Verlorene Zuversicht

H

Hierophantumar

Guest
(Idee und Text: copyright by uM.aR.)


Diese Geschichte spielt irgendwann; zu einer Zeit, die unwichtig ist. Sie kann heute spielen oder auch gestern. Die Geschichte spielt irgendwo, denn selbst der Ort ist nicht von Bedeutung. Aber vielleicht sind die Charaktere und der Inhalt aus dem Leben des Autors entsprungen und Realität?

Was machst du, wenn du feststellst, jemand zu sein, der du aber nicht bist; nie warst und auch nicht sein werden wirst? Wie gehst du damit um? Macht dich dies glücklich und zufrieden? Wenn ja, brauchst du die Geschichte nicht lesen. Aber falls Nein, dann höre mir zu:


„Hat es je eine Zeit gegeben, wo ich noch zufriedner war als jetzt? Eine Zeit, wo der Moment alles ist? Der Moment mir alles gibt, um Liebe zu empfangen und auch zu geben? Die Antwort: Nein!
Gab es je einen besseren Augenblick, als den jetzigen – sich einfach angenommen zu fühlen; eins zu sein mit dem Wind, der Natur, dem Universum, mit mir? Auch wieder Nein.

Die Sonne strahlt am Himmel. Sie ist so warm und lächelt mir zu. Ich bin so geborgen und sicher, in diesem nie wiederkehrenden Augenblick. Und die warmen Strahlen dieser gelben Energiekugel erhellen und erwärmen meinen Körper. Jede Zelle atmet Sauerstoff ein und aus. Noch mehr ein und aus. Tiefer und tiefer geht meine Atmung in jede Zelle. Der Körper, die Zellen, das Ich – alles fühlt sich so erfrischt und belebt an.

Und es erfreuen sich nicht nur die Pflanzen an der Sonne, auch die Tiere beginnen zu leben; sich zu bewegen. Animiert durch die Lichtteilchen der Sonne. Die Vögel üben sich im Sturzflug, fliegen wild umher und machen Wettfliegen. Und wenn sie nicht wie verrückt durch die Luft rasen, sitzen sie in den Bäumen und versuchen sich gegenseitig musikalisch zu übertrumpfen. Jeder ist lauter als der andere. Auch die Zitronenfalter schweben förmlich durch die Luft. Als lägen sie auf einem unsichtbaren Luftkissen, welches sie durch den Raum bewegt. Ganz mühelos und ohne jede Anstrengung. Und wenn sie Glück haben, bringt sie ihr Kissen dem Himmel ganz nah. Auf in Richtung Horizont und der Freiheit entgegen.
„Die Bienen summen in der Luft, erfüllen sie mit Honigduft…“, kommt es mir in den Sinn und ich singe in Gedanken das Lied.

Ach, dem ganzen bunten Treiben könnt ich ewig zusehen. Ich habe das Gefühl, die ganze Welt hat aufgehört sich zu bewegen, steht einfach still. Und ich sitze im Zuschauerraum eines Theaters und beobachte nur das Schauspiel auf der Bühne. Welches extra für mich und alle anderen Beteiligten in dem Saal inszeniert wurden ist. Ich fühle keinerlei Druck, keine Verpflichtungen, keine Anforderungen. Jetzt ist gerade meine Zeit gekommen, um zu leben.



Aber was ist das? was passiert mit mir? Es ist auf einmal so anders. Die Tiere verschwinden, sie fliehen. Die Umgebung verschwimmt vor meinen Augen, ist eingehüllt in eine Art Nebel. Auch die Farben und Klänge verschwinden; sie fliesen von den Gegenständen ab. Keine Farbe, kein Geräusch kann ich wahrnehmen. Es ist so still. viel zu ruhig. Ich fühle Angst. wie soll ich jetzt noch überleben können? Nein, alles bloß das nicht. Hiiiilfe!!“


Plötzlich krachte es. Ein Unwetter zog auf und verdeckte die Sonne hinter einer undurchdringbaren Schicht aus dunklen und teuflisch aussehenden Wolken.

Die Blätter der Sonnenblume wurden nass. Dann ihre Blüte und schließlich die gesamte Umgebung um sie herum. Sie fühlte sich sehr unbehaglich an. So, als ob sie in einen Mantel aus eiskalten Wassertropfen eingehüllt worden war, der ihre gesamte Lebensenergie einfrieren sollte.

Und es wurde noch schlimmer. Der Regen zeigte nun die wahre Situation, in der sich die Pflanze befand; In einer grauen, aus Betonklötzen bestehenden Stadt – zumindest was davon noch übrig war. Es gab keine farbenfrohen Blumen, keine Natur oder Tiere. Selbst die Menschen waren nicht zu sehen. Alles Lebendige floh als der Krieg begann und so stand die Sonnenblume wohl als einzige Überlebende in den Trümmern. Um sie herum roch es nach Hass, Angst, Aggression und Tod.


Sie fühlte sich so verlassen und getrennt. Getrennt von ihrer Gruppe, von der Sonne, getrennt von ihrem ganzen Leben. Obwohl (oder gerade weil?) sie starke Wurzeln hatte, die ihr die nötige Standfestigkeit im Leben gaben. Nichts konnte ihr etwas anhaben, selbst emotional gesehen, schien sie sehr solide zu sein.
Aber jetzt war alles anders. Alles, was sie glücklich machen könnte, verschwunden. Nur das kaum auszuhaltende Leid war geblieben. Warum musste diese schlimme Qual, die Schuld und der Kummer die innere Leere in ihr ausfüllen, welche entstand als das Glück verschwand?

Früher, also noch vor ihrer Zeit, gab es dieses Unglück nicht. So hatte sie von anderen Blumen gehört, dass es einmal ein Paradies gab. An diesem Ort und zu jener Zeit kannte niemand das Gefühl der Trennung. Alle waren Eins, alle waren glücklich. Jeder einzelne wurde geschätzt und geliebt. Jeder spürte die gewaltige, kraftvolle Energie in sich, in der Umgebung und im Gegenüber. Niemand brauchte neidisch sein oder verärgert auf sich oder gar andere. Alle waren gleichwertig.
Und auch die Bedürfnisse waren dieselben. Mit ihrem Antlitz dem Verlauf der Sonne folgend, tankten sie Energie auf, und gaben sie an die Umgebung wieder ab. Es ist wie ein einatmen und wieder ausatmen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.



Und da die Sonnenblume gerade nichts anderes in dieser frustrierten Situation machen konnte, dachte sie rückblickend über ihr ganzes Leben nach:

>>Alles was ich gelernt habe in diesem „Leben“ ist, dass ich nicht das bekommen darf, was mir zusteht. Alles was ich kann, darf ich nicht ausleben. Der, der ich bin, soll ich nicht sein.

Ich wollte auf einer grünen Wiese wachsen, bekam aber zu hören „Nein, das darfst du nicht!“. Und so wuchs ich zwischen dem kalten Grau der Häuser auf.
Ich wollte dann wenigstens strahlen und andere erfreuen, dass es mir gut geht und ich leuchte, bekam aber wieder zu Ohren: „Nein, wage es ja nicht, heller zu blühen, als deine Umgebung“.
Irgendwann wurde es mir gleichgültig, ob ich nun etwas mache oder nicht. Was ich wollte, zählte nicht. Meine Bedürfnisse wurden nie anerkannt.

Alles, was ich sein und tun möchte, wird mir untersagt. Das, was ich darf, ist jemand oder etwas zu sein, der ich gar nicht bin. Ich soll schön sein und duften, wie eine Rose, aber ja nicht so pieksen. Ich soll früh anfangen zu blühen, wie ein Schneeglöckchen im kalten Winter, aber dennoch nicht so langweilig weiß erscheinen.


Ich soll mich aufgeben, mich und mein Wesen verleugnen. Aber ich bin ja klug und lernfähig und so habe ich mich unterworfen und wurde ganz, ganz ruhig und still. Ich zog mich nach innen und lernte nur zu schauen. Nicht laut zu werden und aufzufallen.

Welch einen Kummer es mir bereitet, weiß keiner einzuschätzen. Es tut weh. Warum lebe ich dann überhaupt, wenn ich nichts machen darf? Ich habe keine Gleichgesinnten, keine Freund, keine Freude mehr. Einzig der Tod wäre wohl die richtige Entscheidung in meinem Leben. Die einzige Wahl, die ich selber getroffen habe. Ich! und kein anderer.


Nun möchte ich aber leben und habe daher aus meinem Schmerz und meiner Angst gelernt. Habe leise vor mich hingeweint, wenn keiner hinschaute und begann begeistert zu strahlen, wenn jemand in meiner Nähe war. Ich habe mich angepasst und andere Verhalten, Interessen und Ansichten angenommen. Andere imitiert, um nicht aufzufallen und nicht noch mehr abgelehnt zu werden. Und warum das alles? Es machte mich nur noch mehr unglücklicher!

Wo bin ich?! Wer bin ich? Alles was ich wollte, war und ist einfach nur zu tanzen, Spaß im Leben haben und einfach sein. <<


(Eine kleine Unterbrechung: Jetzt fragt sich der kluge Leser natürlich, wer es ihr verboten hat, vieles nicht tun zu dürfen! Aber soviel sei gesagt, die Sonnenblume weiß es selbst nicht mehr. Es setzte sich durch die vielen Rückschläge im Leben in ihrem Gehirn fest. Gebranntmarkt für ihr ganzes Leben. Und trotzdem hat sich ein kleiner Rest immer noch daran erinnert, wie es ist frei zu sein und noch Bedürfnisse und Wünsche nach Glück und Erfolg zu haben.
ok, weiter in der Geschichte.)


Während die große und stabile, gelbgrünlich schimmernde Pflanze immer noch so in Gedanken vertieft war, bemerkte sie nicht, dass das Wetter wieder umschlug. Die gelbe Sonne war wieder aus ihrem Zimmer gekommen, um ihrem Bedürfnis, zu leuchten, nachzukommen. Auch bemerkte die Blume nicht, dass sich einige Menschen, zwar etwas kraftlos und schwach, aus ihren Schutzräumen wagten und sich zu der Sonnenblume gesellten, um sie zu bewundern.


>>Oh, Papi schau mal, die Blume dort. Sie blüht immer noch und ist der einzige Farbklecks in der ganzen Umgebung. <<
>>Ja, wer so schön blüht, robuste und starke Wurzeln hat, und sogar einen Krieg überlebt, der ist schon etwas Besonderes. Das zeugt von innerer Sicherheit, sich so einem Angriff zu stellen. <<


Die Sonnenblume merkte leider noch immer nicht, was ihr Dasein für diese Menschen bedeutete. Sie war zum Symbol geworden, ein Symbol für Sicherheit und Hoffnung in schweren Zeiten. Sie gab den Menschen Mut und Hoffnung weiterzumachen. Erst als ein Lied gesungen wurde, horchte sie auf.

Mit robust und starken Wurzeln​
steht die Sonnenblume in ihrem gelben Kleid,​
Mach weiter so, wir danken dir.​
Gibst du uns Mut und Sicherheit.​

>>War das etwa für mich, das Lied? << überlegte sie. Auf einmal wurde ihr etwas anders zu Mute. Sie war vor Glück gerührt, dass sie in solch einer schweren Zeit, zwar nicht sich selbst, aber wenigstens den Menschen helfen konnte. Obwohl sie es nie mit Absicht getan hat und nichts dafür konnte, dass sie so fest verankert in dem Boden stand und noch immer steht. Und das jemand einen bewundert, dafür, dass er nichts tut, nur für sein So-sein?!
Kleine Kullertränen liefen aus ihrer Blüte.

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Nun kam der Junge auf sie zu. >> Du Papi, sie sieht immer noch etwas traurig aus und ist auch so alleine. Darf ich ihr - als mein Zeichen, dass ich ihr dankbar bin - meinen Schatz schenken? << Der Vater nickte und der Junge griff in seine zerflederte Hose. Er hielt in seiner kleinen, schmutzigen Hand ein paar Kerne. Die Erde sauber wischend, legte er diese nun ganz dicht an die Sonnenblume.

Da es sich um eine Geschichte handelt ist alles möglich und so entstanden urplötzlich viele neue Pflanzen. Alle hatten einen grünen Stängel, große Blätter und eine gelb-braune Blüte. Es waren Sonnenblumen gewachsen und die einst traurige Pflanze, stand nun inmitten der anderen.
>> Die Geschichten über das Paradies sind doch wahr<<, sagte sie zu sich und genoss den kurzen Augenblick des Glücks. Sie war jetzt wieder vervollständigt, in sich ruhend und einfach nur dankbar.


Was ich dir abschließend mit auf den Weg geben möchte:

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(Idee und Text: copyright by uM.aR.)
 
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Ach Umar, das hast du schön be (ge)schrieben....und das Bild dazu...
Schön, das es das Internet gibt, denn so komme ich in den Genuss deines Schreibens :)
wolky
 
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Üben, üben, üben. Übung macht den Meister. Und Geduld. Viel Geduld. Beredsamkeit bringt uns nicht weiter. Jemanden in Grund und Boden reden. Sabbel Di dod. Ehre wem Ehre gebührt. Dreikönigstreffen. Königsschießen. Schützenvereine. Tradition. Tevje und Anatevka. Die Ziege auf dem Dach. Der Hahn im Wäschekorb. Die Ente an der Drehorgel. Der Affe auf dem Schleifstein. Hoch zu Roß und ein Kind, das in den Brunnen gefallen ist. Fürbitte. Gebete und Anrufungen. Werden wir es retten können?

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