Der entscheidende Punkt ist aber, und dafür habe ich kürzlich extra Wilbers Sex, Ecology and Spirituality herausgekramt, dass Wilber nirgendwo definiert, welches das Kriterium ist, nach welchem ein Holon seine Identität gewinnt. Wie grenzt er ein Holon von einem anderen ab, mit anderen Worten, wie trifft er eine Unterscheidung? Das sagt er nirgendwo - weil er es nämlich gar nicht weiss. (Gleiches würde auch für "Ding" und "Prozess" gelten.) Günther und Spencer-Brown sind sich hingegen dieses Vorgangs sehr deutlich bewusst. Identität ist nicht im Ding/Prozess/Holon bereits ontisch vorhanden, sondern das Resultat, oder noch genauer: der Akt einer Unterscheidung.
dass Wilber noch in alteuropäisches Identitätsdenken fällt, das sich gar nicht bewusst ist, wie etwas seine Identität gewinnt - über Differenz -,... ...ja, da kann ich dir natürlich zustimmen.
Das trifft sicherlich auf viele Philosophen der Zeit Wilbers zu und wurde ja erst etwa in den 70er Jahren einigen wenigen bewusst - z.B. über die Rezeption Heideggers - der sich mit Hegels Identitäts-Ansatz auseinandersetzt - durch Derrida... ...oder eben über die Rezeption Günthers in den 70er Jahren.
Im deutschen Idealismus hat man die Problemstelle auch gesehen, hat aber das Verhältnis von Identität und Differenz nicht als Differenz, sondern als Identität des Absoluten gefasst.
Die Sicht war also 2 Stockwerke höher als bei Wilber, der das alles nicht sieht, und einfach mehr oder weniger populärphilosophisch - was die begriffliche und methodisch, methodologische Vorgehensweise angeht - drauf los werkelt.
Ein Lokus hat somit selbst keine Identität, wenn schon dann ist er Identität im Sinne, dass er ident mit einer Unterscheidung und somit einer Benennung ist.
ja, die ihre Bedeutung lediglich in ihrer Verweisung/Identität/Spur, ihrem Kontext erhält...
Jo, da geb ich dir Recht. Darauf hab ich auch keine schlüssige Antwort.
finde ich spannend, dass du das sagst. Einerseits nehme ich da bei dir viel Enthusiasmus (Leidenschaft?) für die Theorie wahr, geht es dir durchaus darum, einen komplexen, hoch-theoretischen Ansatz zu durchdringen...
...andererseits bist du aber auch bereit, einfach loszulassen und einzugestehen, dass auch ein derartiger polykontext. Differenz-Ansatz nicht einfach die Welt begreift... ...der Ansatz wird dir also nicht zur Ersatzreligion, wie das bei manch anderen Anhängern Günthers, Luhmanns, etc. zu sehen ist...
Also, ich bin hier durchaus kein Atheist, das ist dir sicher auch klar. Transzendenz ist historisch gesehen einfach jeweils das, was sich unserer Erkenntnis entzieht. Früher belegte man jegliche Transzendenz mit Gott, aber heute müssen wir hier etwas vorsichtiger und bescheidener sein. Möglicherweise ist das Transzendente nicht einfach Gott, sondern bloss transzendent. Nur weil es nicht gedacht oder erkannt werden kann, heisst das noch lange nicht, dass das oder dort gleich Gott ist. Und was gedacht oder erkannt werden kann, kann immer nur körperlich-geistig gedacht und erkannt werden. Insofern ist das, was weder körperlich noch geistig ist, was sich also jenseits des benutzten Erkenntnisinstruments befindet, transzendent.
soweit ich weiß, hast du doch auch ausreichend Erfahrung in Zen-Meditation. Du weißt doch auch, dass es Erfahrungen gibt, die nicht gedacht werden, die nicht auf Bedeutungssinn beruhen. Oder siehst du das anders?
Es gibt Erfahrungen, die den Menschen als Pflanze, als Organismus, nähren, die ihn irgendwie erfüllen, ganz ohne großes Gedankenkino...
Nach längerer Meditationspraxis vollziehen sich diese Erfahrungen, ohne dass wir das gleiche "denken" müssten, weil eine tiefere Ebene, eine organischere Ebene angesprochen wird, die tiefer als die sinnhafte Bedeutung im Menschen liegt...
...aus meiner Sicht ist Transzendenz auf dieser Ebene erfahrbar...
...alles, was der Verstand macht, ist reine sinnhafte Bedeutungsebene, die das niemals abbilden kann... ...die vielleicht Theorien, Erklärungen, Konzeptionen erdenken kann, WARUM und WIE sich das vollzieht, die aber niemals die Erfahrung selbst in irgend einer Weise ersetzen oder herbeiführen kann.
Der Verstand ist dazu da, dass wir das, was wir als problematisch wahrnehmen, als "Problem" behandeln können, um Lösungen zu finden.
Wenn wir das Problem gelöst haben, wie wir endlich täglich meditieren können, können wir ihn beiseite legen... ...oder siehst du das anders?
Also, meine Idee ist in etwa die folgende. In der Informatik ist eine Ontologie eine Ansammlung von Fakten über Dinge, Relationen zwischen Dingen und den Attributen von Dingen (oder den Relationen). Wie das Ding bestimmt ist, wie es also vom Nicht-Ding abgegrenzt ist, mit anderen Worten: woher es seine Identität erhält, das ist nicht näher erläutert. (Das ist in Bezug auf die Ontologie eben "transzendent".)
Das führt genau dann zu grossen Problemen, wenn jemand "Virus" als "Lebewesen" in seiner Ontologie abgespeichert hat, und jemand anderer in einer zweiten Ontologie Virus als "Makromolekül" führt. Was ist ein Virus? Nun, das ist eben kontextabhängig zu beantworten. Aber der Kontext ist dummerweise nicht Teil der Ontologie. Eine Ontologie muss im Normalfall ohne Widersprüche auskommen, sonst ist der Computer überfordert.
Meine Idee wäre nun, nicht Fakten über Dinge abzuspeichern, sondern die Regeln zur Unterscheidung zwischen Ding und Nicht-Ding. Jedesmal, wenn wir wissen wollen, was ein Virus ist, dann müssen wir eben alle Unterscheidungsregeln ausführen (Genese). Und in gewissen Fällen, eben kontextabhängig, ist ein Virus halt ein Lebewesen und in anderen Fällen ist er ein Makromolekül. Die Regeln selbst sind nichts als Unterscheidungen, welche wiederum rekursiv unterschieden werden können.
"Selbstlernend", ja, wobei nicht das Lernen von zentralem Interesse ist, sondern die Tatsache, dass der Computer die notwendigen Unterscheidungen selbständig zur Laufzeit vornimmt.
Viel weiter bin ich bisher noch nicht gekommen, so richtig klar ist mir die Sache nämich nicht.
hm, ontologisches Denken feiert ja immer wieder eine Renaissance. zwischen den späten 40er bis fast zu den 90er Jahren gab es nahezu ein Ontologie-Verbot in der Philosophie - wer Ontologie sagte, der war scheinbar irrational, nicht auf dem neusten Stand, ... . Seit einiger Zeit, gerade auch im Zuge der Neurodebatten und der KI-Forschung, seit den 90ern wird Ontologie wieder salonfähig.
Ganz ehrlich kann ich auch nur ein wenig verstehen, wie komplex das Problem ist, das du beschreibst. ...
...es ist so komplex, dass ich das Gefühl habe, dass ich mich lieber auf meine Meditations-Decke setze, da ich davon mehr zu haben glaube...
Kennst du das Gefühl?
Ich kenne ehrlich gesagt Hegel fast nicht, und Schelling leider gar nicht. Aber: Günther würde genau an dem Punkt widersprechen, wo "die Erfahrung des Absoluten" sich einstellen soll. Diesen Punkt wird es nie geben, er wird sich nie einstellen.
genau das ist mein Problem mit den formallogischen Ansätzen.
Sie beschreiben in epistemologischer Hinsicht vieles adäquater als naiv-realistische Erkenntnistheorien. Wir wissen mittlerweile, dass wir nicht einfach das "Ding" sehen, sondern das Gehirn vieles konstruiert, ergänzt, etc.
Es ist, was die Erkenntnis des Objektes durch ein Individuum angeht, nicht mehr vertretbar, "realistisch" zu denken: die Welt ist nicht einfach 1-1 da draußen, wie wir sie sehen. Ok.
Daher sind diese Ansätze äußerst fruchtbar, die dieses naive Denken hinterfragen. Angewendet auf spirituelle Erfahrungen suggerieren sie nun jedoch, dass das alles ebenfalls "konstruiert" sei. (Das mag auf vieles Esoterische zutreffen, aber es gibt da mE auch einen anderen Bereich.)
Aber das Interessante ist ja, dass diese spirituellen Philosophien das noch unterschreiben würden, dass sie gerade sagen würden: ja, es ist nicht begrifflich zu fassen und übersteigt unsere gewöhnliche Erfahrung.
Dass all dies aber nun gar nicht existieren soll, nur weil ein formallogischer Ansatz Prämissen setzt, die mit wissenschaftlichen Ergebnissen der Alltagserfahrung und -wahrnehmung besser übereinstimmen, da bin ich nicht einverstanden, da die Basis dieser Theorien formallogischer Natur ist.
Und wir greifen auf diese Logiken zu, weil wir vielleicht ein technisches Problem lösen wollen -z.B. Schaltkreise oder eben Erkenntnistheorien etc. . Sie haben ihren Nutzen.
Aber dadurch lass ich mir nicht meine Erfahrung nehmen
Nur, wenn ich sie selbst als "Gott" (begrifflich/denkend) greifen will, dann vollziehe ich natürlich eben jenes identifizierende Denken, das mich allerdings sowieso aus der eigentlichen Erfahrung herausgleiten und mehr in eine Fantasiewelt driften lässt...
Oder verstehe ich dich da falsch?
Nebst Yin und Yang ist die Dynamik zwischen beiden (Information) die dritte treibende Kraft, die weder auf Yin noch auf Yang zurückgeführt werden kann. Es ist ein dialektisches Werden, ein stetiges ("holarchisches", von mir aus) Wachstum von Kontexten, endlos. Es gibt keinen SUPER-Kontext, der alle anderen Kontexte umfasst. Das Sein schliesst das Nichts aus, und wenn wir beide zusammennehmen, dann ist das Werden noch immer nicht erklärt. Und selbst wenn wir auch noch das Werden mit hineinnehmen, so wissen wir noch immer nicht, wo die drei eigentlich stattfinden.
das stimmt alles für die sinnhafte Welt der Bedeutungen, aber gibt es nicht vielleicht etwas, das doch alles durchdringt, auf der elementaren Ebene, die auch der Ebene der sinnhaften Bedeutungen substantiell - in ihren Medien und Formen - zugrunde liegt?
Oder einfach nur Schweigen - meditieren, Gleichmut schulen, Metta praktizieren, ... ..lieben, verzeihen, loslassen... ...?
Ach, ach, ach, der arme Wilber. Hat sich all sein Wissen nur zusammenkopiert. Macht nichts, gelesen hab ich's trotzdem gerne, und ganz gehörig meinen Geist erweitert haben seine Bücher schon. Aber heute frag ich mich schon ein wenig, ob er sich nicht manchmal ein wenig wie ein Betrüger vorkommt, so ganz heimlich, wenn grad niemand hinguckt.