Wie steht es um die Diskussionskultur
Ein sehr guter Artikel. Nachfolgender Text ist aus dem Artikel:
http://derstandard.at/2000030636751/Wie-steht-es-um-unsere-Diskussionskultur
Wer länger in Onlineforen unterwegs ist, stolpert früher oder später darüber: den Nazi-Vergleich.
"Godwin's Law", wonach mit zunehmender Dauer von Diskussionen die Wahrscheinlichkeit steigt, dass jemand einen Nazi-Vergleich einbringt, bestätigt sich immer wieder. Sprache und Wortwahl sagen dabei viel über eine Diskussion aus: Wer in den Foren kein "Nazi" ist, wird womöglich als "linkslinker Gutmensch" oder als "islamophob" klassifiziert. Denn wer Meinungen anderer einordnet, der urteilt schnell, manchmal auch zu schnell.
Gerade wenn es um Themen wie Flüchtlingskrise geht, beherrschen (vermeintliche) Extreme das Feld. Besonders hier gibt es eine starke Bipolarität: Der einen Gruppe wird grenzenlose Naivität vorgeworfen, die andere wird als rechtsextrem eingestuft. Zwischen diesen beiden Polen, so scheint es auf den ersten Blick, gibt es zwar Grautöne, die aber eher im Hintergrund wahrgenommen werden. Dieser Eindruck mag allerdings auch täuschen.
Sehr oft sind es nämlich nicht die Diskussionen selbst, denen es an Differenzierung mangelt, sondern die Einordnungen durch andere User.
Aber heißt das, dass jeder, der das ansatzweise problematisch sieht, ein rechter Recke ist? zur Diskussion
Sachargumente haben keine Chance auf eine konstruktive Diskussion, wenn die Verfasser dieser Postings von anderen in eine Schublade gesteckt werden.
Wer von einem anderen User vorverurteilt wird, dessen Argumente werden von vornherein abgelehnt und nicht reflektiert. Vorverurteilungen sind allerdings nicht nur in den Foren präsent, sondern
in den gesellschaftlichen Kontext eingebunden und als solche eine Folge einer neuen, aufstrebenden Art der politischen Korrektheit. Kritik kaum geäußert So sieht der Psychologe und Philosoph Carlo Strenger nach den Anschlägen auf Paris eine bedenkliche Entwicklung im politischen Diskurs: "
Vor allem die politische Linke scheut jedoch davor zurück, Klartext zu sprechen, weil sie Vorwürfe der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus befürchtet. Wir machen auf diese Weise unsere Kultur kaputt", sagte er in einem STANDARD-Interview. Auch der Integrationsexperte Kenan Güngör spricht von der "ausgeprägten Tendenz, jede auch konstruktiv gemeinte Kritik mit dem Begriff 'Islamophobie' zu diskreditieren". Er sieht dabei eine "
Paradoxie, dass ein beachtlicher Teil selber religiös-nationalistischen Parteien in Ursprungsländern nahesteht, hier aber unter Anwendung linksliberaler Positionen und Rhetorik jede humanistische Kritik ins rechte Eck gestellt wird".
Politisch korrekt – falsch verstanden? Wie weit diese neue politische Korrektheit geht, zeigt der Fall in Rotherham in Mittelengland: Zwischen 1997 und 2013 wurden dort 1.400 Kinder von britisch-pakistanischen Banden systematisch missbraucht und sexuell versklavt. Die Polizei verschleierte das Ausmaß des Missbrauchs: Obwohl von der Mehrheit der Täter bekannt war, dass sie asiatischer oder pakistanischer Herkunft sind, hatten Mitarbeiter der Behörde die Vorfälle aus Angst, als "Rassisten" angesehen zu werden, nicht kommuniziert. Der Gründer der britischen muslimischen Jugend, Muhbeen Huassain, kritisierte die Tabuisierung der Vorkommnisse: "Die Tatsache, dass die Täter hauptsächlich Pakistaner waren, sollte kein Grund sein, darüber zu schweigen."
Dieser neue Trend führt auch an britischen Universitäten wie Oxford zu massiven Problemen: Professoren wandten sich kurz vor Weihnachten an die Medien und sprachen von einer
Kultur, die den freien Austausch von Ideen beschränke, die Selbstzensur fördere und Menschen Angst davor mache, ihre Meinung zu äußern. Studenten beschimpften Professoren als "Islamhasser" und "Rassisten", forderten ein "Redeverbot" für als "transophob" klassifizierte Diskutanten. Politische Debatten mussten an geheime Orte verlegt werden, weil die Redner im Vorfeld als "Vergewaltigungsverteidiger" ausgebuht wurden. Es solle ein "safe space" geschaffen werden, eine Art Schutz- und Sicherheitsraum, fordern die Studenten, ein "Recht auf Behaglichkeit".
Eine falsch verstandene politische Korrektheit hemmt einerseits die Diversität in einer Diskussion und fördert andererseits den Nährboden für rechtsextreme Parteien. Diese wissen die Stimmung für sich zu nutzen. So beklagte die FPÖ-Abgeordnete Susanne Winter nach der Kritik an einer antisemitischen Äußerung den "Dreschflegel der politischen Korrektheit". Das Postingverhalten in den Foren ist auch ein Resultat des gesellschaftlichen und politischen Diskurses. Dabei geht es auch um Glaubwürdigkeit. Rund um die Ereignisse in Köln standen viele Medien in der Kritik, zu wenig oder verharmlosend berichtet zu haben. So meinte Frank Lübberding in der "FAZ": "
Wenn man wie in Köln ein Problem mit jungen Arabern hat, muss man das deutlich machen. Probleme mit Neonazis ebenso. Aber stattdessen thematisieren ARD und ZDF lieber ihr Misstrauen gegenüber den eigenen Zuschauern."
derstandard.at/2000030636751/Wie-steht-es-um-unsere-Diskussionskultur