Ich komme mit einem weiteren Auszug noch mal auf das Buch zurück ("Die Wolfsfrau").
Vielleicht ist Stärke einfach das, was Mann und Frau zusammenbringt und zusammenhält, wenn sie mit ganzem Herzen bereit sind, sich diesen Aufgaben zu stellen:
In einer seelenlosen Gesellschaft wird der Bevölkerung weisgemacht, dass der Mensch sich mit rasender Eile fortbewegen muss, um im Verlauf seines einen kurzen Lebens schnell noch die eine, wahre Liebe zu finden, die nie vergeht. Dieses Hasten von einem Partner zum nächsten ist eine Suche nach einer sich ewig drehenden Liebesmaschine, und insofern darf es uns nicht wundern, wenn wir alle wirr im Kopf beziehungsweise in der Psyche werden (…)
Wir ziehen immer mehr an Land, als wir beabsichtigt haben, solange wir uns der naiven Phantasievorstellung hingeben, dass irgendeine romantische Eskapade, irgendeine berufliche Position oder irgendein Geldsegen tiefere Seelenbedürfnisse erfüllt und auf die Dauer befriedigt. Niemand von uns ist zu Anfang bereit, für eine zutiefst erfüllende Liebe zu arbeiten. Am liebsten wäre es uns, wenn der einmal an Land gezogene Schatz keine weiteren Ansprüche stellen und uns für den Rest des Lebens die Arbeit abnehmen würde. Klar, wir wissen natürlich, dass man sich auf diese Weise nie weiterentwickelt, nie selbst zum kostbaren Schatz wird. Trotzdem wünschen wir uns wider jedes besseren Wissens, für immer auf der Stufe der anfänglichen Liebe stehen bleiben zu können. (…)
Wenn die honigsüße Lieblings-Phase zu Ende geht, wird alles aufgewühlt, die Beziehung gerät in turbulente Gewässer, denn nun werden langgehegte Erwartungen enttäuscht, nun müssen liebgewonnene Illusionen sterben. Auf den ersten Liebesrausch folgt eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit dem Gegenüber, ein intimeres Kennenlernen, bei dem alle Kraftreserven und alles, was wir an instinktivem Wissen besitzen, gebraucht werden.
In einer fortgeschrittenen Liebesbeziehung wird im Laufe der Zeit alles, aber auch alles, was man zu sein glaubt, auseinandergenommen, abmontiert, inspiziert, entwirrt und schließlich, wenn man durchhält, noch einmal ordentlich durchgeknetet und dann erneuert. Das Ego wehrt sich dagegen, aber selbst das arbeitsscheueste Ego der Welt sieht irgendwann ein, dass es nicht anders geht. Wenn die Sehnsucht nach Gefühlstiefe und Wahrheit größer wird als die Arroganz des Egos, fühlt sich die Psyche unwiderstehlich zu den fortgeschrittenen Phasen der Liebe hingezogen. (…)
Aber da neue Kräfte nun einmal nie ohne eine Minderung der früher Dagewesenen entfaltet werden können, finden Paare, die alles Traurige, alles Negative und Unintensive in ihrer Beziehung ablehnen, sich eines Tages in einer versteinerten Beziehung wieder. Das Streben nach einer Liebe, die stets nur Positives mit sich bringt, ist genau das, was einer ursprünglich vielversprechenden Liebe letztendlich den Todesstoß versetzt.