...............Wir groß ist der Eisberg der Gewalt?
Bis heute gibt es leider keine international anerkannten Definitionen und Methoden, um die Verbreitung von Kindesmisshandlungen zu erfassen. Trotzdem ist klar: Kindestötungen sind die Spitze eines Eisbergs der Gewalt.
Einige nationale Untersuchungen in den OECD-Ländern verdeutlichen dies:
o Eine Untersuchung in Australien ergab, dass in den Jahren 1999 bis 2000 auf jeden Fall von Kindestötungen 150 belegte Fälle von nicht-tödlichen Misshandlungen kamen.
o Eine Studie aus Frankreich aus dem Jahr 2000 geht von einem Verhältnis 1 zu 300 aus.
o Eine Studie aus Kanada (2001) nennt sogar eine Relation von 1 zu 1.000. Wenn man nicht nur die belegten/erwiesenen Fälle von Misshandlungen sondern auch die berichteten/angezeigten zu Grunde legt, sind die Zahlen nochmals deutlich höher.
o In den USA wurden beispielsweise 1996 1.400 Kindestötungen erfasst gegenüber drei Millionen angezeigten Fällen von nicht-tödlicher Misshandlung. In einigen Ländern versucht man, das Phänomen durch repräsentative Befragungen junger Erwachsener zu erfassen.
o In England (2000) ergaben Interviews mit 3.000 18- bis 24Jährigen, dass rund sieben Prozent von ihnen schwere körperliche Misshandlungen erlebt hatten wie regelmässige Schläge, deren körperlichen Folgen noch am nächsten Tag spürbar waren.
o Ein Viertel der Befragten gab an, minderschweren Misshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein, die den normalen Umgang von Familienmitgliedern eindeutig verletzt hatten. So erschreckend die Ergebnisse solcher Befragungen sind, geben sie doch nur die halbe Wahrheit wieder. Denn man muss davon ausgehen, dass viele ehemalige Gewaltopfer nicht über ihre Erfahrungen in der frühen Kindheit sprechen können oder wollen.
o Von den in England befragten jungen Erwachsenen, die von den Forschern als schwer misshandelt eingestuft wurden, gaben weniger als die Hälfte dies zu.
o Von denen, die gelegentlich misshandelt wurden, beschrieben sich weniger als 10 Prozent als misshandelt, auch wenn alle von Handlungen sprachen die sie als niemals gerechtfertigt ansahen.
o Eine Befragung von 10.000 Erwachsenen in den USA (1994) ergab, das 40 Prozent von denen, die als Kinder nach körperlichen Misshandlungen ein oder zwei Mal medizinische behandelt wurden, sich selbst nicht als misshandelt einstuften.
Die Beispiele zeigen: Die Tatsache, dass die Gewalt von denen kommt, denen die Kinder vertrauen und von denen sie abhängig sind, ist schwer zu verarbeiten. Vermutlich versuchen sie aus Selbstschutz diese als normal, gerechtfertigt oder notwendig anzusehen. Viele Kinder suchen die Schuld zuerst bei sich selbst und nicht beim Erwachsenen. Dies erklärt auch das häufig sehr niedrige Selbstvertrauen von Menschen, die in ihrer Kindheit misshandelt wurden.
Die zitierte englische Untersuchung unterscheidet auch nochmals zwischen Strafen (Punishment) und Misshandlungen (Abuse), um zu prüfen, ob erstere eine Tendenz haben, zu eskalieren.
o Wie erwartet, kommen schwere Misshandlungen dort besonders häufig vor, wo auch leichtere körperliche Gewalt an der Tagesordnung sind auch wenn diese nicht überall zu schweren Misshandlungen eskalieren.
o Es gibt also offensichtlich einen Unterschied zwischen Eltern, die körperliche Strafen gelegentlich einsetzen und solchen, die regelmäßig hart zuschlagen. Mit anderen Worten: Die Eltern die oft schlagen, schlagen am härtesten.
Welche Faktoren führen zu Kindesmisshandlungen?
Die UNICEF-Studie wertet auch die internationalen Daten und Interpretationen zu den entscheidenden Einflussfaktoren für Kindesmisshandlungen aus. Danach sind die Schlüsselfaktoren Alkohol- und Drogenmissbrauch, Gewalt (zwischen Erwachsenen) in den Familien sowie Armut und Stress.
Alkohol- und Drogenmissbrauch
Dies ist besonders in den USA ein Problem, wo schätzungsweise acht Millionen Kinder in Familien leben, in denen einer oder beide Elternteile Drogen nehmen und wo jedes 20. Baby bereits im Mutterleib den Auswirkungen von Drogen und Alkohol ausgesetzt ist.
o Bei einer Befragung von Sozialarbeitern in den USA sagten 80 Prozent, dass die Hälfte aller Fälle von Kindesmisshandlungen mit Alkohol- und Drogenkonsum zusammenhängt.
o Abhängige Eltern sind häufig auf die Beschaffung von Alkohol und Drogen konzentriert und vernachlässigen dadurch ihre Kinder körperlich und seelisch. Viele haben ein niedriges Selbstwertgefühl, geringe Frustrationstoleranz und verlieren schneller die Selbstkontrolle.
Gewalt in der Familie
Wo Kinder geschlagen werden, ist häufig auch Gewalt unter Erwachsenen an der Tagesordnung. Eine Studie aus Deutschland (1998) dokumentierte den Zusammenhang von selbst erfahrener Gewalt und beobachteter Gewalt von Kindern in ihren Familien. Dabei zeigte sich, dass die Kinder, die gelegentlich oder regelmäßig Zeuge von Gewalttätigkeiten zwischen Familienangehörigen wurden, auch selbst deutlich häufiger Misshandlungen ausgesetzt waren.
o Von den Kindern die oft Zeuge von Gewalt wurden, mussten fast 20 Prozent selbst schwere Misshandlungen erdulden.
o Allerdings stellte die Studie auch fest, dass auch in Familien, in denen Kinder niemals Gewaltausbrüche zwischen den Eltern erlebt haben, über sieben Prozent gelegentlich geschlagen wurden (experienced some physical abuse). (Fig. 10 S. 17).
Insgesamt ergab ein internationaler Vergleich der Statistiken, dass 40 bis 70 Prozent der Männer, die körperliche Gewalt gegenüber ihrer Partnerin anwenden, auch ihre Kinder körperlich misshandeln. Und schätzungsweise 50 Prozent der Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden, tun dies auch bei ihren Kindern. Studien aus Australien, den USA und Kanada zeigen, dass das Risiko für Kinder besonders groß ist, wenn sie nur noch von einem Elternteil aufgezogen werden. Hier spielen vor allem Armut, Stress und Isolation eine entscheidende Rolle. Allerdings muss festgehalten werden, dass die misshandelnde Person oftmals nicht der verbliebene Elternteil ist.
Armut und Stress
Verschiedene Untersuchungen belegen auch den Zusammenhang von Misshandlung und Armut.
o Nach einer Untersuchung in den USA (1993) war die Wahrscheinlichkeit für Kindesmisshandlung in Familien mit einem Einkommen unter 15.000 Dollar pro Jahr doppelt so hoch wie bei Familien, die über 15.000 bis 29.000 Dollar verfügten. Ein aktueller Bericht der schwedischen Regierung kommt zu ähnlichen Aussagen. Klar ist auch, dass Misshandlungen bei Kindern eindeutig mit Stress auf Seiten der Eltern verbunden sind.
o Eine umfangreiche kanadische Untersuchung von über 7.600 Misshandlungsfällen ergab, dass zwei Drittel davon mit Stress zusammenhingen. In einem Viertel der Fälle gab es keinerlei soziale Unterstützung. Bei einem weiteren Viertel waren die Eltern selbst in ihrer Kindheit misshandelt worden. Je 20 Prozent hingen mit Drogenmissbrauch und psychischen Problemen zusammen.
Die Folgen von körperlichen Misshandlungen für Kinder
Die Aufzählung der mit Kindesmisshandlung verbundenen negativen Einflussfaktoren zeigt, wie vielfältig die Benachteiligungen für die betroffenen Kinder sind. Unabhängig von den unmittelbaren Schmerzen und langfristigen körperlichen Folgen wird die gesamte Entwicklung der Kinder beeinträchtigt: ihre Fähigkeit zu lernen und zu kommunizieren, Vertrauen zu entwickeln, Beziehungen einzugehen und mit anderen normal umzugehen. Misshandlungen haben häufig Ängste, Depressionen, Aggressionen und ein vermindertes Selbstwertgefühl zur Folge. Sie führen oft zu schweren seelischen Schäden und Verhaltensproblemen. Langfristig sind oftmals Passivität, Rauchen, Alkoholismus, Drogenkonsum,
sexuelles Risikoverhalten und sogar Selbstmord die Folge. Einer der führenden amerikanischen Forscher auf dem Gebiet, Neil Guterman, nennt Kindesmisshandlungen das zerstörerischste und teuerste soziale Problem unserer Tage.
Prävention
In den meisten Industrieländern ist das Bewusstsein für die individuellen und gesellschaftlichen Folgen von Kindesmisshandlungen in den vergangenen Jahren gewachsen. Es gibt in vielen Ländern, aber auch in Städten und Gemeinden, Kinderbeauftragte. Vielerorts wurden Sorgentelefone für Kinder eingerichtet. Hausbesuche gehören zum festen Bestandteil der Arbeit der Jugendämter und Sozialbehörden. Auch werden bedrohte Kinder heute besser beobachtet. Und die Medien berichten immer wieder über das Thema konzentrieren sich aber oft
auf spektakuläre Einzelfälle. Viele Regierungen haben gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen Kampagnen zur gewaltfreien Erziehung gestartet. Auch der Europarat hat eine entsprechende Initiative begonnen.
Die Studie nennt als wichtige Maßnahmen gegen Kindesmisshandlung:
o Bewusstsein schaffen: In der Öffentlichkeit und in den Medien muss das Bewusstsein für die alltägliche Gewalt, der Kinder ausgesetzt sind, gestärkt werden. Die Aufmerksamkeit darf nicht bei den schockierenden Extremfällen stehen bleiben.
o Die Ausbildung von Sozialarbeitern und Mitarbeitern der Jugendhilfe ist von großer Bedeutung, um bedrohte Kinder zu identifizieren. Hausbesuche bei Risiko-Familien und Beratungsangebote für junge Familien sind wichtig. Dazu müssen ausreichende personelle Kapazitäten vorhanden sein.
o Armutsbekämpfung
o Kultur der Gewaltlosigkeit: Es muss ein gesellschaftliches Klima geschaffen werden, dass jegliche Gewalt gegen Kinder ächtet. Es muss klar sein, dass jeder Versuch von Erwachsenen, Kindern gewaltsam ihren Willen aufzuzwingen oder ihre Frustration an ihnen abzulassen, unakzeptabel ist.
Kampagne zum Verbot und Ächtung von Gewalt in der Erziehung
Eine Kultur der Gewaltlosigkeit ist das Ziel einer internationalen Bewegung gegen Gewalt in der Erziehung. Neben Aufklärung, Beratung und Hilfsangeboten für Familien setzt sich diese besonders für ein Verbot der Prügelstrafe ein. Auf diesem Wege sollen die Grundeinstellungen der Bevölkerung zu Kindern verändert werden. Wie sehr die Einstellung Ein bisschen Schlagen schadet doch nicht nach wie vor verbreitet ist, zeigen Untersuchungen aus England und den USA:
o Eine Untersuchung in England zeigte Mitte der 90er Jahre, dass 97 Prozent der Ein bis Vierjährigen gelegentlich geschlagen wurden, die Hälfte von ihnen einmal in der Woche.
o Eine ähnliche Studie in den USA (2.000) ergab, dass bei 94 Prozent der Kinder zwischen ein und vier Jahren Ohrfeigen und Schläge zur Erziehung dazu gehörten.
o Zwei Drittel der Mütter in England gaben zu, dass sie ihren Kindern vor dem ersten Lebensjahr eine Ohrfeige gaben. Ein Viertel der Kinder wurde regelmäßig mit Riemen oder Stöcken geschlagen. Gegen die Tolerierung der Prügelstrafe
o Schlagen ist eine Verletzung der Menschenrechte. Es ist nicht nachzuvollziehen, warum eine Gesellschaft, die körperliche Gewalt zwischen Erwachsenen verbietet, Gewalt von Erwachsenen gegenüber Kindern tolerieren sollte. Das UN-Komitee für die Rechte des Kindes betont: Gewalt gegen Kinder ist unter allen Umständen unakzeptabel.
o Auch leichte Schläge können zu schweren Misshandlungen eskalieren. In Familien, in denen es normal ist, Kinder zu schlagen, wird auch immer härter zugeschlagen. Die einzige Chance, schwere Misshandlungen zu verhindern, besteht darin, bereits leichte Formen der Gewalt gegen Kinder zu ächten und zu unterbinden.
o Schläge wirken sich auf jeden Fall auf die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder aus ob sie nun leicht oder schwer sind. Allerdings lässt sich der Zusammenhang zwischen leichten und schweren Misshandlungen sowie späteren sozialen und psychischen Problemen der Kinder bis heute nicht eindeutig empirisch beweisen. Allerdings ist es auch erst ein paar Jahrzehnte her, dass es Männern in den Industrieländern verboten wurde, ihre Frauen zu schlagen. Eine Entscheidung, die auch ohne wissenschaftlichen Nachweis der schädlichen Folgen dieser Praxis zu Stande kam.
o Gewalttätige Erziehungsmittel lehren das falsche Modell für die Lösung von Konflikten. Prügeln ist die effektivste Schule für gewalttätiges Verhalten. Interessanterweise ist einer der Hauptgründe, weshalb Eltern ihre Kinder schlagen, die Tatsache, dass diese selbst jemanden geschlagen haben. Die Paradoxie der Botschaft für das Kind ist offensichtlich: Es ist falsch andere zu schlagen. Um mir dies zu sagen, habe ich eine Ohrfeige bekommen.
Gesetze und ihre Auswirkungen
Bisher haben sieben OECD-Länder explizite Gesetze zum Verbot der Prügelstrafe erlassen: Dänemark, Deutschland, Island, Finnland, Norwegen, Österreich und Schweden. In den USA hat einzig der Bundesstaat Minnesota ein ähnliches Gesetz verabschiedet.
In Schweden wurden die Prügelstrafe und inhumane Erziehungsmittel bereits 1979 verboten.
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Bis heute gibt es leider keine international anerkannten Definitionen und Methoden, um die Verbreitung von Kindesmisshandlungen zu erfassen. Trotzdem ist klar: Kindestötungen sind die Spitze eines Eisbergs der Gewalt.
Einige nationale Untersuchungen in den OECD-Ländern verdeutlichen dies:
o Eine Untersuchung in Australien ergab, dass in den Jahren 1999 bis 2000 auf jeden Fall von Kindestötungen 150 belegte Fälle von nicht-tödlichen Misshandlungen kamen.
o Eine Studie aus Frankreich aus dem Jahr 2000 geht von einem Verhältnis 1 zu 300 aus.
o Eine Studie aus Kanada (2001) nennt sogar eine Relation von 1 zu 1.000. Wenn man nicht nur die belegten/erwiesenen Fälle von Misshandlungen sondern auch die berichteten/angezeigten zu Grunde legt, sind die Zahlen nochmals deutlich höher.
o In den USA wurden beispielsweise 1996 1.400 Kindestötungen erfasst gegenüber drei Millionen angezeigten Fällen von nicht-tödlicher Misshandlung. In einigen Ländern versucht man, das Phänomen durch repräsentative Befragungen junger Erwachsener zu erfassen.
o In England (2000) ergaben Interviews mit 3.000 18- bis 24Jährigen, dass rund sieben Prozent von ihnen schwere körperliche Misshandlungen erlebt hatten wie regelmässige Schläge, deren körperlichen Folgen noch am nächsten Tag spürbar waren.
o Ein Viertel der Befragten gab an, minderschweren Misshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein, die den normalen Umgang von Familienmitgliedern eindeutig verletzt hatten. So erschreckend die Ergebnisse solcher Befragungen sind, geben sie doch nur die halbe Wahrheit wieder. Denn man muss davon ausgehen, dass viele ehemalige Gewaltopfer nicht über ihre Erfahrungen in der frühen Kindheit sprechen können oder wollen.
o Von den in England befragten jungen Erwachsenen, die von den Forschern als schwer misshandelt eingestuft wurden, gaben weniger als die Hälfte dies zu.
o Von denen, die gelegentlich misshandelt wurden, beschrieben sich weniger als 10 Prozent als misshandelt, auch wenn alle von Handlungen sprachen die sie als niemals gerechtfertigt ansahen.
o Eine Befragung von 10.000 Erwachsenen in den USA (1994) ergab, das 40 Prozent von denen, die als Kinder nach körperlichen Misshandlungen ein oder zwei Mal medizinische behandelt wurden, sich selbst nicht als misshandelt einstuften.
Die Beispiele zeigen: Die Tatsache, dass die Gewalt von denen kommt, denen die Kinder vertrauen und von denen sie abhängig sind, ist schwer zu verarbeiten. Vermutlich versuchen sie aus Selbstschutz diese als normal, gerechtfertigt oder notwendig anzusehen. Viele Kinder suchen die Schuld zuerst bei sich selbst und nicht beim Erwachsenen. Dies erklärt auch das häufig sehr niedrige Selbstvertrauen von Menschen, die in ihrer Kindheit misshandelt wurden.
Die zitierte englische Untersuchung unterscheidet auch nochmals zwischen Strafen (Punishment) und Misshandlungen (Abuse), um zu prüfen, ob erstere eine Tendenz haben, zu eskalieren.
o Wie erwartet, kommen schwere Misshandlungen dort besonders häufig vor, wo auch leichtere körperliche Gewalt an der Tagesordnung sind auch wenn diese nicht überall zu schweren Misshandlungen eskalieren.
o Es gibt also offensichtlich einen Unterschied zwischen Eltern, die körperliche Strafen gelegentlich einsetzen und solchen, die regelmäßig hart zuschlagen. Mit anderen Worten: Die Eltern die oft schlagen, schlagen am härtesten.
Welche Faktoren führen zu Kindesmisshandlungen?
Die UNICEF-Studie wertet auch die internationalen Daten und Interpretationen zu den entscheidenden Einflussfaktoren für Kindesmisshandlungen aus. Danach sind die Schlüsselfaktoren Alkohol- und Drogenmissbrauch, Gewalt (zwischen Erwachsenen) in den Familien sowie Armut und Stress.
Alkohol- und Drogenmissbrauch
Dies ist besonders in den USA ein Problem, wo schätzungsweise acht Millionen Kinder in Familien leben, in denen einer oder beide Elternteile Drogen nehmen und wo jedes 20. Baby bereits im Mutterleib den Auswirkungen von Drogen und Alkohol ausgesetzt ist.
o Bei einer Befragung von Sozialarbeitern in den USA sagten 80 Prozent, dass die Hälfte aller Fälle von Kindesmisshandlungen mit Alkohol- und Drogenkonsum zusammenhängt.
o Abhängige Eltern sind häufig auf die Beschaffung von Alkohol und Drogen konzentriert und vernachlässigen dadurch ihre Kinder körperlich und seelisch. Viele haben ein niedriges Selbstwertgefühl, geringe Frustrationstoleranz und verlieren schneller die Selbstkontrolle.
Gewalt in der Familie
Wo Kinder geschlagen werden, ist häufig auch Gewalt unter Erwachsenen an der Tagesordnung. Eine Studie aus Deutschland (1998) dokumentierte den Zusammenhang von selbst erfahrener Gewalt und beobachteter Gewalt von Kindern in ihren Familien. Dabei zeigte sich, dass die Kinder, die gelegentlich oder regelmäßig Zeuge von Gewalttätigkeiten zwischen Familienangehörigen wurden, auch selbst deutlich häufiger Misshandlungen ausgesetzt waren.
o Von den Kindern die oft Zeuge von Gewalt wurden, mussten fast 20 Prozent selbst schwere Misshandlungen erdulden.
o Allerdings stellte die Studie auch fest, dass auch in Familien, in denen Kinder niemals Gewaltausbrüche zwischen den Eltern erlebt haben, über sieben Prozent gelegentlich geschlagen wurden (experienced some physical abuse). (Fig. 10 S. 17).
Insgesamt ergab ein internationaler Vergleich der Statistiken, dass 40 bis 70 Prozent der Männer, die körperliche Gewalt gegenüber ihrer Partnerin anwenden, auch ihre Kinder körperlich misshandeln. Und schätzungsweise 50 Prozent der Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden, tun dies auch bei ihren Kindern. Studien aus Australien, den USA und Kanada zeigen, dass das Risiko für Kinder besonders groß ist, wenn sie nur noch von einem Elternteil aufgezogen werden. Hier spielen vor allem Armut, Stress und Isolation eine entscheidende Rolle. Allerdings muss festgehalten werden, dass die misshandelnde Person oftmals nicht der verbliebene Elternteil ist.
Armut und Stress
Verschiedene Untersuchungen belegen auch den Zusammenhang von Misshandlung und Armut.
o Nach einer Untersuchung in den USA (1993) war die Wahrscheinlichkeit für Kindesmisshandlung in Familien mit einem Einkommen unter 15.000 Dollar pro Jahr doppelt so hoch wie bei Familien, die über 15.000 bis 29.000 Dollar verfügten. Ein aktueller Bericht der schwedischen Regierung kommt zu ähnlichen Aussagen. Klar ist auch, dass Misshandlungen bei Kindern eindeutig mit Stress auf Seiten der Eltern verbunden sind.
o Eine umfangreiche kanadische Untersuchung von über 7.600 Misshandlungsfällen ergab, dass zwei Drittel davon mit Stress zusammenhingen. In einem Viertel der Fälle gab es keinerlei soziale Unterstützung. Bei einem weiteren Viertel waren die Eltern selbst in ihrer Kindheit misshandelt worden. Je 20 Prozent hingen mit Drogenmissbrauch und psychischen Problemen zusammen.
Die Folgen von körperlichen Misshandlungen für Kinder
Die Aufzählung der mit Kindesmisshandlung verbundenen negativen Einflussfaktoren zeigt, wie vielfältig die Benachteiligungen für die betroffenen Kinder sind. Unabhängig von den unmittelbaren Schmerzen und langfristigen körperlichen Folgen wird die gesamte Entwicklung der Kinder beeinträchtigt: ihre Fähigkeit zu lernen und zu kommunizieren, Vertrauen zu entwickeln, Beziehungen einzugehen und mit anderen normal umzugehen. Misshandlungen haben häufig Ängste, Depressionen, Aggressionen und ein vermindertes Selbstwertgefühl zur Folge. Sie führen oft zu schweren seelischen Schäden und Verhaltensproblemen. Langfristig sind oftmals Passivität, Rauchen, Alkoholismus, Drogenkonsum,
sexuelles Risikoverhalten und sogar Selbstmord die Folge. Einer der führenden amerikanischen Forscher auf dem Gebiet, Neil Guterman, nennt Kindesmisshandlungen das zerstörerischste und teuerste soziale Problem unserer Tage.
Prävention
In den meisten Industrieländern ist das Bewusstsein für die individuellen und gesellschaftlichen Folgen von Kindesmisshandlungen in den vergangenen Jahren gewachsen. Es gibt in vielen Ländern, aber auch in Städten und Gemeinden, Kinderbeauftragte. Vielerorts wurden Sorgentelefone für Kinder eingerichtet. Hausbesuche gehören zum festen Bestandteil der Arbeit der Jugendämter und Sozialbehörden. Auch werden bedrohte Kinder heute besser beobachtet. Und die Medien berichten immer wieder über das Thema konzentrieren sich aber oft
auf spektakuläre Einzelfälle. Viele Regierungen haben gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen Kampagnen zur gewaltfreien Erziehung gestartet. Auch der Europarat hat eine entsprechende Initiative begonnen.
Die Studie nennt als wichtige Maßnahmen gegen Kindesmisshandlung:
o Bewusstsein schaffen: In der Öffentlichkeit und in den Medien muss das Bewusstsein für die alltägliche Gewalt, der Kinder ausgesetzt sind, gestärkt werden. Die Aufmerksamkeit darf nicht bei den schockierenden Extremfällen stehen bleiben.
o Die Ausbildung von Sozialarbeitern und Mitarbeitern der Jugendhilfe ist von großer Bedeutung, um bedrohte Kinder zu identifizieren. Hausbesuche bei Risiko-Familien und Beratungsangebote für junge Familien sind wichtig. Dazu müssen ausreichende personelle Kapazitäten vorhanden sein.
o Armutsbekämpfung
o Kultur der Gewaltlosigkeit: Es muss ein gesellschaftliches Klima geschaffen werden, dass jegliche Gewalt gegen Kinder ächtet. Es muss klar sein, dass jeder Versuch von Erwachsenen, Kindern gewaltsam ihren Willen aufzuzwingen oder ihre Frustration an ihnen abzulassen, unakzeptabel ist.
Kampagne zum Verbot und Ächtung von Gewalt in der Erziehung
Eine Kultur der Gewaltlosigkeit ist das Ziel einer internationalen Bewegung gegen Gewalt in der Erziehung. Neben Aufklärung, Beratung und Hilfsangeboten für Familien setzt sich diese besonders für ein Verbot der Prügelstrafe ein. Auf diesem Wege sollen die Grundeinstellungen der Bevölkerung zu Kindern verändert werden. Wie sehr die Einstellung Ein bisschen Schlagen schadet doch nicht nach wie vor verbreitet ist, zeigen Untersuchungen aus England und den USA:
o Eine Untersuchung in England zeigte Mitte der 90er Jahre, dass 97 Prozent der Ein bis Vierjährigen gelegentlich geschlagen wurden, die Hälfte von ihnen einmal in der Woche.
o Eine ähnliche Studie in den USA (2.000) ergab, dass bei 94 Prozent der Kinder zwischen ein und vier Jahren Ohrfeigen und Schläge zur Erziehung dazu gehörten.
o Zwei Drittel der Mütter in England gaben zu, dass sie ihren Kindern vor dem ersten Lebensjahr eine Ohrfeige gaben. Ein Viertel der Kinder wurde regelmäßig mit Riemen oder Stöcken geschlagen. Gegen die Tolerierung der Prügelstrafe
o Schlagen ist eine Verletzung der Menschenrechte. Es ist nicht nachzuvollziehen, warum eine Gesellschaft, die körperliche Gewalt zwischen Erwachsenen verbietet, Gewalt von Erwachsenen gegenüber Kindern tolerieren sollte. Das UN-Komitee für die Rechte des Kindes betont: Gewalt gegen Kinder ist unter allen Umständen unakzeptabel.
o Auch leichte Schläge können zu schweren Misshandlungen eskalieren. In Familien, in denen es normal ist, Kinder zu schlagen, wird auch immer härter zugeschlagen. Die einzige Chance, schwere Misshandlungen zu verhindern, besteht darin, bereits leichte Formen der Gewalt gegen Kinder zu ächten und zu unterbinden.
o Schläge wirken sich auf jeden Fall auf die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder aus ob sie nun leicht oder schwer sind. Allerdings lässt sich der Zusammenhang zwischen leichten und schweren Misshandlungen sowie späteren sozialen und psychischen Problemen der Kinder bis heute nicht eindeutig empirisch beweisen. Allerdings ist es auch erst ein paar Jahrzehnte her, dass es Männern in den Industrieländern verboten wurde, ihre Frauen zu schlagen. Eine Entscheidung, die auch ohne wissenschaftlichen Nachweis der schädlichen Folgen dieser Praxis zu Stande kam.
o Gewalttätige Erziehungsmittel lehren das falsche Modell für die Lösung von Konflikten. Prügeln ist die effektivste Schule für gewalttätiges Verhalten. Interessanterweise ist einer der Hauptgründe, weshalb Eltern ihre Kinder schlagen, die Tatsache, dass diese selbst jemanden geschlagen haben. Die Paradoxie der Botschaft für das Kind ist offensichtlich: Es ist falsch andere zu schlagen. Um mir dies zu sagen, habe ich eine Ohrfeige bekommen.
Gesetze und ihre Auswirkungen
Bisher haben sieben OECD-Länder explizite Gesetze zum Verbot der Prügelstrafe erlassen: Dänemark, Deutschland, Island, Finnland, Norwegen, Österreich und Schweden. In den USA hat einzig der Bundesstaat Minnesota ein ähnliches Gesetz verabschiedet.
In Schweden wurden die Prügelstrafe und inhumane Erziehungsmittel bereits 1979 verboten.
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