Hallo honoka
honoka schrieb:
Hallo an alle! Ich lese momentan einige Bücher über Zen und in jedem Buch steht man solle nicht unterscheiden zwischen gut und schlecht. Ich versuche mich auch möglichst daran zu halten aber oft geht es einfach nicht. Ich war heute in einem Restaurant und dort saß ein kleines 2-3 jähriges Kind zwischen seinen Eltern, die sich beide eine Fluppe nach der anderen angezündet haben. Das Kind hat zwar geweint und gehustet aber seine Eltern haben nur versucht es zu trösten und haben einfach weitergeraucht. Nach 20 Minuten konnte ich mir die Situation einfach nicht mehr ansehen. Also bin ich rübergegangen und habe den Eltern ins Gesicht gesagt, was sie doch für schlechte Menschen seien, dass sie einem kleinen wehrlosen Kind so etwas antun. Sie haben mich doof angeschaut und nur gelacht. Dann habe ich gezahlt und bin traurig nach Hause gegangen. Ich habe mich dauernd gefragt wie Menschen nur zu so etwas fähig sind. Nun ist meine Frage einfach wie man dieses "nicht Unterscheiden" und solche meiner Meinung nach eindeutig bösen Taten unter einen Hut bringen kann. Ich kann doch nicht einfach über so etwas hinwegsehen und sagen:"Das ist gut so", wenn ich sehe wie etwas eindeutig schlechtes getan wird. Wenn man erleuchtet ist, soll man angeblich von allen Unterscheidungen befreit sein und alles als gut ansehen. Danach müsste mir doch praktisch alles am Hintern vorbeigehen und ich müsste einfach alles als gut und sinnvoll ansehen. Erklärt mir bitte wie man dieses miteinander vereinbaren kann. Ich verstehe es einfach nicht. Vielen Dank schon einmal an alle dir mir helfen!
Ich muss gestehen, ich habe mit dem Zen auch so meine Probleme und ich halte überhaupt nichts davon, alles als gottgegeben hinzunehmen. Ich finde die Reaktion, die Du gezeigt hast, viel natürlicher als wenn irgend jemand versucht, die Dinge als unveränderlich oder gottgewollt hinzunehmen. Steckt dahinter nicht eher der Versuch, sich der Verantwortung zu entziehen? Scheint ja heutzutage ohnehin ein Modetrend zu sein. Darum wundert es mich gar nicht, wenn solche Überlegungen viele Anhänger findet.
Aber ich glaube nicht, dass es irgendjemandem weiterhilft, wenn er die Gedankenlosigkeit am Nebentisch nicht zur Kenntnis nimmt oder mit den Schultern zuckt und sich sagt, was soll's, wird schon seine Richtigkeit haben. Genau diese Mentalität ist ebenso auf den Strassen anzutreffen, wenn irgendjemand vor aller Augen brutal zusammengeschlagen wird. Was soll's, geht mich nichts an. Zivilcourage? Im Grunde steckt hinter solch einem Verhalten eine grosse Portion Gleichgültigkeit, Herzlosigkeit und Feigheit. Sind das nicht alles Werte, die in unserer Gesellschaft hoch gehandelt werden?
Wenn man spirituell wachsen will, dann sollte man seine Sensibilität nicht verlieren. Dann sollte man seine Fähigkeit für Mitgefühl und Nächstenliebe bewahren. Und wenn irgendwo ein Unrecht geschieht, dann sollte einem dieses nicht gleichgültig lassen, es sollte einen wütend, traurig oder betroffen machen. Es sollte etwas in uns auslösen. Es sollte irgendetwas in uns in Bewegung setzen. Nur wenn ich diese Wut am eigenen Körper spüre, dann kann ich daraus lernen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass mich solche Dinge unberührt lassen, jedenfalls in meiner momentanen Verfassung nicht.
Man sollte aber wissen, dass diese Wut, die man in dem Moment empfindet, in der man mit dieser Gleichgültigkeit oder Ungerechtigkeit konfrontiert wird, nicht nur etwas mit dem Verhalten des anderen zu tun haben, sondern auch etwas mit dem eigenen Inneren. Wenn man z.B. mit einer Ungerechtigkeit konfrontiert wird, so erinnert einen dies an die vielen Ungerechtigkeiten, die man selber erfahren hat. Vielleicht war man seiner Zeit noch ein Kind und konnte sich in der Situation nicht anders verhalten, als die Wut und die Traurigkeit, die man empfand, hinunter zu schlucken. Von daher weiss man natürlich in etwa, wie der andere sich fühlt, dem nun diese Ungerechtigkeit widerfährt.
Ein Weiser, ein Heiliger, ein Erleuchteter würde mit der Situation anders umgehen. Ich meine, er würde auch Mitleid und Unbehagen empfinden. Aber er würde dabei ruhig und gelassen bleiben, weil es ihn innerlich nicht aus den Socken haut. Er würde keine Wut empfinden, vielleicht würde er Mitleid empfinden, aber dieses Mitleid ist aber nicht von Traurigkeit gekennzeichnet, vielmehr ist sie Ausdruck seiner Liebe. Ich glaube nicht, dass er in solchen Situationen untätig wäre. Er würde die Eltern vielleicht in ein Gespräch verwickeln und würde dabei liebevoll und rücksichtsvoll die Dinge, die er sagen möchte, zur Sprache bringen, ohne dass die Eltern es als Einmischung empfinden würden. Allerdings wären sie von seiner Art und Weise so fasziniert und verwirrt, dass sie über diese Situation bestimmt noch lange nachdenken würden.
Aus diesem Grunde möchte ich meine Sensibilität nicht verlieren. Ich möchte mir die Dinge ganz genau ansehen. Ich möchte wissen, was sie in mir auslösen. Nur so weiss ich ganz genau, wie es um mich bestellt ist, was da noch an Wut und Trauer in mir steckt. Nur so kann ich an mir arbeiten und Fortschritte machen, bis ich eines Tages vielleicht ebenso ruhig und sachlich mit Situationen umgehen kann, die mir heute noch Probleme bereiten.
Alles Liebe. Gerrit