Baum der Erkenntnis

Serenade

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18. März 2007
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1.) Episode

Zwei Frauen treffen sich nach einem Einkauf rein zufällig auf der Straße. Das, was sie sagen, steht unter Anführungszeichen und das, was sie denken, steht in Klammer.

A: „Servus Helena! Ja, wir haben uns schon lange nicht gesehen!“ (Muss ich ausgerechnet auf dieser Straßenseite gehen, um dieser blöden Kuh zu begegnen?)
H: „Anita? Meine Güte, du hast aber abgenommen. Gut siehst du aus!“ (Die ist noch immer gleich fett wie früher. Und alt ist sie geworden, so alt.)
A: „Ich gehe regelmäßig ins Fitnessstudio und ernähre mich gesund. Kaum Fleisch, aber viel Obst und Gemüse. Bin so glücklich, dass ich endlich wieder in Kleidergröße 38 passe.“ (Die kann ich eh nach Strich und Faden belügen, - glaubt mir eh alles, die dumme Sau.)
H: „Ach, ja? Und wie geht es dir sonst? Mit deinem Mann und deinen Kindern – zwei, wie ich mich erinnere – auch alles Okay?“ (Habe ich doch unlängst gehört, dass sie sich scheiden gelassen haben und der Mann die Kinder bekommen hat, weil sie so eine Schlampe ist.)
A: „Klar, alles okay. Weißt ja, die alltäglichen Streitereien und dann doch wieder Versöhnung. Und den Kindern geht’s besonders gut. Beide gehen aufs Gymnasium und lernen so brav. Na ja, die Klugheit haben’s sicher von mir.“ *lacht* (Muss ich der alles auf die Nase binden, damit sie sich freut? Sicher nicht! Bei ihr ist ja auch nicht alles okay. Ihr Mann betrügt sie hinten und vorne und sie weiß nicht einmal was davon.)
H: „Na, Gott sei Dank ist alles okay. Weißt, ich hab unlängst beim Friseur gehört, du wärst geschieden und würdest jetzt allein in einer kleinen Wohnung leben. Aber die Leute reden halt so viel Schwachsinn. Das kennst doch eh.“ (Mal sehen, wie die Ziege jetzt reagiert.)
A: *überlegt* „Wer erzählt denn so etwas? Na ja, wir hatten Meinungsverschiedenheiten, aber das hat sich inzwischen gelegt. Und wie sieht’s bei dir aus? Studiert dein Sohn schon?“ (Jetzt gib ich’s dir aber zurück. Mich bloß stellen wollen, aber selbst Dreck am Stecken haben.)
H: „Ja, ja, - er ist auf der Uni in Wien und hat dort auch eine Wohnung. Leider sehen wir ihn jetzt selten, da er viel lernen muss.“ (Hat die Schlampe etwa was erfahren?)
A: „Na, ich hab was anderes gehört, aber wie du schon sagtest, - die Leute reden viel Schwachsinn.“ (Der sitzt im Knast, weil er mit Rauschgift gehandelt hat. Und studieren? Der ist ja zu blöd dazu, - hat schon im Gymnasium einige Klassen wiederholen müssen.)
H: „Was hast du denn gehört?“ *sieht Anita lauernd an*
A: „Och, nichts Besonderes. Es hieß, er hätte mal Rauschgift genommen, aber was Genaueres wurde nicht gesagt. Ach ja, die Polizei stand mal vor eurem Haus, aber ob euer Sohn abgeführt wurde oder nicht, - nun, man weiß nichts Genaues.“ (Jetzt hab ich sie!)
H: *Augen füllen sich mit Tränen* „Das war ganz schlimm, aber weißt, das war ein Missverständnis. Es war einer seiner so genannten Freunde, der ihn verleumdet hat. Am Ende kam eh raus, dass er nichts damit zu tun hat.
Aber sag mal, was machst du hier in der Gegend? Wohnst du nicht mehr außerhalb, wo eh ein großes Einkaufszentrum ist und du dort besser einkaufen könntest?“ (Du wirst mir nicht entkommen! Warte nur!)
A: *überlegt kurz* „Ich hab gehört, dass es hier eine neue Boutique gibt, deshalb bin ich hergefahren. Aber das scheint auch nur Gerede zu sein.“ (Wieso muss ich diesen Trampel treffen?)
H: „Na ja, auf jeden Fall war’s schön, dich mal wieder zu sehen. Vielleicht können wir das nächste Mal auf einen Kaffee gehen, nur heute hab ich wenig Zeit. Hab noch einiges zu erledigen.“ (Hoffentlich treffe ich diese Kuh nie wieder!)
A: „Oh ja, ich habe auch noch einiges zu tun. Sicher, ja, das nächste Mal gehen wir auf einen Kaffee, dann können wir auch länger plaudern.“ (Dann nehme ich dich aber auseinander und deine Lügengeschichten aufdecken, du Trampel.)
*Zögernd gehen die beiden ihres Weges*

Was hat diese Episode mit dem „Baum der Erkenntnis“ zu tun, wird man sich fragen. Erkenntnis ist unter anderem ein Sich-selbst-erkennen. Es ist das „Ich bin“ und wenn ich das erkenne, verteidige ich das „Ich bin“, - will es sogar verteidigen und am Leben erhalten. Der Erhaltungstrieb! Der Persönlichkeitstrieb! Ja nie schlecht vor anderen da stehen!
Ohne „Baum der Erkenntnis“ würde es ganz anders aussehen:

A: „Oh, Helena, meine Güte, wie lange haben wir schon nicht gesehen?“
H: „Es dürfte ein gutes Jahr her sein. Hm, in diesem Jahr hat sich viel getan, nicht wahr?“
A: „Du sagst es. Wir haben uns scheiden lassen, wobei Hans die Kinder bekommen hat, weil ich nicht gut für die Familie gesorgt habe. Ganz ehrlich gesagt, wurde ich Alkoholikerin und gehe jetzt regelmäßig zu den Sitzungen der anonymen Alkoholiker.“
H: „Ach, du Arme! Unsern Sohn haben sie eingesperrt, weil er mit Drogen gehandelt hat. Er fehlt uns so, und ihm geht es im Gefängnis gar nicht gut.“

Ohne „Baum der Erkenntnis“ könnte das ganze Gespräch auch ähnlich, wie es in den Klammern steht, aussehen:

A: „Verdammt, wieso muss ich jetzt ausgerechnet dir begegnen!“
H: „Dann geh doch auf die andere Straßenseite!“
A: „Das sagst du doch nur, weil du dich vor mir wegen eures Sohnes schämst, den sie eingesperrt haben.“
H: „Und du, weil ihr euch scheiden gelassen habt und das, weil du zur Säuferin geworden bist.“

Aber höchstwahrscheinlich würde überhaupt kein Gespräch stattfinden, wenn es keinen „Baum der Erkenntnis“ geben würde. Wenn es nichts zu verteidigen gibt, worüber würde gesprochen werden? Über die Schönheiten der Natur? Über Kunst? Wozu? Alle würden sehen, dass alles da ist und dass es weder schön, noch hässlich ist. Ohne „Baum der Erkenntnis“ würde es das alles nicht geben. Wahrscheinlich würden wir nicht einmal erkennen, dass etwas DA ist…
 
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2.) Episode

Jeder kennt wohl das Buch „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry. In der Wüste, nach einer Panne mit seinem Flugzeug, trifft er plötzlich einen kleinen Jungen, der ihm wundersame Geschichten erzählt und am Ende stirbt.
Passiert uns das nicht allen? Das sorglose, stets im Hier und Jetzt lebende Kind, das wir einst waren, ist gestorben. Ist es nicht so?
Was hat das denn mit dem „Baum der Erkenntnis“ zu tun, wird man sich abermals fragen. Wir werden in diese Welt hinein geboren, ohne dass wir von dieser Welt etwas wissen. Aber wir haben Lehrer, die uns diese Welt beschreiben und erklären, die uns sagen, wie etwas ist und wie etwas nicht ist. Mit der Zeit werden wir Verbündete unserer Lehrer und selbst zu Lehrer, die der nächsten Generation – also unseren Kindern – alles beschreiben und erklären. In diesem Moment, sobald wir selbst zu Lehrer geworden sind, stirbt der kleine Prinz in uns und ist nur mehr eine leise Erinnerung, wie es einst war, als wir noch nichts wussten, als die Welt für uns nur zum Staunen da war. Aber der „Baum der Erkenntnis“ holte uns ein…
 
3.) Episode

Ada und Eva im Gespräch vor dem Baum der Erkenntnis:
(Ada, weil ich glaube, dass es im Paradies keinen Adam gab. Genauso gut hätte ich Adam und Evam schreiben können, sozusagen beide nicht weiblich, sondern männlich darzustellen. Dazu sei gesagt, Ada und Eva sind auch nicht weiblich. Es sind bloß Benennungen für etwas Unerklärliches, - für Begriffe, die in uns Menschen stecken und nichts mit dem Geschlecht zu tun haben. Dasselbe gilt für „Gott“, wenn auch mit „Er“ bezeichnet.)

A: „Er hat gesagt, wir dürfen von allem essen, was es hier gibt, nur von diesem Baum nicht.“

E: „Weißt du, ich frage mich aber, warum er dann diesen Baum hergestellt hat. Irgendeinen Sinn muss er doch haben. Oder tut Gott auch Sinnloses?“

A: „Was ist sinnvoll und was ist sinnlos?“

E: „Alles hier hat seinen Sinn, weil es uns nährt. Aber dieser Baum steht nur da. Er passt nicht hier her.“

A: „Du meinst also, nur weil wir einen Nutzen davon haben, ist etwas sinnvoll?“

E: „Klar! Weil wir einen Nutzen davon haben, ist es FÜR UNS sinnvoll. Wir können nur von uns selbst ausgehen.“

A: „Das ist auch wieder wahr. Ja, wir wissen, wofür gewisse Pflanzen und Früchte da sind. Wir kennen sie. Aber von diesem Baum wissen wir nichts. Wir wissen nicht einmal wozu er da ist.“

E: „Ich glaube, er ist dazu da, etwas nicht zu tun.“

A: „Wie meinst du das?“

E: „Er sagte uns doch, dass wir nicht von diesem Baum essen dürfen. Sozusagen ist der Baum dazu da, etwas nicht zu tun, - also, NICHT davon zu ESSEN.“

A: „Und das macht Sinn?“

E: „Irgendwie schon, denn von allem essen wir, aber dieser Baum ist von allem das Gegenteil. Er zeigt uns, dass es auch etwas Anderes gibt, - dass nicht alles GLEICH ist.“

A: „Es ist doch schön, dass alles GLEICH ist. Warum soll es Unterschiede geben? Er hat doch alles geschaffen. Aus ihm ist alles hervor gegangen. Wo, bitte, soll es da einen Unterschied geben?“

E: „Vielleicht will er uns zeigen, dass doch nicht alles gleich ist, was aus ihm hervor geht.“

A: „Das verstehe ich nicht.“

E: „Aber bisher hast du doch alles verstanden.“

A: „Ja, weil alles GLEICH war. Jetzt aber, wo dieser Baum da ist, soll es plötzlich einen Unterschied geben? Und warum dürfen wir nicht von ihm essen? Würde er etwas an uns verändern?“

E: „Ich glaube, das hat er schon. Er hat bereits etwas an uns verändert. Wir stellen Fragen und unterscheiden, was wir bisher noch nie getan haben.“

A: „Er hätte diesen Baum nicht erschaffen dürfen. Oder zumindest hätte er uns nicht sagen dürfen, dass wir nicht von diesem Baum essen dürfen.“

E: „Du stellst Bedingungen an ihn?“

A: „Er stellt sie doch auch an uns. Wenn er etwas von uns verlangt, können wir auch etwas von ihm verlangen. Wir sind alle gleich.“

E: „Jetzt nicht mehr.“

Plötzlich steht ein unwahrscheinlich schöner Engel vor dem Baum neben Ada und Eva.

Engel: „Wer sagt denn, dass ihr von diesem Baum nicht essen dürft?“

A und E: „Er!“

Engel: „Und wenn ich euch sage, dass ihr von diesem Baum essen dürft, was dann?“

A: „Wer bist du?“

Engel: „Ich bin sein schönster und mächtigster Engel.“

E: „Hat er dich zu uns geschickt?“

Engel: „Ich lass mich schicken und lass mir auch nichts sagen. Ich tu das, was mir gefällt. Ihr könnt das auch, denn uns unterscheidet nichts.“

E: „Hast du gehört, Ada? Uns unterscheidet nichts! Vielleicht ist es das, was er uns mit dem Baum sagen wollte?“

A: „Dann hätte er es auch so gesagt. Er aber sagte, dass wir von diesem Baum NICHT essen dürfen, aber von allem anderen dürfen wir essen.“

E: „Er hat uns damit verwirrt und uns Unterschiede gezeigt, die wir aber gar nicht sehen wollen. Wir sind es gewohnt, nicht zu unterscheiden. Dieser wunderschöne Engel hier bringt uns wieder zurück zur Unvergleichlichkeit. Das sollten wir nützen.“

Engel: „Das ist eine sehr weise Entscheidung. Und ich kann euch sagen, die Früchte von diesem Baum sind wunderbar süß. Es sind die besten Früchte hier, die auch eine wunderbare Wirkung haben. Sie machen euch mit allem gleich, - auch mit ihm.“

A: „Aber wir sind doch alle gleich, - auch mit ihm. Er hat alles nach seinem Ebenbild geschaffen.“

Engel: „Das glaubst du doch selbst nicht. Schau dich einmal um. Sieht hier wirklich alles gleich aus? Sieht Eva aus wie dieser Strauch dort, oder wie der Baum am kleinen See? Oder siehst du aus wie der Grashalm, auf dem du eben stehst? Er hat euch den Baum hier hergestellt, damit ihr Unterschiede erkennt. Er will sich von euch entfernen, sich über euch stellen. Wenn ihr aber von diesem Baum esst, werdet ihr wie ich sein, - unterschiedslos und frei.“

A: „Sind wir denn nicht frei?“

Engel: „Frei seid ihr nur, wenn ihr das tun könnt, was ihr tun wollt. Nun, tut ihr das?“

E: „Wenn wir nicht von diesem Baum essen, sind wir nicht wirklich frei, weil wir dann das tun, was er uns sagt.“

A: „Andererseits, - WOLLEN wir von diesem Baum essen? Wir haben doch so viel Nahrung und das ist uns genug.“

E: „Ada hat Recht. Wir haben genug Nahrung, und selbst wenn diese Frucht die Beste hier ist, sollten wir keinen Unterschied mehr machen. Alles ist gut.“

Engel: „Aber ihr macht doch bereits Unterschiede. Seit dieser Baum hier steht, unterscheidet ihr und stellt euch Fragen, die ihr euch selbst nicht beantworten könnt. Erkennt ihr denn nicht, dass ich ein Geschöpf bin wie ihr? Würde er es zulassen, dass ich zu euch komme, wenn es nicht Recht wäre? Ich bin ein Geschenk von ihm für euch. Ich bin es, der euch ins Paradies führen kann, wo ihr tun und lassen könnt, was ihr wollt.“

A: „Warum kommt er dann nicht selbst und sagt uns das?“

Engel: „Hör in dich selbst hinein. Du musst nicht auf MICH hören, sondern auf dich selbst.“

E: „Lass uns von hier verschwinden, Ada. Ich würde sagen, von nun an ignorieren wir diesen Baum. Was meinst du?“

A: „Genau, das machen wir.“

Ada und Eva gehen weiter und lassen den Engel alleine vor dem Baum stehen.

Engel: „Sie hatten die Chance, aber sie haben sie nicht genutzt. Was für ein schwerer Schlag für die gesamte Menschheit, die nun durch viel Leid gehen muss, um irgendwann einmal – mit viel Glück – den Baum der Erkenntnis wieder zu finden.“
 
4.) Episode

Jetzt sitze ich irgendwie in der Zwickmühle. Wurde nun vom Baum der Erkenntnis genascht oder nicht? In der Bibel wurde zwar darüber berichtet, wie sich Eva von einer Schlange überlisten ließ und sich doch eine Frucht nahm, die sie sich mit Adam teilte, aber ob das eine Erkenntnis war, als sie erkannten, dass sie nackt sind, stimmt mich nachdenklich, wenn ich die Menschheit, mich eingeschlossen, betrachte.
Okay, ich habe in den ersten beiden Episoden geschrieben, wie es wäre, wenn nicht vom Baum der Erkenntnis genascht worden wäre und in der 3.) Episode haben sich Ada und Eva vom Baum der Erkenntnis abgewandt. Na ja, das ist kein Dilemma. Vielleicht lest ihr die ersten Episoden noch einmal, nur eben, dass NICHT vom Baum der Erkenntnis genascht wurde. Also, einfach alles umdrehen. Okay?
Was ist Erkenntnis? Ganz einfach, - es muss etwas da sein, das erkennt und etwas, das erkannt wird. Es handelt sich sozusagen auch um etwas Bekanntes, denn etwas Unbekanntes kann nicht erkannt werden. Oder doch? In der Menschenwelt soll es bekanntlich ja immer wieder etwas Neues geben. Aber ganz so neu ist das Neue nicht wirklich, da es oft, wenn nicht immer, vom Bekannten abgewandelt wird. Es ist auch nicht so, dass urplötzlich aus dem Nichts etwas Neues entsteht. Aus dem Alten entwickelt sich nur etwas Neues.
Aber wozu darüber reden? Ich glaube doch, dass vom Baum der Erkenntnis NICHT genascht wurde, denn wenn, würden wir Menschen ALLES erkennen. Wir würden keine technischen Hilfsmittel brauchen, wir müssten nicht forschen, wir müssten nichts lernen. Der Baum der Erkenntnis hätte uns all das erspart. Vielleicht würden wir nicht einmal mehr Nahrung zu uns nehmen müssen und würden vielen Lebewesen sehr viel Leid ersparen. Damit meine ich nicht nur die Tiere, die uns als Nahrung dienen, - auch das Gemüse und Obst, das ja ebenso LEBT. Nur unterscheidet sich dieses Leben so sehr von unserem und dem vieler Tiere, dass wir in ihm kaum Leben erkennen, - oder es gar nicht erkennen wollen. Sterben würden wir vielleicht auch nicht, denn im Paradies gibt es angeblich keinen Tod. Nur, das mit dem Tod lass ich mal beiseite, da ich anscheinend nichts über ihn weiß. Ich kann nur Vermutungen aufstellen, oder daran glauben, dass nach dem Tod nur wieder ein neues Leben kommt.
Aber wie auch immer. Ich frage mich, was denn weiter mit Ada und Eva passierte, als sie sich vom Baum der Erkenntnis abgewandt haben und den unbeschreiblich schönen Engel dort stehen ließen?

Engel: „Du hättest ihnen keinen freien Willen lassen dürfen.“

Gott: „Aber sie haben das Gehirn dazu. Meinst du, ich habe mich geirrt?“

Engel: „Es ist ein Für und Wider. Sicher ist es okay, wenn sie sich entscheiden können, aber damit werden sie doch nur verwirrt. Sie werden sich stets fragen, ob es anders vielleicht besser gewesen wäre. Und irgendwann werden sie wissen, dass es anders besser gewesen wäre. Aber eines würde mich interessieren. Warum hast du ihnen verboten, von diesem Baum zu essen? Und warum hast du mich dazu beauftragt, ihnen zu sagen, dass sie doch von diesem Baum essen dürfen?“

Gott: „Ich war neugierig, ob sie ihre Eigenständigkeit nutzen, ob sie selbst entscheiden, egal, wer ihnen etwas sagt. Anscheinend aber haben sie zu großen Respekt vor mir.“

Engel: „Dann hättest du ihnen weniger Demut mitgeben dürfen.“

Gott: „Die Demut gab ich ihnen wegen der Vielfalt, die ich geschaffen habe. Sie sollten erkennen, dass nichts und niemand besser oder schlechter ist als sie selbst. Mit weniger Demut würden sie das nie erkennen.“

Engel: „Irgendetwas muss schief gelaufen sein. Da kannst du sagen, was du willst.“

Gott: „Wir werden sehen. Auf jeden Fall bist du jetzt mein Gegner geworden. Das habe ich vorhin in ihren Gedanken gesehen.“

Engel: „Wieso soll ich dein Gegner werden? Ich bin deine rechte Hand, - dein Fürsprecher, - deine wahre Stimme.“

Gott: „Ja, das wissen wir beide, aber die Menschen werden es lange Zeit nicht erkennen können, - es sei denn, Ada und Eva besinnen sich noch und gehen auf dich ein.“

Engel: „Wir würden die Menschen täuschen. Viel mehr wäre ich dafür, ihnen im Schlaf von der Frucht dieses Baumes etwas einzugeben.“

Gott: „Wir würden die Menschen betrügen. Und das wäre noch viel schlimmer, als sie zu täuschen. So haben sie doch noch immer die Möglichkeit, den Baum der Erkenntnis wieder zu finden.“

Engel: „Sie werden mir nie vertrauen, - und wenn, werden sie ein vollkommen falsches Bildnis von mir machen.“

Gott: *lacht* „Wenn es darum geht, - was meinst du, wie viele falsche Bildnisse sie von mir machen werden? Das ist nicht weiter schlimm, denn wir wissen doch, wer und was wir sind.“

Engel: „Und genau das wollte ich diesen beiden Menschen auch geben, - dass sie wissen, wer und was sie sind und dass sie nichts, absolut nichts von uns unterscheidet, auch wenn ihr Äußeres anders ist. Nun, vielleicht hättest du sie wie uns machen sollen?“

Gott: „Das habe ich doch. Ich habe alles wie uns gemacht, - in all unserer Vielfalt.“

Engel: „Ja, wir wissen das, aber sie scheinen das nicht zu wissen. Und nur, weil sie zu feige sind, von diesem Baum zu essen.“

Gott: „Vertrau mir und vor allem, vertrau ihnen. Ich weiß, dass sie einmal wissen werden.“
 
5.) Episode

Während der Engel auf der Bühne einen Monolog führt und eine Stimme aus einem versteckten Lautsprecher Gott darstellt, ziehen Ada und Eva in der Garderobe ihre geschlechtslosen Kostüme aus.
„Die Vorstellung war bisher okay, oder?“ fragt Ada, mit Geburtsnamen Emma.
„Ich denke schon. Die Leute haben sehr laut nach jeder Szene applaudiert“, meint Eva, mit Geburtsnamen Sabine.
Die beiden sind sehr schlank, fast schon zu mager, wodurch das geschlechtslose Kostüm, ein hautfarbenes und hautanliegendes Dress besonders gut passte und eine feste Binde um die Brust eigentlich gar nicht notwendig gewesen wäre.
„Sag mal, Sabine, glaubst du an das, was in der Bibel steht?“ fragt Emma und formt ihr langes Haar zu einem Knoten.
„Nicht unbedingt. Ich glaube, das Ganze sollte eher metaphorisch gelesen werden.“
„Wie meinst du das?“
„Ich meine, in der Bibel werden Bilder dargestellt, so wie der Baum der Erkenntnis. Ein Baum steckt mit seinen Wurzeln fest in der Erde, aber seine Krone streckt sich dem Himmel entgegen. Erkenntnis ist sozusagen eine Art Wissen über Himmel UND Erde“, antwortet Sabine.
Emma setzt sich eine Kurzhaarperücke auf.
„Dann hätten sie das gleich so schreiben können“, sagt sie und ergreift ein dunkelbraunes Fell, das sie sich kunstvoll um den Leib bindet.
„Sie? Wen meinst du mit – sie?“ fragt Sabine, die ihr blondes, langes Haar bürstet und splitternackt vor dem Spiegeltisch sitzen bleibt.
„Diejenigen, welche die Bibel geschrieben haben. Oder meinst du, Gott hat das alles geschrieben?“ sagt Emma und lacht auf.
„Gott wird das nicht geschrieben haben, - er hat es eher auf eine gewisse Art diktiert.“
Emma lacht abermals.
„Das glaube ich auch nicht. Eher sind das alles Phantasiegeschichten von Menschen, die sich wichtig machen wollten.“
Sabine runzelt die Stirn.
„Das ist schon möglich, aber wer kann schon wissen, was Phantasie ist? Es besteht ebenso die Möglichkeit, dass Gott uns mittels der Phantasie einiges eingibt.“
„Und die Menschen glauben dann, es sei auf ihren eigenen Mist gewachsen? Meinst du das?“ fragt Emma.
„Wer weiß das schon? Dass die Bibel von Menschen geschrieben wurde, ist mir auf jeden Fall klar und dass es da einige gab, die dadurch mächtig werden wollten, ebenso. Aber es gibt da noch etwas, was wohl niemand wissen kann und worüber die Gehirnforscher noch immer rätseln. Woher kommt das Bewusstsein? Und – ist das, was wir tun und sagen, auch unser eigener Wille? Nicht, dass unser Leben vorprogrammiert wäre, aber auf eine gewisse Art kommt mir mein Leben manchmal so vor, als würde es von jemand ganz anderem gelebt.“
Emma sieht Sabine groß an.
„Und was hat das mit Phantasie zu tun?“ fragt sie nach einigen Sekunden.
„Es hat mit allem etwas zu tun, nicht nur mit Phantasie. Im Grunde genommen können wir gar nicht sagen, was Wirklichkeit und was Phantasie ist, auch dann nicht, wenn wir sagen, dass wir die Wirklichkeit doch sehen und anfassen können. Wir können uns durchaus nur einbilden, dass wir etwas sehen oder anfassen. So gesehen ist absolut nichts sicher.“
Emma atmet tief durch.
„Also das ist mir zu hoch und zu verwirrend. Komm, - wir sind mit der nächsten Szene dran, denn wenn ich mich noch länger mit dir unterhalte, vergesse ich noch meinen Text.“
Sabine lacht und erhebt sich.
„Hast du gar keine Skrupel, so ganz nackt auf die Bühne zu gehen – vor so vielen Leuten?“ fragt Emma, als beide zum Bühneneingang gehen.
„Haben Bäume, Sträucher, Gräser oder Tiere Skrupel, so ganz nackt vor uns zu leben? Meinst du, wir sind besser oder schlechter als sie?“ stellt Sabine die Gegenfrage.
 
Vielleicht würden wir nicht einmal mehr Nahrung zu uns nehmen müssen und würden vielen Lebewesen sehr viel Leid ersparen. Damit meine ich nicht nur die Tiere, die uns als Nahrung dienen, - auch das Gemüse und Obst, das ja ebenso LEBT. Nur unterscheidet sich dieses Leben so sehr von unserem und dem vieler Tiere, dass wir in ihm kaum Leben erkennen, - oder es gar nicht erkennen wollen.

@Serenade,
hast du deinen Geist mal mit dem Sinn einer Nährseele beschäftigt ?
....solltest du tun.

LGMFrankie
 
6.) Episode

Die Bühne, übrigens eine Drehbühne, zeigt eine wunderschöne Landschaft, - einen Garten, in dem alle möglichen Blumen blühen, alle möglichen Bäume und Sträucher wachsen und auch einige Tiere, die friedlich beieinander liegen. Unter all dieser Pracht stehen Ada, in Fell gehüllt und Eva, vollkommen nackt.

A: „Schämst du dich nicht, so hier zu stehen?“

E: *erschrickt sichtlich und hält sich eine Hand über die knospenhaften Brüste und die andere Hand über die Scham*

A: „Hier hab ich ein zweites Fell. Als ich noch einmal zum verbotenen Baum ging, habe ich es unter ihm gefunden. Zieh es dir über.“ *reicht Eva ein hellbraunes Fell, die es sich sofort um den Leib bindet*

Stimme aus dem Lautsprecher (S): „Seit wann wisst ihr, dass ihr nackt seid?“

A: „Es kam so plötzlich, nachdem ich mich vom verbotenen Baum abgewendet habe.“

S: „Warum habt ihr keine Frucht von diesem Baum gegessen?“

A: „Weil du es uns verboten hast!“

S: „Aber der Engel, den ich euch geschickt habe, sagte, ihr dürft davon essen.“

E: „Wir haben ihm nicht geglaubt, weil wir dir glauben.“

S: „Und was ist mit euch selbst?“

A: „Was soll mit uns sein?“

S: „Warum glaubt ihr euch selbst nicht? Ich gab euch doch auch so etwas wie ein Gefühl, dem ihr vertrauen könnt. Hattet ihr kein gutes Gefühl, wenn ihr daran dachtet, vom Baum zu essen?“

A: „Wenn wir dir glauben sollen, hat nichts anderes mehr Platz.“

S: „Oh!“

E: „Was sollen wir jetzt tun?“

S: *überlegt kurz* „Das Beste wäre, ihr würdet in die unteren Dimensionen gehen und erst einmal lernen, euch selbst zu vertrauen. Ich denke, das wäre eine gute Aufgabe für euch. Geht dort drüben durch das Tor.“

Ada und Eva gehen folgsam durch das Tor und verschwinden von der Bühne.
Der Engel taucht wieder auf und blickt nach oben, wo die Stimme her kommt.

E: „Was hast du jetzt mit ihnen vor?“

S: „Sie werden lernen sich selbst zu vertrauen. Mehr kann ich für sie nicht tun. In den Welten der unteren Dimensionen gibt es genug Zeit und Raum dafür.“

E: „Lässt du sie alleine?“

S: „Ich habe ihnen alles gesagt, was sie wissen müssen und ich habe ihnen alles gegeben, was sie für dieses Wissen brauchen. Finden müssen sie es selbst.“

E: „Was hast du ihnen gegeben?“

S: „Eine innere Stimme, die ihnen immer sagt, was gut für sie ist.“

E: „Werden sie diese Stimme auch hören?“

S: „Vielleicht nicht sofort, aber mit der Zeit…“

E: „Zeit?“

S: „Es sind die unteren Dimensionen, mein Freund. Wenn sie gelernt haben, werden sie wieder hier her kommen. Und wenn sie noch etwas zu lernen haben, wird eine andere Dimension auf sie warten, in der sie weiter lernen werden.“

E: „Und was machst du?“

S: „Ich kümmere mich um meine anderen Schöpfungen. Oder glaubst du, mein Meisterwerk sind nur die Menschen und ihre Welten?“
 
7.) Episode

Emma und Sabine befinden sich, zusammen mit dem Engel, der in Wirklichkeit Bernhard heißt und ein sehr gut aussehender, junger Mann ist, in der Garderobe. Ihr Auftritt ist beendet. Es war der Zweite an diesem Abend. Vor ihnen waren die Zoketen dran, ein etwas naives Volk vom Planeten Alvan, der sich an der Grenze der Galaxie befindet. Als nächstes sind die Egonier an der Reihe, die von den Menschen gerne gemieden werden, da sie Gedanken lesen können. Ihr Planet ist gar nicht einmal so weit weg von der Erde. Es sind zirka einhundert Lichtjahre, oder so.
Dieser Theaterabend findet jedes Jahr einmal statt, - am Tag der galaktischen Wiedervereinigung. Diesmal wird dieser Tag auf der Erde gefeiert. Nächstes Jahr, so heißt es, haben die Panetianer die Bewilligung für dieses Fest bekommen und das Thema wird „Kunst“ heißen. Diesmal war es Religion, und die Menschen entschieden sich für das Buch „Die Bibel“ und einen Abschnitt aus dem „alten Testament“.

B: „Wir hätten uns für das neue Testament entscheiden sollen. Irgendeine Szene mit Jesus.“

E: „Klar, dann hättest du wohl die Hauptrolle bekommen.“

B: *lacht* „Die habe ich auch so bekommen!“

S: „Die Hauptrolle war die Stimme aus dem Lautsprecher.“

B: „Das war doch nur ein Computer.“

S: „Eben! Computer bestimmen heute unser Leben. Sie sind eigentlich unsere Götter, - und so ist es nicht nur auf der Erde, - so ist es auf fast allen Planeten.“

E: „Was macht ihr heute noch? Seht ihr euch die Vorstellung zu Ende an?“

B: „Ja, ich werde mich noch ins Publikum mischen.“

S: „Ich kann mir die Vorstellung leider nicht ansehen, weil ich einer Freundin versprochen habe, sie noch zu besuchen. Sie hat gerade eine schwere Zeit.“

E: „Was ist denn mit ihr?“

S: „Ihr Mann hat sie rausgeworfen und ihr obendrein die Kinder weg genommen. Und die kleine Wohnung, in der sie jetzt lebt, fällt ihr fast auf den Kopf, weil sie ein großes Haus, mit großen Räumen gewohnt ist.“

B: „Warum hat er sie rausgeworfen und ihr die Kinder weggenommen?“

S: „Sie ist Alkoholikerin geworden und hat alles vernachlässigt.“

E: „Ihr Mann hätte ihr helfen müssen, vom Alkohol wegzukommen.“

S: „Das hat er ja versucht und sie in ein Sanatorium einweisen wollen, aber sie hat sich dagegen geweigert und ihm eine Vase an den Kopf geworfen. Zum Glück ist ihm nicht viel passiert, außer einer Platzwunde an der Stirn, die nur genäht werden musste. Aber das genügte, um sie vor die Tür zu setzen. Danach musste sie einen Entzug machen und jetzt, wo sie clean ist, wird ihr das alles bewusst.“

B: „Und jetzt braucht sie dich, um sie zu trösten.“

S: „Ja.“

E: „Warum kam sie nicht zur Vorstellung?“

S: „Sie geht nicht gerne aus dem Haus, weil sie Angst hat, Bekannte zu treffen. Vor kurzem, als sie einkaufen ging, hat sie eine alte Bekannte getroffen und das war nicht allzu gut für sie.“

B: „Warum nicht?“

S: „Na ja, diese Bekannte fragte sie ziemlich boshaft aus, obwohl sie selbst Dreck am Stecken hatte.“

E: „Das ist typisch! Wenn es einem Menschen schlecht geht, geht es ihnen gleich viel besser, wenn es anderen Menschen noch schlechter geht.“

B: „Ihr beide hättet also doch vom Baum naschen sollen.“ *lacht nach diesem Satz*

E: „Laut Originalschrift der Bibel haben wir das.“

S: „Wer sagt, dass es die Originalschrift war und nicht das, was wir eben gespielt haben, die Originalschrift ist? Kennt ihr denn den Autor dieser Szenen?“

B: „Ich habe gehört, dass es ein schon sehr alter Mann ist, der einst Verbindung zu den Höchsten der Kirche hatte. Als damals die alten Keller im Vatikan geräumt wurden, soll er als Jungdekan dabei gewesen sein. Vielleicht hat er sich damals eines dieser versteckten Bücher unter den Nagel gerissen.“

S: „Aber selbst wenn das, was wir eben gespielt haben, die Originalschrift ist, bin ich noch immer der Meinung, dass es metaphorisch ist. Ich habe mir einige Texte von den anderen Völkern der Galaxie durchgelesen und erkannt, dass sie unseren sehr ähnlich sind. Da gibt es zwar keinen Baum der Erkenntnis, aber doch immer etwas, was sozusagen zurück gelassen wurde. Ein Text ist besonders interessant. Es ist jener, der jetzt eben von den Gedankenlesern gespielt wird. Auch für sie gibt es eine Art Paradies, aber doch keine zwei Welten. Das ist schwer zu erklären. Sie glauben, wenn ich das richtig verstanden habe, dass in Wirklichkeit alles reine Energie ist. Aber eine Energie, die mit nichts zu vergleichen ist. Vielleicht würde es – Geist – besser benennen. Aber egal. Und diese Energie ist immer eine Einheit. Gleichzeitig jedoch befindet sich diese Energie in so genannten Blasen, in denen sie sich als vielfältige Materie wahrnimmt. Die Blasen sind imaginär, haben aber eine enorme Wirkung. Die Szene, welche die Egonier sich ausgesucht haben, handelt davon, wie aus der einheitlichen Energie unendlich viele Blasen entstehen. Die Frage ist nun, ob die Blasen von der Energie getrennt sind, oder nicht. Wenn sie getrennt sind, ist die Energie IN den Blasen nicht mehr das, was sie in Wirklichkeit ist oder war. Wenn sie aber nicht getrennt sind, gibt es – wie es in ihren so genannten heiligen Schriften geschrieben steht – keine zwei Welten, sondern immer nur eine, die sich quasi entwickelt. Die Entwicklung soll zu einem Paradies führen, in dem noch immer die Einheit gilt, aber eine Einheit aus Vielfalt, da in der einheitlichen Energie all das steckt, was einst geschah, was jetzt geschieht und was noch geschehen wird. Das heißt, es wird alles, was die reine Energie schon immer IN sich hatte, was sie in Wirklichkeit IST, sozusagen bildlich, also – real – gemacht. Das, was einst imaginär war, wird greifbar, - wahrnehmbar. Zumindest habe ich das so verstanden.“

E: „Ehrlich gesagt, verstehe ich überhaupt nichts.“ *lacht*

B: „Also, ich finde, das ist ein sehr schöner Glaube. Aber, wenn alles eins ist, gibt es doch zwischen uns allen, dem gesamten Universum, gar keinen Unterschied.“

S: „Genau! In der Bibel, die wir kennen, steht doch, dass Adam und Eva, bevor sie vom Baum der Erkenntnis aßen, keinen Unterschied erkannten. Andererseits erscheint es mir seltsam, denn wenn Gott sagt, dass sie von allen Früchten im Garten Eden essen dürfen, nur nicht vom Baum der Erkenntnis, so besteht doch bereits ein Unterschied. Demnach würde ich eher dem zustimmen, was wir gespielt haben.
So, jetzt muss ich aber los. Meine Freundin braucht mich wirklich.“
 
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8.) Episode

Während einer Pause zwischen den Vorstellungen verlässt Bernhard das Theater, um frische Luft zu schnappen. Er steht alleine vor dem Tor, bis eine Egonierin herauskommt und ihn lächelnd grüßt.
Dazu sei gesagt, es gibt für alle eine galaktische Einheitssprache, die bereits in den Grundschulen gelehrt wird, um sich mit den Besuchern von anderen Planeten gebührend unterhalten zu können. Die Egonierin und Bernhard bedienen sich auch dieser Einheitssprache.
Bernhard grüßt ebenfalls und blickt die junge Egonierin interessiert an. Egonier sind ein besonders schönes Volk, das sich kaum von den Erdenmenschen unterscheidet. Sie sind allesamt groß gewachsen, durchschnittlich 2 Meter, und sehr schlank. Meist haben sie weißblondes, bis dunkelblondes Haar. Nur selten sieht man dunkelhaarige Egonier. Ihre Augen sind durchwegs strahlend blau und ihre Gesichter zart wie die von irdischen Asiaten. Egonier bewegen sich sehr graziös, ob Mann oder Frau.
„Wie hat dir unser Beitrag gefallen?“ fragt die Egonierin.
„Ich fand ihn höchst interessant und würde gerne mehr darüber erfahren.“
„Hier auf der Erde gibt es doch so kleine Kaffeestuben. Wie wäre es, wenn wir uns nach den Vorstellungen treffen? Dann könnte ich dir mehr über unseren Glauben erzählen.“
Bernhard ist sofort damit einverstanden und macht mit der Egonierin ein Treffen im Café gegenüber dem Theater aus.

Bernhard hat bereits an einem kleinen Tischchen im Café Platz genommen, als die großgewachsene Egonierin den Raum betritt und sich umsieht. Ihr langes blondes Haar weht zurück, als sie sich nach Bernhard umdreht, der ihr lächelnd zuwinkt. Sie trägt ein hellblaues, enges, langes Kleid, und einen breiten, weißen Gürtel um die Taille. Auf ihren Schultern liegt eine dunkelblaue Stola, mit Schriftzeichen darauf.
„Schön, dass du gekommen bist“, begrüßt Bernhard die junge Frau, die gut um einen Kopf größer ist als er.
„Wenn ich sage, dass ich komme, komme ich auch.“
„Ich möchte mich erst einmal vorstellen, - mein Name ist Bernhard Körner. Ich arbeite beruflich in einer der größten Computerfirmen.“
„Mich nennt man ganz einfach Selma. Ich bin die Tochter eines Regierungsbeamten im Sektor 12 und werde in wenigen Monaten auch dort arbeiten, - sozusagen als Botschafterin unseres Volkes.“
Die Kellnerin kommt, und beide bestellen einen Kaffee.
„Also, was möchtest du über unseren Glauben wissen?“ fragt Selma, nachdem sie beide Kaffee bekommen haben.
„Irgendwie verstehe ich das mit den Blasen nicht. Ihr sagt, sie seien imaginär, sozusagen unsichtbar, also…“
Selma lacht.
„Sicher sind sie unsichtbar, oder siehst du hier um uns herum irgendwelche Blasen?“
„Nein, aber woher wollt ihr wissen, dass es sie gibt?“ fragt Bernhard und setzt schnell hinzu: „Damit möchte ich euren Glauben nicht untergraben. Ich würde nur gerne wissen, wie ihr darauf gekommen seid.“
„Diesen Glauben haben wir schon immer. Es gab ihn damals schon, als wir dachten, alleine im Universum zu sein. Auf unseren Planeten gibt es auch andere Lebewesen, - so wie bei euch, nur sehen sie etwas anders aus, obwohl sich manche sehr gleichen. Auch wir haben Bäume und Pflanzen und ebenso viele unterschiedliche Tiere. Und irgendwann stellte wohl jemand fest, dass wir uns geistig unterscheiden und keinen gegenseitigen Zugang zueinander haben. Manche Tiere scheinen uns zu verstehen. Das sind besonders unsere Arbeitstiere, die Kommandos verstehen und sie auch ausführen. Aber eine Unterhaltung, wie unter unseresgleichen, kann niemals stattfinden.“
„Und so dachtet ihr, alle Wesen einer Spezies befinden sich in einer imaginären Blase, die von anderen Spezies nicht durchdrungen werden kann?“ fragt Bernhard.
„Es muss so gewesen sein, aber das ist noch nicht alles, denn vorwiegend geht es um die eine Energie, die sich als Ganzes in den jeweiligen Blasen befindet. Wir gehen davon aus, dass kein Unterschied zwischen der einen Energie und den Blasen gibt, auch wenn wir uns in letzter Zeit fragen, ob es nicht doch einen Unterschied geben könnte. Aber die Hauptreligion – ihr nennt es doch Religion, oder?“
Bernhard nickt stumm.
„Nun, die Hauptreligion“, spricht Selma weiter, „besagt, dass kein Unterschied besteht. So gesehen waren die Blasen schon immer da, nur war es uns nicht bewusst. Das wird jetzt sehr schwer zu verstehen sein, aber bedenke, wie wir leben und wie wir wahrnehmen. Wir befinden uns in Zeit und Raum, - zumindest erscheint es uns so. Deshalb nehmen wir auch Moment für Moment wahr. Gehen wir nun über diese Wahrnehmung hinaus, befinden wir uns in einer Art Leere. Dies ist jedoch nur im ersten Moment…“, Selma lacht.
„Warum lachst du?“
„Weil ich – Moment – gesagt habe, aber in der Leere gibt es keine Momente mehr.“
„Heißt das, ihr könnt über eure alltägliche Wahrnehmung hinausgehen?“ fragt Bernhard erstaunt.
„Ja, das können wir. Wir können auch Gedanken lesen. Das ist ja auch ein Grund, warum wir meistens von euch Menschen gemieden werden. Deshalb war ich erstaunt über deine Einladung, die du durchaus sehr ernst gemeint hast.“
„Du verstehst unsere Sprache nicht, also kannst du unsere Gedanken auch nicht lesen, außer ich denke ich der galaktischen Einheitssprache.“
„Da irrst du dich. Ja, ihr denkt auch in eurer Sprache, aber das sind nur Gedankenfetzen, die ihr, wenn ihr auch Gedanken lesen könntet, selbst kaum entziffern könntet, - aber ihr denkt ebenso in Bilder und das sehr genau.“
„Du meinst, wir denken viel mehr in Bilder als mit Worten?“
„Ja, sicher! Ihr denkt euch die Welt genauso aus, wie ihr eure Gedanken.“
„Wie bitte?“ fragt Bernhard und hätte sich fast am Kaffee verschluckt.
„Nun, es seid nicht direkt ihr, wie ihr euch wahrnehmt, und doch seid es ihr, aber als Ganzes, - als die eine Energie, die schon immer war, - genauso wie die Blasen, durch die sie wahrnimmt. Die eine Energie nimmt sich selbst durch alle Blasen wahr. Ich denke, das ist die einfachste Erklärung.“
„Dann hieße das doch, dass alles nur Illusion ist. So eine Religion haben wir auch, aber sie ist in anderen Ländern verbreitet.“
„Ich weiß. Aber wir glauben nicht an Illusion, wie es in dieser anderen Religion heißt. Das, was wir wahrnehmen, ist wirklich. Es ist die reine Energie als Materie. Indem sie sich in all den Blasen befindet, ist sie Materie und gleichzeitig auch Energie. Illusionen gibt es nicht. Es gibt nur etwas, das nicht von allen wahrgenommen werden kann, außer man geht über jegliche Wahrnehmung hinaus und befindet sich in einer Art Leere. Ihr nennt diese Leere auch den Tod. Für uns ist die Leere jedoch unsere wahre Heimat, weil wir dann – frei gesagt – wieder mit der einen Energie vereint sind. Natürlich sind wir immer mit der einen Energie vereint, - es liegt nur an den Blasen, die uns diese Tatsache nicht wahrnehmen lassen.“
 
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