Yin und Yang

Warnung: Der folgende Beitrag ist mit der gaaanz grossen Kelle angerührt. (Ich versuche im allgemeinen solche Beiträge zu vermeiden, weil sich dabei immer ein unterschwellig mulmiges Gefühl einstellt.)

Vielleicht liege ich ja auch falsch mit meiner eher etwas pessimistischen Einschätzung. Manche Dinge sind ja wirklich neu. Als in den 50erjahren die ersten Satellitenbilder der Erde um die Welt gingen, und 1969 der erste Mensch den Mond betrat, was ein signifikanter Anteil der Erdbevölkerung am TV verfolgen konnte. Und wenn heute im Internet irgendwelche mässig lustigen Meme durch die Welt geistern, während Facebook das alles zusammenbringt - das ist schon etwas Neues. Das erlebte Bewusstsein, eine einzige Menschheit zu sein, ich glaube, das ist erst noch am Entstehen, wobei die ersten Schritte bereits getan sind.

Aber. Diese Geburt wird nicht ohne Schmerzen stattfinden. Schon jetzt sind die Chancen beträchtlich, dass es dabei nicht wenige Leute geben wird, die sich absichtlich zurückziehen. Schau dir die Tea-Party-Bewegung an oder der sich ausbreitende Terrorismus. (Wobei wiederum: Lieber vereinzelter Terrorismus als die horrenden Nationalkriege im Sinne des 1. und 2. WKs.)

Ich finde in dieser Hinsicht Gurdjieff sehr interessant, welcher mehr oder weniger behauptet, dass sich eine kleine Gruppe von Menschen bewusstseinstechnisch nur immer auf Kosten einer anderen Gruppe über den Durchschnitt heben könne. Dies sei quasi ein statistisches Gesetz. (Vermutlich hat er's ein wenig anders oder komplizierter gemeint, aber ich leg ihm das jetzt mal so in den Mund.)

Aber, um wieder auf die konkretere Ebene zu kommen - was mich eigentlich fast mehr interessiert: Du hattest erwähnt, dass du nicht länger als Dozent arbeitest. Womit verdienst du dir denn zur Zeit deine Brötchen? Interessiert mich deshalb zur Zeit besonders, weil ich mir eine ähnliche Frage stellen muss. Gerne auch per PN, wenn das hier zu öffentlich ist.
 
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Ich finde in dieser Hinsicht Gurdjieff sehr interessant, welcher mehr oder weniger behauptet, dass sich eine kleine Gruppe von Menschen bewusstseinstechnisch nur immer auf Kosten einer anderen Gruppe über den Durchschnitt heben könne. Dies sei quasi ein statistisches Gesetz. (Vermutlich hat er's ein wenig anders oder komplizierter gemeint, aber ich leg ihm das jetzt mal so in den Mund.)

Ich finde das auch sehr interessant. Kannst du mir sagen, wo ich das nachlesen kann oder vielleicht auch selbst erklären, was Gurdjieff mit "auf Kosten anderer" meinte?
 
Aber, um wieder auf die konkretere Ebene zu kommen - was mich eigentlich fast mehr interessiert: Du hattest erwähnt, dass du nicht länger als Dozent arbeitest. Womit verdienst du dir denn zur Zeit deine Brötchen? Interessiert mich deshalb zur Zeit besonders, weil ich mir eine ähnliche Frage stellen muss. Gerne auch per PN, wenn das hier zu öffentlich ist.
darauf kann ich auch gerne hier antworten, da ich diese Erfahrungen gerne teile.
Also, ich hatte mein Studium damals sehr gut abgeschlossen und hatte ein Promotionsangebot in Philosophie zu meinem Lieblingsthema erhalten, hatte dann auch damit begonnen, aber merkte dann nach einiger Zeit, dass mir zwar die Dozententätigkeit mit den Studenten Freude bereitete, dass ich nach so vielen Jahren Schule und Studium aber endlich nicht mehr täglich hinter dem Schreibtisch sitzen und Fußnoten bearbeiten sowie mit Büchern kommunizieren möchte, sondern endlich mit Menschen in Interaktion arbeiten und vor allem viel praktizieren möchte.
Für mich stand dann zunächst nur die Wahl zwischen Yoga-Ashram und buddhistischem Kloster zur Debatte, so dass ich mich für beides anmeldete und mich dann für den Yoga-Ashram entschied. Dort absolvierte ich im Laufe der Zeit auch eine Yogalehrer-Ausbildung und weitere Ausbildungen. Ich lebte dort eigentlich recht glücklich und zufrieden in der Gemeinschaft, aber es kam dann einiges zusammen - keine privaten Probleme oder Konflikte im Ashram, sondern -, vor allem meine Partnerin wollte in eine Stadt ziehen, wo ich seither als Selbständiger ein Yoga-Zentrum leite - Yoga-, Entspannungs- und Stressmanagement-, Meditations-Kurse stehen auf dem täglichen Stundenplan. Darüber hinaus bin ich nun auch - wie gesagt - selbständig, so dass ich nicht nur einfach Yoga-, Entspannungs-, Meditationskurse leite - wie etwa in einem Ashram oder als Angestellter -, sondern ich leite auch ein Unternehmen... ...was sogar ab und an irgendwie Freude bereitet - Werbung, Mails, Buchführung, etc. - aber doch recht viel Zeit in Anspruch nimmt.
Meine bisherige Bilanz ist, dass ich für meinen Geschmack immer noch ein wenig zu wenig praktizieren - 5-6 Stunden entsprächen so meinen Wünschen, ca. 3 Stunden kann ich derzeit täglich praktizieren. Ich merke, dass mir die Arbeit in den Entspannungs- und Meditationskursen mehr Freude als in den Yoga-Kursen bereitet, da ich hier den Menschen zwischenmenschlich noch mehr begegnen kann; und ich merke, dass es mehr und mehr in Richtung psychologische Beratung gehen könnte.
Im ersten halben/dreiviertel Jahr war es nicht leicht, in die Selbständigkeit hineinzufinden, auch brauchte das Zentrum einige Zeit, aber nun läuft es sehr gut. Dennoch taucht immer wieder der Wunsch/Gedanke auf, vielleicht doch wieder in einen Ashram oder ein Kloster zu ziehen.
Zugleich taucht immer wieder der Wunsch auf, vielleicht doch noch meine Dissertation oder zumindest das Thema in Buchform zu publizieren bzw. daran zu arbeiten, den Stoff zu durchdringen, die Themen zu erforschen - es geht vor allem um Achtsamkeit und komplexe, emotionale Prozesse.

Es scheint manchmal so, dass der Gesamtausstieg aus der Wissenschaft nicht unbedingt notwendig war, dass da aber in mir ein sehr großes Bedürfnis ist, in der Einsamkeit, Stille, viel zu praktizieren, zugleich auch, anderen Menschen tiefergehend auf der zwischenmenschlichen Ebene zu begegnen und sie zu begleiten. Absolut richtig war es, hinter dem Schreibtisch hervorzukommen und viel mehr im Alltag und Beruf anderen Menschen, Gruppen zu begegnen und entsprechende Verantwortung zu übernehmen. Es ist folglich alles noch ein wenig im PROZESS...

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Zuletzt bearbeitet:
@Nithaiah:
Pfff, wenn ich mich jetzt nur noch erinnern würde, wo ich das genau gelesen habe. So wie ich das damals verstanden habe, glaubt Gurdjieff ja an die Existenz von gewissen esoterischen Gesetzmässigkeiten. Alles dient als "Nahrung" für einen grösseren Prozess, also Körper, Emotionen und Denken. Das ist ein kompliziertes fliessendes Gleichgewicht, das nicht einfach so nachhaltig gestört werden darf. Wenn nun beispielsweise mehr von gewissen Emotionen vorhanden sind, dann ist sozusagen mehr von einer bestimmten Art Nahrung für diese esoterisch grösseren Prozesse vorhanden. (Gleiches gilt für Körper und Gedanken.) Wenn nun eine signifikante Anzahl Leute beginnen, andere (bewusstere) Arten von Gedanken zu denken, dann entsteht ein Ungleichgewicht in diesem System. Das grössere System muss nun mit einem erhöhten oder anderen Durchlauf an Nahrung klarkommen - was aber nicht einfach so von sich aus geht, da es selbst ja wiederum in einen noch grösseren Kontext eingebunden ist. Damit das System sein Gleichgewicht behalten kann, müssen somit andere Leute sozusagen weniger bewusste Gedanken denken, damit dies die bewussteren Gedanken der erwähnten Gruppe ausgleicht. Grössere nachhaltige Änderungen sind nur langfristig im Gesamtsystem möglich, nicht aber kurzfristig in Teilsystemen.

In etwa so habe ich das verstanden.
 
@Nithaiah:
Pfff, wenn ich mich jetzt nur noch erinnern würde, wo ich das genau gelesen habe. So wie ich das damals verstanden habe, glaubt Gurdjieff ja an die Existenz von gewissen esoterischen Gesetzmässigkeiten. Alles dient als "Nahrung" für einen grösseren Prozess, also Körper, Emotionen und Denken. Das ist ein kompliziertes fliessendes Gleichgewicht, das nicht einfach so nachhaltig gestört werden darf. Wenn nun beispielsweise mehr von gewissen Emotionen vorhanden sind, dann ist sozusagen mehr von einer bestimmten Art Nahrung für diese esoterisch grösseren Prozesse vorhanden. (Gleiches gilt für Körper und Gedanken.) Wenn nun eine signifikante Anzahl Leute beginnen, andere (bewusstere) Arten von Gedanken zu denken, dann entsteht ein Ungleichgewicht in diesem System. Das grössere System muss nun mit einem erhöhten oder anderen Durchlauf an Nahrung klarkommen - was aber nicht einfach so von sich aus geht, da es selbst ja wiederum in einen noch grösseren Kontext eingebunden ist. Damit das System sein Gleichgewicht behalten kann, müssen somit andere Leute sozusagen weniger bewusste Gedanken denken, damit dies die bewussteren Gedanken der erwähnten Gruppe ausgleicht. Grössere nachhaltige Änderungen sind nur langfristig im Gesamtsystem möglich, nicht aber kurzfristig in Teilsystemen.

In etwa so habe ich das verstanden.


Das ist sogar hochinteressant und du hast es mir auch gut erklärt, danke.
 
@Energeia:
Danke für die Schilderung! Ich meditiere auch deutlich weniger als 3h pro Tag, soviel Zeit steht mir für die Praxis nicht zur Verfügung (zur Zeit ca. max 1h pro Tag). In ein Kloster würde ich selbst nur vorübergehend gehen, aber für einige Zeit könnte ich mir das schon vorstellen.
 
Um wieder ein wenig näher an das Thread-Thema heranzukommen - ich habe versucht, mich durch Nathaniel Hellerstein's "Diamond - A Paradox Logic" zu lesen. Theoretisch wäre das ja alles extrem faszinierend, nur leider verstehe ich nur grade noch das Einführungs-Kapitel, und danach eigentlich nichts mehr. Hellerstein verfällt, offenbar wie so viele andere brillante Köpfe der formalen Logik, dem Problem, lauter Formeln hinzuschreiben, ohne das adäquat in Worte zu fassen. Als Leser werde ziemlich ich aussen vor gelassen und kann kaum mehr folgen, wovon da überhaupt noch die Rede ist.

Als Grundidee geht es darum, dass eine Logik basierend auf der Booleschen Logik erschaffen wird, wobei die Grundwerte Oszillationen (Wellen) sind: "true, false, true, false, true, false...". Hellerstein benutzt den Schrägstrich, benennt ihn "but". Dadurch entstehen vier oszillierende Grundwerte: 1) true but false = true, false, true, false, true, false... = t/f, 2) false but true = false, true, false, true... = f/t, 3) true but true = true, true, true, true... = t/t, 4) false but false = false, false, false, false... = f/f. Man kann sich das so vorstellen, dass Hellerstein implizit die Zeit einführt, welche die Auswertung eines Booleschen Ausdrucks benötigt.

Beispiel: x = not x. In der herkömmlichen Booleschen Arithmetik führt das natürlich zu einem unauflösbaren Paradoxon, es gibt keinen Wahrheitswert, der für x eingesetzt werden könnte. In Hellerstein's Diamond-Logik gibt es dafür zwei Lösungen, erstens "true but false" = t/f, zweitens "false but true" = f/t. Beide Lösungen oszillieren unendlich mit einer Periode von 2.

In der Diamond-Logik sind also folgende zwei Beispiele kinderleicht formalisierbar: "Dieser Satz ist falsch." und "'Alle Kreter sind Lügner', sagte ein Kreter." Beide sind nämlich entweder "true but false" oder "false but true".

Weiter ist beispielsweise die Negation aus Sicht der herkömmlichen Booleschen Arithmetik paradox: not (t/f) = (not f) / (not t) = t/f.

Ungefähr so weit konnte ich dem Autor folgen, und alles, was nachher kam, war so kompliziert und so schlecht in Worte gefasst, dass ich mich so zu ärgern begann, dass ich das Buch einfach wieder beiseite legte.
 
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