Behindert und trotzdem von Gott angenommen

Tröpfchenweise nähere ich mich dem Thema. (Vieles ist mir momentan noch unklar, und folgendes ist bloss ein erster Versuch, das zu fassen.)

Wie ich merke, liegt ein Grossteil meiner Leidenschaft schlichtwegs im "Wissenserwerb", und damit gemeint ist zu einem grossen Teil ein reflektiertes, intellektuelles Wissen, welches aber nicht zwingend auf dem Intellekt abgestützt sein muss.

Mich beunruhigt die Vorstellung, dass es Menschen geben kann, die in ihrem Leben aufgrund der Umstände von der Möglichkeit ausgeschlossen sind, auf diese Weise Wissenserwerb zu betreiben, wie ich es tue. Sie fallen dadurch gewissermassen durch mein subjektives Sinnraster, sie sind ausgeschlossen von dem, was für mich Sinn im Leben macht. Insofern ist ihr Leben nach dieser Sichtweise sinnlos.

Mir ist diese Idee erst jetzt gekommen, nachdem ich bemerkt habe, wie ungeduldig ich in ungerechtfertigter Weise in einem andern Thread mit einer Person umgegangen bin und sie für ihre Position kritisiert habe, die ich als "unreif" empfunden habe. Unreif natürlich nach meinen Kriterien - und diese Kriterien sind durchaus nicht über Zweifel erhaben.

Denke ich diesen Gedanken weiter, dann merke ich, wie ich auf unterschwellige Art dann diesen geistig Behinderten eine Eigenschaft zuschreibe und mir gleichzeitig abschreibe: Jene hätten es einfacher, "einfach nur da zu sein" als ich, weil ich dauernd nach mehr Wissen streben müsse. Damit habe ich sie aber bereits verurteilt, denn das ist nun wirklicher Unsinn. So lange ich das Muster aber nicht durchschaut habe, mache ich dann jene für den Ungemach "verantwortlich", den ich beim Machen dieser Zuschreibung empfinde.

Hm. Darüber muss ich mal meditieren. Ich bin noch nicht ganz zufrieden, aber es ist mindestens eine interessante Sichtweise auf das Thema, die ich bisher noch nicht hatte.
 
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Roter Faden

Eigenschaften dem Du zuschreiben und dem Ich abschreiben und umgekehrt = Teilung Ich/Du
Wille<->Unwille
Ursache<->Wirkung

Und nun dazu eine deiner - von mir leicht umgeformten - Aussagen (Beitrag #64):
So wird Du zum Ziel der Projektionen des Ich´s

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Leidenschaft = dauernd nach mehr Wissen streben zu müssen

Sprich: Ich quält sich selbst

kontra:
Mich beunruhigt die Vorstellung, dass es Menschen geben kann, die in ihrem Leben aufgrund der Umstände von der Möglichkeit ausgeschlossen sind, auf diese Weise Wissenserwerb zu betreiben, wie ich es tue. Sie fallen dadurch gewissermassen durch mein subjektives Sinnraster, sie sind ausgeschlossen von dem, was für mich Sinn im Leben macht. Insofern ist ihr Leben nach dieser Sichtweise sinnlos.

Leidend

kontra:
Mich beunruhigt die Vorstellung, dass es Menschen geben kann, die in ihrem Leben aufgrund der Umstände von der Möglichkeit ausgeschlossen sind, auf diese Weise Wissenserwerb zu betreiben, wie ich es tue. Sie fallen dadurch gewissermassen durch mein subjektives Sinnraster, sie sind ausgeschlossen von dem, was für mich Sinn im Leben macht. Insofern ist ihr Leben nach dieser Sichtweise sinnlos.

Leiden selbst erschaffen
Anmerkung: Sinn im Leben machen ist nicht gleichzusetzen mit Sinn des Lebens.

Deine Aussagen können dir helfen das Muster zu durchschauen, sie liegen vor deiner Nase/sind Teil deines Bewusstseins, auch wenn es dir (noch nicht) bewusst ist, was natuerlich/selbstverständlich in der Zwischenzeit schon der Fall sein kann.

So, nun sage ich einfach mal, dass ich weiss, was dich im Grunde genommen beschäftigt:
Der Grundsatz Gleiches Recht fuer alle
Die scheinbare und die offensichtliche Ungerechtigkeit
 
Behindert oder nicht.
Ich trage z.B. Brille, also bin ich wohl Sicht-behindert.
Ein anderer hat keinen Internetzugang, dann hat er wohl ne Web-Behinderung.

Ist doch alles Jacke wie Hose. Natürlich sind alle Menschen gleichwertig.
 
@Aleunam:
Ich denke noch immer über dieses Thema nach.

Worin besteht die Ungerechtigkeit: In der Tatsache des Vorhandenseins der Behinderung und den dadurch notwendigerweise entstehenden Schwierigkeiten, oder in der Ungleichbehandlung durch die Menschen? Aber ist die Ungleichbehandlung nicht eine sich ebenso fast automatisch aus der Sache ergebende Folge? Eine gehbehinderte Person kann nun mal keine Treppe steigen. Folglich benötigt sie einen Lift und kann - ohne Hilfe von aussen - keinen Berg besteigen.

Irgendwie bin ich da noch immer nicht durchgedrungen.
 
Bis jetzt ist (im gesammten thread) noch kein einziges Beispiel zu lesen, das nicht auf jeden Menschen zutrifft.


Wer bekommt das grösste Stueck vom Kuchen? Der der dir am nächsten steht, der der im Rollstuhl sitzt, der der am kleinsten ist. der der am magersten ist, der den du am liebsten hast,....? Oder kommt es bei der Aufteilung vielleicht auch noch darauf an ob dieser Kuchen ein Meisterstueck der Sonderklasse oder vielleicht doch nur so ein Ding, dass ein paar Minuten zu lange der Hitze ausgesetzt war? Oder ist es vielleicht sogar so, dass du die Aufgabe des Verteilers gar nicht auf dich nehmen möchtest und welches auch immer geartete Werkzeug einem der oben genannten reichst? Oder legst du besagtes Werkzeug neben den Kuchen und weisst mit einem auffordernden Bitteschön generös in die Runde, damit jeder sich selbst bedienen kann?
 
Dann geht es letztlich also doch um die Frage der Ungerechtigkeit. Warum Menschen verhungern und andere nicht. Warum manche behindert geboren werden und andere nicht.

Und damit auch immer die Frage: "Kannst du es denn annehmen? Bist du denn gross genug, als dass du deinen Frieden auch damit finden kannst?"

So habe ich das jedenfalls immer bisher betrachtet.

Vielleicht habe ich die gefühlte Trauer darüber verdrängt, dass es diese Ungerechtigkeiten gibt.

Was ist denn "gerecht"? Vor dem Massstab Gottes versagt meine Vernunft. Die uralte Theodizee-Frage, warum Gott nicht zu allen gleich ist. Ich habe mindestens 10 Jahre gebraucht, um darüber nicht mehr sofort in einen inneren Aufruhr auszubrechen. (Diese Scheisse aber auch, die einem dann sofort von allen Religionen auf dem Silbertablett serviert wird - von wegen Karma oder Gottes Wille und so eine stinkende Kacke.)

Ist denn das Tun, der Versuch des Beseitigens der Ungerechtigkeit noch immer ein Akt des Unfriedens?
Aber, warum sollte sie denn beseitigt werden? Wessen Massstäbe sollten denn sonst gelten, wenn nicht diejenigen Gottes? Es will mir scheinen, dass es eine Notwendigkeit der Menschen gewesen war, Gott zu töten. Lieber kein Gott, als ein solcher. Aber etwas ist dabei geschehen, etwas, das niemand vorhersehen konnte. Mit dem Tod Gottes stellte sich der Mensch auf seinen Platz - und das Antlitz diesen Gottes war grauenhaft, viel schlimmer, als der alte Mannmitbart jemals hätte sein können.

Max Stirner sagt in seinem Traktat "Der Einzige und sein Eigentum" (welches ich nicht gelesen habe) eingangs: Ich hab mein' Sach' auf nichts gestellt. Da ist der vielgepriesene Nietzsche mit seinem Übermenschen ein Witz dagegen, den man noch nicht einmal als schlecht bezeichnen kann, er ist einfach nur lahm.



Ich blick nicht durch.
 
Vielleicht, so kommt mir in den Sinn, sind wir es gewohnt, bei Ungerechtigkeit auf etwas Höheres zu bauen, uns auf eine höhere Autorität zu berufen (Mama, Papa, Polizei, Staat, Chef, Gott). Und weil es Ungerechtigkeiten gibt, die niemand beheben kann, haben wir als ultimative Gerechtigkeitsinstanz Gott.

Denn: Ohne diese Instanz müssten wir ohne webzublicken mit dem Gegebenen leben, es aushalten, ganz auf uns selbst zurückgeworfen.

Ja, jetzt lichtet sich der Nebel, jetzt wird es klarer.

Das Gerechtigkeitsempfinden - es ist in mir. Ich bin der Handelnde, das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich bin der Wille. Niemand steht über mir (niemand steht unter mir). Wer wollte sich mir in den Weg stellen? Wen hätte ich um Rat zu fragen?

Da ist Schmerz, und da ist Kraft. Da ist Trauer, und da ist auch Liebe.

(Es ist auch körperlich fühlbar: Es hat sich etwas aus meinem Kopf in den Magen bewegt. Der Nabel ist das Zentrum des Ich-Willens, der persönlichen Kraft.)
 
Das Verlagern der subjektiv empfundenen Ungerechtigkeit über die Zustände der Welt hinaus in die Welt bzw. in das eingebildete Wirken eines Gottes führt unmittelbar zu einem zweiten Schritt: Dieser Gott muss um Hilfe gebeten werden, oder die Welt muss verändert werden, damit die Ungerechtigkeit beseitigt werden kann.
Die Erkenntnis der Subjektivität der empfundenen Ungerechtigkeit macht jedes Einschreiten von aussen, also von einer höheren Instanz, obsolet. Gleichzeitig aber hindert es mich keineswegs am Handeln, sondern im Gegenteil gibt es mir die notwendige Motivation und Kraft, selbstverantwortlich zu sein.
Auf diese Weise wird sowohl das Empfinden als auch die Potenz zur Veränderung von einem sich ausserhalb meiner befindlichen Punktes in mich hinein verlegt. Mit anderen Worten: Ich integriere, was ich bisher nicht zu integrieren in der Lage war. Dadurch werde ich (und also die ganze Welt) ganzer.

Danke dir, Aleunam.
 
Du stellst die Zeit über einen 'Ungerechtigkeit'sbegriff hin. Und ich frage mich, ist dahinter mehr
als die Angst: Hoffentlich passiert Mir das nicht. (körperliche Behinderung ist ein starkes Thema?)

Man kann nie wissen - z.b. im 13.Jhdt am Schlachtfeld die Beine abgehackt > und es hakt da emotional ewig. und man spürts. und kann nichts gegen machen.
Sich damit zu beschäftigen ist vielleicht nicht zu verhindern. (Also ich würde nicht den Ratschlage geben, das aus dem Verstand rausbringen zu wollen.) Geht die eine Angst kommt die nächste.

Ich glaube nicht mehr daran, sich Schritt für Schritt aus dem Leid rausarbeiten zu können. Ich denke eher: Der Körper-Verstand-Mechanismus wird Immer Emotionen ausschütten.
Und wenn ich davon ausgehe dass ich mir die Fallen selbst gestellt habe(!) - ist es noch unsinniger 'da Raus' zu wollen. Attention please: Jeder Versuch Da RausZuKommen bestärkt möglicherweise den Leider; macht das ich erst (gefühlt) 'real'.
Du bist der Fallensteller, die Falle, und der Fühlende der in der Falle zappelt. So what.

Jeder Versuch einer Therapie ist vielleicht die Verstrickung in die Falle, und lässt die Bilder erst in Farbe erstrahlen.



?
 
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Ich glaube die Frage (zb) nach Gott ist schon zu weit gedacht. Da bin ich schon in die Falle verstrickt, habs nicht bemerkt (wie es passiert ist; schließlich habe ich ja auch den Schleier entworfen und vorgezogen) - und wurschtel mir jetzt eigentlich die Beißzangen ins Fleisch.


Nicht jeder Rollstuhlfahrer möchte einen Berg besteigen. Vielleicht bewirken erst unsere Gedanken seine emotionale Qual. Oder er braucht das als Herausforderung (denn ohne Rollstuhl einen Berg zu besteigen ist vielleicht nicht mehr wirklich schwierig). Und bedenke wie sehr man die viele heranströmende Hilfe und das Mitgefühl genießen könnte (wenn man das kann), als (Geh)Behinderter, wenn man in der U-Bahn steht, oder am Fuße eines Berges. Ich bin überzeugt, wäre das nicht von vornherein negativ besetzt, bemeint - immer mehr gäbe es, die würden es ausprobieren, einfach so. Und das wird auch geschehen. Jeder möchte mal so richtig behindert sein dürfen. Warte noch ein paar Jahre, und auch dieses (Tabu)Segment wird belegt werden. Watch TV.
Es gibt heute schon, neben Tattoo, Piercing, Branding (Verbrennen von Hautteilen), Tacking (mit der Tackermaschine), auch schon: Körperteile EntFernen.
Wir sind da auf einem Weg.
:)
Und die Fronten werden sich aufweichen. Was man (dann wieder) Darüber denkt, Meint -
da sind wieder keine Grenzen gesetzt, für den Verstand. Zuerste werden Piercer über die Brander schimpfen; und dann die Körperteilentferner über die Tattooer lachen;................
und so weiter und so fort. Das Bewusstsein erfährt sich immer neu.




gaming?
 
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