Energeia
Sehr aktives Mitglied
Lieber Opti,
ich sehe in dem Text keinen Widerspruch, sondern eine Kontinuität zur Anatta-Lehre und zu den gegenwärtigen Ergebnissen der Neurobiologie.
Ich kann einfach ganz natürlich in der Welt aufgehen, hier sitzen, dies und das fühlen, einfach da sein, ohne mich selbst explizit zu thematisieren. Ich kann aber auch von meinem Ich sprechen; ich kann scheinbar auf mein ICH reflektieren, mich auf mein Ich zurückwenden. Damit drücke ich eine Distanz aus, die ICH zu meinem ICH einnehmen kann. Das ist eine reflexiver Akt, der unsere abendländische Philosophie seit Descartes sehr stark geprägt hat. Wir glauben in der Reflexion auf unser ICH von unserem "ICH" aus eine Evidenz zu finden und dadurch zu begründen. Dieser Prozess war ein notwendige Bedingung für die Idee, es gäbe so etwas wie Individualisierung, die sich besonders im 17.-18. Jahrhundert in Europa ausbereitete und sich in der historisch-alltäglichen Etablierung von Tagebüchern, Romanen, Portraits, etc. widerspiegelte. Wir wachsen heute alle mit dieser Idee auf, dass dieses ICH eine SUBSTANZ ist.
Worum geht es aber nun? Wenn ein Kind zu sprechen lernt und sich im Spiegel erkennen kann, dann hat es das kognitive Schema "Ich" konstituiert. Es kann dann Scham empfinden, es fühlt sich stolz, wenn es den letzten Bauklotz auf einen Bauklotz-Turm legt, es kann mit anderen mitfühlen, wenn sie weinen und fühlt sich nun lediglich gefühlsangesteckt, es kann ein Gewissen ausbilden, etc. . Wenn das Kind das "Ich" als kognitives Schema ausbildet, dann bildet es zugleich auch das Schema des "Du" aus.
Das entscheidende ist nun, dass durch diesen Vorgang eine IDENTIFIKATION mit Eigenschaften stattfinden kann: ICH esse gerne Brei, ICH finde die Farbe Rot schön, Er hat MICH geschlagen, ICh will Informatiker werden, ICh muss frei sein, Ich bin schön, Ich bin hässlich, Ich bin ... X und ich bin Z nicht.
Durch diese Identifizierungen bildet sich ein vollkommen anderes "Selbst-Erleben" aus.
Das Kind war natürlich auch ein lebendiges Lebewesen, bevor es das kognitive Schema Ich ausbildete, es fühlte Hunger, es fühlte Schmerz, es fühlte sich, es fühlte sein Selbstgefühl.
Entscheidend ist also, dass das kognitive Schema "Ich" das Selbsterleben vollkommen verändert und damit auch zu ganz anderen Handlungen führt. Ich kann die Perspektive von anderen einnehmen, weil ich das Du und das ICH DENKEN kann, ich kann dann den anderen täuschen, ich kann eine Rolle vor anderen und vor mir selbst spielen, ich kann erwarten, was andere von mir erwarten. Das heißt also, dass ich ein EGO ausbilden kann. Das Ego versteckt seinen inneren Schmerz vor anderen und vielleicht vor sich selbst und spielt Rollen, die ihm Anerkennung geben und es für den Schmerz entschädigen, der entsteht, weil es nicht die Liebe erfahre, die es gerne erfahren würde. Es zieht bestimmte Kleidungen an, vertritt bestimmte Positionen, weil es sich damit identifizieren kann und es hat das Gefühl, dass alle anderen, die diese Position etc. nicht vertreten, weniger "wert" sind. Es bewertet die anderen und es bewertet sich, es hat den Drang sich aufzuwerten, sein SELBST-WERT-GEFÜHL zu steigern, um die innere Leere auszugleichen.
Das Ego hat Angst vor Schmerzen. Es vermeidet Situationen, in welchen es glaubt, Schmerzen erleben zu können, es versucht sich zu schützen, es versucht PERFEKT zu sein.
Dieses Ego, dieses Selbst, das entsteht, wenn wenn wir beginnen uns selbst mit dem ICH zu identifizieren, ist eine ILLUSION. Es ist eine Illusion, weil es ein BILD voller Bilder ist. Und Bilder sind immer unwahr, zeigen nur Aspekte. Bilder öffnen sich nicht für das Leben. Bilder LIEBEN nicht.
Je mehr wir diese Illusion, diese Identifizierungen auflösen, desto mehr kann sich das zeigen, was die ganze Zeit ausgesperrt und ständig auf andere projiziert wurde.
Die Frage ist nun, was kommt, wenn wir diese Identifizierung ganz aulösen?
Ja, das Ego hat davor Angst, weil es dann von all dem loslassen müsste, an das es sich doch so sehr klammert. Das zeigt, dass das ICH mehr ist als nur ein BILD, es ist mit einem Ego, einem Selbst, einem SElbst-ERLEBEN wirklich verbunden.
Wenn die Identifizierung aufgelöst wird, dann entsteht eine Freiheit von all den Normen, Bildern, ERwartungen, Einschränkungen, die das Selbst zuvor einsperrten. Natürlich ist dann immer noch ein Selbst-GEfühl da, genauso wie ein Baby, das noch kein Ich-Schema hat, sich ja auch fühlen kann. Und natürlich kann ich dann immer noch wissen, dass ich 1,82 groß bin, dass ich über ein Thema X eine Magister-Arbeit geschrieben, mit der Frau F10 geschlafen etc. habe, aber ich IDENTIFIZIERE mich nicht damit.
In DIESEM SINNE ist das "Ich", das lediglich ein BILD ist, und das damit verbundene Selbst eine Illusion:
Auf der einen Seite ist ein wirklicher MENSCH und auf der anderen Seite sind die Bilder, die dieser Mensch von sich hat, die so sehr von ihm selbst Besitz ergreifen, dass sie sein Selbsterleben bestimmen. Die Frage ist also, wie ein Mensch, der sich in DIESEM Augenblick in sein DASEIN hineingeworfen vorfindet, FÜR SICH ÖFFNEN kann, wie er sich LIEBEN kann, wie er aufhören kann, sich mit Ich-Identifizierungen, Ich-Bildern, was er und was andere von ihm erwarten, einzusperren.
Meiner Ansicht nach geht das nicht von einer auf die andere Sekunde, sondern es ist ein langer Prozess. Es stellt sich manchmal für einige Sekunden ein, wenn wir meditieren, wenn wir in der Stille ruhen, und wenn wir uns dann für uns selbst öffnen, wenn wir uns liebend fragen, was liebevoll für uns selbst und für die anderen ist. Wenn wir beginnen uns zu lieben, dann fühlen wir in uns nach, was wir wirklich brauchen und hören wir auf, uns mit Bildern zu betrachten. Wenn wir beginnen, andere zu lieben, dann öffnen wir uns für sie, wie sie wirklich sind, und hören wir auf, sie mit Schemata zu betrachten.
Wenn wir lernen, uns selbst zu lieben, uns selbst zu heilen, uns für uns zu öffnen, erst dann können wir auch andere lieben, weil wir dann nicht mehr gezwungen sind, das an anderen zu befriedigen, das in anderen zu suchen, das wir uns selbst nicht geben können.
Liebe Grüße,
Energeia
ich sehe in dem Text keinen Widerspruch, sondern eine Kontinuität zur Anatta-Lehre und zu den gegenwärtigen Ergebnissen der Neurobiologie.
Ich kann einfach ganz natürlich in der Welt aufgehen, hier sitzen, dies und das fühlen, einfach da sein, ohne mich selbst explizit zu thematisieren. Ich kann aber auch von meinem Ich sprechen; ich kann scheinbar auf mein ICH reflektieren, mich auf mein Ich zurückwenden. Damit drücke ich eine Distanz aus, die ICH zu meinem ICH einnehmen kann. Das ist eine reflexiver Akt, der unsere abendländische Philosophie seit Descartes sehr stark geprägt hat. Wir glauben in der Reflexion auf unser ICH von unserem "ICH" aus eine Evidenz zu finden und dadurch zu begründen. Dieser Prozess war ein notwendige Bedingung für die Idee, es gäbe so etwas wie Individualisierung, die sich besonders im 17.-18. Jahrhundert in Europa ausbereitete und sich in der historisch-alltäglichen Etablierung von Tagebüchern, Romanen, Portraits, etc. widerspiegelte. Wir wachsen heute alle mit dieser Idee auf, dass dieses ICH eine SUBSTANZ ist.
Worum geht es aber nun? Wenn ein Kind zu sprechen lernt und sich im Spiegel erkennen kann, dann hat es das kognitive Schema "Ich" konstituiert. Es kann dann Scham empfinden, es fühlt sich stolz, wenn es den letzten Bauklotz auf einen Bauklotz-Turm legt, es kann mit anderen mitfühlen, wenn sie weinen und fühlt sich nun lediglich gefühlsangesteckt, es kann ein Gewissen ausbilden, etc. . Wenn das Kind das "Ich" als kognitives Schema ausbildet, dann bildet es zugleich auch das Schema des "Du" aus.
Das entscheidende ist nun, dass durch diesen Vorgang eine IDENTIFIKATION mit Eigenschaften stattfinden kann: ICH esse gerne Brei, ICH finde die Farbe Rot schön, Er hat MICH geschlagen, ICh will Informatiker werden, ICh muss frei sein, Ich bin schön, Ich bin hässlich, Ich bin ... X und ich bin Z nicht.
Durch diese Identifizierungen bildet sich ein vollkommen anderes "Selbst-Erleben" aus.
Das Kind war natürlich auch ein lebendiges Lebewesen, bevor es das kognitive Schema Ich ausbildete, es fühlte Hunger, es fühlte Schmerz, es fühlte sich, es fühlte sein Selbstgefühl.
Entscheidend ist also, dass das kognitive Schema "Ich" das Selbsterleben vollkommen verändert und damit auch zu ganz anderen Handlungen führt. Ich kann die Perspektive von anderen einnehmen, weil ich das Du und das ICH DENKEN kann, ich kann dann den anderen täuschen, ich kann eine Rolle vor anderen und vor mir selbst spielen, ich kann erwarten, was andere von mir erwarten. Das heißt also, dass ich ein EGO ausbilden kann. Das Ego versteckt seinen inneren Schmerz vor anderen und vielleicht vor sich selbst und spielt Rollen, die ihm Anerkennung geben und es für den Schmerz entschädigen, der entsteht, weil es nicht die Liebe erfahre, die es gerne erfahren würde. Es zieht bestimmte Kleidungen an, vertritt bestimmte Positionen, weil es sich damit identifizieren kann und es hat das Gefühl, dass alle anderen, die diese Position etc. nicht vertreten, weniger "wert" sind. Es bewertet die anderen und es bewertet sich, es hat den Drang sich aufzuwerten, sein SELBST-WERT-GEFÜHL zu steigern, um die innere Leere auszugleichen.
Das Ego hat Angst vor Schmerzen. Es vermeidet Situationen, in welchen es glaubt, Schmerzen erleben zu können, es versucht sich zu schützen, es versucht PERFEKT zu sein.
Dieses Ego, dieses Selbst, das entsteht, wenn wenn wir beginnen uns selbst mit dem ICH zu identifizieren, ist eine ILLUSION. Es ist eine Illusion, weil es ein BILD voller Bilder ist. Und Bilder sind immer unwahr, zeigen nur Aspekte. Bilder öffnen sich nicht für das Leben. Bilder LIEBEN nicht.
Je mehr wir diese Illusion, diese Identifizierungen auflösen, desto mehr kann sich das zeigen, was die ganze Zeit ausgesperrt und ständig auf andere projiziert wurde.
Die Frage ist nun, was kommt, wenn wir diese Identifizierung ganz aulösen?
Ja, das Ego hat davor Angst, weil es dann von all dem loslassen müsste, an das es sich doch so sehr klammert. Das zeigt, dass das ICH mehr ist als nur ein BILD, es ist mit einem Ego, einem Selbst, einem SElbst-ERLEBEN wirklich verbunden.
Wenn die Identifizierung aufgelöst wird, dann entsteht eine Freiheit von all den Normen, Bildern, ERwartungen, Einschränkungen, die das Selbst zuvor einsperrten. Natürlich ist dann immer noch ein Selbst-GEfühl da, genauso wie ein Baby, das noch kein Ich-Schema hat, sich ja auch fühlen kann. Und natürlich kann ich dann immer noch wissen, dass ich 1,82 groß bin, dass ich über ein Thema X eine Magister-Arbeit geschrieben, mit der Frau F10 geschlafen etc. habe, aber ich IDENTIFIZIERE mich nicht damit.
In DIESEM SINNE ist das "Ich", das lediglich ein BILD ist, und das damit verbundene Selbst eine Illusion:
Das Selbst ist nur ein Begriff, der für etwas steht, an dem weltliche Menschen als persönliche Identität festhalten.
Auf der einen Seite ist ein wirklicher MENSCH und auf der anderen Seite sind die Bilder, die dieser Mensch von sich hat, die so sehr von ihm selbst Besitz ergreifen, dass sie sein Selbsterleben bestimmen. Die Frage ist also, wie ein Mensch, der sich in DIESEM Augenblick in sein DASEIN hineingeworfen vorfindet, FÜR SICH ÖFFNEN kann, wie er sich LIEBEN kann, wie er aufhören kann, sich mit Ich-Identifizierungen, Ich-Bildern, was er und was andere von ihm erwarten, einzusperren.
Meiner Ansicht nach geht das nicht von einer auf die andere Sekunde, sondern es ist ein langer Prozess. Es stellt sich manchmal für einige Sekunden ein, wenn wir meditieren, wenn wir in der Stille ruhen, und wenn wir uns dann für uns selbst öffnen, wenn wir uns liebend fragen, was liebevoll für uns selbst und für die anderen ist. Wenn wir beginnen uns zu lieben, dann fühlen wir in uns nach, was wir wirklich brauchen und hören wir auf, uns mit Bildern zu betrachten. Wenn wir beginnen, andere zu lieben, dann öffnen wir uns für sie, wie sie wirklich sind, und hören wir auf, sie mit Schemata zu betrachten.
Wenn wir lernen, uns selbst zu lieben, uns selbst zu heilen, uns für uns zu öffnen, erst dann können wir auch andere lieben, weil wir dann nicht mehr gezwungen sind, das an anderen zu befriedigen, das in anderen zu suchen, das wir uns selbst nicht geben können.
Liebe Grüße,
Energeia