Als ehemaliger Suchtberater und heutiger Aufsteller nehme ich diesen Faden denn nun doch zum Anlass, mich wieder einzuklinken und sozusagen "mein Wort zu brechen". (Ich kann halt die Klappe nicht halten...)
Ich finde es markant, wie hier ein
Eingangsposting mit einem mehr oder weniger klaren Anliegen zu einer Diskussion führt, in der wirklich sämtliche Argumente anklingen, die mich daran erinnern, wie sehr in der Suchtberatungs- und -therapieszene bestimmte starre Glaubenssätze - einer Religion gleich - gepflegt und gegen Erkenntnis verteidigt werden. Religion regelt über den Faktor "Glauben", wer zu den "Guten" und wer zu den "Bösen" gehört, wer dazu gehören und wer ausgeschlossen wird. Gerade in der Suchtberatungsszene habe ich bereits vor langer Zeit erlebt (und mich deshalb dort ausgeklinkt), dass bekämpft wird, wer nicht bestimmte Vorausannahmen als absolut akzeptiert.
Wie in vielen Religionen finden wir hier auch Gott und Teufel. Der Teufel ist dabei vor allem der Alkohol selbst... Und der wird ordentlich an die Wand gemalt. Und nur weil vielleicht in der Suchttherapie von m.E. völlig irrigen und leider in sich selbst geschlossenen und sich selbst erklärenden Vorannahmen ausgegangen wird, die zu keiner Heilung führen können, wird die Verantwortung für das häufige Scheitern der Therapien dem Teufel in Gestalt des Alkohols zugeschrieben. Der Blick geht auf den Stoff, statt auf das, was eigentlich wichtig ist. Damit belibt man im gleichen Blickwinkel, wie der Süchtige selbst und kann die Beschrankung darin nciht überwinden.
Ob es angesichts dessen einen Sinn macht, eine andere Sicht hier zu vertreten und andere Erfahrungen kund zu tun, weiß ich noch nicht. Ich werde noch mal drüber nachdenken, versuche es aber hier einmal kurz.
Mit Blick darauf, wie weit es hier momentan gediehen ist, kann ich aber aus der eigenen Erfahrung sagen: Suchtprobleme haben tatsächlich zumeist einen systemischen Hintergrund und ich stimme Pluto zu, dass es sehr oft um die von den Müttern der Süchtigen nicht geachteten Väter geht. Man muss natürlich den Einzelfall anschauen. Nicht zustimmen kann ich bezüglich der unterstellten lebensgeschichtlichen Hintergründe, weil die lediglich ein Symptom der systemischen Verstrickung sind.
Häufigste systemische Dynamik ist dabei: "Mama, ich nehme nur von Dir (und niemals vom Vater)....bis ich daran sterbe."
Weiterhin scheint mir bemerkenswert: ab einem bestimmten Grad der Sucht entwickeln die Betroffenen häufig eine Persönlichkeitsspaltung in einen "trockenen" und einen "nassen" Teil, die aber eher eine Folge der Sucht und ihrer Bewältigungsmechanismen ist. Zumeist kommt der "trockene" Teil in die Therapie, die in Folge der gängigen Glaubenssysteme (v.a. jenes, dass ein ökologischer Umgang mit Alkohol nicht möglich sei) dann auch nur mit dem "trockenen" Anteil arbeitet (und arbeiten kann). Dieser braucht aber gar keine Therapie in Bezug auf Alkohol. Thies Stahl hat bereits in den 70er Jahren darauf verwiesen, dass es zunächst sinnvoll sei, die beiden Persönlichkeitsanteile wieder zusammen zu bringen, bevor man überhaupt therapeutisch wirksam sein könne. (s.a. "Triffst du nen Frosch unterwegs")
Ich halte zudem die These, dass Sucht per se etwas mit Suchen zu tun hätte für irre führend. Orale Sucht hat meist (!) mit übermäßigem Nehmen von der Mutter zu tun. Ist dies der Fall, ist es für Süchtige m.E. absolut kontraindiziert, mit Frauen (ebenso wie in langfristigen "therapeutischen Beziehungen", die denen zur Mutter ähneln) zu arbeiten, da dies ein weiteres "Nehmen vom Weiblichen" (im Fall der therapeutischen Beziehung auch über einen Mann, da der sich an Stelle der Mutter setzt und meist "besser" sein will aber oft mit der mutter des Betroffenen gegen den Vater gemeinsame Sache macht) darstellt, was das Problem nur verstärkt.
Und noch was in aller Kürze: nach meiner Einschätzung und auch Beispielen, die ich erlebt habe, ist es sehr wohl möglich, dass jemand, der sich zuvor süchtig verhalten hat, nach Lösung der Hintergrundverstrickungen und ggf. Verschmelzung der getrennten Anteile sowie Lernprozessen, die die Ankerwirkung von Alkohol auslöschen und ihm wieder auch alkoholfreie Alternativen zur Benutzung von Alkohol eröffnen, die genauso unbewusst und automatisch funktionikeren, wie die Nutzung von Alkohol; hernach durchaus ökologisch mit Alkohol umgehen und ihn wieder auf der Genussebene nutzen kann. Ich spreche hier ganz bewusst nicht von "kontrolliertem" Umgang mit Alkohol (i.S. des derzeit populären Modells des "kontrollierten Trinkens" nach z.B. Prof. Dr. Körkel), denn das ist ein Modell, das die Verteufelung von Alkohol nicht in Frage stellt und zudem davon ausgeht, dass Abläufe, die eigentlich unbewusst gesteuert werden, durch bewusste Kontrolle in den Griff zu bekommen wären. Hier habe ich arge Zweifel ob das überhaupt Sinn macht.
So weit erst einmal...
A.