Depression

Raeubertochter

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Bad Meinberg
hier also der ausgelagerte thread aus alfababys thread.

Liebe Stefanie, ich weiß ja nicht, ob du Carlo Zumstein gelesen hast, Reise hinter die Finsternis? Zumstein beschreibt die Depression darin genau so, wie ich sie empfunden habe - nicht nur eine Gefühlslosigkeit, sondern vor allem eine Abgeschnittenheit gegenüber der alltäglichen Wirklichkeit, gegenüber dem, was normalerweise Spaß macht. Ein Überfordert-Sein mit dem Alltäglichen, weil man einfach nicht mehr weiß, wie es funktioniert. Und, vor allem, und das ist die Seite von der Zumstein (selber Psychologe) schreibt, dass sie in der klassischen Psychologie vernachlässigt wird, eben ein Rückzug in ein inneres Reich. Er beschreibt, dass sich viele Patienten in einer Höhle oder einem Tunnel finden, der sie nach unten zieht, aber sie versuchen, sich an den Alltag zu klammern, nicht abzusinken, sich nicht fallen zu lassen. Gleichzeitig ist das Bedürfnis da, sich fallen zu lassen, aber eben auch Angst davor - und ein riesiges Pflichgefühl, das sie hindert.
Genauso habe ich es empfunden. Die äußere Welt wurde immer grauer, ich habe sie kaum noch wahrgenommen, ich hatte auch das Gefühl, die Zeit läuft viel schneller als sonst... schon wieder war ein Tag verschwunden. Was von Außen in meine Welt drang, war eher unangenehm - Licht, Lachen etc. Aber da war die innere Welt, in der durchaus Gefühle waren, aber sie bezogen sich nciht mehr auf die äußere Welt... wie soll ich sagen... es ist so schwierig. Ich fühlte mich, als hätte ich keinen Boden unter den Füßen. Das ist bei mir das erste Zeichen für eine Depression: Kein Boden mehr, innerlich.
Jedenfalls plädiert Zumstein, der auch schamanisch tätig ist, dafür, die Menschen in ihr Inneres reisen zu lassen - dahin, wo es sie hinzieht, um dort eben die verlorenen Seelenteile wieder einzufangen etc. - eben ihre Gefühle und Traumata zu erlösen. Und das ist im Prinzip genau das, was ich getan habe. Ich habe Zumstein erst im Nachhinein gelesen, aber ich habe mich wunderbar verstanden gefühlt - glücklicherweise war ich mit schamanischen Techniken und dem Weg nach Innen/in die andere Welt bereits vertraut, es machte mir keine Angst.

Leider finde ich Zumsteins Buch nicht sonderlich gut geschrieben, es ist spannend, wenn er von seinen Erfahrungen berichtet, aber er wird redundant und schwärmerisch, wenn er versucht, das in ein kohärentes Weltbild zu bringen [solltest du dieses in einer Amazon-Kritik lesen, die habe ich geschireben, aber amazon hat nun das copyright darauf, ich kanns nicht hier reinstellen...].

Ich finde vor allem, dass Zumstein sehr einfühlsam und verstehend die depressive Welt beschreibt - die aus mehr besteht als einfach nur nichts - und mir liegt auch dieser schamanische Ansatz :zauberer1

Liebe Grüße

Raeubertochter
 
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Liebe Räubertochter,

danke für Deine Schilderung!

Raeubertochter schrieb:
ich weiß ja nicht, ob du Carlo Zumstein gelesen hast, Reise hinter die Finsternis?

Nee, habe ich nicht, es klingt aber nach einem guten Buch!


Raeubertochter schrieb:
... ein Rückzug in ein inneres Reich. Er beschreibt, dass sich viele Patienten in einer Höhle oder einem Tunnel finden, der sie nach unten zieht, aber sie versuchen, sich an den Alltag zu klammern, nicht abzusinken, sich nicht fallen zu lassen. Gleichzeitig ist das Bedürfnis da, sich fallen zu lassen, aber eben auch Angst davor - und ein riesiges Pflichgefühl, das sie hindert.

Finde ich sehr treffend. In Märchen finden sich auch viele Hinweise auf depressive Zustände, mir kommt gerade Goldmarie und Pechmarie in den Sinn, die auch in einem Brunnen sein müssen. Wenn man ganz am Boden ist, geht es nicht mehr weiter! Und manchmal ist der Kampf gegen den Sog nach unten anstrengender, als sich einfach und endlich mal fallen zu lassen, und seinen traurigen (und auch wütenden) Gefühlen Raum zu geben.

Raeubertochter schrieb:
Ich fühlte mich, als hätte ich keinen Boden unter den Füßen. Das ist bei mir das erste Zeichen für eine Depression: Kein Boden mehr, innerlich.

In energetischer Hinsicht kann eine Depression auch mit mangelnder Erdung zu tun haben, also mit einem gestörten Wurzelzentrum. Es gibt auch die Tendenz, diese Verbindung bei Streß zu lösen und sich energetisch von der Erde zu entfernen.

Deswegen ist auch schlichte Bewegung, Spazieren gehen usw. oft hilfreich bei einer kleinen depressiven Verstimmung, weil es wieder erdet, runter auf den Boden bringt.

Menschen mit einer depressiven Persönlichkeitsstruktur oder in einer depressiven Phase müssen genau das lernen: sich zu erden, selbst mit Energie zu versorgen, anstatt auf "Zufuhr" von außen zu hoffen. Oft liegt ein mangelndes emotionales und reales Versorgtsein im Säuglingsalter zugrunde. Diese Menschen haben nie gelernt, wie es sich anfühlt, genährt, satt und geborgen zu sein, was zu einer tiefen Verunsicherung, einem Mangel an Urvertrauen führt. Jemand, der gut "gefüttert" wurde, lernt, sich selbst zu versorgen. Jemand, der dies nie erfahren hat, sucht immer im Außen nach "Nahrung", oft in Form von Ersatzstoffen (Drogen, übermässiges Essen) oder durch Energie von anderen Menschen.

Die Depression kann dann ein Zusammenbruch dieser Strategien sein, eine "Rückentwicklung" auf den leeren inneren Zustand, den Mangel, die Einsamkeit, das Gefühl, von allem Gutem und Heilem getrennt zu sein, der Hilflosigkeit, der Unfähigkeit, sich selbst gut zu versorgen, der Ohnmacht, der Erstarrung.

Raeubertochter schrieb:
Jedenfalls plädiert Zumstein, der auch schamanisch tätig ist, dafür, die Menschen in ihr Inneres reisen zu lassen - dahin, wo es sie hinzieht, um dort eben die verlorenen Seelenteile wieder einzufangen etc. - eben ihre Gefühle und Traumata zu erlösen.

Ich würde es etwas anders nennen, aber in Prinzip geht es genau darum: die Erlösung von Gefühlen und dem Verstehen, woher diese tiefe Traurigkeit und Verzweiflung kommt, die in der Depression quasi "einfriert" und alles Lebendige zudeckt. Sobald die Gefühle wieder "in Bewegung" kommen, ausgedrückt werden können, kommt auch das Leben und die Lebendigkeit wieder schrittweise zurück.

Raeubertochter schrieb:
Und das ist im Prinzip genau das, was ich getan habe. Ich habe Zumstein erst im Nachhinein gelesen, aber ich habe mich wunderbar verstanden gefühlt - glücklicherweise war ich mit schamanischen Techniken und dem Weg nach Innen/in die andere Welt bereits vertraut, es machte mir keine Angst.

Zum Glück! Du hast intuitiv für Dich das Richtige getan.


Liebe Grüße,

Stefanie
 
irgendwie fällt mir da kaum noch was zu sagen ein :)

Der Brunnen von Goldmarie und Pechmarie... Zumstein meint, dass viele Patienten eine solche "Mauer" auf dem Weg nach unten wahrnehmen, die sich aber auflöst, wenn sie sich vornehmen, nach unten zu gehen. Dass sich die innere Barriere, die hauptsächlich aus von Außen auferlegtem, anerzogenem Festhalten an der Äußeren Welt und den alltäglichen Verantwortlichkeiten besteht, auflöst und den Weg nach unten freigibt, wenn man es möchte.

Genaugenommen vertritt Zumstein sogar die Ansicht, dass eine Depression der Versuch ist, mit den "anderen", also mit spirituellen Welten in Kontakt zu treten, und zwar im schamanischen Sinne. Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde, ich finde, das Erlösen von Emotionen reicht auch schon.
Zumstein schildert aber eine schamanische Technik, die er anwendet, die ich bislang nicht kannte: Das energetisch Erlösen von traumatischen Situationen, ich erkläre das mal so: Der Patient blickt auf eine (imaginierte) Lebenslinie, von der Geburt bis heute. Die Geburt wird durch eine Kerze symbolisiert. Dann erinnert er sich an ein traumatisches Erlebnis, betrachtet es aber nur von Außen, sieht also das alte Ich, wie es verletzt wird, ist aber nicht beteiligt. Und dann befreit "die Leuchtgestalt ihres heutigen Selbst" ... wie soll ich das in Worte fassen... egal, also die Leuchtgestalt des heutigen Selbst geht in die Situation hinein und befreit das alte, kleine, verängstigte Ich, aber auch alle anderen in der Situation befindlichen Personen, also auch die Täter. Allen wird vergeben. Und damit wird die gesamte in der Situation gefangene Kraft freigesetzt...
Ich hoffe, ich habe das halbwegs verständlich erklärt ;)

Wie gesagt, ich finde das Buch inhaltlich teilweise brillant, aber es hat mich auch an einigen Stellen genervt, weil ich fand, er wiederholt sich jetzt zum 50. Mal :)

Danke übrigens auch für deine Darstellung der Erdung... spazieren gehen fand ich tatsächlich gut, für alles andere hatte ich keine Kraft :) Das Gute am Spazierengehen ist, dass man ständig die Perspektive wechselt. Und dass man vorwärts kommt, ganz wörtlich. Den Körper spüren fand ich insgesamt sehr wichtig, z.B. in die Badewanne legen und dann ein Ganzkörperpeeling...

Jetzt hab ich doch viel gesagt :)

Liebe Grüße... die Sonne kommt grade raus :daisy:

Raeubertochter
 
Hallo Räubertochter,

Raeubertochter schrieb:
Der Brunnen von Goldmarie und Pechmarie... Zumstein meint, dass viele Patienten eine solche "Mauer" auf dem Weg nach unten wahrnehmen, die sich aber auflöst, wenn sie sich vornehmen, nach unten zu gehen. Dass sich die innere Barriere, die hauptsächlich aus von Außen auferlegtem, anerzogenem Festhalten an der Äußeren Welt und den alltäglichen Verantwortlichkeiten besteht, auflöst und den Weg nach unten freigibt, wenn man es möchte.

Ja, die Mauer kenne ich auch, aber ich meinte mit dem Brunnen eher den Aspekt von "ganz unten sein".


Raeubertochter schrieb:
Zumstein schildert aber eine schamanische Technik, die er anwendet, die ich bislang nicht kannte: Das energetisch Erlösen von traumatischen Situationen, ich erkläre das mal so: Der Patient blickt auf eine (imaginierte) Lebenslinie, von der Geburt bis heute. Die Geburt wird durch eine Kerze symbolisiert. Dann erinnert er sich an ein traumatisches Erlebnis, betrachtet es aber nur von Außen, sieht also das alte Ich, wie es verletzt wird, ist aber nicht beteiligt. Und dann befreit "die Leuchtgestalt ihres heutigen Selbst" ... wie soll ich das in Worte fassen... egal, also die Leuchtgestalt des heutigen Selbst geht in die Situation hinein und befreit das alte, kleine, verängstigte Ich, aber auch alle anderen in der Situation befindlichen Personen, also auch die Täter. Allen wird vergeben. Und damit wird die gesamte in der Situation gefangene Kraft freigesetzt...

Das erinnert an gestalttherapeutische und hypnotherapeutische Techniken.

Raeubertochter schrieb:
Wie gesagt, ich finde das Buch inhaltlich teilweise brillant, aber es hat mich auch an einigen Stellen genervt, weil ich fand, er wiederholt sich jetzt zum 50. Mal :)

Wiederholungen können ja manchmal auch helfen, damit sich etwas tiefer einprägt. :)

Raeubertochter schrieb:
Den Körper spüren fand ich insgesamt sehr wichtig, z.B. in die Badewanne legen ...

Das kann ja evtl. auch die Regression fördern, und das Gefühl, gut für sich zu sorgen.

Ja, hier kommt die Sonne auch gerade, zum Glück! Hamburger Dauerregen kann doch etwas entnerven :)


Liebe Grüße,

Stefanie
 
Hallo ihr Beiden!

Ich möchte noch was ergänzen zu dem, was ich im anderen thread zum Thema geschrieben hatte:

Ich gebe recht, dass auch Antidepressiva Nebenwirkungen haben können. "können" bedeutet aber nicht gleich "müssen".
Es bedarf bei jeglicher Medikamentengabe bei ALLEN Krankheiten immer der Abwägung der Risiken gegenüber dem zu erwartenden Nutzen. Das hatte ich mal als logisch vorausgesetzt.
Und daran sollte ja auch der behandelnde Arzt maßgeblich beteiligt sein, der den Patienten aufklärt und in seiner Verantwortung die Risiko-Nutzen-Aufstellung letztendlich mit der Rezeptierung innehat, Begleitung im Krankheitsverlauf und Beobachtung unter der Medi-Einnahme eingeschlossen.

Wenn es einem wirklich so schlecht geht, dass man vehemente psychosomatische Beschwerden hat, die mit chronischer Manifestierung schlimme Krankheiten ausbilden können, die dann vielleicht nicht mehr reparabel sind, ist es mir immer noch lieber gewesen, ein gut wirkendes Anitdepressiva eine bestimmte Zeit zu nehmen und wieder seelisch gesund zu werden und die paar kg Gewichtszunahme wieder abzutrainieren, als

z.B. mein bereits chronisches, seelisch verursachtes Reizdarmsyndrom (sehr schmerzhaft im akuten Zustand, Darmentzündungen, Stuhlgangprobleme...) so zu manifestieren, dass daraus ein Darmkrebst entstünde,

der dann mit einer Operation oder mit Chemotherapie (Giftstoffe, die zum Krebszelltod führen sollen und auch gesunde Zellen stark angreifen können!)bearbeitet werden müsste. Das hätte dann sicher weitaus schlimmere Nebenwirkungen UND Folgen für mein weiteres Leben gehabt. Ich hätte daran vorzeitig sterben können oder mit einem künstlichen Darmausgang weiterleben. Was das für einen selbst oder eine Partnerschaft bedeutet, kann sich jeder selbst ausmalen.

Das ist jetzt nur ein Beispiel - ich könnte noch mehrere nennen.
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Noch etwas zu Depressionen und ihrer Beschreibung aus meinem Erleben:

Für mich war/ist Depression nicht ein bloßes Gefühllossein, was ich in so einem Zustand spüre. Es ist vielmehr ein starkes Gefühlsempfinden der negativsten Emotionen, die man haben kann.
Positive Gefühle waren blockiert, aber negative verdoppelt erlebt in ihrer Intensität.

Ein sich Eingraben in dunkle Gefühle, in eine Spirale, in der ich sämtliche mögliche Probleme zu einem riesigen Haufen gedanklich auftürme, die mir unüberwindlich erscheinen und mich zu erschlagen drohen - das ist bei mir die Beschreibung von Depressionen.

liebe Grüße,
Romaschka
 
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Hallo Romaschka,

ich hatte auch nicht den Eindruck, dass Du unkritisch mit dem Thema umgehst. Mir war es einfach generell noch mal wichtig, darauf hinzuweisen, dass Antidepressiva nicht unproblematisch sind.

Romaschka schrieb:
Für mich war/ist Depression nicht ein bloßes Gefühllossein, was ich in so einem Zustand spüre. Es ist vielmehr ein starkes Gefühlsempfinden der negativsten Emotionen, die man haben kann.
Positive Gefühle waren blockiert, aber negative verdoppelt erlebt in ihrer Intensität.

Ein sich Eingraben in dunkle Gefühle, in eine Spirale, in der ich sämtliche mögliche Probleme zu einem riesigen Haufen gedanklich auftürme, die mir unüberwindlich erscheinen und mich zu erschlagen drohen - das ist bei mir die Beschreibung von Depressionen.

Ja, das ist leider ein typisches Symptom von Depressionen, eine sehr negative Sicht von sich selbst und der Welt, und den damit einhergehenden Gefühlen. Auch Schuldgefühle tauchen oft überdimensioniert auf, ganz zu schweigen von körperlichen Begleitsymptomen.

Depression ist auch nicht gleich Depression. Es gibt unterschiedliche Schweregrade und Verläufe.

Liebe Grüße,

Stefanie
 
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