Ich denke wir werden uns da nicht mehr einig. Meine beiden Hauptargumente habe ich mehrfach benannt:
1. Strafverfolgung wäre so oder so möglich und würde auch so oder so geschehen.
2. Die Entscheidung der Bundesregierung ist Teil des juristischen Ablaufs. Wenn man also grundsätzlich dafür plädiert dass der Paragraph Anwendung finden kann, eben weil es ihn noch gibt, dann kann man nicht gleichzeitig sagen es sei undemokratisch (despotisch) wenn die Regierung ihre Macht wahrnimmt um zu einer Ablehnung zu kommen.
Und grundlegend habe ich ja nie gesagt die Entscheidung sei juristisch gesehen nicht korrekt sondern sagte das sie formal-juristisch korrekt ist. Unsere Meinungsverschiedenheit besteht darin, dass ich die Entscheidung für politisch unklug halte während Du sie für politisch klug hältst. Und sowohl den juristischen Aspekt wie auch den politischen Kontext kann man so oder so bewerten bzw. eben verschiedener Ansicht sein und es gibt keine Möglichkeit dort zu objektiven Resultaten zu kommen.
Hier kommen wir dem entscheidenen Punkt möglicherweise näher. Du sprichst davon, eine Ablehnung "wäre ein völlig unnützer und impertinenter Affront gewesen" . Und ich stimme Dir zu dass es ein Affront gewesen wäre, aber ich würde nicht sagen "unnütz" sondern sogar im Gegenteil: Notwendig, und noch dazu hat Erdogan mit der privaten Klage eine Vorlage geliefert um eine perfekte Argumentation parat zu haben um die Verfolgung nach einem Paragraph abzulehnen der vor zwei Jahrhunderten zu Kaiserreichs-Zeiten Monarchen schützte.
Warum ich das ganze politisch unklug finde liegt übrigens ebenfalls am Kontext: Merkel sagt zu ganz vielem sehr bedeutendem gar nichts. Merkel gibt auch nicht zwingend besonders viel auf bestehende Gesetze. Die werden je nach Situation gebogen und gebeugt und zum Teil sogar gebrochen. Aber in diesem Fall hat sie sich vor Erdogan in den Staub geworfen, wie vorher auch schon oft genug vor den USA. Und sie erzeugt damit einen Eindruck, und m.A.n. ist dieser Eindruck auch zum Teil wahr, dass sie keine wirklich eigene Linie hat sondern deutlich zu anpassungsfähig gegenüber etwaigem Wahnsinn ausländischer Machttaktiker ist.
Ich glaube übrigens dass sie mittlerweile zu viel Kapital bei der Bevölkerung verspielt hat. Es fing an mit der NSA-Affäre und seitdem reiht sie Fehler an Fehler. Man kann ihr zugute halten dass sie in sehr schweren Zeiten Kanzlerin ist, aber ich habe mir v.a. die letzten Jahre und gegenüber anderen Staaten oft genug nen Typen wie Schröder zurückgewünscht der bei Bedarf auch mal bellt oder sogar beißt - obwohl ich auch dessen Politik oft genug kritisiert habe.
Ich kann mich nicht erinnern gesagt zu haben dass Erdogan sich in unsere Meinungsfreiheit einmischt. Aber ich würde es für richtiger und politisch weit klüger halten seinem Wahnsinn nicht Tür und Tor zu öffnen und einen Satiriker ohne Not dem Risiko auszusetzen auch noch höher bestraft zu werden. Denn wie schon viele male gesagt: Strafverfolgung wäre auch ohne das möglich etc. blablabla.