Weil man davon ausgehen kann, dass der Autor des letzten Textes auf den du hingewiesen hast, ein Sympathisant Sri Aurobindos war, habe ich mir einmal die Webseite von wikipedia.de über
Sri Aurobindo angesehen. Mir scheint, Sri Aurobindo war sehr im traditionellen Hinduismus verwurzelt, auch wenn er versucht hat, neue Vorstellungen zu entwickeln. Er war ein äusserst religiöser Mensch. Ich würde sagen, er war vielleicht sogar fanatisch religiös. Solche Züge machen mich eigentlich immer eher nachdenklich, weil ich dahinter erhebliche persönliche Probleme sehe. Seine ganze Philosophie drehte sich eigentlich um die Vereinigung mit Gott.
Was mir an seiner Philosophie nicht gefällt, soweit ich das bis jetzt beurteilen kann, ist, dass er sie sehr kompliziert gestaltet. Yoga ist seinem Wesen nach aber eigentlich sehr einfach und man sollte es auch in dieser Einfachheit belassen, damit jeder die Philosophie des Yoga verstehen kann. Aber gerade durch seine religiöse Haltung macht er den Yoga sehr kompliziert. Das aber führt nur zur Verwirrung. Er stellt den Mensch nicht in den Mittelpunkt, sondern er stellt Gott in den Mittelpunkt. Der Yoga sollte meiner Meinung nach aber frei von allen religiösen, kulturellen und nationalen Anschauungen sein und in erster Linie dazu dienen, den Menschen, egal ob sie gläubig sind oder nicht, zu helfen, ihr Lebensglück (Erleuchtung) zu finden.
Sri Aurobindo aber entwickelt eine komplizierte Philosophie, die es als integrales Yoga bezeichnete, die eigentlich nur dazu diente, sich in völliger Hingabe dem Göttlichen zu widmen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass man dadurch eigentlich nur dem religiösen Fanatismus Vorschub leistet. Ich hätte mir gewünscht, er hätte sich selbst von dieser religiösen Einstellung befreien können, denn in der Regel benutzen die Menschen ihre Religiosität nur, um vor den eigenen Problemen davonzulaufen. Stattdessen hoffen sie, dass Gott ihnen die Last des Lebens von den Schultern nimmt. Sie fliehen in die Religiosität. Aber dadurch hat sich noch niemand von seinem Leid befreit.
Mir scheint, Sri Aurobindo war auch nicht frei von Eitelkeiten. Offenbar sah er sich selber als Stellvertreter Gottes auf Erden. So sagte er über die Askese:
".. es gibt im Wesentlichen zwei Wege. Einer ist der des Buddha, der, wie du weißt, der Ansicht war, dass, obgleich du eine gewisse Hilfe oder Anleitung von anderen erhalten kannst, gleichgültig ob sie ein Guru sind oder nicht, du deinen Weg doch allein gehen musst; das heißt, mittels deiner eigenen Bemühung den Weg durch das Unterholz schlagen musst; anders gesagt, ist dies der uralte Pfad der Tapasya (intensiver spiritueller Übungen). Der andere Weg ist, den Guru als Stellvertreter des Göttlichen anzusehen, der den Weg kennt und darum klarerweise in der Lage ist, anderen dabei helfen, ihn zu finden. Das ist der Weg, dem die hiesigen Aspiranten im Ashram folgen - der Weg des Guruvad."
In diesem Punkt bin ich vollkommen anderer Meinung als Sri Aurobindo. Der Weg, den er als den asketischen Weg bezeichnet, wird niemand erspart bleiben, der ernsthaft einen spirituellen Weg beschreiten möchte. Kein Guru, auch der nicht, der sich selber als Stellvertreter Gottes sieht, wird dir irgendwas von der beschwerlichen Arbeit abnehmen können, den der Yogapfad mit sich bringt. Ein Guru kann dir einen Weg aufweisen, aber beschreiten muss man ihn selber. Ein Guru kann dich auf das Leid hinweisen, das dieser Weg mit sich bringt, aber das Leid selber kann er dir nicht abnehmen. Man muss bereit sein, dieser Leid selber auf sich zu nehmen. Darum existiert der zweite Weg, von dem Sri Aurobindo spricht, eigentlich nicht wirklich. Und darum kommt für alle Menschen, die ernsthaft einen spirituellen Weg beschreiten wollen, nur der erste Weg in Frage.