Mahabharata

Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 102 -II

Ambika und Ambalika werden die Frauen Vichitraviryas
Vichitravirya stirbt 7 Jahre später

Doch da, oh König, rief der mächtige Wagenkrieger Shalya, dieser König von unermeßlichem Heldentum, den Bhishma von hinten zum Kampf. Um die Mädchen zu gewinnen stürmte er hinter Bhishma her wie ein gewaltiger Elefantenbulle, der dem Gegner für eine bereite Elefantenkuh mit seinen Stoßzähnen die Seiten aufreißt. ... Dieser Beste der Männer, Shalya, deckte Bhishma, den Sohn von Shantanu, mit hunderten und tausenden schnellgeflügelter Pfeile ein. Als dies die Beobachter sahen, staunten sie sehr und schrien Beifall. ... Doch als Bhishma, dieser Vernichter von feindlichen Armeen, diese Jubelschreie der Kshatriyas hörte, wurde er sehr ärgerlich und rief: „Stop! Stop!“

Und dann zornig zu seinem Wagenlenker: „Lenke den Wagen dahin, wo Shalya ist. Ich werde ihn sofort packen wie Garuda eine Schlange.“ Danach legte Bhishma die Varuna Waffe auf seine Bogensehne und tötete mit ihr die vier Pferde von König Shalya. Dann wehrte dieser Kuru Anführer mit seinen Waffen die Geschosse seines Feindes ab und tötete dessen Wagenlenker. Und Bhishma kämpfte weiter um die Damen und tötete mit der Indra Waffe die anderen edlen Pferde seines Gegners. Dann besiegte er diesen Besten der Monarchen, doch ließ ihn am Leben. ...

Nun fuhr dieser Beste aller Kämpfer nach seinem Sieg über die Monarchen nach Hastinapura zurück, wo der tugendhafte Vichitravirya über die Erde herrschte wie sein Vater Shantanu. Er durchquerte viele Wälder, Flüsse und Berge und erreichte die Kuru Hauptstadt in kürzester Zeit. Fürsorglich brachte der unermeßlich mächtige Schlachtenkrieger die Töchter des Königs von Kasi zu den Kurus, als wären sie seine Töchter, Schwiegertöchter oder jüngeren Schwestern, ohne einen einzigen Kratzer am eigenen Leib, obwohl er zahllose Feinde in der Schlacht getötet hatte.

Mit dem Wunsch, seinem Bruder Gutes zu tun, stellte Bhishma mit den mächtigen Armen die schönen Mädchen dem Vichitravirya vor. ... In Absprache mit Satyavati war schon alles für die Hochzeit vorbereitet, als die älteste Tochter des Königs von Kasi sich mit einem sanften Lächeln an Bhishma wandte: „Ich hatte in meinem Herzen schon den König von Sauva zum Ehemann gewählt. Und er hatte mich in seinem Herzen als Gattin angenommen. Dem hatte auch unser Vater zugestimmt. In der Gattenwahl wollte ich ihn zu meinem Herrn erwählen. Du bist vertraut mit allen Geboten der Tugend. Du weißt jetzt alles. Tu, wie es dir beliebt.“

Die Maid hatte zu Bhishma in Anwesenheit von Brahmanen gesprochen und der heldenhafte Bhishma dachte darüber nach, was zu tun sei. Der Tugendhafte beriet sich mit den vedenkundigen Brahmanen, und erlaubte Amba, der ältesten Tochter, zu tun, was sie wünschte. Doch mit den angemessenen Riten übergab er die beiden anderen Töchter, Ambika und Ambalika, seinem jüngeren Bruder Vichitravirya.

Und obwohl Vichitravirya tugendhaft und mäßig war, war er doch stolz auf seine Jugend und Schönheit und wurde schon bald nach seine Hochzeit lüstern. Die beiden Mädchen Ambika und Ambalika waren hochgewachsen und hatten eine Haut wie erhitztes Gold. Ihre Häupter waren mit schwarzem, lockigem Haar bedeckt, und ihre Fingernägel waren rot und lang. Ihre Hüften waren rund und schön, ihre Brüste voll und straff. Sie trugen alle glücksverheißenden Zeichen an sich. Und die liebenswerten jungen Damen betrachteten sich als äußerst würdig vermählt.

So liebten und achteten sie Vichitravirya sehr. Auch Vichitravirya war mit dem Heldenmut der Himmlischen und der Schönheit der Aswins gesegnet, und konnte das Herz jeder schönen Frau stehlen. So verbrachte der Prinz ganze sieben Jahre ununterbrochen in Gesellschaft seiner beiden Frauen und wurde noch in der Blüte seiner Jugend von der Schwindsucht ergriffen. Freunde und Verwandte versuchten miteinander alles, ihn zu heilen. Doch trotz aller Bemühungen starb der Kuru Prinz wie die untergehende Sonne. Und Bhishma versank in Trauer und Sorge. In Absprache mit Satyavati ließ er die Beerdigungsriten für den Verstorbenen von gelehrten Priestern und vielen Älteren der Kuru Familie durchführen.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 103

Der Tugend und das Gespräch zwischen
Bhishma und Satyavati zur Thronfolge

Vaisampayana sprach:
Die unglückliche Satyavati betrauerte den Tod ihres Sohnes zutiefst. Mit ihren Schwiegertöchtern führte sie die Trauerriten durch und beruhigte, so gut sie konnte ihre weinenden Schwiegertöchter und auch Bhishma, diesen Besten unter allen Waffenträgern. Dann blickten ihre Augen wieder auf Tradition und Fortsetzung von väterlichen und mütterlichen Erbfolgen, und die ruhmreiche Dame wandte sich an Bhishma.

Satyavati sprach:
Der Begräbnis-Kuchen für die Ahnen, die ruhmreichen Taten und die Fortsetzung der Linie des tugendhaften und gefeierten Shantanu aus der Dynastie des Kuru hängen nun von dir ab. Wie der Erhalt des Himmels untrennbar mit guten Taten verbunden ist, und langes Leben mit Wahrheit und Treue, so ist die Tugend von dir nicht zu trennen. Oh du Tugendhafter, du bist in Theorie und Praxis mit den Geboten der Tugend vertraut, mit verschiedenen Srutis und allen Zweigen der Veden.

Ich weiß sehr wohl, daß du mit Sukra und Angiras vergleichbar bist, was deine Standhaftigkeit in Tugend, dein Wissen um die Familientraditionen, deine Geistesgegenwart und deinen Einfallsreichtum in schwierigen Situationen anbelangt. Ich vertraue voll und ganz auf dich, du Bester der tugendhaften Männer, und daher weise ich dich auf eine gewisse Sache hin. Hör mich an. Und es gehört sich für dich, meiner Bitte nachzukommen. Oh du Bulle unter den Männern, mein Sohn, dein Bruder, voller Energie und dir lieb, ging ohne Nachkommen in den Himmel ein, als er noch ein Jüngling war.

Diese Frauen deines Bruders, die lieblichen Töchter des Königs von Kasi, besitzen Schönheit und Jugend und wünschen sich Kinder. So zeuge Kinder mit ihnen auf mein Wort hin, oh du mit den mächtigen Armen, damit unsere Linie bestehenbleibe. Es ist an dir, die Tugend vor Verlust zu beschützen. Besteige den Thron und herrsche über das Königreich der Bharatas. Heirate eine Frau. Und laß deine Ahnen nicht in die Hölle sinken.

Vaisampayana fuhr fort:
Nicht nur seine Mutter hatte ihn darum gebeten, auch seine Freunde und Verwandten. Und so gab Bhishma, dieser Bezwinger aller Feinde, folgende, tugendhafte Antwort.

Bhishma sprach:
Oh Mutter, was du sagst, wird sicher von der Tradition gebilligt. Doch du kennst meinen Eid bezüglich der Zeugung von Kindern. Du weißt ja alles, was deine Mitgift betraf. Oh Satyavati, ich wiederhole das Versprechen, was ich einst gab. Ich würde den drei Welten entsagen, dem Imperium des Himmels, oder sogar Größerem als dies - doch ich würde niemals der Wahrheit entsagen. Die Erde mag ihren Duft ablegen, das Wasser seine Feuchtigkeit und das Licht seine Sichtbarkeit. Der Wind mag seiner Fühlbarkeit entsagen, die Sonne mag ihre Helligkeit ablegen, der Komet seine Hitze, der Mond seine kühlen Strahlen, der Raum seine Fähigkeit, Klang zu erzeugen, der Vernichter von Vritra (Indra) seinen Heldenmut, der Gott der Gerechtigkeit seine Unvoreingenommenheit - doch ich kann nicht der Wahrhaftigkeit entsagen.

So von ihrem Sohn mit großer Energie angesprochen erwiderte Satyavati dem Bhishma:
Oh du Held, dessen Stärke die Tugend ist, ich weiß um deine Standhaftigkeit hinsichtlich der Tugend. Du kannst mit Hilfe deiner Energie drei neue Welten erschaffen. Ich kenne deinen Eid um meinetwillen. Doch bedenke diesen Notfall und trage die Last der Pflicht, die man seinen Ahnen schuldet. Oh du Feindebezwinger, handle so, daß unsere Linie nicht abbreche und unsere Freunde und Verwandten nicht leiden.

So drängte die elend weinende und ihres Sohnes beraubte Satyavati mit untugendhaften Worten den Bhishma wieder und wieder.
Doch Bhishma antwortete ihr:
Oh Königin, wende deine Augen nicht von der Tugend ab. Zerstöre uns nicht. Der Bruch mit der Tugend in einem Kshatriya wird in unseren Schriften über die Tugend niemals gelobt. Ich werde dir, oh Königin, von den bestehenden Kshatriya Traditionen erzählen, zu denen wir Zuflucht nehmen mögen, damit das Geschlecht des Shantanu auf Erden nicht vergehe. Hör mich an, denke nach, und berate dich mit den Gelehrten und jenen, die um die Praktiken wissen, welche in Zeiten der Not und Gefahr erlaubt sind, doch auch in solchen Zeiten niemals das angemessene Verhalten zum Wohle der Gesellschaft vergessen.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 104 - I

Die Geschichten von Jamadagni und Dirghatama

Bhishma fuhr fort (Satyavati zu unterrichten):
Voller Zorn über den Tod seines Vaters tötete Raam, der Sohn des Jamadagni, vor langer Zeit den König der Haihayas mit seiner Streitaxt. Er trennte Arjuna, dem König der Haihayas, seine tausend Arme ab und vollbrachte damit eine schwierige Tat in der Welt. Doch längst nicht zufrieden, machte er sich mit seinem Streitwagen auf den Weg, die Welt zu erobern. Er nahm seinen Bogen, schleuderte seine mächtigen Waffen und vernichtete die Kshatriyas. Und dieser ruhmreiche Nachfahre des Bhrigu vernichtete die Kshatriya Klasse (der Krieger) mit seinen schnellen Pfeilen ganze einundzwanzig Mal.

Als die Erde solchermaßen vom großen Rishi jeglicher Kshatriyas beraubt war, bekamen die Kshatriya Damen im ganzen Land Kinder von vedenkundigen Brahmanen. Die Damen wandten sich nicht aus Lust an die Brahmanen, sondern der Tugend wegen. In den Veden wird gesagt, daß ein solcherart gezeugter Sohn zu dem gehört, der einst die Mutter geheiratet hatte. So wurde damals die Kshatriya Klasse gerettet.

In diesem Zusammenhang wird noch eine andere alte Geschichte erzählt, die ich dir berichten möchte. Es gab einmal in alter Zeit einen weisen Rishi namens Utathya. Er hatte eine Gattin namens Mamata, welche er zärtlich liebte. Eines Tages warb Vrihaspati, der mit großer Energie ausgestattete jüngere Bruder von Utathya und Oberpriester der Himmlischen, um Mamata. Doch diese sprach zu dem jüngeren Bruder ihres Gatten, diesem Ersten unter den redegewandten Männern, daß sie bereits aus der Verbindung mit seinem älteren Bruder empfangen habe, und er daher nicht die Erfüllung seines Begehrens suchen sollte.

Sie sagte weiterhin: „Oh ruhmreicher Vrihaspati, das Kind, welches ich empfing, hat schon im Mutterleib die Veden mitsamt den sechs Angas studiert. Doch dein Samen ist unfehlbar. Wie kann mein Leib genügend Raum für zwei Kinder gleichzeitig haben? Es ziemt sich daher nicht für dich, zu dieser Zeit die Erfüllung deines Begehrens zu suchen.“ Nach diesen angemessenen Worten von ihr, und obwohl er mit großer Weisheit gesegnet war, gelang es Vrihaspati dennoch nicht, sein Verlangen zu zügeln, und er suchte die Vereinigung.

Da sprach das Kind im Leib der Mutter zu ihm: „Oh Onkel, halte ein! Hier ist nicht genug Platz für zwei. Oh du Ruhmreicher, es ist hier sehr eng. Und ich habe den Raum zuerst eingenommen. Dein Samen sollte nicht vergebens ausgeschüttet werden. Und es ist nicht recht von dir, mich zu bedrängen.“ Doch Vrihaspati hörte nicht auf die Worte des Kindes im Mutterleib und suchte die Umarmung mit der schönäugigen Mamata.

(Aus mehreren anderen Quellen: Als Vrihaspati seinen Samen entlassen wollte, versperrte das Kind den Weg mit seinen Füßen und stieß den Samen heraus, so daß er auf die Erde fiel.)

Als dies der ruhmreiche Vrihaspati bemerkte, empörte er sich sehr, machte Utathyas Sohn Vorwürfe und verfluchte ihn: „Weil du auf diese Weise zu mir gesprochen hast, in einem Moment des Vergnügens, welches alle Wesen suchen, soll dich andauernde Dunkelheit überkommen.“
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 104 - II

Dirghatama - Tugend und Gelehrsamkeit
Dirghatama - Neue Regel für die Frauen
Dirghatama und König Vali


Wegen dieses Fluchs des ruhmreichen Vrihaspatis, kam Utathyas Kind, welches dem Vrihaspati an Energie glich, blind auf die Welt und wurde Dirghatama genannt (in dauernde Dunkelheit gehüllt).
So war der weise Dirghatama für die Welt blind, aber besaß das Licht der Veden. Und aufgrund seiner Tugend und Gelehrsamkeit erhielt er eine junge und hübsche Brahmanin namens
Pradweshi zur Frau. Er heiratete sie und bekam mit ihr viele Kinder, von denen Gautama der Älteste war. Doch alle seine Kinder waren mit Begierde und Torheit geschlagen.

Dagegen besaß der tugendhafte und ruhmreiche Dirghatama die vollständige Meisterschaft über die Veden. Er lernte schon bald von Surabhis Sohn die freizügigen Praktiken von dessen Rasse (der Kühe),
und übte sie mit reiner Verehrung und ohne Furcht aus. (Denn Scham ist das Produkt von Sünde und kann niemals leben, wo die Absicht rein ist.) Doch diese besten Munis, die in derselben Einsiedelei
lebten, beobachteten mit Empörung, wie er die Grenzen des Anstandes übertrat, und sahen Sünde, wo keine war. Sie sprachen: „Dieser Mann übertritt die Schranken des Anstandes.

Er verdient nicht länger einen Platz unter uns. Wir sollten uns dieses sündhaften Lumpens entledigen.“ Und sie sagten noch viele andere Dinge über den Muni Dirghatama. Auch seine Ehefrau und
seine Söhne fühlten sich von ihm beleidigt. Da fragte der Ehemann seine Gattin Pradweshi: „Warum bist du mit mir unzufrieden?“ Seine Frau antwortete: „Der Ehemann wird Varta genannt, weil er
die Frau unterhält. Er wird auch Pati genannt, weil er sie beschützt. Doch du bist keines von beiden für mich. Oh du mit dem großen asketischen Verdienst, weil du von Geburt an blind bist,
mußte ich die ganze Zeit dich und deine Kinder unterhalten. Doch das werde ich in Zukunft nicht mehr tun!“ Nach ihren Worten wurde der Rishi ärgerlich und sprach zu Frau und Kindern:

„Führe mich zu den Kshatriyas und du wirst reich sein.“ Doch seine Gattin erwiderte: „Ich wünsche keinen Reichtum, der dir gegeben wird, denn der kann mich niemals glücklich machen.
Oh bester Brahmane, lebe, wie es dir beliebt. Aber ich werde dich nicht länger versorgen.“ Nach diesen Worten seiner Frau sprach Dirghatama: „Aufgrund deines Verhaltens möge vom heutigen Tag an die
Regel gelten, daß jede Frau ihr ganzes Leben bei einem Ehemann bleiben soll.
Ob der Ehemann nun tot oder lebendig sei, es soll nicht rechtens für eine Frau sein, sich mit einem anderen zu verbinden.

Und jene, die eine solche Vereinigung haben mag, soll als gefallen gelten. Einer Frau ohne Ehemann soll Sünde anhaften. Und auch wenn sie reich ist, soll sie sich an ihrem Wohlstand nicht wirklich
erfreuen können. Verleumdung und üble Rede sollen ihr überall hin folgen.“ Nach diesen Worten wurde Pradweshi wütend, und sie befahl ihren Söhnen: „Werft ihn in die Wasser der Ganga!“ Der hinterhältige
Gautama und die anderen Brüder, diese Sklaven von Habgier und Torheit, erklärten sich bereit: „Ja, warum sollen wir diesen blinden und alten Mann versorgen?“ Sie banden ihn an ein Floß und übergaben
ihn der Gnade des Stroms.

Dann kehrten sie ohne Reue nach Hause zurück. So trieb der Brahmane auf seinem Floß über den Strom durch die Länder verschiedenster Könige. Eines Tages kam der tugendhafte König Vali an die Ganga,
um seine Waschungen durchzuführen. Dabei entdeckte er den Rishi auf seinem Floß, wie er auf ihn zutrieb. Als er nahe genug war, ergriff der König den alten Mann. Als er erfuhr, wen er gerade gerettet hatte,
bat der wahrheitsliebende und tugendhafte König den Rishi, für ihn Nachkommen zu zeugen. Vali sprach: „Oh du Ruhmreicher, ich bitte dich, mit meiner Gattin einige Söhne zu zeugen, welche tugendhaft und
weise sein sollen.


Der energetische Rishi stimmte zu, und König Vali sandte seine Frau Sudeshna zu ihm. Doch die Königin wußte, daß der Rishi alt und blind war, und ging nicht hin. Statt dessen schickte sie ihre Amme.
Mit dieser Shudra Frau bekam der Rishi, welcher seine Leidenschaften unter völliger Kontrolle hatte, elf Söhne, von denen Kakshivan der Älteste war. Eines Tages sah König Vali diese elf Söhne, wie sie
die Veden studierten, wie ihr Vater große Macht hatten und Brahma sprachen, und er fragte den Rishi: „Sind das meine Kinder?“ Der Rishi erwiderte: „Nein. Das sind meine. Kakshivan und die anderen
zeugte ich mit einer Shudra Frau.

Die unglückselige Königin Sudeshna sah mich Blinden und Alten und beleidigte mich, da sie nicht selbst kam, sondern ihre Amme schickte.“ Da besänftigte der König diesen Besten der Rishis und sandte ihm
noch einmal seine Königin Sudeshna. Der Rishi berührte sie kaum und sprach dann zu ihr: „Du sollst fünf Söhne haben namens Anga, Banga, Kalinga, Pundra und Sumbha, welche alle dem Surya an
Pracht gleichen werden. Und nach ihren Namen sollen viele Länder der Erde benannt werden.“ So kam es, daß die Namen ihrer Königreiche auch Anga, Banga, Kalinga, Pundra und Sumbha wurden.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 105 - I

Rishi Parasara zeugt mit Satyavati (welche wieder Jungfrau wurde)
Vyasa (der Kompiler der Vedischen Literatur am Anfang dieses Zeitalters des Kali)
Satyavati ruft Vyasa herbei

Und Bhishma fuhr fort:
Höre, Mutter, ich weise dir die Mittel, wie die Linie des Bharata fortgesetzt werden kann. Lade einen fähigen Brahmanen ein, biete ihm Reichtum an und laß ihn Nachkommen mit den Ehefrauen von Vichitravirya zeugen.
Da lächelte Satyavati schüchtern und mit stockender Stimme sprach sie zu Bhishma:
Oh Bharata mit den mächtigen Armen, was du sagst, ist wahr. Voller Vertrauen in dich werde ich dir nun eine Lösung unseres Problems aufzeigen. Du wirst nicht in der Lage sein, sie abzulehnen, denn du bist mit den Praktiken vertraut, die in Notlagen erlaubt sind. In unserer Familie bist du die Tugend, die Wahrheit und unsere einzige Zuflucht.

Also höre genau zu, was ich dir aufrichtig erzähle und entscheide dann das Richtige:
Mein Vater war ein tugendhafter Mann. Und aus tugendhaften Gründen betrieb er ein Fährboot. Eines Tages, ich war noch sehr jung, ging ich, um mit dem Boot über den Fluß zu setzen. Und es geschah, daß der große und weise Rishi Parasara, dieser vollendet tugendhafte Mann, zu meinem Boot kam, um die Yamuna zu überqueren. Als ich ihn über den Fluß ruderte, regte sich Begehren in dem Rishi, und er sprach verlockende Worte zu mir. Die Furcht vor meinem Vater war übergroß in meinem Geist. Doch die Furcht vor einem Fluch des Rishi war letztendlich größer.

Und da ich von ihm eine kostbare Gabe erhielt, konnte ich sein Werben nicht ablehnen. Der Rishi brachte mich mit seiner Energie völlig unter seine Kontrolle. Erst umhüllte er die Gegend mit einem dichten Nebel, und dann stillte er sein Verlangen auf der Stelle. Bevor dies geschah, klebte ein abstoßender Fischgeruch an meinem Körper. Doch der Rishi vertrieb ihn und schenkte mir diesen himmlischen Duft als Gabe. Der Rishi versprach mir auch, daß, wenn ich seinen Sohn auf einer Insel im Fluß zur Welt brächte, ich wieder Jungfrau sein würde.

So wurde der von mir in meiner Jugend geborene Sohn von Parasara ein großer Rishi mit großen asketischen Kräften und unter dem Namen Dwaipayana (der Inselgeborene) bekannt. Dieser ruhmreiche Rishi teilte mit seiner asketischen Macht die Veden in vier Teile ein und wird seither auf Erden auch Vyasa genannt. Und wegen seiner dunklen Farbe wird er auch Krishna (der Dunkle)gerufen. Er wahr wahrhaft in der Rede, frei von Begierden und ein mächtiger Asket, der alle Sünden verbrannt hatte, als er mit seinem Vater sofort nach seiner Geburt davonging. Wenn du und ich ihn bitten, wird dieser Rishi mit dem unvergleichlichen Glanz sicher gute Kinder mit den Gattinnen deines Bruders zeugen. Er sagte zu mir, bevor er ging: Mutter, denk an mich, wenn du in Schwierigkeiten bist. Wenn du es wünschst, werde ich mich auf ihn konzentrieren, oh Bhishma mit den mächtigen Armen. Wenn du einverstanden bist, bin ich sicher, daß dieser große Asket anstelle von Vichitravirya Kinder zeugen wird.

Vaisampayana erzählte weiter:
Nachdem der große Rishi erwähnt worden war, sprach Bhishma mit gefalteten Händen: „Dieser Mensch ist wahrlich klug, der seine Blicke wohlüberlegt auf Tugend, Gewinn und Freude richtet. Und der nach geduldigem Nachdenken auf solche Art handelt, daß die Tugend auch zu künftiger Tugend, Reichtum zu künftigem Reichtum und Freude zu künftiger Freude führt. Was du gesagt hast, ist vorteilhaft für uns, in Tugend verankert und sicher der beste Ratschlag. Er hat meine vollste Zustimmung.“ Da dachte Satyavati an den Muni Dwaipayana, welcher in die Interpretation der Veden vertieft war. Als ihm bewußt wurde, daß seine Mutter an ihn dachte, erschien er sofort vor ihr.

Die Mutter grüßte ihren Sohn und umarmte ihn mit tränenfeuchten Augen, denn die Tochter des Fischers mußte heftig weinen, als sie ihren Sohn nach so langer Zeit wiedersah. Da erfrischte ihr erster Sohn, der große Vyasa, das Gesicht seiner Mutter mit kühlem Wasser, verbeugte sich vor ihr und sprach: „Nun Mutter, ich bin gekommen, um deine Wünsche zu erfüllen. Gib mir deine Befehle, ohne zu zögern, du Tugendhafte. Ich werde ausführen, was du begehrst.“ Doch erst grüßte und ehrte der Familienpriester den großen Rishi, welcher mit den üblichen Mantras die ihm angebotenen Ehren annahm. Zufrieden nahm Vyasa Platz, und Satyavati holte bei ihm die üblichen Erkundigungen ein, bevor sie zu ihm sagte:

„Oh du Gelehrter, Söhne leiten ihre Geburt sowohl von Vater als auch Mutter her. Sie sind also das gemeinsame Eigentum von beiden Eltern. Es kann nicht den geringsten Zweifel geben, daß die Mutter genau soviel Macht über sie hat wie der Vater. Du bist wahrhaftig mein ältester Sohn gemäß der Tradition, oh Brahmarshi, und Vichitravirya war mein jüngster Sohn. Und wie Bhishma Vichitraviryas Bruder von Vaters Seite her ist, so bist du sein Bruder von Mutters Seite her. Ich weiß nicht, mein Sohn, wie du darüber denkst. Doch so denke ich davon.

Bhishma, der Sohn des Shantanu, ist der Tugend zugetan und hat um der Wahrhaftigkeit willen weder den Wunsch, Kinder zu zeugen, noch das Königreich zu regieren. Doch aus Zuneigung für deinen Bruder Vichitravirya und für die Fortführung unserer Dynastie, zum Wohle Bhishmas und auf meine Bitte hin, aus Freundlichkeit für alle Wesen, zum Schutze des Volkes und aus der Großmut deines Herzens heraus, bitte ich dich zu tun, was ich nun sage, oh du Sündenloser. Dein jüngerer Bruder ließ zwei Ehefrauen zurück, die den Töchtern der Himmlischen gleichen in ihrer Jugend und großen Schönheit. Aus Gründen der Religion und Tugend wünschen sie sich Kinder. Du bist die beste Person für diese Aufgabe. Zeuge mit ihnen Kinder, die unseres Geschlechts würdig sind und unsere Linie gedeihen lassen.“
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 105 - II

Vyasa sprach:
Oh Satyavati, du weißt, was Tugend ist in diesem und im nächsten Leben. Oh du Weise, deine Liebe ist auch in Tugend verankert. Auf deinen Befehl hin, werde ich die Pflicht zu meinem Motiv machen und tun, was du wünschst. Ja, diese Praxis ist mir bekannt, denn sie entspricht der wahrhaften und ewigen Religion. Ich werde meinem Bruder Söhne schenken, die Yama und Varuna gleichen. Laß eine der Damen für ein Jahr einem Gelübde folgen, welches ich anzeige. Dann wird sie gereinigt sein. Denn keine Frau soll bei mir sein, ohne eine strenge Buße ertragen zu haben.

Satyavati sprach:
Oh du Sündenloser, es muß nicht sein, wie du sagst. Unternimm etwas, daß die Dame sogleich empfängt, denn in einem Königreich ohne König vergehen die Menschen vor Sehnsucht nach Schutz. Opfer und andere heilige Taten werden ausgesetzt, die Wolken spenden keinen Regen und die Götter verschwinden. Wie kann ein Königreich beschützt werden, daß keinen König hat, oh Herr? Bitte, laß die Dame empfangen. Bhishma wird über die Kinder wachen, solange sie noch im Mutterleib sind.

Da antwortete Vyasa:
Wenn ich so unzeitgemäß meinem Bruder Kinder schenken soll, dann muß die Dame meine Häßlichkeit ertragen. Das allein wird in ihrem Fall die schwerste aller Bußen sein. Wenn die Prinzessin von Kosal meinen strengen Geruch, mein häßliches und grimmiges Gesicht, mein Gewand und meinen Körper ertragen kann, wird sie einen hervorragenden Sohn empfangen. Also laß die Prinzessin in sauberer Kleidung und mit Ornamenten geschmückt in ihrem Schlafgemach auf mich warten.

Sprach's und verschwand. Da begab sich Satyavati zu ihrer ältesten Schwiegertochter und sprach unter vier Augen zu ihr folgende Worte voller Nutzen und Pflicht: „Oh Prinzessin von Kosal, höre mir genau zu, denn meine Worte dienen der Tugend. Wegen meines Unglücks stirbt die Linie der Bharatas aus. Der weise Bhishma achtet meine Trauer und das Verlöschen seiner väterlichen Linie. Außerdem wünscht auch er eine Fortsetzung unserer Familie, und so machte er einen Vorschlag. Doch die Erfüllung seines Vorschlags hängt von dir ab. Oh folge ihm, Tochter, und rette unsere verlorene Familie.

Oh du mit den schönen Hüften, bring ein Kind zur Welt, welches strahlt wie der König der Himmlischen. Er wird die beschwerliche Bürde unseres vererbten Königreiches tragen.“ Nachdem Satyavati mit großer Schwierigkeit, doch erfolgreich die Zustimmung ihrer tugendhaften Schwiegertochter zu dieser nicht untugendhaften Verbindung erhalten hatte, speiste sie die Brahmanen, Rishis und zahllosen Gäste, welche sich bei der Gelegenheit eingefunden hatten
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 106

Die Geburt von Dhritarashtra, Pandu und Vidura

Schon bald darauf kam die Prinzessin von Kosal in ihre fruchtbare Phase, und Satyavati reinigte ihre Schwiegertochter mit einem Bad und führte sie in ihr Schlafgemach. Dort ließ sie Ambika sich auf das luxuriöse Bett setzen und sprach zu ihr: „Oh Prinzessin von Kosal, dein Ehemann hat einen älteren Bruder, der heute nacht für ein Kind in dich eindringen wird. Warte auf ihn und schlaf nicht ein.“ Die liebliche Prinzessin legte sich auf ihr Bett und dachte an Bhishma und die anderen Älteren des Kuru Geschlechts.

Da betrat der Rishi mit der wahrhaften Rede die Kammer von Ambika, wie er es versprochen hatte, während die Lampe noch brannte. Und die Prinzessin erblickte sein dunkles Gesicht, seine verfilzten, kupferfarbenen Locken, seine glühenden Augen und den strotzenden Bart und schloß aus Angst ihre Augen. Der Rishi wollte den Wunsch seiner Mutter erfüllen und vollzog die Vereinigung. Doch die Prinzessin öffnete starr vor Angst die ganze Zeit kein Auge und blickte ihn nicht ein einziges Mal an.

Als Vyasa die Kammer wieder verließ, wartete seine Mutter auf ihn. Sie fragte: „Wird die Prinzessin einen fähigen Sohn haben?“ Seine Antwort war: „Der Sohn, den die Prinzessin auf die Welt bringen wird, wird so stark sein wie tausend Elefanten. Er wird ein ruhmreicher königlicher Weiser sein, großes Wissen besitzen, klug und energetisch sein. Der Hochbeseelte wird einhundert Söhne bekommen. Doch wegen des Fehltritts seiner Mutter wird er blind sein.

Nach diesen Worten fragte Satyavati ihren Sohn: „Oh du mit dem asketischen Reichtum, wie kann ein Blinder ein würdiger Monarch der Kurus sein? Wie kann jemand, der blind ist, der Beschützer seiner Verwandten sein und die Zierde seines Vaters Geschlecht? Du mußt den Kurus einen anderen König schenken.“ Vyasa sprach: „So sei es.“, und ging davon. Und Ambika, die Prinzessin von Kosal, brachte in angemessener Zeit einen blinden Sohn zur Welt.

Schon bald danach rief Satyavati ihren Sohn Vyasa wieder zu sich, nachdem sie die Zustimmung ihrer zweiten Schwiegertochter erhalten hatte. Vyasa erschien, wie er es versprochen hatte, und vereinigte sich mit der zweiten Ehefrau seine Bruders. Doch als Ambalika den Rishi erblickte, erbleichte sie vor Furcht. Und der Rishi, welcher ihre Angst und ihre bleiche Gesichtsfarbe wohl bemerkt hatte, sprach zu ihr: „Weil du beim Anblick meines grimmigen Gesichts aus Angst blaß geworden bist, soll dein Sohn auch bleich sein. Und der Name deines Kindes, oh du mit dem schönen Gesicht, soll Pandu (der Bleiche) sein.“

Danach verließ er ihre Kammer und traf draußen auf seine Mutter, die ihn nach dem zukünftigen Kind befragte. Der Rishi erzählte ihr, was er auch Ambalika gesagt hatte. Daraufhin flehte ihn Satyavati um ein weiteres Kind an, und der Rishi stimmte zu: „So sei es.“ Ambalika brachte zur rechten Zeit einen blassen Sohn zur Welt. Er war strahlend schön und hatte alle glücksverheißenden Zeichen. Und er war das Kind, welches später der Vater der Pandavas, dieser mächtigen Bogenschützen, wurde.

Etwas später, als die älteste Frau von Vichitravirya wieder ihre fruchtbare Zeit hatte, wurde sie von Satyavati erneut gebeten, sich mit Vyasa zu vereinen. Doch die himmlisch Schöne folgte diesmal nicht der Bitte ihrer Schwiegermutter, denn sie konnte sich noch gut an den üblen Gestank und das grimmige Gesicht des Rishi erinnern. Sie schickte statt dessen eine ihrer Dienstmägde zu ihm, die so schön wie eine Apsara und mit ihren eigenen Ornamenten geschmückt war. Als Vyasa eintrat, erhob sich die Maid und grüßte ihn. Respektvoll wartete sie auf ihn und nahm erst neben ihm Platz, als er sie darum bat. Darob, oh König, war der große Rishi der strengen Gelübde mit ihr sehr zufrieden.

Als er sich erhob, um wieder zu gehen, sprach er zu ihr: „Du Liebenswerte, du sollst nicht länger eine Dienerin sein. Dein Kind wird ein höchst glücklicher und tugendhafter Mann und einer der Klügsten auf Erden sein.“ Der Sohn, den das Mädchen von Vyasa gebar, wurde später unter dem Namen Vidura bekannt. Er war der Bruder von Ambikas Sohn Dhritarashtra und von Pandu, dem Ruhmreichen. Vidura war bar aller Begierde und Leidenschaft und mit allen Regeln der Herrschaft vertraut. Er war der erdgeborene Gott der Gerechtigkeit entsprechend dem Fluch des Rishi Mandavya. Als Krishna Dwaipayana seine Mutter wie bereits zuvor beim Verlassen der Kammer traf, informierte er sie von der Täuschung der älteren Prinzessin und von der Zeugung eines Sohnes mit einer Shudra Frau. Dann verschwand der Rishi vor ihren Augen.

So wurden von Vyasa mit den Frauen des Vichitravirya Söhne gezeugt, welche so glanzvoll wie die Himmlischen und die Nachfolger des Kuru Geschlechts waren.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 107

Rishi Mandavya wird für einen Dieb gehalten

Janamejaya fragte:
Was tat der Gott der Gerechtigkeit - Yama, welcher über die Toten richtet, daß er verflucht wurde?
Und wer war der Brahmane, durch dessen Fluch dieser Gott in der Shudra Kaste geboren wurde?

Vaisampayana antwortete:
Es lebte einst ein Brahmane namens Mandavya. Er war mit allen Pflichten vertraut und widmete sich Dharma (der vorgeschriebenen Pflich), Wahrheit und Askese.
Dieser große Asket saß immer am Eingang seiner Einsiedelei am Fuße eines Baumes, die Arme hoch erhoben und dem Schweigegelübde folgend. Als er dort so saß,
jahrein und jahraus, da kamen eines Tages ein paar mit Beute schwer beladene Räuber vorbei, welche dichtauf von den Wachen des Königs verfolgt wurden.

Die Diebe betraten die Einsiedelei und versteckten ihre Beute und sich selbst. Kaum waren sie verschwunden, kamen auch schon die Wächter heran. Diese befragten
den Rishi unter dem Baum: „Bester Brahmane, welchen Weg nahmen die Diebe? Zeig ihn uns, damit wir ihnen sogleich folgen können.“ Doch der Asket erwiderte ihnen
kein Wort, weder für noch wider. Da durchsuchten die Wächter des Königs seine Einsiedelei und fanden sogleich die Diebe nebst der Beute. Und ihr Verdacht fiel auch auf den Muni.

So ergriffen sie ihn mitsamt den Dieben und brachten ihn vor den König. Der König verurteilte ihn zur Exekution zusammen mit seinen mutmaßlichen Verbündeten.
Unwissend handelten nun auch die Wachen des Königs, führten das Urteil aus und pfählten den gefeierten Rishi mit den anderen. Danach brachten sie die gerettete
Beute zum König. Doch der tugendhafte, gepfählte Rishi blieb für lange Zeit am Leben und starb nicht, obwohl er keine Nahrung bekam.

Durch seine asketische Macht erhielt er nicht nur sein Leben, sondern er rief andere Rishis herbei. Sie kamen des Nachts in Gestalt von Vögeln. Als sie ihn erblickten,
wie er auf dem Pfahl in asketische Meditation versunken war, da überkam sie große Trauer. Sie stellten sich diesem Besten der Brahmanen vor und fragten ihn:
„Oh Brahmane, für welche Sünde mußt du die Qualen des Pfählens ertragen?“
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 108


Dharma wird von Mandavya verflucht

Vaisampayana fuhr fort:
Dieser Tiger unter den Munis antwortete den askesereichen Rishis: „Wem sollte ich dafür die Schuld geben? Tatsache ist, niemand sonst (als mein eigenes Selbst) hat gegen mich gehandelt.“ Kurz danach bemerkten die Wachen des Königs, daß der Muni immer noch am Leben war und informierten den König. Dieser beriet sich mit seinen Ministern, kam zum Rishi und entschuldigte sich beim Gepfählten. Er sprach: „Oh bester Rishi, in Unwissenheit habe ich gegen dich gehandelt. Ich flehe dich an, vergib mir. Sei bitte nicht ärgerlich mit mir.“

Da war der Muni besänftigt, und der König versuchte, ihn vom Pfahl herunterzuholen. Doch dies gelang ihm nicht, so daß der Pfahl dicht am Körper des Muni abgesägt wurde. Von da ab lebte der Muni mit einem Stück Pfahl in seinem Körper, verrichtete die schwerste Buße und gewann sich zahllose Bereiche, die für andere unerreichbar waren. Weil der Pfahl immer noch in ihm steckte, wurde er auch unter dem Namen Animandavya (Mandavya mit einem Pfahl in sich) bekannt.

Eines Tages begab sich dieser Brahmane der höchsten Wahrheit in das Reich des Gottes der Gerechtigkeit. Er sah den Gott auf seinem Thron sitzen und fragte ihn vorwurfsvoll: „Für welche Sünde, die ich unbewußt beging, muß ich diese Strafe ertragen? Sag es schnell und achte die Kraft meiner Askese.“ Der Gott der Gerechtigkeit erwiderte: „Oh Asket, du hast einmal ein kleines Insekt mit einem Grashalm aufgespießt. Und nun trägst du die Konsequenzen dieser Tat. Wie eine noch so kleine Gabe, oh Rishi, sich hinsichtlich ihres tugendhaften Verdienstes vermehrt, so vermehrt sich eine Sünde hinsichtlich des Leidens, welches sie nach sich zieht.“

Da fragte ihn Animandavya: „Oh sage mir, wann habe ich diese Sünde begangen?“ Und der Gott antwortete ihm darauf, daß er noch ein Kind gewesen sei. Da sprach der Rishi: „Was man als Kind bis zu seinem zwölften Lebensjahr getan hat, sollte nicht als Sünde gelten. Die Shastren sollen dies nicht als Sünde anklagen. Die Strafe, die du mir für solch ein verzeihliches Vergehen auferlegt hast, ist unangemessen in ihrer Härte. Das Töten eines Brahmanen ist mit einer Sünde verbunden, die schwerer wiegt als das Töten irgendeines anderen Wesens.

Dafür sollst du, oh Gott der Gerechtigkeit, selbst unter Menschen und sogar in der Shudra Klasse geboren werden. Von heute an setze ich diese Grenze hinsichtlich der Handlungen, daß keine Tat als sündig angeklagt werden soll, wenn sie im Alter bis zu vierzehn Jahren begangen wird. Doch wird die Tat begangen, wenn man älter ist, dann soll sie als Sünde gelten.“

Vaisampayana sprach:
Für dieses unmäßige Urteil wurde der Gott der Gerechtigkeit vom ruhmreichen Rishi verflucht und nahm seine Geburt auf Erden als Vidura in der Shudra Klasse. Vidura war ein Meister der Tugendgebote, und auch der Politik und des weltlichen Gewinns. Er war völlig frei von Habsucht und Zorn. Er besaß große Vorhersicht und eine ungestörte Klarheit des Geistes. Und war immer um das Wohl der Kurus bemüht.
 
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Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva
109

Dhritarashtra, Pandu und Vidura wachsen heran

Mit der Geburt der drei Jungen blühten Kurujangala, Kurukshetra und die Kurus auf. Die Erde gab reichliche Ernte und das Getreide bekam einen hervorragenden Geschmack.
Die Wolken ließen zur rechten Zeit Regen fallen, und die Bäume trugen schwere Lasten an Früchten und Blüten. Die Zugtiere waren glücklich, und die Vögel und anderen Tiere
freuten sich sehr. Die Blumen dufteten, und die Früchte waren wohlschmeckend. Die Städte waren mit Händlern und Künstlern aller Arten angefüllt. Das Volk wurde tapfer,
gelehrt, wahrhaft und froh.
Es gab keine Räuber, und niemand war sündig. Es schien, als ob das goldene Zeitalter (Satya-yuga) über jeden Teil des Königreiches
gekommen war.

Die Menschen waren tugendhaften Taten, Opfern und der Wahrheit zugetan, schauten aufeinander mit Zuneigung und Liebe und lebten in Wohlstand. Sie waren frei von
Stolz, Zorn und Eifersucht. Und sie erfreuten sich an völlig unschuldigen Spielen. Die Hauptstadt der Kurus, so üppig wie das Meer, strotzte von hunderten Palästen und Häusern.
Es gab Tore und Brücken so dunkel wie die Wolken und alles glich einem zweiten Amaravati (Indras (Jehovas) Stadt). Die Menschen vergnügten sich ausgiebig an den Flüssen,
Teichen und Wasserbecken, in schmucken Hainen und bezaubernden Wäldern in großer Ausgelassenheit. Die Kurus aus dem Süden maßen sich in tugendhaftem Wettkampf mit den
Kurus aus dem Norden und erfreuten sich der Begleitung von Charanas und erfolgsgekrönten Rishis.

Im ganzen entzückenden Land, dessen Wohlstand die Kurus vermehrt hatten, gab es weder Elend noch Witwen. Alle Brunnen und Teiche waren allseits gefüllt, die Wälder voller
Bäume und die Häuser und Wohnorte der Brahmanen voller Reichtum. Im ganzen Land gab es ständig Festlichkeiten. Bhishma regierte tugendhaft, und das Königreich war mit hunderten
von Opferpfählen geziert. Das Rad der Tugend war von Bhishma in Gang gesetzt worden. Und das Land wurde herrlich für die Untertanen anderer Königreiche, so daß sie
ihre Heimat verließen und zu den Kurus zogen.


So vermehrte sich die Bevölkerung. Die Bürger waren mit Hoffnung erfüllt, als sie die Taten und das Betragen der ruhmreichen jungen Prinzen sahen. In jedem Haus hörte man allseits die
Worte: „Gib“ und „Iß“. Dhritarashtra, Pandu und der kluge Vidura wurden von Geburt an von Bhishma erzogen, als wären es seine eigenen Kinder. Sie durchliefen die üblichen Riten ihrer
Klasse und widmeten sich Gelübden und Studium. Sie wuchsen zu prächtigen Jünglingen heran, die in den Veden gelehrt und in allen athletischen Sportarten geübt waren. Sie gingen
hervorragend mit dem Bogen um, konnten reiten, waren sicher im Kampf mit Keule, Schwert und Schild, lenkten Elefanten in der Schlacht und wußten um die Kunst der Moral.

Sie waren belesen in Geschichte, den Puranas und allen Zweigen des Wissens. Sie waren vertraut mit der Wahrheit der Veden und Vedangas, und das Wissen, welches sie erlangten, war vielseitig
und tief. Pandu mit dem großen Heldenmut übertraf alle in den Künsten des Bogens, während Dhritarashtra der Stärkste an Körperkraft war. Und niemand in den drei Welten konnte sich mit
Vidura in Hingabe an die Wahrheit und dem Wissen um die Gebote der Tugend messen. Beim Anblick dieser Wiederbelebung der beinah verloschenen Shantanu Linie wurde
folgendes Sprichwort überall bekannt: „Unter den Müttern von Helden sind die Töchter des Königs von Kasi die Ersten. Unter allen Ländern ist Kurujangala das Beste. Unter allen tugendhaften Männern ist Vidura der Höchste. Und unter allen Städten ist Hastinapura die Beste.“

Pandu wurde König, weil Dhritarashtra blind und Vidura von einer Shudra geboren war, und beide daher nicht das Königreich erhielten. Eines Tages sprach Bhishma, dieser
Hervorragendste unter denen, die mit Staatsaffären und Moral vertraut sind, folgendes zu Vidura, diesem in Gerechtigkeit und Tugend Ruhenden.
 
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