Kalkutta, Samstag, 28. Oktober 1882:
Meister (zu den Brahmos):
"..... Wenn man sich selbst analysiert, findet man, daß es so etwas wie 'ich' gar nicht gibt. Nehmt z.B. eine Zwiebel. Zuerst schält man die äußere rote Haut ab; dann hat man dicke weiße Schichten vor sich. Entfernt man sie eine um die andere, so bleibt am Ende gar nichts übrig.
In diesem Zustand kann der Mensch sein Ego nicht mehr entdecken. Und es ist ja auch keiner da, der es suchen könnte. Wer könnte dieses Erlebnis des reinen Bewußtseins, was die Natur Brahmans ist, beschreiben?
Einst wollte eine Puppe aus Salz die Tiefe des Meeres ausmessen. Doch kaum war sie im Wasser, als sie sich auflöste. Wer war dann noch da, um über die Tiefe zu berichten?
Es gibt ein Merkmal für die höchste Erkenntnis. Wer sie erlangt hat, wird ruhig. Dann löst sich dieses 'ich', das der Salzpuppe gleicht, im Meer von Sein-Wissen-Wonne [auch Bewußtsein-Erkenntnis-Glückseligkeit genannt] auf und wird eins mit ihm. Auch nicht der geringste Unterschied bleibt übrig.
Solange der Mensch sich selbst nicht vollkommen erkannt hat, debattiert er mit viel Hallo. Wenn ein leerer Krug sich mit Wasser gefüllt hat, wenn das Wasser im Krug eins mit dem Wasser außerhalb geworden ist, hört man nichts mehr. Es gurgelt nur solange der Krug noch nicht voll ist.
In alten Zeiten sagte man, daß ein Boot nicht mehr zurückkehrt, das einmal die 'schwarzen Wasser' des Ozeans erreicht hat.
Alles Leid vergeht, wenn das 'ich' stirbt. Ihr mögt noch soviel nachdenken und doch will das 'ich' nicht verschwinden. Für Menschen wie ihr und ich ist es gut, sich als Gottliebende zu fühlen.
Saguna Brahman ist das Passende für die Bhaktas. Mit anderen Worten der Bhakta [Gottliebender] glaubt, daß Gott bestimmte Attribute besitzt und sich als Person offenbart. Er ist es, der unsere Gebete erhört. Alle Gebete wenden sich an Ihn allein. Ihr seid Bhaktas und keine Jnanis [Erkenntnis Suchender] oder Vedantisten. Es ist gleich, ob ihr nun an Gott mit oder ohne Gestalt glaubt. Es genügt, wenn ihr fühlt, daß es einen Gott gibt, der unsere Gebete erhört, der das Universum erschafft, erhält und wieder vernichtet und der unendliche Macht besitzt.
Es ist leichter Gott auf dem Pfad der Hingabe zu erlangen."
Aus "The Gospel of Sri Ramakrishna" von M (Mahendra Nath Gupta), Ramakrishna-Vivekananda Center, New York, 1977, Kapitel 6