Ich glaube es gibt kaum ein Kind, das es nicht schwer hat mit der Aufmerksamkeit. Und es gibt nur wenige Eltern - bildungsabhängig - die überhaupt wissen, was Aufmerksamkeit ist. Und auch was Konzentration ist - denn Aufmerksamkeit alleine ist ohne Konzentration nicht spürbar vorhanden.
Hab ich neulich vor einer Gruppe Erwachsener gefragt: "was ist eigentlich Aufmerksamkeit? Wie bemerken Sie Aufmerksamkeit eigentlich an sich selber?"
Die erste Antwort war: "Aufmerksamkeit kann man nicht bemerken." Dies bemerkte diejenige Dame, die vermutlich zuhause mit ihren Kindern eher ruppig umgeht, die sie dirigiert, die sie zu laut anruft, wenn sie die Kinder von etwas abhalten will und die eine sogenannte "negative Aufmerksamkeit" hat. Als Lernende schaut sie stets auf das, was sie schon weiss und hat und versucht, ihre Sichtweisen und Erkenntnisse mit angebotenem, neuen Wissen abzugleichen. Wenn sie es nicht in Einklang bringen kann und lernen müsste, lehnt sie das neue Wissen ab, indem sie unendlich lange gegen das neue Wissen argumentiert. Sie bleibt also mit ihrer Aufmerksamkeit stets im negativen Bereich und wendet sich ganz generell wohl im Leben den Dingen und Personen nicht positiv zu.
Die zweite Antwort: "Na das, woran ich Interesse habe." Ich sagte: "Mit Interesse hat es doch auf jeden Fall etwas zu tun, ja. Aber genauer: was passiert in Ihnen selber genau, wenn Sie etwas interessiert? Wie kommt es in Ihnen selber dazu, daß Aufmerksamkeit in Ihnen stattfindet?"
Die dritte Antwort: "Die Wahrnehmung: ich wende meine Wahrnehmung dahin." Ich: "Ja genau! Sie richten sich oder etwas in Ihnen auf etwas ganz Bestimmtes aus. Zum Beispiel auf etwas, das Sie interessiert. Oder auf etwas, das Sie interessieren muss, weil es ein Lerninhalt ist und Sie Auszubildende sind. Halten wir das fest: da ist etwas, das ist jetzt hier und dann passiert irgendetwas und schon ist es da, auf etwas anderem drauf. Und das ist die Aufmerksamkeit."
Die Vierte daraufhin: "Also ich beobachte, daß meine Aufmerksamkeit mal höher ist und mal niedriger. Mal kann ich mich einer Sache gut zuwenden, mal finde ich es schwer." "Wir können also vermuten, daß Aufmerksamkeit nur in begrenzter Menge in jedem vorhanden ist. Es könnte so sein wie ein Gefäß: mal ist es voll, mal ist es leerer. Wir können vielleicht auch Aufmerksamkeit verschwenden oder sie sparen. Wir können vielleicht ökonomisch mit ihr umgehen lernen, damit wir möglichst nie "aufmerksamkeitslos" werden, sondern immer soviel übrig haben, daß wir wenigstens für uns selber aufmerksam sind."
"Dann kommt man zur Ruhe", sagt die Fünfte.
"Finden Sie?" fragte ich. "Vielmehr beobachten Sie das wirklich so in sich, daß Sie ruhig werden einfach nur, weil Sie aufmerksam sind? Ich persönlich erkenne eher, daß ich, je nachdem, wofür ich aufmerksam bin, regelrecht unruhig werde und beinahe zappelig." "Stimmt", sagt sie, "das gibt's auch".
"Ist das also natürlich, daß unsere Aufmerksamkeit sich von A nach B bewegt und daß wir dann unterschiedlich gestimmt werden, je nachdem, womit sich unsere Aufmerksamkeit beschäftigt?" "Ja, sagte die versammelte Mannfrauschaft - vermutlich, um diesbezüglich Ruhe vor mir zu bekommen.
"Wie steht es denn nun mit einem weiteren Wort, einer weiteren kognitiven Funktion, der sogenannten Konzentrationsfähigkeit? Was ist das nun wieder und wie hängt es mit der Aufmerksamkeit zusammen? Oder anders gefragt: wann konzentrieren Sie sich und wie läuft das ab, sich zu konzentrieren? Was ist das, was passiert da genau?"
<Schweigen>
"Na überlegen Sie mal: wenn Sie jetzt etwas in dem Mittelpunkt Ihrer Aufmerksamkeit genommen haben. Denken Sie sich in die Situation als Kind herein, meinetwegen, wenn man etwas bekommt, das neu ist und vielleicht glänzt und es fasziniert sie. Ihre Aufmerksamkeit ist dann erst mal für eine Weile gefangen gewesen von dem Objekt und wenn Ihr Geschwisterchen es haben wollte, dann fingen Sie an zu weinen."
"Man hat dieses Ding dann solange in der Aufmerksamkeit belassen, wie man es konnte", sagte Eine. "Ja richtig, man hat etwas in sich, man könnte sagen das Bewusstsein, ausgerichtet auf dieses Objekt der Begierde. Was genau passiert da?"
"Man richtet die Sinne genauer auf das Objekt aus", sagte die, die weiter oben mit der Wahrnehmung zu Gange war und ihre Sinne verstanden hatte und deren Funktion. "Korrekt, man bleibt wenigstens mit einem Teil der Aufmerksamkeit auf diesem Objekt drauf und egal was passiert, man lässt es im Augenwinkel bzw. in der Bewusstheit, auch wenn man etwas anderes zu Tun beginnt. Das ist die Situation der Mutter, die stets weiss, was das Kind tut und wo es ist, obwohl sie es nicht sieht.
Ist das Konzentration? Bzw. wann muss Konzentration stattgefunden haben, damit dieser Vorgang des Ruhens der Aufmerksamkeit auf einem Objekt oder Subjekt bleibt und nicht vergeht?"
"Man muss sich vorher auf das Objekt oder Subjekt konzentriert haben."
"Ja. Was genau ist also Konzentration jetzt?"
Eine lacht: "Liebe". "Ja, ja, wenn sie mit einer positiven, wohlwollenden Form der Aufmerksamkeit einherkommt, dann ist das wohl so. Was müssen Sie also tun, um zu lieben? Aufmerksam für etwas bleiben und sich darauf konzentrieren, um es danach wieder frei zu lassen. Ansonsten sind sie von dem Objekt oder dem Subjekt abhängig bzw. machen Sie das Subjekt abhängig."
"Au wei", sagt Eine. "JA, unbedingt. Man sieht also, daß Aufmerksamkeit und Konzentration nicht nur dazu gut sind, daß wir lernen können, sondern sie sind auch die Voraussetzung dafür uns zu lieben, angenehme soziale Beziehungen zu schaffen, zu kommunizieren statt uns gegeneinander eingestellt zu fühlen, ein Miteinander herzustellen um ein Thema."
Eine hier fiktiv eingefügte Teilnehmerin des Gesprächs fügte dann noch an: "Neulich habe ich gelesen, daß es verschiedene Formen von Aufmerksamkeit gibt. Beziehungsweise, daß sich Aufmerksamkeit im Laufe des Lebens verändert. Man sagt, bei Kindern sei die Aufmerksamkeit vor allem "fluide" und beim Erwachsenen werde sie "kristallin". Man erklärt sich das durch den Vorgang des Lernens, in dem der heranwachsende Mensch lernt, seine Aufmerksamkeit lernend zu lenken und immer länger auf einer einzigen Sache zu belassen. Damit werden einem Zusammenhänge klar, und innerhalb dieser klargewordenen Zusammenhänge bewegt sich die Aufmerksamkeit dann. Diese Klarheit schliesst das fluide Springen der kindlichen Aufmerksamkeit dann teilweise aus."
"Jou. Jetzt gehen Sie in eine Tiefe der Betrachtung der Aufmerksamkeit, die ich heute eigentlich noch nicht ansprechen wollte. Warum? Weil wir einen Fokus brauchen, um das Thema nicht persönlich, sondern sachlich zu verstehen. Besprechen wir das ohne uns z.B. eine bestimmte Erkrankung zum Hintergrund zu nehmen, so wenden wir dieses Wissen eher auf uns persönlich an. Und das ist schwierig. Denn jeder von uns hier hat eine andere Aufmerksamkeit, jeder hat ein anderes Konzentrationsvermögen. Und wir alle werden Defizite bei uns selber - und auch vor allem in unseren Familien erkennen, wenn wir darüber ernsthaft sprechen und uns das Thema wieder anhand eines Fallbeispiels erschliessen wollen. Wir werden sehen, daß unsere Zivilisation und Gesellschaft insgesamt nur so vollgestopft ist mit Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdefiziten und daß die daraus entstehende Machtlosigkeit ein Zeichen unserer Zeit ist, in dem wir gewissermassen alle stecken. Das geht an unsere Wurzeln, könnte man sagen, an's Eingemachte. Vertagen wir das also."
Und dann kam unweigerlich noch die hier ebenfalls fiktive Frage: "Herr X., was kann ich denn nun eigentlich gegen das Aufmerksamkeitsdefizit meines Kindes dann machen?"
...spätestens da sacke ich zusammen mit dem Gedanken, daß es in der heutigen Zeit ganz einfach nicht mehr möglich ist, Themen sachlich und theoretisch zu besprechen, sich auf einen Kern zu konzentrieren und nicht immer alles nur egoistisch auf sich selber anzuwenden. Und zufällig vor einem Stehende etwas gebildetere Leute als Auskunftsautomaten zu missbrauchen, weil man gerade mal die Gelegenheit hat.
"Im Normalfalle würde ich sagen, "Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker". Gehen Sie, wenn Sie das Problem haben, zu einem guten Arzt.
Ansonsten würde ich Ihnen, liebe fiktive Fraul, auf ihre fiktive Frage eine fiktive Antwort geben, die ich so sonst niemals formulieren würde, wenn ich einen Menschen vor mir hätte:
Sie müssen die Gefühlsduselei als Frau aus sich herauskramen, wenn Sie ein Kind haben und dafür verantwortlich sind, daß es lernt und sich entwickelt. Das ist das allerallererste und das Wichtigste. Sie müssen sachlich werden ihrem Kind gegenüber, kristallin in der Aufmerksamkeit. Sie müssen das Gitter sein, in dem die fluide Aufmerksamkeit des Kindes sich entwickeln kann, ohne daß Sie dieselbe begrenzen durch Ihre eigenen Vorstellungen oder Ideen davon, was oder wer das Kind sein könnte.
Das heisst daß Sie ihre Aufmerksamkeit ganz einfach auf das Kind lenken müssen. Und nicht darauf, was es tun soll oder nicht tun soll. Hören Sie auf zu überprüfen, ob sich das Kind normgerecht oder abnorm verhält und nehmen Sie vielmehr wahr, wie es sich verhält und schaffen Sie eine Umgebung, in der dieses Verhalten gewertschätzt wird und ausgelebt werden kann. Wenn Sie ein kämpfendes Kind haben, dann raufen Sie mit ihm soviel, bis es ruhig ist und geben Sie es zum Judo-Training, da können Sie im Kindesalter ganz früh beginnen. Natürlich sollten Sie selber aber auch Judo machen, dann, hm?!
Betrachten Sie also das Kind nicht als ein Objekt, das Sie mit einer Schere gestalten können wie einen Busch. An dem Sie Triebe abschneiden und an anderer Stelle ein Wachstum gestatten. So machen Sie jedes Kind kaputt.
Und bezüglich des Aufmerksamkeit sollten Sie vielleicht noch beachten, daß Sie wenigstens vier Aspekte der Aufmerksamkeit an sich erkennen und jederzeit wissen, wie es in Ihnen um diese Aspekte steht, wenn Sie mit Kindern Kontakt haben:
a) Die Posivität der Aufmerksamkeit
b) Die Negativität der Aufmerksamkeit
c) Die Fluidität der Aufmerksamkeit
d) Die Kristallinität der Aufmerksamkeit.
Gehen Sie mal auf die Suche nach diesen Dingen in sich, damit Sie erst mal in sich selber ein gewisses Mass an Ordnung herstellen und wissen, daß Sie nicht nur auf das Kind reagieren, sondern daß sie der agierende Teil werden können, wie es bei Eltern sein sollte.
....aber ich fürchte dafür werden Sie Kurse besuchen müssen. Ansonsten: geben Sie dem Kind Körperwahrnehmung. Das können Sie als Elternteil durch Kuscheln und Raufen und gemeinsam durchgeführten Sport vermitteln. Aber wenn ich Sie so sehe - um ehrlich zu sein: Ihre Dickleibigkeit wird Sie bei der Aufgabe, ein Kind aktiv zu betreuen, stets behindern. Und die Energie, die Sie sich durch Ihre falsche Ernährung, die mangelnde Bewegung und die dadurch einsetzende Alltagsdepression einfach so in's All schleudern, die kann Ihrem Kind auch nicht zu Gute kommen. Also würde ich das jetzt auch für Sie als Chance sehen, denn Ihr Kind kann jetzt ein Anlaß sein, daß Sie wirklich mal etwas an sich ändern und auch Ihr eigenes Leben mal in eine positive Richtung bringen, in der Sie eine positive Aufmerksamkeit für sich selber entwickeln und überblicken, in welche Situation Sie sich da manövrieren und manövriert haben. Wissen Sie: wenn Sie mal die Drogen, die Sie selber konsumieren, weglassen: der laufende Fernseher, das laufende Radio, das ganze Essen und Trinken und die damit verbundene falsche Befriedigung, das Herumsitzen oder -hängen auf dem Sofa als Ausgleich für etwas das man als anstrengend empfand, das Gequatsche über das Kind und die Männer mit Freundinnen - wenn Sie all diese Drogen mal weglassen, dann haben Sie jede Menge Aufmerksamkeit für sich und Ihr Kind übrig. Werden Sie sehen.
(aber natürlich würde ich das so nie formulieren, weil es nur die Spitze des Eisbergs zur Schau stellt, die in Reinform so natürlich nicht existiert. Oder sagen wir selten - leider aber immer öfter. Bitte nicht persönlich davon angesprochen fühlen, man sehe es als literarisches, gesellschaftskritisches Pamphlet. Pamphlete müssen immer etwas verletzen, etwas aufzudecken versuchen, das ist ihr Wesen.)
lg