Man mag das Verhalten der heidnischen Priester, sie sich selbst entmannen, als schmerzhaft und unsinnig empfinden. Ich selbst würde es ebenfalls nicht befürworten. Warum sie es getan haben, weiß ich nicht. Es hätte ja eigentlich nicht nötig getan, sich selbst zu entmannen. Vielleicht wussten sie nichts vom Brahmacharya der indischen Yogis.
Aber auch heute noch sind viele indische Yogis bereit, ungeheures Leid auf sich zu nehmen, nur um mit Gott vereint zu sein. Wenn man die Selbstentmannung verurteilt, so ist sie zwar schmerzvoll, aber der Schmerz ist schnell wieder verflogen. Wenn ein Yogi sich dagegen vornimmt, 12 Jahre lang zu stehen, dann bedeutet das 12 Jahre lang Schmerzen zu ertragen. Diese Yogis schlafen übrigens im Stehen und lehnen sich im Schlafen auf eine etwa brusthohe Schaukel. Sie empfinden dabei offensichtlich in jeder Minute Schmerzen in den Hüften und Beinen.
Oder denke man einmal an die vielen Yogis im Himalaya. Dort ist es teilweise bitterkalt und die Yogis laufen entweder nackt oder halbnackt barfuss durch den Schnee. Man muss schon bereit sein, sehr großes Leid auf sich zu nehmen, um so zu Leben. Verglichen mit dem Leid, was die Yogis bereit sind, auf sich zu nehmen, ist die Entmannung der heidnischen Priester also gar nicht mehr so dramatisch.
Man mag nun einwenden, dass das doch alles hochgradig schizophren ist. Dem stimme ich zu. Solch ein Verhalten, solche Askese, beruht auf Unwissenheit. Ob man das allerdings in allen Fällen behaupten kann, kann ich nicht beurteilen. Die Frage ist z.B. ob man diese Askese immer noch als unsinnig abtun kann, wenn das angestrebte Ziel, die Erleuchtung, wirklich erreicht worden ist.
Weiterhin sollte man bedenken, dass jeder, der einen spirituellen Weg geht, bereit sein muss, sehr großes Leid auf sich zu nehmen. Dieses Leid ist zum einen dadurch begründet, dass wir gezwungen waren, vieles, was uns in unserem Leben sonst vielleicht emotional sehr verletzt hätte, runterzuschlucken. Und da das Runterschlucken allmählich zur Gewohnheit wurde, hat sich unendlich viel Hass und Trauer in uns angesammelt. Und wenn wir einen spirituellen Weg gehen, dann müssen wir bereit sein, uns diesem allen zu stellen. Und das bedeutet nichts anderes, als das unendlich viel Leid auf uns zukommt.
Dieses permanente Runterschlucken, hat uns jede Natürlichkeit und unser Lebensglück geraubt. Und genau an dieser Stelle tritt die Sexualität ein. Sie durchbricht wenigstens einmal für ein paar Sekunden diesen Panzer und lässt uns wenigstens für ein paar Sekunden Seligkeit empfinden. Und das führt dazu, dass wir die Sexualität, die eigentlich ausschliesslich für die Zeugung von Nachwuchs gedacht ist, immer und immer wieder für kurze Momente der Seligkeit missbrauchen.
Aber das hat Folgen. Durch die permanente Zweckentfremdung der Sexualität verändert sich die Physiologie. Wir berauben uns der Energie, die der Körper eigentlich für andere Zwecke benötigen würde. d.h. dem Körper fehlen diese Energien. Darauf reagiert der Körper und zwar in einer Weise, die zu mehr oder weniger krankhaften Veränderungen des Körpers führen. Damit setzt er eigentlich Signale, die uns sagen sollen, ändere dein Leben, du lebst ungesund.
Aber wir ignorieren oft genug einfach diese Signale, was dann langfristig zu noch schwereren Krankheiten führt. Wenn wir uns aber für einen spirituellen Weg entscheiden, dann müssen wir uns also auch mit diesen Erkrankungen, die letzten Endes auf den permanenten Missbrauch der Sexualität zurückzuführen sind, auseinandersetzen. Mit anderen Worten, in einem spirituellen Prozess müssen wir nicht nur bereit sein, großes Leid auf uns zu nehmen, welches durch das permanente Verdrängen (Herunterschlucken) unserer emotionalen Verletzungen entstanden sind, sondern wir müssen ebenso bereit sein, großes Leid auf uns zu nehmen, welches durch den permanenten Missbrauch der Sexualität entstanden ist.
Schauen wir also nicht so verächtlich auf die heidnischen Priester und wenden uns mit Grauen von ihrem Tun ab, sondern machen uns vielleicht einmal klar, dass uns selbst jede Menge Leid erwartet, wenn wir wieder genesen wollen. Außerdem sollten wir uns selber und anderen gegenüber so ehrlich sein, und nicht immer wieder erzählen, wie glücklich wir eigentlich sind. Ich denke, hier ist etwas mehr Ehrlichkeit gefordert