Ist sie mir eben auch nicht. Ich habe Wilber in einem Punkt ziemlich genau mitverfolgt, und bin mittlerweile etwas ratlos, was diesen Punkt anbelangt. In seinen früheren Entwicklungsmodellen setzte Wilber die höheren Bewusstseinsentwicklungsstufen (psychisch, subtil, kausal, nicht-dual) noch einfach auf alle anderen Stufen oben drauf. Noch in EKL tut er das. In den neueren Büchern (z.B. Integrale Spiritualität) zeigt er dann plötzlich - ohne das formal und näher jemals irgendwo zu erläutern - die Wilber-Combs-Matrix. Dort sind diese Stufen nicht mehr höher, sondern es findet eine Unterscheidung zwischen vertikal und horizontal statt. Die höchste Stufe der Erleuchtung ist nach Wilber somit die Zelle in der Matrix, die am höchsten und weitesten "rechts" in der Matrix ist. Da ist dann auch noch bisschen Spiral Dynamics und Sri Aurobindo eingeflossen, aber das braucht uns nicht näher zu interessieren.
Auch wenn ich intuitiv den Eindruck habe, dass die Wilber-Combs-Matrix dem bisherigen Modell überlegen ist, hat bis heute Wilber keine echte Erklärung geliefert, in welchem Zusammenhang die vertikale und die horizontale Struktur stehen. Es gibt vereinzelt Aussagen von ihm, wo er behauptet, dass ab einem gewissen Punkt in der Entwicklung (da wird dann von 3rd Tier gelabert, so als würden Cohen O_O und Wilber schon die gesamte menschliche Entwicklung im voraus präzise kennen), genauer: beim Übergang vom 2. zum 3. Tier - ein Minimum an horizontaler Entwicklung stattgefunden haben muss. Mir ist recht schleierhaft, was ihm die innere Sicherheit verleiht, das zu behaupten.
Kurz gesagt: Ich weiss leider auch nicht, wie diese Unterscheidung nun präzise festzustellen ist. Ich habe fast den Eindruck, dazu ist das Modell zu simpel. Oder die Realität zu komplex. In der Realität geschieht inneres Wachstum in der Regel meist sehr ungeordnet mit Vorwärts-, Rückwärts- und Seitensprüngen, mit Schlaufen und Phasen des Feststeckens en masse.
ich bin gerade ein paar Tage verreist und habe das Buch nicht vorliegen, möchte aber schon einmal vorläufig darauf antworten.
Meines Erachtens geht es hierbei rein "konzeptions-architektonisch" vor allem um die Zustand-Stufen-Problematik. Wilber geht darauf in dem von mir genannten Buch recht ausführlich ein.
Wilber hat die Kritik ernst genommen, dass es nicht ausreicht, wenn man einfach ein paar höhere "Zustände" erlebt; notwendig ist aus seiner Sicht die Etablierung dieser Zustände in einer jeweiligen strukturellen Stufe.
DAs Problem wird nun konzeptionell zementiert, insofern Wilber den ersten Quadranten methodisch phänomenologisch-introspektiv anlegt: er kann hier zwar verschiedene Zustände und Entwicklungslinien von Zuständen ansiedeln, aber das alles bleibt "subjektiv" und insofern auch horizontal.
Er verweist deshalb für eine "verobjektivierte" struktur-genetische Beschreibung auf den zweiten Quadranten und siedelt dort die Stufen an, die hier methodisch anders zugänglich werden.
Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass es sich bei spirituellen Erfahrungen nicht nur um "subjektive Erfahrungen" handelt, sondern um eine solide vertikale Entwicklung, die alle horizontalen Linien einschließt.
Rechts oben befindet sich dann - wie du auch schreibst - in der Matrix der Punkt, der die horizontale und vertikale höchste Entwicklung repräsentiert.
Hmmm. Ich bin grad unsicher, ob die 3-2-1-Technik und die Aussöhnung mit dem inneren Kind (als Technik betrachtet) völlig deckungsgleich sind. Sie sind aber zumindest sehr eng miteinander verwandt und zu einem grossen Teil deckungsgleich.
ja, ich wollte nicht sagen, dass sie deckungsgleich sind, sondern lediglich, dass die Aussöhnung die 3-2-1-Technik einschließt - jedoch nicht umgekehrt.
Die Aussöhnung schließt sie ein, insofern sie zentral an den intensiven Erlebnissen ansetzt, die mit der projizierten Außenwelt erfahren werden, um sie dialogisch zu integrieren. Zunächst als 3 im unmittelbaren, intensiven, projizierten Erlebnis nach außen, das der Dialog als expressiver Ausdrucksraum eröffnet, dann im weiteren liebevollen Dialog zwischen der unmittelbaren und der beobachtenden Perspektive zunehmend als 2 und schließlich als integrierte 1.
Würde ich mal sagen. Es ist übrigens generell auffällig, wie wenig Wilber in seinen Büchern über das Thema der Heilung spricht.
ja. Heilung und "Pathologie" wird soweit ich sehe von Wilber - schon seit "Spektrum des Bewusstseins" - auf "Schatten"(-Arbeit) reduziert.
Was mich an "Integral" fast noch mehr stört, ist, dass es völlig beliebig eine Ontologie sein kann oder eine Epistemologie (welches denn nun?) oder ein Management-Tool oder eine "Landkarte der Seele" oder was auch immer Wilber will, dass es das ist. Und die Community tut schön brav mit dem Kopf nicken. Was sind denn die 4 Quadranten beispielsweise wirklich? Eine Beschreibung? Die Realität? Eine Beschreibung der Realität? (Und wenn wir schon dabei sind: warum vier und nicht etwa sechs oder acht oder zwölf?) Integral ist eine Art Wilber'sches Monster, das gleichzeitig alles und nichts ist. Es kann weder verifiziert noch falsifiziert werden, und somit ist es bekanntlich wertlos. Wie sagtest du doch gleich: ein dogmatisches Postulat.
ja, ich finde das 4-Quadranten-Schema eher hinderlich. Heuristisch, für die Forschung und für die 70-80er Jahre war es vielleicht produktiv; aber konzeptionell scheint es mir längst veraltet.
Wenn ich es richtig sehe, dann hat Wilber es über seine Habermas-Rezeption aufgenommen. Wilber hatte sich ja intensiv mit der individuellen kognitiven Entwicklung insbesondere bei Piaget beschäftigt. Wichtig war hier dann auch Kohlberg, insofern dieser eine andere "Linie" - die moralische Entwicklung - beschreibt und sich vor allem den post-konventionellen Stufen auch widmete. Und schließlich war hier Habermas zentral, insofern er die Forschung zur individuellen Entwicklung aufnahm, auf die 3 Haupt- bzw. 6 Unter-Stufen noch eine weitere Stufen aufsetzen wollte und die individuelle Ontogenese parallel zur soziokulturellen, evolutionären Weltbildevolution beschrieb.
In der TKH hat Habermas dann Parsons ein eigenes Rekonstruktions-Kapitel gewidmet und hierin hat er dessen AGIL-Schema rezipiert, um seinen Ansatz in diesem 4-Quadranten-Schema zu beschreiben.
Und genau dieses 4-Quadranten-Schema hat dann Wilber übernommen.
(Übrigens haben die empirischen Forschungen der 80er Jahre dann gezeigt, dass die moralische Entwicklung empirisch sehr viel geringer ausfällt, als sich das Kohlberg mit seinen 6 Stufen und Habermas mit seinen 7 Stufen erträumt hatten. Kohlberg musste nach Modifikationen seines empirischen Tests eingestehen, dass sich empirisch-faktisch nahezu niemand auf Stufe 6 und nur sehr selten auf Stufe 5 befindet. Und Wilber ging es ja noch darum, Entwicklungen zu beschreiben, die darüber noch hinausgehen.)
Wilber ordnet dem ersten Quadranten bekanntlich eine introspektiv-phänomenologische Methode zu, dem zweiten Quadranten eine Beobachterperspektive. Meines Erachtens zementiert er damit einen Geist-Körper-Dualismus, über den gegenwärtige "integrale" Therapien schon hinaus sind, die z.B. am "Leib" ansetzen.
LG,
E.