Energeia
Sehr aktives Mitglied
Hallo,
es geht mir in diesem Thread um das Verhältnis von Meditation und Psychotherapie.
Ich möchte zu Beginn einige Autoren zitieren, die sich zu diesem Thema geäußert haben.
Jack Kornfield
(geb. 1945) Dr. phil. Psychologe und Psychotherapeut, Meditationslehrer
ein gekürzter Ausschnitt:
Anselm Grün
Dr. theol., katholischer Priester und Benediktinermönch, Benediktinerabteleiter, geistlicher Begleiter und Kursleiter für eine Vielzahl von spirituellen Angeboten.
Richard Stiegler
Meditationslehrer (vertiefte Schulung in der Vipassana-Meditation) und Psychotherapeut.
Ken Wilber
u.a. langjährig Schulung in Zen-Meditation
Diese Zitate stammen aus dem Buch "Was heilt uns?" Zwischen Spiritualität und Therapie. Hrsg. von Michael Seitlinger. Darin äußeren viele Meditationslehrer und Geistliche (Grün, Drewermann, Hell, Schellenbaum, Jellouschek, Frick, Wilber, Ostertag, Stiegler, Galuska) eine ähnliche Meinung zu diesem Thema.
Liebe Grüße,
Energeia
es geht mir in diesem Thread um das Verhältnis von Meditation und Psychotherapie.
Ich möchte zu Beginn einige Autoren zitieren, die sich zu diesem Thema geäußert haben.
Jack Kornfield
(geb. 1945) Dr. phil. Psychologe und Psychotherapeut, Meditationslehrer
ein gekürzter Ausschnitt:
" Selbst die besten Meditierenden haben alte Wunden zu heilen
Für die meisten Menschen genügt die Übung der Meditation allein nicht aus. Im besten Fall ist sie ein wichtiger Teil des komplexen Weges der Öffnung und des Erwachens.
Für das spirituelle Leben halte ich es für sehr wichtig, die Aufmerksamkeit den eigenen Schattenseiten zuzuwenden, also jenen Aspekten unseres Selbst und unserer Praxis, die uns noch nicht bewusst sind. Als Meditationslehrer bin ich fest vom Wert der Meditation überzeugt. Intensive Übungsperioden können uns helfen, die Illusion des Abgetrenntseins aufzulösen, sie können tiefgründige Einsichten und bestimmte Arten tiefer Heilung hervorbringen.
Dennoch hat intensive Meditation ihre Begrenzungen. Wenn ich nun über diese Begrenzungen spreche, will ich das nicht theoretisch tun, sondern unmittelbar aus meiner eigenen Erfahrung und aus meinem Herzen.
Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die zur Meditation gekommen sind, nachdem sie mit traditioneller Psychotherapie gearbeitet haben. Obwohl die Therapie für sie wertvolle Erfahrungen brachte, haben deren Begrenzungen sie dahin gebracht, nach einer spirituellen Praxis zu suchen. Für mich war es umgekehrt.
Währen dich außerordentlich profitiert habe von der Übungspraxis, wie sie in thailändischen und burmesischen Klöstern, in denen ich übte, angeboten wird, musste ich zwei beunruhigende Dinge feststellen.
Erstens, dass es Schwierigkeiten in wichtigen Bereichen meines Lebens gab, die selbst sehr tiefe Meditation nicht anrührte: Einsamkeit, intime Beziehungen, Beruf, Kindheitswunsch und Angstmuster.
Zweitens: unter den mehreren Dutzend westlichen Mönchen (und vielen asiatischen Meditierenden), die ich während meiner Zeit in Asien traf, war, mit einigen wenigen bemerkenswerten Ausnahmen, für die meisten die Meditation in wesentlichen Bereichen ihres Lebens keine Hilfe. Viele hatten tiefe innere Wunden, waren neurotisch, voller Ängste oder traurig, und sie gebrauchten die spirituelle Praxis häufig, um problematische Teile ihrer selbst vor sich zu verbergen oder ihnen auszuweichen.
Als ich in den Westen zurückkehrte, um klinische Psychologie zu studieren, und dann begann, Meditation zu lehren, bemerkte ich ein ähnliches Phänomen. Mindestens die Hälfte der Schüler, die zum Drei-Monate-Retreat kamen, konnten die einfachen Übungen der bloßen Aufmerksamkeit nicht machen, weil sie an einer großen Menge ungelöster Trauer, Angst, inneren Verwundungen und unerledigter Geschäfte aus der Vergangenheit festhielten. Ich hatte auch die Gelegenheit, weit fortgeschrittene Meditierende zu beobachten – darunter erfahrene Zen-Übende und Übende des tibetischen Buddhismus – die kraftvolle Samadhi sowie tiefe Einsicht in Nicht-Dauer und Selbstlosigkeit entwickelt hatten. Die meisten dieser Meditierenden hatten auch nach vielen intensiven Retreats immer noch große Schwierigkeiten, in wichtigen Bereichen ihres Lebens - etwa bezüglich Angst, Arbeitsproblemen, Beziehungswunden und Herzensverhärtungen - das Anhaften und die Unbewusstheit aufzulösen. Sie suchten aber weiter danach, wie man den Dharma leben könne, und kamen immer wieder zu Meditationsretreats, um nach Hilfe und Heilung zu suchen. Doch die Sitzpraxis selbst, mit ihrer Betonung auf Konzentration und Loslösung, lieferte oft nur den Weg, sich weiter zu verstecken und den Geist regelrecht von den schwierigen Bereichen des Herzens und Körpers abzutrennen.
Diese Probleme existieren für viele Meditationslehrer genauso. Viele von uns haben ein sehr unintegriertes Leben geführt, und nach tiefer Übung und anfänglicher Erläuchtungserfahrungen ließ unserer Sitzpraxis wichtige Bereiche unseres Sein unbewusst, angstbesetzt oder ausgegrenzt. [...]
Einige hilfreiche Schlussfolgerungen für unsere Praxis:
1. Für die meisten Menschen ist die Meditationspraxis nicht ausreichend. Im besten Fall ist sie ein wichtiger Teil des komplexen Weges der Öffnung und des Erwachens.
2. Die unterschiedlichen Teile unseres Geistes und unseres Körpers sind für Achtsamkeit lediglich teildurchlässig. Achtsamkeit ist nur dann wirksam, wenn wir gewillt sind, unsere Aufmerksamkeit auf jeden Bereich des Leidens in uns zu richten. Das heißt nicht, wie viele befürchteten, in unseren persönlichen Geschichten hängen bleiben. Vielmehr geht es darum, sich ihnen zuzuwenden, damit wir uns von den großen und schmerzvollen Blockaden unserer Vergangenheit tatsächlich befreien. Solch eine Heilarbeit lässt sich oft am besten in einer therapeutischen Beziehung mit einem anderen Menschen erreichen.
3. Im großen und ganzen sind westliche Therapien in vielen Bereichen des Wachstums (alte Trauer, Kommunikation und Beziehungsfähigkeit, Sexualität und Intimität, Karriere und Beruf, Ängste, frühe Wunden) viel rascher und erfolgreicher als Meditation.
4. Heißt das nun, wir sollten Meditation gegen Psychotherapie eintauschen? Ganz und gar nicht. Auch Therapie ist nicht die Lösung. Bewusstheit ist es! Und Bewusstsein wächst spiralenartig. Wenn Du Freiheit suchst, dann ist das Wichtigste, was ich dir sagen kann, dies, dass spirituelle Praxis immer in Spiralen entwickelt. Es gibt dabei innere Zeiten, in denen Stille nötig ist. Auf dies folgen äußere Zeiten, in denen die Erkenntnisse der Stille ins Leben umgesetzt und integriert werden müssen. Dann gibt es auch Zeiten, wo man Hilfe erfährt durch eine tiefe therapeutische Beziehung mit einem anderen Menschen. Die alles sind gleich wichtige Phasen der Praxis.“
Jack Kornfield (geb. 1945) Dr. phil. Psychologe und Psychotherapeut, Meditationslehrer
Anselm Grün
Dr. theol., katholischer Priester und Benediktinermönch, Benediktinerabteleiter, geistlicher Begleiter und Kursleiter für eine Vielzahl von spirituellen Angeboten.
„In meiner Arbeit in unserem Recollectionhaus – einem Haus für Priester und Ordensleute – merke ich, dass viele Priester oder Ordensleute ihren geistlichen Weg nicht deshalb wählten, weil sie die Lebensfreude suchten. Sie sind aus dem Leben geflüchtet. Wer ins Kloster geht, um den Lebensproblemen auszuweichen und in der Ordensgemeinschaft einen bequemeren Weg zu suchen, kann hier kaum Gott finden.“
„Aufgrund meiner Erfahrung als Seelsorger mit Priestern, Ordensleuten und gläubigen Laien konnte ich feststellen, dass es im Menschen u.a. zwei Grundkräfte gibt, die dem Ideal, das er sich von sich selbst gemacht hat, widersprechen. Deshalb versuchen wir diese zu verdrängen. Es handelt sich um die beiden wichtigsten Lebensenergien: um die Aggression und die Sexualität. Das Probleme ist dabei, dass wir zur Verdrängung und Unterdrückung dieser mächtigen Kräfte unsere ganze Lebensenergie verbrauchen, wobei das Ergebnis höchst fragwürdig ist. ... Spirituelle Menschen erleben die Sexualität oft als eine eigene Kraft, die ihre spirituellen Gedanken stört und sie aus dem inneren Gleichgewicht bringt. Die Verdrängung der Sexualität hat aber auch ihre Ursache in einer tiefen Angst vor der Sexualität, wie sie vor allem die römisch-katholische Sexualmoral seit Jahrhunderten geprät hat. Sie war viel zu sehr auf die Unterdrückung der Sexualität konzentriert, statt sich mit ihrer Verwandlung zu beschäftigen. Sie hat die Sexualität nicht als Quelle der Spiritualität gesehen, wie das die Mystik immer tat."
„Die Psychologie bietet also ein wichtiges Kriterium für die Echtheit des Glaubens. Dort, wo der Glaube und das spirituelle Leben zum Aufleben, zur inneren Freiheit, zum Frieden im Herzen und zum Einklang mit sich selbst führen, handelt es sich um einen gesunden Weg.“
„Die Aggression ist oft ein Weg, überhaut zur Vergebung zu kommen. Die Vergebung steht nämlich nicht am Anfang der Wut, sondern am Ende.“
Richard Stiegler
Meditationslehrer (vertiefte Schulung in der Vipassana-Meditation) und Psychotherapeut.
„Trotzdem beinhalten beide Perspektiven einen wichtigen Aspekt für menschliches Reifen, und wenn wir verstehen, auf welchen Reifeschritt sich die jeweiligen Perspektive bezieht, machen sie beide Sinn und ergänzen einander. Das wird in den letzten Jahren zunehmen von MeditationslehrerInnen und TherapeutInnen erkannt es finde eine breite Entwicklung und gegenseitige Öffnung statt.“
„Der erste Entwicklungsschritt, der vor allem durch die Psychotherapie unterstützt wird, ist die personale Entwicklung. ... Bildlich gesprochen gibt es Bereiche, die im Schatten liegen, und es gilt, dort wieder Licht hinzubringen, um als Mensch immer vollständiger zu werden.“
„Je mehr wir innere, verdrängte Anteile zulassen, umso vollständiger und integrierter werden wir.“
„Wenn sich diese Integration zu einer persönlichen Vollständigkeit vollzogen hat, gibt es dann noch die Notwendigkeit für eine spirituelle Entwicklung? ... Wie können wir glücklich werden, wenn unsere Erwartungen und Bedürfnisse an das Leben und das Leben selbst so oft so weit auseinander klaffen? ... Diese und ähnliche Fragen markieren den Übergang zur transpersonalen Entwicklung. So wird irgendwann natürlicherweise eine spirituelle Sehnsucht in uns erwachen.“
„Das kann jedoch in eine Sackgasse führen, die ich immer wieder bei Meditierenden beobachte. Eine Person, die beispielsweise sehr kontaktscheu ist, könnte sich lieber schweigende Meditationspraxis wählen als Selbsterfahrungsgruppen, die mit Begegnung arbeiten. Das hat jedoch zur Folge, dass ihre problematischen Lebensmuster sich durch die Kompensation immer weiter verfestigen.“
Ken Wilber
u.a. langjährig Schulung in Zen-Meditation
„Anders gesagt, Meditation und Psychotherapie zielen auf ganz verschiedene Ebenen der Psyche ab. ZEN beseitigt nicht unbedingt Neurosen, und das ist auch nie sein Zweck gewesen. Mann kann sogar ein ziemliche starkes Zeuge-Bewusstsein entwickeln und trotzdem neurotisch sein. Sie sind dann aber einfach Zeuge ihrer Neurose und können dadurch ganz gut mit ihr leben – aber die Neurose selbst ist damit nicht bereinigt. Ein derangiertes Gefühlsleben heilt ZEN ebenso wenig wie einen gebrochenen Knochen.“
„Meditation kann die Psychotherapie unterstützen, weil sie das Zeuge-Bewusstsei festigt, und sie kann bei der Bereinigung mancher Probleme eine Hilfe sein. Psychotherapie kann die Meditation fördern, indem sie das Bewusstsein von seinen Verdrängungen und aus seiner Verstrickung in die niederen Ebenen befreit. Darüber hinaus jedoch sind Ziele, Methoden, Dynamik völlig verschieden.“
Diese Zitate stammen aus dem Buch "Was heilt uns?" Zwischen Spiritualität und Therapie. Hrsg. von Michael Seitlinger. Darin äußeren viele Meditationslehrer und Geistliche (Grün, Drewermann, Hell, Schellenbaum, Jellouschek, Frick, Wilber, Ostertag, Stiegler, Galuska) eine ähnliche Meinung zu diesem Thema.
Liebe Grüße,
Energeia