Luzifer, wörtlich der «Träger des Lichts», wird in der Bibel durch die Schlange symbolisiert, die sich in das Paradies schleicht und den Menschen verführt, vom «Baum der Erkenntnis» zu essen. Dadurch werden dem Menschen die Sinne für die äußere Welt geöffnet - und zugleich werden seine sinnlichen Begierden erweckt. Der Mensch wird dadurch früher und tiefer in die sinnliche Welt verstrickt, als es ursprünglich vorgesehen war. Als Folge des luziferischen Einflusses wird der Mensch aus dem Paradies verstoßen, d.h. es wird ihm der unmittelbare Anblick der göttlichen Welt entzogen. Das rein geistige Wesen, das der Mensch einmal war, steigt herab in die sinnliche Welt und nimmt hier physisch-körperliche Gestalt an. Weil der Mensch nun ein stofflich-körperliches Wesen wird, verliert er seine ursprüngliche Unsterblichkeit und nimmt den Tod in seine körperliche Natur auf. Zugleich wird aus dem ursprünglich eingeschlechtlichen Wesen ein zweigeschlechtliches - die Geschlechtertrennung ist eine unmittelbare Folge des luziferischen Einschlags. Der Mensch ist dadurch nicht mehr das reine unverfälschte Abbild des göttlichen Wesens, als das er ursprünglich veranlagt war, sondern nur mehr ein einseitig verzerrtes Bild der geistigen Schöpfermächte. Die Menschheit wird nach und nach in Rassen, Stämme und Völker gespalten. Und weiter wird damit schließlich die Voraussetzung für die allmähliche Individualisierung des Menschen geschaffen. Die Menschheit zerfällt in einzelne Individuen. Der Mensch wird dadurch selbstständiger; Luzifer bringt ihm die individuelle Freiheit, verführt ihn aber auch zum Egoismus. Von nun an kann er aus eigener Kraft zwischen dem Bösen und dem Guten unterscheiden. Luzifer bringt den Menschen die Fähigkeit zur moralischen Erkenntnis - setzt sie aber auch der Gefahr aus, sich tief in moralische Verfehlungen zu verstricken. Beides ist aber notwendig, damit der Mensch ein moralisch eigenverantwortliches Wesen werden kann. So kann Luzifer zwar als Widersacher aufgefasst werden, der sich den göttlichen Schöpfermächten entgegenstellt, aber er fördert durch diesen Widerstand zugleich die Entwicklung, indem er dem Menschen die Freiheit und die moralische Erkenntnis bringt. Er darf also keineswegs als einseitig böse geistige Macht aufgefaßt werden. Böse wird der Mensch, wenn er sich einseitig den durch Luzifer erregten sinnlichen Begierden willenlos hingibt. Gut wirkt Luzifer, wenn die Menschen durch ihn, den «Lichtträger», das Licht der Weisheit und den Sinn für die Schönheit der sinnlichen Welt aufnehmen. Alle Wissenschaft und alle Kunst sind eine Gabe Luzifers - und ebenso alle auf Erkenntnis gegründete moralische Erkenntnis. Ohne ihn gäbe es die menschliche Kultur nicht.
Luzifer wollte den Menschen in die sinnliche Welt hineinführen, aber es lag nicht in seinen Absichten, ihn zugleich so fest an die materielle Welt zu binden, wie das mittlerweile der Fall ist. Die Materie ist das Reich Ahrimans, und durch diesen erst wurde die Menschheit mehr und mehr in das materielle Dasein verstrickt. Zwar machte es Luzifers Wirken Ahriman erst möglich, den Menschen zu ergreifen und an die Materie zu binden, aber er handelt damit gegen die Interessen Luzifers. Ahriman und Luzifer sind Gegenspieler. Luzifer will den Menschen wohl aus der reinen göttlichen Welt herausziehen und ihn in sein eigenes geistiges Reich führen, aber dieses liegt eben nicht tief in der materiellen Welt, wo Ahriman haust, sondern es steht an der Grenze zwischen sinnlicher und übersinnlicher Welt. Luzifer ist daher heute immer bestrebt, den Menschen von der bloß materiellen Welt loszulösen. Er will ihn nicht zu einem ganz und gar erdenfesten Wesen werden lassen. Er ist ein Geist des Auftriebs, der Visionen, Illusionen, der Ekstase und des Rausches, der den Menschen von der Erde hinwegheben will in sein flüchtiges immaterielles sinnlich-übersinnliches Reich. Ahriman dagegen will uns in die rein materielle untersinnliche Welt herabziehen. Nur im gesunden Gleichgewicht zwischen diesen erdenflüchtigen luziferischen und erdensüchtigen ahrimanischen Kräften kann der Mensch seine wahre Freiheit finden.