east of the sun
Sehr aktives Mitglied
Ich bekomme regelmäßig die Krise wenn ich Vorurteile über das Leben in der DDR lese. Wenn man nicht da war kann man es nicht wissen, aber dann sollte man sich auch nicht so besserwisserisch hinstellen. Du hast es ganz gut getroffen. Wir wurden marxistisch-leninistisch erzogen, zumindest hat man das versucht. Die Nazis waren der Todfeind und unsere Lieder, Kinderbücher, Filme waren voll von Kriegsgrauen, KZ Berichten und Judenverfolgung. Schon als kleines Kind haben wir Lieder gesungen vom kleinen Trompeter usw. Für mich war klar: so etwas darf nie wieder geschehen.Die DDR war wesentlich Nazi-kritischer als Westdeutschland, viel härter was die "Entnazifizierung" betrifft. In Westdeutschland hingegen war z.B. fast das gesamte Justizwesen mit Nazis durchsetzt und das wurde auch akzeptiert, auch von den Westmächten. Man kann annehmen, dass die DDR über eine lange Zeit (Anfang bis Ende in etwa) wesentlich freier von Nazi-Ideologie war.
Der Grund warum es jetzt anders ist hat eher indirekt mit der Nazi-Zeit zu tun: Deutschland wurde geteilt und Westdeutschland wurde ökonomisch sehr geholfen (Marshallplan z.B.). Die Industrie musste zum größten Teil auch nicht wieder aufgebaut werden, denn sie hatte im Krieg erstaunlich wenig gelitten. Alles zusammen machte dann das Wirtschaftswunder möglich, ein bisschen wie Phoenix aus der Asche. Aber eben lange nicht nur aus eigener Kraft.
In der DDR lief das anders weshalb sie wirtschaftlich lange nicht so stark wurde. Aus der Perspektive vieler Bürger war der Westen dann ein bisschen wie das "gelobte Land", also im Sinne von Westdeutsche haben alles und sind frei. Dann kam das Ende der Sowjetunion und das Ende der DDR (auch v.a. wegen wirtschaftlichen Bankrott) und um die Wahl zu gewinnen hat Kohl gewaltige Versprechungen gemacht. Die Bürger der Ex-DDR mussten dann aber feststellen dass die nur teilweise eingehalten wurden bzw. das es lange nicht so einfach ist und der West-Mythos auch nicht ganz so toll ist wie viele wohl glaubten. Anders gesagt: Da spielt viel verständliche Enttäuschung eine Rolle.
Und wenn man sich jetzt anschaut wie gut oder schlecht das mit dem Wiederaufbau Ost geklappt hat: Nicht gut. Auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer sind die wirtschaftlichen Unterschiede sehr deutlich und es gibt auch nicht so wenige die sich die DDR zurückwünschen, denn einen Vorteil hatten sie: Obwohl sie weniger materielle Werte hatten, waren die gleicher verteilt und die Menschen wurden weniger danach bewertet. Im Westen ist das umgekehrt. Das wiederum stellt eine demütigende Hierarchie her und gesellschaftlich ist es doch immer noch so: Der Westen blickt oft sehr herablassend auf den Osten.
Resultat ist also: Im Osten Deutschlands ist der Anteil der Menschen die sich (oft zu Recht) enttäuscht, verraten, frustriert und wütend fühlen, höher. Zukunftsangst, Angst vor Altersarmut usw., ist ebenfalls höher. Und das zeigt sich dann im Wahlverhalten. Im Osten wird extremer gewählt, aber nicht nur Richtung rechts. Die Linke ist dort auch stärker als im Westen.
Und wenn man sich fragt, warum Fremdenhass dort ebenfalls höher ist: Wenn es Menschen schlecht(er) geht, sie sich sowieso schon tendenziell verraten und gedemütigt fühlen, sich wünschen das mehr Geld in die Hand genommen würde um ein mehr an Gleichheit herzustellen - in Gebieten in denen die Arbeitslosigkeit höher und die Einkommen niedriger sind - dann ertragen die deutlich schlechter, wenn jene von denen sie sich Hilfe wünschen würden auf einmal sehr hilfreich sind wenn Menschen aus anderen Ländern kommen. Das Thema sollte man nicht zu sehr objektivieren, denn es geht v.a. um die Frage: Wie wird *etwas* im Kontext der Bewertung eigener Umstände wahrgenommen? Anders gesagt: Die eigenen Lebensumstände haben sehr großen Einfluss auf die Interpretation neuer Umstände.
Unterm Strich kann man m.A.n. wirklich sagen: Das hat nichts mit den Menschen zu tun, nichts mit Bildung oder was auch immer. Im Osten gab es auch nicht einfach mehr Nazis oder Fremdenfeinde weil es da irgendwelche versteckten Nazi-Schulen gibt. Es hat v.a. mit den Verhältnissen zu tun.
Deshalb bin ich davon überzeugt, dass auch mit diesem Thema (also Pegida und AfD etc.) sehr destruktiv umgegangen wird, denn auch das wird benutzt um oberflächlich und herablassend auf den Osten zu zeigen während der Kontext voll unterschlagen wird. Das hilft nicht, sondern verstärkt das Problem. Die AfD könnte gar nicht dankbarer sein für die Wahlkampfhilfe die da oft geleistet wird.
Im Prinzip konnte man in der DDR gut leben solange man angepasst und genügsam war. Aber es gab zwei große Fehler : man durfte nur ins sozialistische Ausland reisen (Ungarn, Bulgarien, Polen, Tschechien und Russland waren unsere Urlaubsländer) und man wurde mundtot gemacht. Man hatte zu denken was man denken durfte und zu sagen was man sagen durfte. Genau diese Art Unterdrückung ist es welche genau das Gegenteil hervor brachte.
Was glaubt ihr eigentlich wer kurz nach der Wende her kam? Hochstapler, Leute die das große Geld witterten und auch Nazis die Frischfleisch schnupperten.
Es war für mich und auch andere keine gute Zeit. Mittlerweile ist die Wende solange her und bei der Jugend ist es auch egal ob Jemand aus Leipzig oder Hamburg kommt. Das ist meine Hoffnung. Soviel anders sind wir nämlich gar nicht mehr.
Und bei PEGIDA wird bayrisch , hessisch und sonstwas gesprochen.