Mipa's Thread

Werbung:
Er hatte diese ‚Berliner Schnauze‘, diesen heimeligen Akzent und hatte ihn offenbar all die Jahre in der Schweiz nicht abgelegt. Ich hatte kaum Zeit, konnte aber sein Zimmer nicht verlassen, weil seine Lebensgeschichte so fesselnd war. Sie war so aktuell, als ob seitdem kein Tag vergangen wäre. Eine Flucht durch Polen, Krieg, Jahre in Berlin und ein Traum, den er gegen den Willen der Familie durchsetzte. Im Hintergrund berieselten uns aus dem TV aktuelle Meldungen zum Krieg. Als die Bilder total zerstörte Häuser, Schutt und Asche zeigten, Menschen, die man unter Trümmern rauszerrte, waren Tränen in seinen Augen und er meinte, er hätte nie gedacht, dass sich das wiederholen würde. Unverständnis über das archaische und sinnlose Morden im 21. Jahrhundert und keiner, der dem Unfassbaren Einhalt gebieten konnte.
Mein Herz war schwer und auch der Patient im Nebenzimmer äusserte das gleiche Entsetzen und die Fassungslosigkeit. Überlagert wurde seine Traurigkeit nur noch von der Sorge um seine Frau, die aufgrund einer Krankheit ohne ihn zu Hause hilflos war. Die Stimmung war unglaublich bedrückend und für die Fassungs - und Hoffungslosigkeit findet man kaum Worte.
Als ich später aus einem der grossen Fenster sah, erstrahlte eines der Gebäude in den Farben Blau/gelb der Ukraine. Ich konnte nicht ausmachen, welches es war. Auf der Heimfahrt wirkte alles trügerisch friedlich und es zeigten sich vereinzelt Sterne am nächtlichen Himmel. Da dachte ich auch an Dich, lieber Freund, und einen weiteren, verpassten Abschied.💫
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Er hatte diese ‚Berliner Schnauze‘, diesen heimeligen Akzent und hatte ihn offenbar all die Jahre in der Schweiz nicht abgelegt. Ich hatte kaum Zeit, konnte aber sein Zimmer nicht verlassen, weil seine Lebensgeschichte so fesselnd war. Sie war so aktuell, als ob seitdem kein Tag vergangen wäre. Eine Flucht durch Polen, Krieg, Jahre in Berlin und ein Traum, den er gegen den Willen der Familie durchsetzte. Im Hintergrund berieselten uns aus dem TV aktuelle Meldungen zum Krieg. Als die Bilder total zerstörte Häuser, Schutt und Asche zeigten, Menschen, die man unter Trümmern rauszerrte, waren Tränen in seinen Augen und er meinte, er hätte nie gedacht, dass sich das wiederholen würde. Unverständnis über das archaische und sinnlose Morden im 21. Jahrhundert und keiner, der dem Unfassbaren Einhalt gebieten konnte.
Mein Herz war schwer und auch der Patient im Nebenzimmer äusserte das gleiche Entsetzen und die Fassungslosigkeit. Überlagert wurde seine Traurigkeit nur noch von der Sorge um seine Frau, die aufgrund einer Krankheit ohne ihn zu Hause hilflos war. Die Stimmung war unglaublich bedrückend und für die Fassungs - und Hoffungslosigkeit findet man kaum Worte.
Als ich später aus einem der grossen Fenster sah, erstrahlte eines der Gebäude in den Farben Blau/gelb der Ukraine. Ich konnte nicht ausmachen, welches es war. Auf der Heimfahrt wirkte alles trügerisch friedlich und es zeigten sich vereinzelt Sterne am nächtlichen Himmel. Da dachte ich auch an Dich, lieber Freund, und einen weiteren, verpassten Abschied.💫
💔 Wunderschön. Trotz allem. Liebevoll
 
Ich betreue sehr Kranke und sie liegen in ihren Betten, alle mit eigenen, bewegenden Geschichten. Sie schauen gebannt oder resigniert auf die Bilder dieses Wahnsinns und die Zweischneidigkeit ist so absurd und surreal. Als ob das Leben nicht für jeden Einzelnen von uns ohnehin schwere Zeiten bereithält, Tage, wo man nicht weiss, wie es weitergeht, Krankheiten, die einen unerwartet treffen und auf einen Schlag alles verändern. Und im Hintergrund eines jeden Schicksals findet dieser Krieg statt, wie ein Hohn, der uns alle verspottet, wie eine Zeitreise in die Vergangenheit, von der nichts gelernt wurde, die sich unsinnig und grausam wiederholt. Dabei würde jeder meiner Patienten einfach nur gerne etwas Hoffnung schöpfen, sein Bett verlassen und ein paar Schritte in den beginnenden Frühling unternehmen.
So habe ich viel zugehört und erfahren, Hände gehalten, ein Spässchen gemacht, aufgemuntert und hätte mitgeweint, wäre das nicht so unprofessionell gewesen.
Dein emotion des gebrochenen Herzens trifft es vielmehr, als du ahnst.:blume:
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Heute wärst du 90. geworden. Wie so oft nutzte ich den Nachmittag damit, an unseren Lieblingsort zu gehen und einen Spaziergang zu unternehmen. Ich weiss noch, als wir vor drei Jahren auf dem Klosterplatz den Weihnachtsmarkt besuchten und wie immer die mächtigen Mammutbäume bewunderten. Auch heute wurde ich am Rhein entlang von den beiden Schwänen begleitet, die sich jedoch nie weit von der Insel entfernten. Ich bin froh, dass du Corona nicht mehr miterleben musstest und nun auch keine Ahnung von diesem grausamen, unfassbaren und beängstigenden Krieg hast. Besonders aber freut es mich, dass ich dir noch sagen konnte, dass ich dich liebe, obwohl es früher sehr schwierig war. Ich hab das nicht verpasst - und du auch nicht.:blume:

1646672092441.jpeg
 
Werbung:
Zurück
Oben