nicht die Methode des systemischen Stellens an sich der Erforschung entzogen ist oder entzogen werden kann, sondern nur Hellinger selbst und manche seiner Schüler nichts außer Verifikation bzw. Falsifikation durch Wirkung anerkennen.
Genau hier setzt aber andererseits m.E. auch die Wirkung von Aufstellungen ein: Gerade weil es möglich ist, die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt als Wahrnehmungsprozess zu modifizieren, weil es gelingen kann, Beziehung zu noch nie Geschautem oder noch nie so Geschautem aufzunehmen, weil vorgeformte Wahrnehmungsbeziehungen neu (ange-)ordnet werden können, können bindende Kräfte gelöst und ins Fließen gebracht werden. Ordnung ist Be-Deutung im allerbesten Sinn...

Alles Liebe, Jake
Ich bitte dich, deine Wahrnehmung auf das zu richten, was ich geschrieben habe und dir nicht eine Ansicht von meinem Text zu bilden, die einem vorgefassten inneren Bild von dir entspricht:Christoph schrieb:...der die wesentliche falsche und nicht hinterfragte Präsupposition eurer Argumentationen trifft, nämlich die, es gäbe nur Konstrukte und nichts jenseits davon. Auch ich musst einmal lernen, dass der Konstruktivismus nur für das Konstruierte gilt, nicht aber für das, was sich phänomenologisch zeigt. (Husserl zu zitieren spare ich mir hier).
Ich bestreite also keineswegs, dass sich etwas phänomenologisch zeigt. Was dieses Gezeigte aber bedeutet, entsteht durch die Beziehung, die wir zu ihm aufnehmen. Diese Beziehung - die Be-deutung - ist das Konstrukt. Eine Ansicht ohne Bedeutung ist tatsächlich nicht zu diskutieren ... aber auch nicht der Rede wert.jake schrieb:was wir zum beispiel in einer aufstellung - alle gemeinsam, wie auf einer ansichtskarte - sehen können, ist, dass zum beispiel leute alle in die gleiche richtung schauen. dagegen einen einwand zu erheben, wäre sinnlos.
was hellinger nun versucht, ist: die bedeutung einer solchen ansicht als "einsicht" zu konstruieren, als ansicht von innen. als gelte auch für diese innenansicht die gleiche übereinkunft, dass alle, die das bild sehen, auch die gleiche einsicht hätten. als sei die einsicht etwas objektives, das als wahrheit ans bild geheftet ist und nicht im schauenden entsteht, sondern einfach nur seinem blick offenbart werden muss. wenn die einsicht aber am bild haftet, dann kommt als nächstes das postulat: wer hinschaut, kann nur zu dieser einsicht kommen...
Zu Husserl, den zu zitieren ich mich keineswegs scheue, im Gegenteil:
Husserl ist 1938 gestorben, und bei aller Wertschätzung für seine Bedeutung hat sich seither in allen Zweigen der Wissenschaft, die sich mit dem Gewinnen von Erkenntnis befassen, sehr viel getan. Ich neige weder gegenüber Wissenschaftskirchen noch gegenüber Hellinger zur Gläubigkeit, und wenn ich einladend wohlformulierte Sätze lese, lasse ich mich dennoch durch ein Vorwort, das sie zur Einsicht erklärt, nicht daran hindern, sie zu hinterfragen. Ich möchte hier auch nicht in das Fahrwasser geraten, eine generelle Hellinger-Kritik abzuliefern es geht einzig und allein um Sätze wie diesen:wikipedia schrieb:Die Phänomenologie ist eine Denkmethode, die von der Frage absieht, ob der Erkenntnisgegenstand auch unabhängig vom erkennenden Bewusstsein existiert. Das phänomenologische Denken klammert sukzessive jede Vormeinung und Vorentscheidung ein. Ziel ist dabei, "zu den Sachen selbst" vorzudringen. Das auf diese Weise geschaute Phänomen zeigt am Ende sein gesamtes reines Wesen oder seine Idee (griech.= eidos)
Das Einklammern der Vormeinungen nannte Husserl "eidetische Reduktion", bzw. "Epoché" (Enthaltung, Innehalten). Dabei sollen zunächst alle theoretischen Annahmen (Hypothesen, Beweisführungen, tradiertes Vorwissen ...) über den betrachteten Gegenstand ausgeschaltet werden. In einem zweiten Schritt (die transzendentale eidetische Reduktion) wird die Existenz des Gegenstandes insofern außer Betracht gelassen, dass sich nur die "Washeit" zeigt, also auf das, was der Gegenstand ist, sein Wesen.
zitiert nach http://de.wikipedia.org/wiki/Ph%E4nomenologie_%28Philosophie%29
Wissenschaft ist immer Ansichtssache. Sie beschäftigt sich mit Theoriebildung, und allgemein (wenn auch nicht überall unbestritten) gilt Sir Karl Poppers Falsifikationsprinzip. Kein seriöser Wissenschaftler hält seine Theorie für unumstößlich. Vor allem geht es nicht um die etwas naive Annahme, dass eine Weiterentwicklung einer Theorie (Ansicht) das vorher Entwickelte entwerten würde ... wenn, wie in der Wissenschaft, Menschen einander ihre Ansichten mitteilen und dem Diskurs aussetzen, entstehen ebenfalls Wirkprozesse. Ziel der Wissenschaft ist es allerdings nicht, Bewegungen der Seele anzustoßen. Ziel der Wissenschaft ist es, die Bewegungen der Seele und die sie auslösenden und begleitenden Prozesse zu untersuchen. Und auch das trägt dazu bei, Ansichten, Einsichten, Wunschbilder und Bedeutungen klar voneinander zu unterscheiden.hellinger schrieb:Vieles, was uns als wissenschaftlich präsentiert wird und in diesem Sinne als unumstößlich, erweist sich nach einiger Zeit auch als Ansichtssache.
Ich kann Hellingers Verweigerung eines wissenschaftlichen Diskurses gut respektieren zumal ja nicht die Methode des systemischen Stellens an sich der Erforschung entzogen ist oder entzogen werden kann, sondern nur Hellinger selbst und manche seiner Schüler nichts außer Verifikation bzw. Falsifikation durch Wirkung anerkennen.
Ist es so einfach? Zunächst einmal wenn eine Erkenntnistheorie nur eine Teilmenge des Erkennbaren erklären könnte, wäre sie damit auch schon falsifiziert. Es geht nicht um wahr und schon gar nicht um für wahr halten (was wäre das anderes als eine billige Ansichtssache?) es geht um gültige Theorien der Erkenntnis. Die Wirklichkeit ist, wie immer und was immer sie sein mag. Wie sie sich zeigt, geht durch den Filter unserer Wahr-Nehmung, zwangsläufig. Anders ist es menschenunmöglich, der Wirklichkeit teilhaftig zu werden (abgesehen davon, dass wir selbst Wirklichkeit und in Wirklichkeit sind, wie auch immer und was auch immer). Husserls Postulat der eidetischen Reduktion ist faktisch nicht realisierbar. Wahrnehmung ist der Prozess, zwischen Subjekt und Objekt eine Beziehung herzustellen, und mit dieser Beziehung ist die Washeit der zu betrachtenden Wirklichkeit auch schon korrumpiert.Was, wenn es doch Phänomene gibt jenseits eures konstruktivistischen Postulates?
Ich persönlich halte beiden für wahr nur in unterschiedlichen Gebieten. Eure Argumente gelten für Meinungen und konstruierte Ansichten gleichermaßen, wie Bert Hellingers Einsichten gelten für die Ebene, des sich Zeigenden Tatsächlichen. Die Wirklichkeit, die sich zeigt, ist einfach, Jake. Deshalb haben so viele Angst vor ihr und ziehen das Konstrukt vor.
Genau hier setzt aber andererseits m.E. auch die Wirkung von Aufstellungen ein: Gerade weil es möglich ist, die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt als Wahrnehmungsprozess zu modifizieren, weil es gelingen kann, Beziehung zu noch nie Geschautem oder noch nie so Geschautem aufzunehmen, weil vorgeformte Wahrnehmungsbeziehungen neu (ange-)ordnet werden können, können bindende Kräfte gelöst und ins Fließen gebracht werden. Ordnung ist Be-Deutung im allerbesten Sinn...
Sehr einverstanden. Kein Konstruktivist verwechselt seine Konstrukte mit der Wirklichkeit. Die Studenten Heinz von Foersters, ein Pionier des Konstruktivismus, mussten einen Dollar in die Kaffeekasse einzahlen, wenn sie den begriff Wirklichkeit über ihre Lippen kommen ließen. Aber abgesehen davon, dass ich mich nicht so ohne weiteres in eine Schublade pressen lasse (mein Ansatz ist eher ein aber auch kein lupenreiner - systemtheoretischer und kein konstruktivistischer) stört mich die abwertende Tendenz im Satz:christoph schrieb:Sich dem auszusetzen erfordert allerdings mehr Mut, als sich leichthin ein Konstrukt zu machen über Konstrukte und dieses mit der Wirklichkeit zu verwechseln.
Ich erlaube mir nicht, die Wahrhaftigkeit des Forschens jener Menschen in Zweifel zu ziehen, die konstruktivistische Theorien entwickelt haben. Wo solche Theorien in therapeutische Verfahren eingeflossen sind (ich habe es zum Beispiel in der lösungsfokussierten Kurzzeittherapie Steve De Shazers kennen gelernt, dem ich auch persönlich begegnen durfte), haben sie segensreiche Wirkungen entfaltet. Ich vermag das nicht in seelischem Gewicht zu messen. Ich schaue hin und sehe es.christoph schrieb:Kontrukte sind leicht - spezifisch leichten seelischen Gewichtes.
Das möchte ich meinen ... ganz meine Ansichtchristoph schrieb:Hier lasse ich es und lasse alles Andere von euch so stehen. Auch das hat seinen Platz.
Alles Liebe, Jake