Tierrechte und Pflichten
Schon einige Male habe ich bei Indymedia Artikel von sog. "Tierrechtlern" gelesen. Bei der ganzen Parolendrescherei kam niemand auf die Idee, dass zu Rechten auch Pflichten und Haftbarkeit gehört. Hier eine kleine Zusammenfassung wie das Früher gehandhabt wurde.
Ein Tier ist ein Ding, darüber sind sich die Juristen einig. Ein Ding besitzt keine Rechte, wie sie einer Person zustehen. Der Gesetzgeber darf der Überzeugung von Tierrechtlern keine Bedeutung zumessen, dass Tiere leiden, wenn sie Schmerz, Hunger, Durst oder Übermüdung verspüren, sondern einzig überprüfen, ob die Masse der in der Rechtsordnung lebenden Menschen oder zumindest eine repräsentative Gruppe sich das Leiden zu eigen macht«. Nur darum darf man einem Hund kein Bein brechen. Und darum können auch jeden Tag Millionen von Tieren straffrei durch die Fleischwölfe unserer Agrarindustrie gedreht werden; ohne jeden Prozess werden sie wegen eklatanter Essbarkeit zu Tode gebracht.
Diese Ansichten gibt es schon länger, und seither ist die »repräsentative Gruppe« von in der Rechtsordnung lebenden Menschen, die sich das »Leiden zu eigen macht«, in ganz Europa stark angewachsen. In den Niederlanden gibt es die Stiftung Lekker dier, die sich für das Schicksal schmackhafter Tiere einsetzt. Es gibt sogar einen Tierschutzbund niederländischer Polizeibeamter. In Amerika sind die Beaver defenders (Biberschützer) und die Jeivs for Animal rights (Juden für die Rechte von Tieren) aktiv; England hat die Chicken's Hb, und mancherorts nimmt dieses Treiben sektenartige züge an. Wenn Frauen gleiche Rechte haben und Schwarze, Schwule und Geisteskranke mit ihnen gleichziehen, dann - so finden immer mehr Menschen ? haben auch Tiere ein Recht auf Rechte. Tiere sollten nicht als Ding gelten, sondern als Person; nicht als Objekt, sondern als Subjekt; nicht als Mittel, sondern als Zweck. Doch was oft vergessen wird: Rechte haben auch Pflichten zur Folge. Nur wenige Aktivisten sind sich darüber im klaren, dass ein Tier mit Rechten auch für seine Handlungen verantwortlich gemacht werden kann. Wenn ein Richter ein Tier als Persönlichkeit betrachtet, kann es auf der Anklagebank landen. Genau das kam dem Hund Provetie im Jahr 1595 teuer zu stehen, als er von den Leidener Schulzen und Schöffen des Totschlags an einem Kind beschuldigt wurde:
»Provetie scheute sich am vorletzten Sonntag, dem 9. Mai 1595, nicht, das Kind des Jan Jacobsz van der Poel zu beißen, welches bei seinem Onkel spielte und dabei ein Stück Fleisch in der Hand hielt. Und der obengenannte Provetie hat, indem er danach schnappte, das obengenannte Kind gebissen und damit eine Wunde im zweiten Finger der rechten Hand verursacht, die durch die Haut bis ins Fleisch ging, so dass Blut aus der Wunde lief und das Kind in wenigen Tagen durch den Schreck aus dieser Welt geschieden ist. Darüber hat Herr Eysser den Provetie in Haft genommen und nach eigenem Geständnis des Be*klagten in eiserne Ketten gelegt. Die Schöffen der Stadt Leiden verurteilten ihn, dass er mit Geleit auf den Platz von Gravesteyn gebracht werde, wo man gewöhnlich die Übeltäter straft, und dass er dort durch den Scharfrichter mit einem Strick zwischen Himmel und Erde an den Galgen gehängt werde, bis dass der Tod folgt. Danach soll sein Leib bis zum Galgenfeld geschleppt werden und dort zur Abschreckung aller anderen Hunde hängen bleiben.«
Ob die am Galgen baumelnde Hundeleiche die anderen Leidener Hunde auf redliche und gesetzestreue Gedanken gebracht hat, ist zu bezweifeln. Auch als Mittel gegen Rückfälligkeit oder zum Zweck profaner Rache kommt uns heute ein kompletter Prozess mit Arrest und Aburteilung ziemlich umständlich vor. Wozu all die Mühe, einen Hund an den Galgen zu bringen? Daraus spricht deutlich das Bedürfnis nach Ordnung. An der Rechtsordnung war gerührt worden, und das musste bestraft werden, weil sie gottgegeben war. Ein Tierprozess war ein Ritual im ewigen Streit zwischen Gut und Böse. Vor Gericht hatte die Ansicht, ein Tier sei eine Sache, keine Chance. Das Dilemma bestand darin, dass man im Tier die göttliche und deswegen gute Schöpfung sehen wollte; die Verurteilung eines Tieres hätte als Kritik an Gottes Schöpfung aufgefasst werden können. Doch konnte diese gute Schöpfung auch von den Mächten des Teufel besessen sein. Lud der Teufel musste aus der Welt mit Mann und Maus und Hund. Daher rührt die Sorgfalt für das rituelle Detail: Anklagebank, Geständnis, Henkersmahlzeit, fortgeworfene Handschuhe des Scharfrichters, Glockengeläut. Heute erscheint uns die Streitfrage lächerlich, ob ein toller Hund für unzurechnungsfähig erklärt werden müsse. Die Richter von früher nahmen das bitter ernst.
»Früher« umfaßt nahezu die gesamte christliche Zeitrechnung, vom frühen Mittelalter bis ins neunzehnte Jahrhundert. Derartige Prozesse wurden vor allem in Frankreich geführt. Doch auch in Deutschland, Italien, Schweden, Holland und Amerika wurden Schweine, die Kinder gebissen, oder Stiere, die Bauern auf die Hörner genommen, oder Eselinnen, die Knechte verführt hatten smiley, aufgehangen, erwürgt oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ein für schuldig befundener Ziegenbock wurde von den Russen ihrer Tradition entsprechend nach Sibirien verbannt. Sechs blutbefleckte Ferkel, die man bei der Leiche des französischen Kleinkindes Jehan Martin überrascht hatte, wurden 1457 als mutmaßliche Mittäter ihrer Mutter vorgeladen, aber aus Mangel an Beweisen gegen eine Bürgschaft freigelassen. Pferde oder andere Lasttiere, mit denen eine Jungfrau entführt worden war, kamen nicht so glimpflich davon. Tiere konnten nicht allein für das bestraft werden, was sie angestellt, sondern auch für das, was sie unterlassen hatten. Wurde jemand vergewaltigt, dann mußten nach altem deutschen Recht alle Tiere des Hauses getötet werden, weil sie dem Opfer offensichtlich nicht hilfreich beigestanden hatten. Tiere konnten sogar zur Aussage aufgerufen werden; aus England hören wir von einem Papagei als Zeugen.
Tiere waren menschlichen Pflichten unterworfen und von Dämonen besessen und wurden deshalb auch nach ihrer Frömmigkeit beurteilt. Im Jahre 1394 wurde in Mor-taigne ein Schwein wegen Heiligenschändung gehängt. Das Tier hatte eine geweihte Hostie gefressen. Einem anderen Schwein, das ein Kind getötet und angefressen hatte, wurde es als erschwerender Umstand angerechnet, dass es dies an einem Freitag getan und damit die Fastenregeln übertreten hatte. Wo geistliche Sünden profan bestraft wurden, konnten auch profane Vergehen mit geistlichen Strafen belegt werden. Insektenschwärme, Rattenscharen und andere Plagetiere, die nicht persönlich auf der Anklagebank erscheinen konnten, wurden nach den erforderlichen Gebeten und Prozessionen von einem Kirchentribunal exkommuniziert. Um wenigstens etwas in Händen zu haben, wurden zuweilen einige Exemplare feierlich im Gerichtssaal getötet, während man den Bannfluch verkündete. Auch Freispruch war möglich, wenn der Verteidiger mit Erfolg plädiert hatte, dass Gott die Pflanzen sowohl den Menschen als auch den Insekten zur Nahrung geschaffen hatte. Es kam auch vor, daß die Insekten längst ihre Winterruhe angetreten hatten, bevor die kirchlichen Juristen ihre Haarspaltereien beendeten. Es ist nicht bekannt, wie der verschleppte Prozess ausgegangen ist, den die Kirchengemeinde von Saint-Julien gegen die Käfer angestrengt hatte, die die örtliche Weinernte bedrohten; das letzte Blatt des Rechtsspruches wurde von Insekten angefressen.