Ich finde es wichtig - gerade als Astrologe - im Kopf zu behalten, dass es auch andere "kosmische Sprachen" gibt. Die Physik etwa. Oder Tanz. Oder Musik. Oder auch die Kochkünste. (Man sei hier kurz beispielsweise an Gurdjieffs Werk erinnert, welcher ein Meister darin war, diverse solche kosmische Sprachen in den Erfahrungsraum des Menschen zu übersetzen.) Ich halte Astrologie nicht für "gültiger" oder "aussagekräftiger" als andere solche kosmische Sprachen, bloss weil sie sich offener mit einem esoterischen Anspruch umgibt.
Für mich im Zentrum steht nach wie vor die Frage der Nützlichkeit. Astrologie ist für mich sehr nützlich, wenn es um das Erkennen innerpsychischer Vorgänge geht (die Psychoanalyse übrigens auch). Für andere Zwecke benutze ich andere Sprachen, da sie mir für den jeweiligen Zweck nützlicher erscheinen.
Was mir immer wieder auffällt, ist, dass die Leute liebend gerne "kosmische Ordnung" haben. Irgendein System, welches den Anspruch hat, möglichst alles erklären zu können. Diese Idee war vermutlich schon bei den Babyloniern (oder noch früher) sehr beliebt - und sie schlägt auch heute noch nicht ganz überraschend konsequent fehl. Denn eine "kosmische Ordnung" steht in ziemlichem Widerspruch zur konstruktivistischen Sicht der Postmoderne, welche die Realität nicht mehr als monolitisches System auffasst. Da die absolute Mehrheit der Menschen noch nicht in der Postmoderne angekommen ist, ja sogar noch nicht einmal in der Moderne (man schaue beispielsweise nach Afrika, wo noch immer Leute "verhext" werden), ist also der Anspruch auf "kosmische Ordnung" noch längst nicht aufgegeben.
Eine konstruktivistische, also postmoderne, Sicht setzt aber zuerst das Beherrschen der modernen Sicht notwendig voraus. Und da hat man bei der Astrologie schon mal eine ganze Menge zu tun. (Abgesehen davon ist mir bis heute kein einziger Autor bekannt, der Astrologie aus einer
wirklich postmodernen Perspektive heraus betreibt. Gewisse Elemente finden sich da zwar schon, beispielsweise Selbstreferenz und Fraktalität, aber eben nur gewisse Elemente.)
Wenn ich sage, Astrologie schlägt konsequent fehl, wenn es um das Beschreiben einer "kosmischen Ordnung" geht, dann schmeckt das vermutlich manchen Astrologen nicht. Weil sie gerne an das Vorhandensein der kosmischen Ordnung glauben möchten. Aber der Selbsttest ist wirklich ganz einfach: Man investiere eine beträchtliche Summe Geld in die Finanzmärkte basierend auf rein astrologischen Prinzipien. Und schaue dann mal, wie man sich dabei fühlt. Oder man erkläre die Funktionsweise eines Autos auf astrologische statt physikalische Weise. Kann es eine kosmische Ordnung geben, die weder Finanzmärkte noch die Funktionsweise von Autos erklärt? In Indien gibt es eine ganze Menge (recht eingebildeter) Vedanta-Gelehrte, welche behaupten, die Veden würden sämtliche Dinge im Universum erklären. Auch hier derselbe Allgemeinheitsanspruch. Dabei sind die Veden nur
eine von vielen möglichen Sprachen.
HJ schreibt das sehr richtig:
Da stellt sich aber die Frage, ob es sich nicht doch um eine kosmische Sprache handelt, für die ein bestimmtes Verständnis unseres eigenen Wesens als ein spirituelles Wesen erforderlich ist.
"...für ein bestimmtes Verständnis unseres eigenen Wesens...". Das erscheint mir hier zentral: Es geht um ein bestimmtes Verständnis des eigenen Wesens, nicht um ein unbestimmtes oder allgemeingültiges. Mit anderen Worten: Astrologie ist
eine (kosmische?) Sprache, aber nicht
die (kosmische?) Sprache.