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Namo
Guest
by Manfred Becker
Viele Menschen vermissen die Inquisition: Das hatte ja was - diese mittelalterlichen Folterkammern und die tollen Kostüme und man bekam auch was von der Welt zu sehen (wenigsten die Orte, wo man anständige Ketzer finden konnte). Besser noch, Inquisitoren hatten die volle Unterstützung der mittelalterlichen Macht, Adlige, Bischöfe und Päpste, denn die konnten ja das Land und alles Hab und Gut derer konfiszieren, die nicht in ihrem Sinne dachten. Wellen der Angst erschütterten ganze Städte, wenn ein Inquisitor plötzlich stehen blieb und seine Stirn in Falten legte. Denn sie konnten jeden, der nicht ihrer Meinung war, erniedrigen und zerstören. Welcher moderne Beruf kann einem heute schon soviel Befriedigung verschaffen?
Antwort: Erstaunlicherweise die Wissenschaft! Natürlich nicht die echte Wissenschaft - die modernen Inquisitoren würden sich damit nicht beschäftigen. Nein, die modernen Inquisitoren mögen lieber die reduktionistische und mechanistische Wissenschaft. Sie nennen sich natürlich trotzdem Wissenschaftler.
Natürlich können sie nicht wirklich mit echten Wissenschaftlern kommunizieren, denn die gehören ja zu den Leuten, die es anzugreifen gilt, also die freidenkenden Menschen. Aber dafür bekommen sie ja eine Menge neue Freunde aus anderen Bereichen - der fundamentalistischen Religion (die 'Mutter' der Inquisition), der Philosophie, Kognitionspsychologie, der radikalen Politik, Soziologie und der Wirtschaft - he, das wird eine geile Party!
Darüber hinaus beeindruckt die Wissenschaft - eigentlich Pseudowissenschaft, aber wer kennt schon den Unterschied? - die Menschen ungemein. Sie kann einen Feind mit weitaus größerer Autorität ausradieren, als jede andere Disziplin. Alleine das Etikett "unwissenschaftlich" reicht da in den meisten Fällen ja schon aus.
Und: Wissenschaftler werden besser bezahlt (machen mehr Kohle) und werden anderen Ausbildungsgängen gerne vorgezogen, insbesondere in jenen Berufen, die sich für die neuen Inquisitioren anbieten: Inquisitionsmedizin, Inquisitionspsychologie oder Inquisitionsigenieurswissenschaften. Als Wissenschaftler hat man zudem die Medien auf seiner Seite, zumindest natürlich die BILD-Zeitung. Aber das Genialste ist natürlich die vollautomatische finanzielle Unterstützung durch Bund, Länder, Militär und der Wirtschaft. Yep, wer in unserer heutigen Welt nach mittelalterlichen ökonomischen Verhältnissen sucht, kommt an der reduktionistischen mechanistischen Wissenschaft definitiv nicht vorbei!
So mancher wird jetzt bereits mit dem Gedanken spielen selbst Wissenschafts-Inquisitor zu werden und wird sich fragen wieviel Fun ihm dieser zukünftige Job wirklich bringen wird. Über wieviel Macht wird er verfügen? Wieviele Menschen kann man erniedrigen und entwürdigen? Wieviel Elend kann man verbreiten? Und - bei soviel anstrengender Arbeit - wieviel Kohle kann man dafür abzocken? Hier sind die Antworten - in umgekehrter Reihenfolge:
KOHLE
----- Inquisitions-Wissenschaftler zocken so richtig viel Kohle ab! Dabei sind noch nicht die Gelder aus Vorträgen gerechnet, wenn man gut im Schwafeln ist. Hier lassen sich - zusätzlich zu den fetten festen Gehältern - Tausende von Euronen einstreichen, zum Beispiel von Universitäten oder Instituten. Konzerne werden unwiderstehliche Angebote machen um ihre Produkte zu pushen: W.Greider beschreibt in seinem Buch "Wer wird es dem Volk beibringen" wie Consulter deftige Summen an jene "Wissenschaftler" zahlen, die sich bereit erklären, durch ihre "Forschung" die Wirksamkeit und Harmlosigkeit giftiger Produkte ihrer Klientel zu "beweisen". Keine Frage, für den inquisitorischen Wissenschaftler liegt das Geld sozusagen auf der Straße.
ELEND
----- Hier kann man es sich wirklich aussuchen! Man kann giftige Industriechemikalien erfinden, die die Lebensbedingungen auf der ganzen Welt gefährden. Man kann Waffen erfinden, atomare, biologische und chemische Bomben - und auf das Militär zählen, die sie kaufen (und einsetzen) werden. Sogar gegen Zivilisten! Oder man entwickelt Pestizide, die zwar den Schädlingen nichts tun, dafür aber Menschen krank wie ein Hund werden lassen. Apropos Hund: Natürlich kann man einige der 20 Millionen von Hunden, Katzen, Hasen und Affen in völlig unnötigen Experimenten fürs Militär oder die Kosmetik verstümmeln. Und das jedes Jahr! Man kann Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente erfinden, die wenn auch gefährlich, wirkungslos und teuer, so doch sicherlich von der Pharma-Industrie unters Volk gebracht werden.
MACHT UND SCHIKANE
------------------ Im Dienste der Inquisitorischen Weltsicht - Wissenschaft als alles vereinnahmender Omnivor, der alles vernichtet außer seinen eigenen Dogmen (... über alles, über alles in der Welt) - kann man als geachteter Medien-Experte auftreten, als politischer Analyst oder als Consultant für Konzerne. Mehr noch: Als Dozent an Universitäten kann man wunderbar zukünftige Wissenschaftler schikanieren, indem man sie kaum eine Prüfung schaffen läßt, während man ihr geistiges Eigentum stiehlt und selbst veröffentlicht. Falls jemand eine eigene/andere Meinung hat, kann man ihn ja immer noch vor Gericht zerren und ihn auslöschen. Dafür braucht man nur ein wissenschaftliches Gutachten, das ein geneigter Inquisitor-Kollege sicherlich gerne ausstellen wird.
Ebenfalls genial ist es als Inquisitor-Historiker einige echte Wissenschaftler aus der Geschichte der Wissenschaften zu streichen. Zum Beispiel Ernst Haeckel, Rudolf Steiner, Sigmund Freud, Wilhelm Reich oder Nikola Tesla. Ja, das schafft dem Inquisitor-Wissenschaftler erst wirkliche und wahre Befriedigung.
Natürlich kostet es auch etwas, wenn man neuer Inquisitor werden will. Zunächst einmal kostet es das freie Denken. Keine große Sache, klar, man will ja schließlich kein *echter* Wissenschaftler sein. Jedenfalls darf man sich keine eigenen Gedanken machen, man muß sich streng an die Definitionen der Experten halten, der sogenannten Groß-Inquisitoren. Und man darf immer nur das denken, was sie auch denken.
Und man darf sich natürlich keinem Denken öffnen, gegenüber dem sich die Groß-Inquisitoren verschlossen haben. Als wissenschaftlicher Inquisitor darf man keinen geistigen Boden betreten, den die Groß-Inquisitoren verboten haben. Und das gilt für alle wissenschaftlichen Arbeiten der *echten* Wissenschaftler. Wenn zum Beispiel ein echter Wissenschaftler wie Rupert Sheldrake ein Buch mit dem Titel "Das schöpferische Universum" veröffentlicht, das sich mit morphogenetischen Feldern in der Biologie beschäftigt, dann muß man sich streng an die Anweisung des vorgesetzten Groß-Inquisitors halten! In diesem Fall der Herausgeber einer bedeutenden wissenschaftlichen Fachzeitschrift, der ernsthaft vorschlug das Buch zu verbrennen. Wenn aber auf der anderen Seite ein Liebling des Groß-Inquisitors über mehrere hundert Seiten völligen Schwachsinn schwurbelt, dann muß man das Buch bejubeln und in den Himmel loben.
Man darf nie vergessen, daß wir es hier mit Wissenschaftsreligion zu tun haben (Wissenschaftskritiker nennen das Scientismus). Während die restlichen Idioten nach Veränderung, Wachstum oder Entwicklung rufen, ist es der heilige Auftrag des Scientisten echte Wissenschaft mit den Wurzeln auszurotten. Man darf sich nicht von dem Geschwätz Max Plancks beirren lassen, Wissenschaft wäre eine Reise. Nein, der Inquisitor-Wissenschaft weiß, daß Wissenschaft keine Reise ist, sondern vielmehr ein Ziel. Und er hat dieses Ziel erreicht! Alles was er tun muß ist dem Groß-Inquisitor zu gehorchen und alles für wahr zu halten was dieser als Wahrheit darstellt (oh und nicht zu vergessen dem Groß-Inquisitor täglich die Füße zu küssen, sie lieben das!).
Klar, das Problem daran ist die Ehrlichkeit. Die meisten angehenden Inquisitoren werden Schwierigkeiten damit haben Ehrlichkeit vorzutäuschen. Aber keine Panik: Hier ist eine einfache Anleitung in vier Schritten. Erstens gebe man sich völlig der Gehirnwäsche der reduktionistischen mechanistischen Inquisitions-Wissenschaft hin. Zweitens vergesse Logik, stattdessen bezeichne einfach alles was du sagst als "logisch" und zwar so lange bis du selbst dran glaubst. Drittens: Vernichte dein Gefühl. Benutze dieses Wort auf gar keinen Fall (es sei denn du hast dich zu einem Date verabredet). Und viertens - und letztens - steinige sofort jede Idee oder Person, die ausserhalb deiner Kategorien denkt!
Eine gute Übung für angehend Inquisitoren sind Diskussionen in öffentlichen Foren. Natürlich diskutiert man nicht wirklich, sondern bleibt die ganze Zeit in den eigenen Kategorien festgefahren und macht alles, was die anderen sagen, einfach platt. Wenn den anderen dein Verhalten negativ auffällt, ignorierst du einfach ihre Kritik. Natürlich erleichtern virtuelle Foren es auch die anderen herabzuwürdigen. Es ist immens wichtig für den zukünftigen Inquisitor alle anderen Menschen herabzuwürdigen! Falls jemand einen Schulabschluß unterhalb deines eigenen hat, ist das natürlich leichter, diesen Subjekten wird nicht mal die Menschenwürde zuerkannt. Hatte ich schon erwähnt, daß alle Inquisitoren einen Hochschulabschluß vorweisen können müssen? Auf jeden Fall, ohne geht nicht! Obwohl das echte intellektuelle Leistung erfordern mag, soll man hier aber nicht zögern. Die meisten Hochschulen haben sich auf reduktionistische mechanistische Inquisitions-Dogmen spezialisiert. Alles was man braucht ist ein halbwegs gutes Gedächtnis und die Bereitschaft die Füße der Groß-inquisitoren hingebungsvoll zu küssen.
Okay, nehmen wir an, der Hochschulabschluß ist geschafft und die Macht ist mit dir! Dann nichts wie raus und jemanden verfolgen. Egal wen. Man kann bei den eigenen Kindern anfangen. Wenn diese, durch selbständiges Denken und ihre ureigenste Fantasie alternative Welten entdecken, mach' sie fertig! Sie sind ja nur klein und schwach und werden dir nichts tun können. Aber vielleicht werden es einmal mächtige Inquisitoren, die deinen Namen tragen, wenn du schon längst gestorben bist.
Apropos Tod. Der Tod ist ein gutes Thema. Die mechanistische Inquisition glaubt ja fest daran, daß der Tod das absolute Ende des Lebens sei. Mach es deinen Kindern so früh wie nur irgend möglich klar, daß das "wissenschaftlich erwiesen" sei, auch wenn du dir nicht wirklich vorstellen kannst, wie jemand ein absolutes Ende von irgendwas jemals beweisen könnte.
Ein weiteres wichtiges Inquisitor-Dogma ist, daß der Geist sich nur auf das Gehirn beschränkt. Tatsächlich ist dieser Reduktionismus der Schlüssel für jedes wissenschaftliche Inquisitor-Denken, insofern sollte diese Dogma auch auf alles eine Anwendung finden:
Reduziere alle Gedanken auf elektro-chemische Vorgänge im Gehirn. Reduziere alle menschlichen Gefühle auf chemische Vorgänge im Körper. Reduziere jeden freien Willen auf Vermeidungsstrategien für Schmerz und Ausrichtung auf Lustgewinn (hier unbedingt ein ernstes Gesicht aufsetzen - denke daran, du forderst Theologen und Philosophen mit deinen Sprüchen heraus - und die sind ja als ernsthafte Typen weitlich bekannt). Reduziere alle paranormalen Phänomene auf Betrug und Täuschung oder Inquisitor-definierte "erklärbare" Ereignisse, so, daß aus UFOs Sumpflichter, aus ausserirdischen Wesen Crash-Test-Dummies, aus Nah-Tod-Elebnissen drogeninduzierte Halluzinationen und aus jedem Hellseher ein Scharlatan wird.
Klar ist das Reduktionismus - aber ist das nicht geil? Du machst die Welt so klein, daß du selbst der größte Fisch darin bist!
Wann immer du beschließt deine Herrschaft über andere auszuüben, denke fest an die zwei wichtigsten Ziele des Inquisitors: (1) Verschließe deinen eigenen Geist völlig und (2) suche und zerstöre jeden ausserhalb deines Inquisitor-Dogmas! Dein Mantra muß sein: Alles Denken ist gefährlich solange es sich nicht innerhalb des Inquisitor-Denkens befindet!
Das war 's schon im Großen und Ganzen - deine Verfolgungsmethoden müssen jederzeit scharf und präzise sein, deine beste und schärfste Waffe heißt hier "Beweis". Nein, ihr Anfänger, ihr müßt natürlich nicht alles beweisen! Beweis und Schönheit sind doch reine Ansichtssache. Alles kann bewiesen werden oder auch nicht, also macht euch da mal keine Gedanken.
Aber ihr müßt laufend über Beweise reden und diese von anderen fordern. Erinnert die Leute laufend daran, daß dieses und jenes bewiesen sei oder wenigstens das Gegenteil als Beweis vorläge - ob das nun der Wahrheit entspricht oder nicht ist egal. Und falls die Haß-Liste der Inquisitoren - echter wissenschaftlicher Fortschritt, Metaphysik, Religion, Parapsychologie - für euch nichts mehr hergibt, dann macht euch über den Rest her (es gibt ja noch Politik).
Oh, und noch was, es wird sicherlich Menschen geben, die euch herzlos, langweilig und engstirnig nennen werden. Da die meisten von denen aber genau jene Subjekte sein werden, die es zu eliminieren gilt, zählen die nicht. Einige wenig davon werden wahrscheinlich sogar neutral sein, möglicherweise aus eurer Familie oder eurem Freundeskreis. Sie mögen vielleicht so weit gehen von euch zu verlangen euch zu (pfui!) verändern.
Falls dies geschehen sollte, dann wißt ihr, wie sich Julius Cäsar in diesem Theaterstück (ihr wißt schon von wem) fühlte. Überall Brutusse! Ja, das mag das bißchen eurer übriggebliebenen nicht-Inquisitor-kontrollierten Gefühle verletzen. Aber ob ihr es glaubt oder nicht, manche Leute können einfach nicht erfassen, was so ein Inquisitor an wertvollen Diensten an der Menschheit leistet! Also rüstet euch mit eurer Macht, eurem Prestige, eurem Geld und dem Gedanken, daß die Menschheit ein undankbarer Haufen Abschaum von primitiven, elektrochemisch gesteuerten dummen Zellen sind. (Heh! Wäre das nicht eine neue Idee? Ein neues Medikament, daß Dankbarkeit für den Inquisitor im Gehirn induziert! Jemand Interesse an Patentrechten?)
<Becker.Manfred@GMail.com>
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