Ist der Nato-Krieg gegen Serbien ein gutgemeinter Fehlschlag?
Scholl-Latour: Es ist durchaus legitim, daß man versucht, das Vorgehen der Serben zu beenden, die Vertreibung rückgängig zu machen und eventuell Milosevic zu stürzen. Man muß dazu allerdings auch die richtigen Methoden anwenden und nicht solch einen blödsinnigen Luftkrieg man hat ja die Erfahrung aus Vietnam und aus anderen Ländern, wie dem Irak.
Der Luftkrieg war kontraproduktiv. Die Ausweisungen aus dem Kosovo bewegten sich zuvor auf einem weit niedrigeren Niveau. Jetzt hat man nun die Massenvertreibungen. Andererseits hat der Krieg für Milosevic, der sehr umstritten war bei seinen eigenen Leuten und in der Bevölkerung, jetzt den Effekt der Solidarisierung der Opposition unter Vuk Drascovic zum Beispiel. Es ist das Gegenteil von dem erreicht worden, was angestrebt war. Darüber hinaus versteht die momentane rot-grüne Regierung nichts vom Kriegshandwerk, wie man es auch von Pazifisten gar nicht anders erwarten kann.
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Scholl-Latour: Die Entwicklungen waren absolut absehbar, und ich weiß auch gar nicht, wie so etwas möglich ist. Ich bin mir auch gar nicht im klaren über das überproportionierte amerikanische Engagement. Die Europäer müßten sich hier wesentlich mehr berührt fühlen, weil der Balkan ja ein Bestandteil Europas ist. Daß die Amerikaner, die doch weltweit aktiv sind, gerade dem Kosovo solch eine Aufmerksamkeit gewidmet haben, verwundert sehr.
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Die öffentliche Meinung in Deutschland und im übrigen Europa geht überwiegend davon aus, daß es sich bei dem Einsatz gegen Serbien darum dreht, das Ausmaß einer humanitären Katastrophe zu verhindern. Halten Sie die ständigen Vergleiche zwischen Serbien und dem Dritten Reich für angebracht?
Scholl-Latour: Was ich für absolut unerträglich halte, ist der Vegleich mit Auschwitz. Im Kosovo geschieht bestimmt sehr viel Schreckliches. Diese paramilitärischen Einheiten der Serben habe schon in Bosnien gezeigt, daß sie zu morden verstehen. Es sind zum Teil Verbrecherbanden. Doch der Vergleich mit Auschwitz ist eine Beleidigung der Opfer von Auschwitz. Es wundert mich, daß Ignatz Bubis, der sich oft zu Worte meldet, hier bei der Bagatellisierung der Verbrechen von Auschwitz schweigt. Auschwitz war ja eine technisierte und perfekt organisierte Durchführung eines Massenmordes, wobei die Opfer in verhungertem Zustand in die Gasöfen eingeliefert wurden. Wir sehen schreckliche Bilder aus dem Kosovo, aber die Vertriebenen kommen in Personenwagen oder mit Traktoren und Bussen oder in Zügen an. Die Kameras gehen zwar immer auf das Leid, auf weinende Kinder und auf schwangere Frauen. Aber die Juden hatten im Dritten Reich nicht die Möglichkeit, abgeschoben zu werden, in ein Land, wo ihnen humanitär geholfen worden wäre. Sie hätten geweint vor Glück, wenn ihnen damals eine solche Fluchtmöglichkeit offen gestanden hätte. Das zu vergleichen, ist eine Ungeheuerlichkeit.
Der Völkerrechtler Wolfgang Seiffert hat gegenüber unserer Zeitung vergangene Woche gesagt, daß die humanitären Gründe nur vorgeschoben seien. Es ginge beim Nato-Einsatz vielmehr um die Demonstration einer neuen Weltordnung, eines neuen Verständnisses des Völkerrechts und um eine gegen den russischen Einfluß in Europa gerichtete Aktion.
Scholl-Latour: Damit bin ich nur zum Teil einverstanden. Zuerst einmal muß man sagen, daß die eklatanten Verstöße gegen das Völkerrecht durch die Serben hier ein Eingreifen durchaus rechtfertigen. Das ist auch europäische Verantwortung. Ich weiß aber nicht, warum man versucht, Rußland immer mehr zurückzudrängen. Das sieht man im Kaukasus und das sieht man in Zentralasien. Dazu zähle ich allerdings nicht die Nato-Osterweiterung. Das war eine logische Konsequenz angesichts der großen Unsicherheit, die im russischen Raum weiter existiert. Es ist eine absolute Torheit, Rußland so zu brüskieren, daß bei den nächsten Wahlen wahrscheinlich eine nationalistisch gefärbte Duma herauskommt. Dann könnte auch ein Präsident gewählt werden, der dem Westen gegenüber ablehnend eingestellt ist. Ich möchte mich heute nicht zu der Art und Weise äußern, mit der Primakov in Bonn behandelt worden ist.
Am besten das ganze Interview lesen (will nicht zuviel kopieren):
http://www.jf-archiv.de/archiv99/179aa01.htm