ZITATE VON MARCUS AURELIUS ANTONIUS
Des Kaisers Marcus Aurelius Antonius Selbstbetrachtungen
Achtes Buch.
29.
Unterdrücke die Einbildungen, indem du beständig zu dir selbst sprichst: Es steht ja allein bei mir, in dieser Seele keine Bosheit, keine Begierde und überhaupt keine Leidenschaft aufkommen zu lassen, hingegen will ich alles von dem richtigen Gesichtspunkt aus betrachten und jedes Ding nach seinem Werte benutzen. Gedenke dieses dir von der Natur geschenkten Vermögens.
32.
Du mußt in dein ganzes Leben wie in jede einzelne Handlung Ordnung bringen, und wenn du dir bei allen Handlungen sagen kannst: Ich tat nach besten Kräften, so kannst du ruhig sein, und daß du deine ganze Kraft einsetztest, daran kann dich niemand hindern. »Aber es kann sich von außen her ein Widerstand erheben?« Gewiß keiner gegen ein gerechtes, besonnenes und überlegtes Handeln. Aber vielleicht tritt sonst etwas deiner Tätigkeit in den Weg? Doch lassest du dir nur jenes Hindernis gefallen und schreitest zu dem, was dir noch freisteht, mit Überlegung fort, so tritt sogleich ein neuer Gegenstand der Tätigkeit an die Stelle und wird sich in die Lebensordnung fügen, von der wir reden.
35.
Jedes von uns vernünftigen Geschöpfen hat neben seinen übrigen Kräften von der Allnatur auch noch folgende erhalten: so nämlich wie diese allem, was ihr widersteht und entgegenwirkt, eine andere Wendung gibt, es in die Kette ihrer Notwendigkeit einreiht und zu einem Bestandteile ihrer selbst macht: so kann auch das vernunftbegabte Wesen jedes Hindernis zu einem Gegenstand seiner Wirksamkeit machen und sich desselben zur Erreichung seines jedesmaligen Zweckes bedienen.
36.
Laß dich nicht durch die Betrachtung deines Lebens in seiner Gesamtheit entmutigen! Fasse nicht alle Unannehmlichkeiten, die dir vielleicht noch begegnen könnten, nach Beschaffenheit und Menge auf einmal in Gedanken zusammen, sondern frage dich vielmehr bei jeder einzelnen, wenn sie da ist: Was ist denn daran eigentlich nicht zu ertragen und auszuhalten? Du mußt dich ja schämen, es zuzugestehen. Denke ferner daran, daß weder das Zukünftige noch das Vergangene, sondern immer nur das Gegenwärtige dir lästig werden kann, des letzteren Last aber gemildert wird, wenn du erwägst, wie kurz es ist, und wenn du deiner denkenden Seele die Schwäche vorhältst, daß sie nicht einmal eine kleine Bürde aushalten könne.
38.
Wenn du Scharfsinn besitzest, so zeige ihn in weisen Urteilen.
40.
Wenn du deine Meinung von dem aufgibst, was dich zu betrüben scheint, so hast du dich selbst in vollkommene Sicherheit gebracht. Wer ist dies Selbst? Die Vernunft. »Aber ich bin ja doch nicht die Vernunft.« Du sollst es sein, und mithin soll die Vernunft nicht sich selbst betrüben. Ist aber sonst noch etwas an dir in schlimmem Zustand, so möge dieses selbst über sich aburteilen!
41.
Beschränkung der Sinnlichkeit ist ein Übel für die tierische Natur, Beschränkung des Triebes ist es gleichfalls. Ebenso gibt es auch manches, was der Entwicklung des Pflanzenlebens hinderlich ist. So ist demnach auch die Beschränkung der Vernunft ein Übel für die vernünftige Natur. Wende auf dich selbst alle diese Beobachtungen an.
Unlust oder Lust berühren dich? Da mag die Sinnlichkeit zusehen.
In den der Vernunft angehörigen Kreis pflegt fürwahr nichts anderes störend einzugreifen.
Solange eine Kugel besteht, bleibt sie eben rund nach allen Seiten.
43.
Dem einen macht dies, einem andern jenes Freude; die meinige finde ich im Besitz einer gesunden, mich beherrschenden Vernunft, die von keinem Menschen und von keiner menschlichen Angelegenheit sich abwendet, sondern alles mit wohlwollendem Auge ansieht und aufnimmt und jegliches nach Maßgabe seines Wertes benutzt.
45.
Nimm mich und versetze mich, wohin du willst. Überall werde ich meinen hilfreichen Genius besitzen, das heißt einen Geist, der zufrieden damit ist, wenn er seiner eigentümlichen Natur gemäß sich verhalten und wirken kann.
46.
Dem Menschen kann nie etwas begegnen, was nicht ein menschlicher Vorfall wäre, so wenig wie dem Stiere etwas, was nicht seiner Stiernatur, oder dem Weinstock etwas, was nicht der Natur des Weinstocks, oder auch dem Steine etwas, was nicht der Natur des Steines angemessen wäre. Wenn nun jedem begegnet, was gewöhnlich und natürlich ist, warum wolltest du ärgerlich darüber werden, da die Allnatur dir nichts Unerträgliches widerfahren läßt?
47.
Wenn ein Gegenstand der Außenwelt dich mißmutig macht, so ist es nicht jener, der dich beunruhigt, sondern vielmehr dein Urteil darüber; dieses aber sofort zu tilgen, steht in deiner Macht. Hat aber die Mißstimmung in deinem Seelenzustande ihren Grund, wer hindert dich, deine Ansichten zu berichtigen? Desgleichen, wenn du darüber mißmutig bist, daß du dich nicht in einem Tätigkeitskreise befindest, der dir als vernünftig erscheint, warum nicht lieber tätig als mißgestimmt sein? »Aber ein Hindernis, stärker als ich, stellt sich in den Weg.« So sei dennoch nicht mißmutig; der Grund deiner Untätigkeit liegt ja dann nicht in dir.
48.
Denke daran, daß deine herrschende Vernunft, wenn sie, in sich selbst gesammelt, sich selbst genügt und nichts tut, was sie nicht will, unüberwindlich wird, auch wenn sie einmal ohne genügenden Grund Widerstand leistet. Wieviel mehr also dann, wenn sie mit Grund und mit Bedacht über etwas urteilt? Deshalb ist die denkende Seele, von Leidenschaft frei, gleichsam eine Festung. Denn der Mensch hat keine stärkere Schutzwehr, wohin er seine Zuflucht nehmen könnte, um fortan unbezwinglich zu sein. Wer nun diese nicht kennt, ist unwissend; wer sie aber kennt, ohne zu ihr seine Zuflucht zu nehmen, ist unglücklich.
49.
Rede dir nicht noch von selbst etwas ein zu dem, was die sinnlichen Wahrnehmungen dir unmittelbar verkündigen. Man hat dir hinterbracht, dieser und jener rede schlecht von dir. Gut! Das aber, daß du hierdurch Schaden leidest, hat man dir nicht hinterbracht. Ich sehe, daß mein Kind krank ist. Das aber, daß es in Gefahr schwebt, sehe ich nicht. So nun bleibe immer bei den ersten Eindrücken stehen und setze nichts aus deinem Innern oder selbst hinzu, und dir wird nichts geschehen. Oder willst du etwas hinzusetzen, so tue es als ein Mann, der alle Weltbegebenheiten durchschaut.
50.
Diese Gurke ist bitter. Nun, so wirf sie weg. Hier sind Dorngesträuche am Weg. Weiche ihnen aus. Das ist alles. Frage nicht noch: Wozu gibt es solche Dinge in der Welt? Sonst würde dich ein Naturkundiger auslachen, gleichwie der Tischler und der Schuster dich auslachen würden, wenn du's ihnen zum Vorwurf machen wolltest, daß du in ihren Werkstätten Hobelspäne und Lederabfälle wahrnimmst.
51.
Kann doch deine denkende Seele dessenungeachtet rein, verständig, besonnen, gerecht bleiben! Eine klare und süße Quelle hört ja nicht auf, ihren Labetrunk hervorzusprudeln, sollte gleich jemand hinzutreten und sie verlästern. Und auch wenn er Schmutz hineinwerfen sollte, sie wird diesen doch alsbald zerteilen oder wegspülen, ohne dadurch im mindesten getrübt zu werden. Wie kannst du dir nun eine solche nie versiegende Quelle – und nicht etwa bloß eine Zisterne – zu eigen machen? Wenn du dir selbst stündlich eine freie Gesinnung, verbunden mit Wohlwollen, Einfalt und Bescheidenheit, anzueignen strebst.
56.
Für meine Willensfreiheit ist die Willensfreiheit meines Nebenmenschen ebenso gleichgültig wie sein ganzes geistiges und leibliches Wesen; denn sind wir auch in ganz besonderem Sinne füreinander geboren, so haben doch die in uns herrschenden Kräfte je ihr eigenes Gebiet. Sonst müßte ja das Laster meines Nebenmenschen mein eigenes Laster sein, was jedoch die Gottheit nicht gewollt hat, damit nicht von der Willkür eines andern mir ein Unglück zugefügt werden könnte.