nanabosho
Mitglied
morgenröte;3229230 schrieb:Ach nanabosho erzähl doch mal was von den naturvölkern. Hast du auch praktische, erlebte Erfahrungen?
Na gut, morgenröte,
obwohl der Ton zwischen den von Dir geschriebenen Wörtern ein wenig ins Ironische tendiert, gehe ich mal kurz darauf ein.
Meine gelebten Erfahrungen bezüglich Naturvölker sind auf die Bekanntschaft zu einem Pueblo-Indianer und zwei Aztekinnen beschränkt. Meine Erfahrungen mit Promiskuität gehen niemanden hier etwas an.
Und erzählen könnte ich beispielsweise von den Waurá, einem Stamm zwischen Xingú und Rio Magdalena (Amazonas-Nebenflüsse). Sie kennen so etwas Ähnliches wie eine Ehe in dem Sinn, dass ein Mann und eine Frau Kinder in die Welt setzen und diese ernähren. (Für deren Erziehung ist der gesamte Stamm zuständig, für die Jungen speziell ein älterer Mann, der sie in allem unterweist, was eben zu den männlichen Aufgaben gehört, für die Mädchen mehrere ältere Frauen.) Wie meistens gehen die Männer in den Wald auf Jagd, während die Frauen die Beute verarbeiten, die jene nach Hause bringen. Der gesamte Stamm betreut mehrere Maisfelder, die nicht nur der Gewinnung von Nahrung dienen, sondern dem Treffpunkt von Pärchen. Das sieht so aus, dass ein Mann - gleichgültig, ob er eine reguläre Frau hat oder nicht - einer beliebigen Frau (gleichgültig, ob sie einen regulären Mann hat oder nicht) ein Geschenk macht und diese mit ihm ins Maisfeld geht. Da die Waurá keine Briefmarken sammeln, wird er ihr vermutlich dort etwas Anderes zeigen... Jeder im Stamm weiß, dass es so abläuft, mancher amüsiert sich darüber, aber es gibt im Grunde keine Eifersucht und wenn ein "verheirateter" Mann sich häufig Gelegenheitsgeliebte angelt, ist seine Frau stolz auf ihn, weil das ein Zeichen seiner starken Potenz - sprich also: Männlichkeit - ist, wodurch sie sich wiederum geehrt fühlt, speziell mit ihm zusammen zu leben.
Im Stamm werden meistens sämtliche Güter gleichmäßig an alle verteilt und wenn einer mehr jagt als der andere, bekommen davon diejenigen, die entweder keinen Jäger als Ernährer haben oder anders benachteiligt sind. Wenn jemand krank ist, ist das ebenfalls Sache des ganzen Stammes, denn sie glauben, dass nicht nur sein inneres Gleichgewicht, sondern das der ganzen Gemeinschaft dann gestört ist.
Solange einer keine Frau im festeren Sinne oder eine keinen Mann im festeren Sinne hat, ist die Befriedigung seiner oder ihrer sexuellen Bedürfnisse Sache des nächsten besten im Stamm, der oder die sich dazu berufen fühlt. Dass daraus aber Kinder entstehen, ist nicht erwünscht und die beteiligten Frauen kauen Pflanzen mit bestimmten Säften (wilde Yamswurzel), um die Sache zu steuern (also entsprechend der Wirkung unserer Pille). Erst bei fest zugewiesener Partnerschaft sollen und dürfen Kinder entstehen.
"Bezahlt" in unserem Sinne wird für nichts, aber Ansätze von "Geschenkkultur" gibt es zu einigen Gelegenheiten. Eine Person "besitzt" im Höchstfall eine Hütte und das, was sie auf dem Leibe trägt. Werkzeuge sind allen gemeinsam und Grund und Boden ist heilig und kann niemandem speziell gehören.
Aber: Individuelles Bewusstsein ist kaum ausgeprägt, wer es deutlicher hat, wird Häuptling oder Schamane. Sonst herrscht eine Art Kollektivbewusstsein, weshalb die allgemeine Solidarität beinahe selbstverständlich ist.
Genügt das erst mal?
Herzliche Grüße,
nanabosho