Oder um das ganze einmal mehr an einem Beispiel aufzuhängen:
Angenommen jemand hat über längere Zeit starke Kopfschmerzen. Er geht zum Arzt und stellt fest, dass in seinem Blut ein bestimmtes Hormon unnatürlich stark vorhanden ist.
Es gibt zwei grundsätzliche Arten von Fehlschlüssen, die man hier jetzt ziehen kann:
Entweder könnte man aus den oben gemachten Aussagen schliessen, dass das Kopfweh durch das übermässige Vorhandensein des Hormons hervorgerufen wurde. Das wäre sozusagen eine Bottom-Up-Ursache, also von einer Ursache einer niedrigen Ebene deren Folge auf einer höheren Ebene zu spüren ist. Das ist i.a. die Position des Reduktionismus: Er behauptet, eine Ursache befände sich IMMER auf der niedrigeren Ebene und würde auf eine höhere Ebene einwirken.
Oder aber man kann aus den oben gemachten Aussagen schliessen, als Reaktion auf das Kopfweh werde vom Körper übermässige Mengen des Hormons ausgeschüttet (quasi als Abwehrmechanismus oder Schmerzmittel). Somit handelt es sich um eine Ursache auf einer höheren Ebene, deren Folge auf einer niedrigeren Ebene zu spüren ist. Das ist die umgekehrte Position zum Reduktionismus, es handelt sich um den Elevationismus, also das Proklamieren einer alleingültigen Top-Down-Ursache. (Im Grunde genommen ist Elevationismus quasi "Reduktionismus nach oben" und Reduktionismus ist "Reduktionismus nach unten".)
Manche halten sich nun für ganz schlau: Sie nehmen keine klare Position ein, dann sind sie auch nicht angreifbar. Sie sind ein bisschen Reduktionisten, aber wenn man sie festnageln will, so lassen sie plötzlich doch Erklärungen der Elevationisten zu. Oder umgekehrt. Das sind dann ungefähr die Positionen, die sagen: "Das Kopfweh ist natürlich durch die übermässige Hormonausschüttung verursacht. Aber manchmal wird die Hormonausschüttung auch durch das Kopfweh verursacht." Das ist eine sehr billige Position, denn sie lässt sich überhaupt nicht widerlegen oder diskutieren, denn derjenige, der diese Position vertritt hat buchstäblich IMMER recht, indem er nämlich den zentralen Punkt absichtlich offenlässt: Er klärt nicht, worum es sich IN UNSERM BEISPIEL HIER handelt.
Wenn man einwendet, sie hätten doch gar nicht mit Sicherheit beweisen können, dass eine Bottom-Up-Ursache vollends ausgeschlossen sei, dann sagen sie einem, ja, das sei richtig, aber die Botom-Up-Ursache wäre äusserst unwahrscheinlich. Während sie vorher noch so getan hatten, als wäre diese Wirkungsrichtung nicht bloss unwahrscheinlich, sondern ausgeschlossen. Unmöglich ist aber nun mal nicht dasselbe wie unwahrscheinlich.
Genau das gleiche gilt auch in umgekehrte Richtung. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich fast immer, dass sie Ergebnisse falsch darlegen, so als wäre eine Sache völlig klar und einleuchtend, was sie aber tatsächlich gar nicht ist.
Die Frage ist nun aber: Was ist in unserm Schulbeispiel die Wahrheit? Woher kommt das Kopfweh? Welche Erklärung ist die richtige? Wenn man mal dieses Beispiel hier verstanden hat, dann versteht man alle anderen Beispiele auch. Der entscheidende Punkt am Beispiel ist: Ohne weitere Informationen ist es uns ganz und gar unmöglich mit Sicherheit zu bestimmen, ob das Kopfweh durch die Hormonausschüttung verursacht wurde, oder umgekehrt die Hormonausschüttung durch das Kopfweh! Wir wissen es schlichtwegs nicht! Es ist also nötig, weitere Informationen zu gewinnen, der Arzt müsste weitere Fragen anstellen, müsste vielleicht das Blut genauer untersuchen, er müsste wissen, ob der Patient irgendwelche Medikamente nimmt, die den Hormonhaushalt verändern etc.
Und, um die Sache vollends kompliziert zu machen: Es könnte sich gar um einen Wechseleffekt handeln, irgendein Rückkopplungsmechanismus, wo Kopfweh den Hormonhausshalt beeinflusst, und dieser wiederum das Kopfweh verstärkt, so dass der ganze Organismus in eine Spirale von Hormonausschüttung und Kopfweh gerät, die sich gegenseitig aufschaukeln. In diesem Falle würde es sich gar um Ursachen handeln, die sowohl von oben nach unten als auch von unten nach oben wirken würden! Also hätten eigentlich beide Lager recht - oder keines von beiden, je nachdem, wie man es sehen will.
Wenn wir nun zum Homöopathie-Beispiel gehen, so tun nicht gerade wenige der von dir zitierten Quellen genau das, was ich unter dem Begriff "Elevationismus" bezeichnet habe. Sie sehen ein kompliziertes Phänomen, nämlich dass Homöopathie wirkt, aber statt zuzugeben, dass sie nicht genau wissen, wie oder warum es funktioniert und zuzugeben, dass weitere und genauere Forschung nötig wäre, um den Zusammenhang zu klären, ob es sich um eine Top-Down-Ursache oder eine Bottom-Up-Ursache handelt, statt dass sie das zugeben, behaupten sie einfach, sie hätten den Zusammenhang eindeutig durchschaut: Es handle sich in Wahrheit nur um dies oder jenes. Beispielsweise handle es sich um "reine Einbildung", was dann einem Placebo-Effekt gleichkomme. Das ist im wesentlichen die Position der Elevationisten, die also behaupten, es handle sich um einen Top-Down-Effekt und den Bottom-Up-Effekt leugnen.
Wenn du das behauptest, Lotusz, dann solltest du das begründen können. Die von dir zitierten Autoren müssten EINDEUTIG nachweisen können, dass die eine Richtung UNMÖGLICH dem Ursache/Wirkung-Prinzip unterstellt sein könne. Sie müssten nachweisen, dass hier eine Einbahnstrasse vorherrscht, in welcher es nur von der einen Seite her Ursachen gibt, nicht aber von der anderen. Das können sie aber nicht. Mir ist keine Studie bekannt, welche bei Homöopathie eindeutig ausschliessen konnte, dass es sich NICHT um einen Bottom-Up-Effekt als kausale Ursache für die nachweisbare Wirkung auf den Organismus handelt!
In Wahrheit tun sie nur so, als könnten sie das. Sie gehören dem dritten Lager an, nämlich jenen, die so reden, dass man sie nicht festnageln kann - auch wenn sie das keineswegs aus böser Absicht machen, sondern eher aus einem grundsätzlichen Unverständnis der Materie. Je nachdem wechseln sie geschwind die Position und behaupten mal das eine oder das andere.