Die Wissenschaft ist ein kollektives Unternehmen der Menschheit, uns selbst und die Welt, in die wir geworfen sind, besser zu verstehen. Aber wozu? Eine Methode, um das zu tun, besteht darin, Kausalitäten herzustellen, um eine Ursache zu finden. Eine andere Methode besteht darin zu verstehen, dass Menschen Sprache verwenden, um sich mit der Welt da draussen zu synchronisieren - Ursprung und Kausalität sind egal, Sprache ist eine Klangtechnologie. Eine andere Methode besteht darin zu verstehen, dass wir nicht wissen, was wir sind und wo wir hier sind, und dass wir uns immer eine Welt erschaffen, in der wir diese Unwissenheit, die Angst auslöst, bannen und uns geborgen fühlen können. Das sind alles unterschiedliche Systeme aus Körper, Denken und Welt, in die wir uns hineindenken können, um zu verstehen.
Aufgabe der Wissenschaft wäre es meiner Ansicht nach klar zu formulieren, dass es unterschiedliche Systeme gibt und dass es keine richtige oder falsche Methode gibt. Methoden sind immer zweckgebunden. Mit welcher Methode würdest du deinen Sternschnuppen-Fall lösen wollen?
Hier, im von mir fett hervorgehobenen Satz, bin ich anderer Ansicht.
Wir sind hier ja in einer Welt, und diese Welt scheint gewissen Regelmäßigkeiten unterworfen zu sein: Die Naturgesetze. Und die Aufgabe der Naturwissenschaften ist es, diese Naturgesetze zu entschlüsseln. Und in diesem Kontext gibt es durchaus richtig und falsch.
Wenn wir jetzt die modernere (Natur-)Wissenschafts-Definition heran ziehen, die sich an den Arbeiten von Carl Popper orientiert, so geht es ja gerade darum, dass wir uns der Wahrheit annähern, indem wir die Unwahrheit, also das Falsche, aussortieren. Die Behauptungen, die derart untersucht werden, müssen darum auch falsifizierbar sein - das heißt, es muss einen beobachtbaren Unterschied ergeben, ob die Aussage wahr oder falsch ist.
Die nächste Frage wäre dann: Wie gehen wir mit falschen Aussagen um? Wie gehen wir mit Menschen um, die falschen Aussagen anhängen? Wie gehen wir selbst damit um, wenn wir merken, dass wir Aussagen anhängen, die viele andere für falsch halten? Oder extremer noch: Wie gehen wir damit um, wenn wir selbst bemerken, dass wir einer Aussage anhängen, von der wir bemerken, dass sie falsch ist?
In meinem Sternschnuppen-Fall ist das eigentlich relativ einfach: Ich glaube nicht wirklich dran, nutze aber das "wohlige Gefühl", was trotzdem entsteht, wenn ich eine Sternschnuppe sehe und dann einen Wunsch formuliere.
(Natur-)Wissenschaftliche betrachtet würde ich ungefähr folgendes sagen:
Es gibt keinen Anhaltsgrund, der es wirklich plausibel erscheinen ließe, warum ein Wunsch, der im Kontext einer beobachteten Sternschnuppe formuliert wird, wahrscheinlicher erfüllt wird als ein anderer Wunsch. Wenn man das wirklich überprüfen wollen würde, würde man eine Reihe von freiwilligen Testpersonen randomisiert in zwei Gruppen aufteilen und sie auffordern, einen realistischen Wunsch, der so innerhalb eines Jahres erfüllt werden könnte, auszusuchen. Die eine Gruppe wird dann in einer Nacht - am besten umden 13. August herum - raus gestellt, und sie sollen dann, wenn sie eine Sternschnuppe sehen, ihren Wunsch formulieren. Die andere Gruppe bleibt drinnen. Dann - ein Jahr später - fragt man alle Teilnehmer, ob ihr Test-Wunsch in Erfüllung ging. Die Hypothesewäre bestätigt, wenn in der einen Gruppe die Quote der erfüllten Wünsche statistisch signifikant größer wäre als in der anderen Gruppe.
Sehr wahrscheinlich wird jeder Wissenschaftler schon erahnen, dass so ein Versuch negativ ausgehen würde, und die Quote der erfüllten Wünsche in beiden Gruppen im Rahmen der Statistik identisch sein würde. Kaum jemand würde also einen solchen Versuch ernsthaft durchführen, aber viele werden trotzdem weiterhin, wenn sie eine Sternschnuppe sehen, sich was wünsche und sich darüber freuen. Spricht ja auch nicht viel dagegen.
Der Fall mit den Sternschnuppen und die Form der Anhängerschaft ist in dieser Form aber auch vergleichsweise locker. Schwieriger ist es, wenn Menschen an einen Glauben ihr Leben ausrichten, der definitiv falsch ist.
Hast Du schonmal den Begriff
kognitive Dissonanz gehört, sowie vom Psychologen Leon Festinger? Er hat u.a. untersucht, wie Menschen damit umgehen, wenn ihre Überzeugungen in Frage gestellt werden, oder schlimmer noch: Wenn sie selbst damit konfrontiert werden, dass ihre Überzeugung falsch ist.
Im Rahmen seiner Untersuchungen hat sich Festinger u.a. in eine UFO-Sekte eingeschlichen, die davon überzeugt war, dass die Welt bald von Aliens gestraft und sountergehen werden würde, aber die Sektenmitglieder selbst würden vorher von Raumschiffen abgeholt und so gerettet werden. Es stand sogar ein Datum fest, wann und wie das geschehen sollte. Das Datum kam und verstrich, und nichts passierte. Es fielen aber trotzdem nicht alle Mitglieder von ihrem Glauben ab. Es wurden Schutz- und Ausweichbehauptungen aufgestellt... der Glaube einiger der Mitgleider wurde aber nicht lockerer, sondern tiefer und fester.
Festinger betrachtete danach dann, wie sich die Mitglieder weiter verhielten und listete im Nachgang einige Kriteiren auf anhand derer er vermuten würde, dass jemand bei einem solchen Ereignis vom Glauben abfallen und seine Überzeugungen wirklich überdenken und korrigieren würde, oder dass jemand bei der Überzeugung bleibt und sie sogar noch heftiger verteidigt und vertritt.
Das hat nichts mit Krankheit o.ä. zu tun, sondern es ist rein menschlich: Für Menschen ist es unangenehm Überzeugungenj zu überdenken und sich und anderen ggf. einzugestehen: "Ups, da habe ich geirrt." Und wir sind alle Menschen.
Die (empirische Natur-)Wissenschaft in ihrer aktuellen Form zwingt die Wissneschaftler, die dafür arbeiten, tag-täglich dazu, ihre entsprechenden Überzeugungen falsifizierbar zu formulieren, zu überprüfen und ggf. zu modifizierne oder gar zu verwerfen. Das ist ein hartes Brot, wenn man da an Aussagen arbeitet, die man regelrecht lieb gewonnen hat. Aber anders ist sinnvolle (Natur-)Wissenschaft nicht möglich.
Die (Natur-)Wissenschaft kann untersuchen, ob Wünsche im Sternschnuppen-Kontext wahrscheinlicher in Erfüllung gehen, und die Hypothese ggf. (bzw. sehr wahrscheinlich) verwerfen und tatsächlich als falsch ablehnen. Die Psychologie, die zumindest in Teilen auch eine Naturwissenschaft ist, kann betrachten und untersuchen, wie und warum Menschen (wie z.B. auch ich) der Tradition trotzdem weiter folgen. Die Naturwissenschaft kann und sollte aber NICHT die Einteilung in wahr und falsch verwerfen oder gar erklären, wie und warum es ohne empirischen Hinweis doch wahr sein sollte.