Wollen diese Menschen wirklich nicht ent-illusioniert werden? Sich für etwas "nicht" zu Entscheiden würde ja bedeuten, dass man sich dessen bewusst ist. Ich kann jetzt nur für mich sprechen, aber die Ent-Illusionierung war bei mir nie eine bewusste Entscheidung dafür oder dagegen. Plötzlich habe ich es erkannt. Könnte ja auch so eine Art Gnade sein? Ich glaube Schopenhauer hat mal sinngemäß gesagt: der Mensch kann tun was er will, aber er kann nicht wollen was er will, bzw. er kann nicht bestimmen was er will oder nicht will.
Ich habe jetzt eine Weile darüber nachgedacht.
Ob diese Menschen tatsächlich nicht können oder nicht wollen, das weiß ich nicht.
Ich kann dir ein persönliches Beispiel nennen, bei dem ich mich auch anders hätte entscheiden können.
Mit 28 (Saturn-Wiederkehr) entschied ich mich für eine Psychotherapie.
Nachdem ich dem Therapeuten meine Geschichte erzählte, meinte dieser: „Ok und wo war ihre Mutter zu der Zeit?“ Dann habe ich begonnen sie zu verteidigen, ich hatte sie damals extrem idealisiert, sie war mein Ein und Alles und ich habe sie in den Himmel gelobt.
Sie war meine Heilige, unantastbar. Mond-Neptun im Trigon zu Saturn. Dieses Bild war äußert stabil. Ich brauchte wohl die Saturn-Wiederkehr und zu der Zeit lief auch Pluto bei mir über 12, um überhaupt den Mut aufzubringen, da mal genauer hin zu sehen.
Ich wollte in meiner Jugend immer von zuhause abhauen, konnte es aber nicht, weil ich meine Mutter nicht mit diesem bösen Mann alleine lassen wollte.
Nun aber meiner Mutter eine Mitschuld zu geben, hätte ja bedeutet, dass ich das alles umsonst getan habe.
Die erste Stunde bei meinem Therapeuten verging und ich war kein Stück weiter.
Ich habe mich aber trotzdem entschieden weiter zu machen.
Meine psychische Lage war prekär, ich hatte kurz zuvor mein 2. Kind bekommen und ich wollte da unbedingt raus.
Bei der nächsten Sitzung meinte er dann: „Ich sage es ihnen nun ganz ehrlich, wenn wir hier weitermachen wird sich ihre Beziehung zu ihrer Mutter verändern. Es kann passieren, dass sie gemeinsam auf eine neue Ebene kommen. Es kann aber ebenso gut sein, dass die Beziehung dann zerbricht.
Also, wo war ihre Mutter in der Zeit, in der sie sie am meisten gebraucht hätten?“
Ich wieder meine arme, unschuldige Mutter verteidigt. Dieses Bild in meinem Kopf, das mich als Kind vermutlich gerettet hat, ich wollte es nicht aufgeben.
Meine Mutter half mir dann selbst. Sie kam und fragte mich was mein Therapeut denn so sagen würde und daraufhin meinte ich: „Er hat mich gefragt, wo du warst in der Zeit.“
Sie sah mich sichtlich geschockt an, stand auf und fuhr nach Hause. Sie hatte auch einen Partner, der dann mit ihr über den Therapeuten schimpfte, „der absichtlich Familien zerstört.“
Dann hatte ich die 3. Sitzung. Und erzählte meinem Therapeuten von dem Vorfall. Und wie traurig es mich machte, dass meine Mutter einfach aufstand und heim fuhr und mir damit ganz offensichtlich suggerierte, dass sie nichts damit zu tun haben will und dass sie auch nicht für mich da sein möchte.
In dieser Sitzung fiel mein Bild von einer heilen Welt, die es nie gab und einer liebevollen Mutter, die nur das Beste für mich will, völlig in sich zusammen.
Da konnte ich erkennen, dass ich nicht erst seit dem letzten Gespräch mit meiner Mutter komplett alleine gelassen wurde, sondern bereits als Kind. Von beiden. Vater und Mutter.
Das Bild das ich bis dahin hatte: Papi pfui, Mami hui löste sich in Luft auf.
Und mir wurde bewusst, dass ich all die Jahre eine Verantwortung und Schuld getragen habe, die mir gar nicht gehörte.
Ich habe ihr „das Päckchen“ dann zurück gegeben. Sie weigert sich bis heute es anzunehmen.
Und das muss sie auch nicht. Es ist ihre Entscheidung, ob ihr ihre „heile Traumwelt“ wichtiger ist, als eine gute Beziehung zu ihrer Tochter.
Ich weiß für mich nur, dass ich nicht zurück kann. Ich kann ihr keinen Heiligenschein mehr aufsetzen. Das ist es aber was sie möchte. In ihrer Welt sind alle anderen schuld, nur sie nicht.
Ich bin sowieso selbst schuld. Mein Vater ist schuld. Ihre Eltern sind schuld. Sie hatte genauso eine bescheidene Kindheit wie ich und ihr Vater war zu ihr auch nicht besser... was alles gelogen ist.
Es ist tatsächlich sogar irgendwie faszinierend, wie sie immer wieder „Ausreden“ erfindet, um ja nicht mal bei sich selbst schauen zu müssen.
Mir geht es auch gar nicht um Schuld, sondern um Einsicht. Darum den Tatsachen einfach ins Gesicht zu sehen und dann darauf etwas Neues aufbauen zu können. Meine Mutter gibt zwar mittlerweile zu, dass sie keine gute Mutter war, erkennt aber nicht, dass es an ihr läge, heute etwas daran zu ändern. Sie hat sich entschieden in ihrer „Scheinwelt, in der sie alles richtig macht“ zu verbleiben und mit jeglicher Auseinandersetzung mit mir bekommt diese einen Knacks. Somit ist es für sie angenehmer mich nicht in ihrem Umkreis zu haben. Ich akzeptiere das, mittlerweile. Da es auch für mich nur ein Anrennen gegen eine unüberwindliche Mauer ist. Was auch mir nicht gut tut. Ich kann sie nicht zwingen, diesen Schritt mit mir zu gehen.
Mein Mond ist Halbsumme von Neptun und Mars. Natürlich habe ich es versucht. Und bin kläglich gescheitert. Mond-Mars ist schon auch irgendwie der Kampf um Liebe, sich Liebe erst verdienen müssen. Das war auch nicht neu für mich. Neu war aber die Einsicht, dass ich um meiner Selbst willen geliebt werden wollte, einfach so, weil Kinder ein Geschenk sind und keine Bürde, so wie ich es ja auch selbst bei meinen Kindern handhabe.
Die Kluft zwischen dem was mir über Erziehung beigebracht wurde und dem was ich für meine Kinder empfand, wurde einfach zu groß. Und der Gedanke „Es wäre besser zu sterben, als meinen Kindern diese meine kranke Psyche anzutun“, hat mich derart schockiert, dass ich gerne zum Therapeuten gegangen bin. Das Ergebnis war der Fall aus allen Wolken, aber ab da war ich eigenständig und konnte mich aus unguten Beziehungen lösen.
Ob sie diesen Schritt nun tatsächlich nicht mit mir gehen kann oder es einfach nicht will, ich weiß es nicht.
Sie hat Lilith in 12 im Trigon zu Mond/MK in 5.
Zudem steht ihr Uranus auf meinen Saturn in 8 und ihr Saturn in 7 auf meinem AC.
Aus meiner Warte hat sie sich derart in ihrer eigenen Schein-Welt verfangen, dass sie den Ausweg nicht mehr findet. Und ich muss einfach akzeptieren, dass ich ihr dabei nicht helfen kann. Denn was für mich offensichtlich eine Scheinwelt ist, ist für sie ihre Realität.
Es hat mir jetzt gut getan, das so zu formulieren.
Diese deine Frage hat mich nun tatsächlich seit gestern beschäftigt. Und das ist nun mein Ergebnis.
Tatsache ist, dass es so viele „Realitäten“ gibt, wie es Menschen gibt.
Und jeder hält seine für richtig...
LG
Stern