Der Drückeberger
Unter den Mönchen gab es einen Drückeberger: den Dichter Ed. Er erschien stets zu spät zu den Hausarbeiten und ging auch früher wieder. Er übernahm immer nur die leichteste Aufgabe, murrte während der Arbeit und verrichtete sie obendrein unbefriedigend, so dass sie danach von anderen noch einmal gemacht werden mußte. Wenn er dran war, zum Einkaufen in die Stadt zu gehen, erledigte er den Gang nie an einem Tag, sondern brauchte zwei dafür, so dass er deshalb zwei Tage um die Hausarbeit kam und noch eine Nacht in der Stadt hatte.
Meistens versuchte er aber, nicht in die Stadt gehen zu müssen.
Eines Tages war er an der Reihe mit dem Stadtgang, und erklagte über Kopfschmerzen. Er könne nicht gehen. Die Kopfschmerzen hinderten ihn auch daran, seine sonstigen Arbeiten zu erledigen. Er brüte etwas aus.
An diesem Abend, als die Mönche sich im Gemeinschaftsraum trafen, redeten sie über Eds Kopfschmerzen und versuchten nachsichtig zu sein, was ihnen jedoch nicht gelang. Alle zweifelten an seiner Krankheit, außer Helena, die ihm glaubte. »Es geht ihm ziemlich schlecht«, sagte sie. »Er ist krank wie ein Hund.«
Sie überlegten, ob einer von ihnen es übernehmen sollte. statt seiner zum Einkaufen zu gehen, doch waren sie eigentlich diesem Gedanken abgeneigt. »Laßt ihn schmoren«, schlug Henri vor. »Wir können auch nur Reis und Bohnen essen, bis es ihm wieder gut geht.«
»Wenn er krank spielt, warum sollten wir darunter leiden?« fragte Daniel, der Tänzer. »Warum nicht den Berg hinunter gehen und Obst und Gemüse kaufen und dem Simulanten nichts davon abgeben?«
»Das ist gemein«, sagte Helena. »Wenn er krank ist, braucht er eine richtige Ernährung. Er braucht Vitamine.«
»Wenn ist das Schlüsselwort«, erwiderte Henri trocken.
»Laßt uns Joe fragen, was wir tun sollen.«
Sie suchten den heiligen Mann auf, der in seinem Zimmer saß und nachdachte. Er gesellte sich am Abend nicht immer zu ihnen, sondern entschied sich manchmal dafür, sein sich selbst auferlegtes Schweigen nicht zu brechen. Die Schlafzimmer lagen im zweiten Stock und waren einfach möbliert mit einem Einzelbett, einem Tisch, einem Regal, einem Schrank und einem Stuhl.
Joe saß auf seinem Stuhl, und das erschien den Mönchen irgendwie als ein schöner Anblick. Manchmal, wenn sie ihn einen Tag oder auch nur ein paar Stunden nicht gesehen hatten und unerwartet auf ihn trafen (oder, wie jetzt gerade, erwartet), raubte er ihnen den Atem.
Der heilige Mann lauschte dem Problem und sagte ihnen, er werde mit Ed reden.
Er ging in Eds Zimmer und setzte sich ans Ende seines Bettes. Er blickte den Dichter an, der mit geschlossenen Augen dalag, jedoch nicht zu schlafen schien.
Ed machte ein Auge auf, sah Joe und stöhnte. Es war ein ziemlich gutes Stöhnen, doch auch wieder nicht so gut. Tatsächlich besaß Ed den Anstand zu erröten über sein Stöhnen, doch musste man schon genau hinsehen, um das Erröten zu bemerken, mit dem Auge einer Mutter, wie Joe eines hatte.
Dann besaß Ed tatsächlich die Kühnheit zu krächzen: »Wa-a-as-ser.«
»Das ist ein sehr trauriger Fall«, sagte Joe. »Ein erledigter Dichter, ein Dichter, der nichts mehr zur Gemeinschaft beitragen oder in Harmonie mit uns leben kann, ein Dichter, der tatsächlich eine Riß in der Gemeinschaft verursacht und sie in ein Pro-Ed- und ein Kontra-Ed-Lager teilt - allerdings ist das Pro-Ed-Lager sehr klein.«
Ed fühlte sich sichtlich unbehaglich und wiederholte seine Bitte um Wasser nicht.
»Ich passe immer auf, dass ich in meine Einsiedelei jene Personen einlade, von denen ich glaube, dass sie ihre Füße auf dem Pfad haben, doch diesmal sieht es so aus, als habe ich einen Unruhestifter ausgewählt, dessen Füße die meiste Zeit im Bett sind. Ich werde Dich bitten müssen zu gehen.«
Dies war sehr schockierend für Ed. Es sah dem heiligen Mann gar nicht ähnlich, so streng zu sein, so brutal, wie es Ed in seinem eingebildeten, geschwächten zustand vorkam. Er erschreckte so sehr, dass er zu zittern anfing, als habe er Schüttelfrost, und deshalb allmählich selber glaubte, er sei wirklich krank.
»Ich kann nicht gehen. Ich bin zu krank. Ich glaube, ich muß sterben.« Er stöhnte diesmal wirklich auf, und sein Körper bebte weiter. Er wäre tatsächlich lieber gestorben, als aus der Einsiedelei geworfen zu werden, wo er die glücklichsten und fruchtbarsten Tage seines Lebens verbracht hatte. Was war er für ein Narr gewesen, durch seine angeborene Faulheit seinen Aufenthalt hier zu gefährden!
Joe, der die dramatische emotionale Reaktion bemerkte, die seine Worte bei Ed bewirkten, sagte: »Ich habe nie behauptet, ein Heiler zu sein, aber ich glaube, ich werde es gleich jetzt mal ausprobieren. Es ist möglich, dass ich heilen kann. Es würde mich gar nicht überraschen.«
Joe stand auf, atmete tief ein, sah Ed an und sagte laut: »Dichter, steh auf und sei gesund.«
Während er diese Worte sprach, packte er gleichzeitig den Dichter, zog ihn aus dem Bett und stellte ihn auf die Füße; dabei gab er ihm etwas, was sehr ein paar Ohrfeigen ähnelte.
»Es hat funktioniert«, sagte der heilige Mann glücklich. »Ich bin ein Heiler.«
Ed mußte lachen. »Du hast recht. Ich bin geheilt.«
»Du siehst wie ein neuer Mensch aus.«
»Das bin ich auch«, erwiderte Ed, der immer noch lachte. »Ich fühle mich wunderbar.«
»Es ist erstaunlich.«
»Joe, ich fühle mich geistig, psychisch und körperlich so viel besser, dass ich nicht glaube, dass ihr je wieder Probleme mit mir haben werdet. Bitte gib mir noch eine Chance.«
»Natürlich tu´ ich das«, antwortete der heilige Mann. »Im Gegenzug muß ich Dich bitten, keinem von den wunderbaren Heilfähigkeiten zu erzählen, die ich entdeckt habe. Ich will nicht, dass die Welt denkt, ich kann Wunder wirken.«
Doch als die anderen sahen, dass Ed von da an sich so kraftvoll, tüchtig und gutmütig abmühte, sagten sie zueinander, dass es ein Wunder sei.
Aus Susan Trott, Der heilige Mann vom Berge, Knaur Verlag, ISBN 3 426 82098 6.
Was hier in einer Minigeschichte erzählt wird, dauert oft viele Jahre. Da ist es mit einem einmal krank spielenden Ego nicht getan. Einen guten Coach erkennt man daran, dass er die Schliche des Egos kennt und einem Menschen, der grundsätzlich gewillt ist, eine Richtung geben kann, die sehr nahe dem kommt, was dieser Mensch wirklich will (auch Bestimmung genannt, das, was die Seele will). Ich kann, was ich will, weil ich muß. Ein Satz der Kant zugeschrieben wird. Das "Ich kann" bezieht sich auf das Potential des Menschen selbst. Das "ich will" ist das - wenn es denn gelungen ist - demütige Ego, denn dieses muß freiwillig wollen, was die Seele will. Das "weil ich muß" ist der Seelenwillen. Die Seele ist stärker als das Ego. Sie bestimmt. Immer. Dass das für das Ego nicht so aussieht, nun. Das Ego, das erkannt hat, dass der Seelenwillen das Beste ist, das hat seine Füße auf dem Pfad.
So einfach kann man das schreiben.
Leben so zu leben ist jeden Tag eine Heraus-Herein-Forderung.
Einen sonnigen guten Morgen wünsch ich dir.
Eine interessante Geschichte und doch kann sie auch sehr anders interpretiert werden.
Nun, die Geschichte ins reale Leben übertragen hast du oft nicht gerade einen Heiligen bei der Hand der mit hundertprozentiger Sicherheit sagen kann was die Wahrheit der Situation ist.
Echte Krankheit oder Egospiel ?
Und selbst wenn das Ego die Verantwortung scheut ist es oft mit ein paar Ohrfeigen nicht getan.
Du siehst es so oft in dieser Gesellschaft wie die Leute sich gnadenlos verbal ohrfeigen und am Ende ist keiner der Beteiligten wirklich heiler als vorher.
Vielleicht ist es eine Frage der Motivation ?
Mann kann das Beste wollen und trotzdem viel Schaden zufügen.
In dieser Geschichte leben die meisten ihre Verantwortung sehr gut.
Wie sieht es aus mit Verständnis, Toleranz, Nächstenliebe ?
Wenn sie mehr an sich selbst arbeiten würden wäre der Sündenbock nicht mehr notwendig.
Im Endeffekt kannst du niemand in die Selbstverantwortung hineinohrfeigen, auch nicht durch Gruppenzwang.
Es muss die innere Leere und Unzufriedenheit gefühlt werden und durch Erfahrung wirst du lernen, dass diese nicht durch äussere Umstände oder Menschen gefüllt werden kann, nur durch innere Transformation.
Gruppenzwang fördert nur das Aussenseitertum und dieses schlägt irgendwann ganz massiv in Form von extremen oder fanatischen Schädigungsversuchen an die Gemeinschaft zurück.
Vielleicht hat der symbolhafte Dichter eine andere Aufgabe in der Gemeinschaft zu erfüllen als Einkäufe zu erledigen.
Nun, wer hilft ihm dabei diese Aufgabe zu finden und hineinzuwachsen ?
