bei aufstellungen wirst du ja sicher einmal probiert haben wie es ist, wenn du sie abschiebst und wie wenn sie bei dir ist
hallo claudia!
die sprache ist selbst schon so etwas wie eine aufstellung - worte repräsentieren unbewusste haltungen. wie kommt es, dass du "abschieben" als alternative wählst? steckt da nicht eine gehörige portion an moralischer wertung drin? ich denke, es ist eine sehr persönliche und vielschichtige entscheidung, mit einem menschen mit behinderung zu leben oder ihn in der obhut eines umfelds anzuvertrauen, das dafür geeignet ist. "abschieben" würdigt in meinen augen weder diese entscheidung noch die arbeit von institutionen, die für menschen mit behinderung geschaffen wurden. aber bitte nicht als kritik an deinem beitrag verstehen, sondern einfach als hinweis auf fallen der sprache (in die ich ja selber auch immer wieder reintappe).
liebe pluto!
du hast von scham als einem familienthema bei euch geschrieben, und da bekam ich sofort den impuls: eine viel größere verletzung des schamgefühls als eine behinderung kann es kaum geben. da wird völlig ungeniert in die öffentliche sichtbarkeit getragen... vielleicht hängt dieser impuls aber auch mit einer persönlichen erfahrung zusammen: als mein vater an krebs erkrankte, war es ein ganz wichtiges anliegen meiner mutter, dass ja niemand davon erfahren sollte, denn das wäre ja eine schande. und als bei ihr etwas später selbst ein karzinom zu wuchern begann, ging es fast nur noch darum, was sie denn getan hätte, um "sowas" zu verdienen. sie schämte sich zu tode, wörtlich.
scham sehe ich als funktion, dinge zu verbergen, die beunruhigen könnten. früher mal vorwiegend im sexuellen bereich, und da moralisch begründet: durch achtung des schamgefühls wollte man "den anderen nicht beunruhigen", aber primär wohl auch die eigene triebigkeit dämpfen. hinter den heruntergelassenen vorhängen sah's eh oft genug anders aus; ich erlebte vor kurzem erst eine aufstellung, in der die biografie einer magd eine rolle spielte, die in einer äußerlich sehr honorigen umgebung zum gegenstand fortgesetzten kollektiven missbrauchs geworden war, ganz schamlos von seiten der missbrauchenden und mit erheblichen systemischen wirkungen. solche scham ist übrigens - exkurs ins astrologische - auch ein zutiefst plutonisches thema, der versuch, dem machtvollen trieb durch verdrängung und moralisierende kanalisierung etwas entgegenzusetzen.
die frage ist dann für mich (als von ähnlichem nicht direkt betroffener mit der gleichen scheu, die auch claudia formuliert hat), wie ich mit einem solchen "familienthema" umgehe, wenn es in meinem leben so unausweichlich verkörpert wurde. wieder beschämt reagieren? mein eindruck ist, dass ihr einen weg geht, der an einen lichteren horizont führt. die lösung von scham ist ja nicht schamlosigkeit (das wäre nur kompensation), sondern sich dem auszusetzen und zu stellen, was die scham auslöst. wobei lösung nicht naiv gedacht werden kann als "mit dem richtigen dreh wird alles wieder gut". steve de shazer arbeitete mal mit einem mann, der seinen rechten arm verloren hatte, und hatte größte hemmungen, diesem mann die "wunderfrage" zu stellen, ein wesentliches element der "Solution Focussed Short Time Therapy". schließlich nötigte das forscherteam hinter dem einwegspiegel ihn dazu, es doch zu tun. und es war keine rede davon, dass der einarmige sich etwa seinen zweiten arm zurückgewünscht hätte, wie es de shazer befürchtet hatte. lösungen beginnen dort, wo "genommen wird, was ist". scham ist das gegenteil davon.
alles liebe,
jake