Liebe Lichtgestalt89,
ab und zu begegne ich Engeln. Vor kurzem war es wieder, und diesmal war ich nicht im "Notprogramm", sondern so ganz normal, was ich als große Ehre empfinde. Sonst war es immer so, daß mir in kritischen Momenten ein Engel geschickt wurde, der mich wieder auf den richtigen Pfad brachte.
Also ich fuhr Straßenbahn, las ein Buch der Evangelien, und da sprach in mir im Herzen eine Stimme: "Guck mal da, ein Engel." Ich guckte auf und hörte die Stimme eines Mannes. Dann sah ich ihn auch da stehen, er sprach gerade einen anderen Mann an, der so im Business-outfit dastand und supergepflegt. Der Mann, der ihn ansprach, war das krasse Gegenteil, offenbar ein Ausländer, ich hätte spontan Jugoslawien gesagt. Ich wunderte mich schon, daß die beiden überhaupt miteinander reden. Jedenfalls guckte ich mir das mal genauer an.
Als ich die Aura des Ausländers sah, sah ich, daß es eine Engelaura ist. Nun war mein Interesse voll da. Ich guckte mir seine Kleidung an. Er hatte einen schäbigen Parka an, und nen Wanderrucksack. Dazu war er wohl gehbehindert, er hatte so eine orthpädische Krücke. Er erzählte dem anderen Mann über sein Leben hier in Deutschland, wie schwer das ist und wie sehr man schikaniert wird. Jemand hatte ihn um 10:00 irgendwo auf ein Amt bestellt, er kam da hin und dann hieß es, daß derjenige noch telefoniert, er solle warten. Nach einer Viertelstunde habe er nochmal gefragt, dann hieß es, der Mitarbeiter sei nach hause gegangen.
Als ich ihn anguckte im Laufe dieser Erzählung, guckte er mich ebenfalls an und teilte seine Aufmerksamkeit zwischen uns beiden auf. Er sprach so eindrücklich, und ich spürte seinen Schmerz im Herzen. Er sagte zu mir etwas, daß er schon seit 19 Jahren hier sei und immer Herzprobleme gehabt habe und ständig von Abschiebung bedroht gewesen sei, bis es nun vor kurzem geregelt worden sei. Ich nahm sein Herz in mein Herz. Der andere Mann im Anzug drehte sich mal kurz um, um zu gucken, mit wem der noch spricht, sah mich aber nicht, obwohl ich ca. knapp 2m schräg hinter ihm auf einem Sitzplatz saß. Er drehte sich wieder zurück und lauschte dem "Ausländer". Die nächste Haltestelle kam, und beide stiegen aus. Die Straßenbahn hatte solche Strukturholme für die Fahrgastzelle, die recht breit waren, so daß ich beide nicht mehr sehen konnte, sondern sie durch so einen Holm verdeckt waren, ich hörte aber noch die Stimme des Ausländers. Ich dachte mir schon, daß der Engel gleich verschwinden wird, das tun sie immer, wenn sie ihre Botschaft ausgerichtet haben.
Da ich weiß, daß man "fair" bleiben muß, versuchte ich nicht, um den Holm herumzugucken, um zu sehen wie der "Ausländer" verschwindet, sondern war einfach dankbar für die Begegnung. Der "Ausländer" sagte noch: "Auf Wiedersehn und alles Gute" zu dem Mann im Anzug, dann schlossen sich die Türen der Straßenbahn wieder. Der Mann im Anzug tauchte wieder im Gesichtsfeld auf und lief an der Seite entlang. Die Straßenbahn fuhr los und es war niemand mehr zu sehn, obwohl eben kein Ausweg war, wo der "Ausländer" hin verschwunden sein konnte, und erst recht keiner mit Gehbehinderung.
Was ich diesmal besonders fand, war die Stimme am Anfang, die mich auf ihn aufmerksam machte.