Die Schriftgelehrten wurden von Jesus wegen ihrer buchstabentreuen Auslegung der Schriften kritisiert, und, weil sie keine Barmherzigkeit kannten, und nicht bloß, weil sie Wissen sammelten. Darum wurden sie von ihm immer wieder als Blinde und Heuchler bezeichnet. Genau das Gegenteil von dem also, was Du propagierst. Bildung an sich ist neutral. Echte Bildung fordert Denken statt Wissen.
Sorry, aber ziehst Du da nicht die falschen Schlüsse? Die Schriftgelehrten hielten insofern den Schlüssel in der Hand, weil sie die Hüter der Schriften waren und es an ihnen lag, was und wie sie etwas preisgaben.
Etwas das ja auch später beim christlichen Klerus eine Rolle spielte, indem die Bibel in Latein gehalten wurde und deshalb auch nur nach ihrem Gusto verkündet wurde. Genau deshalb hatte dann auch Luther und sein Freund Melanchthon die Bibel ins Deutsche übersetzt. Damit sollte ein jeder selbst Zugang zu den Worten Gottes bekommen. Darin liegt dann auch der Grund, warum man dann damit begonnen hatte, Schulen für alle einzuführen.
Dazu möchte ich Dir einmal die zwei Versionen aus Jeremia gegenüberstellen, die bei dem Vers von Lukas Pate standen:
Luther:
Jeremia 8[8] Wie möchtet ihr doch sagen: „Wir wissen, was recht ist, und haben die Heilige Schrift vor uns. Ist es doch eitle Lüge, was uns die Schriftgelehrten sagen?“
Thora:
Jeremia 8[8] Wie könnt ihr sagen: „Weise sind wir und besitzen Jahwes Thora?“ Fürwahr zur Lüge hat sie gemacht der Lügengriffel der Schreiber.
Plissken: Jesus war nicht gegen das Studium der Schriften. Er selbst kannte die Schriften sehr gut und konnte genauso gut wie ein Gelehrter aus ihnen zitieren (Lk 19,47: „Er [Anm.: Jesus] lehrte täglich im Tempel.„) Darum wurde er „Rabbi“ genannt (Joh 1,38: „Sie sagten zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt: Meister –, wo wohnst du?“).
Gut, das steht so in den Evangelien und in den Schriften kann er sicherlich auch über ein gewisses Maß bewandert gewesen sein. Wir sollten aber nicht vergessen, dass die Evangelien nicht von Jesus niedergeschrieben wurden. Es ist auch die große Frage, ob er selbst Lesen oder gar Schreiben konnte.
In den Evangelien steht jedenfalls nichts davon, dass er irgendeinen Brief geschrieben hatte. So sandte er auch dem Täufer nach seiner Festnahme keinen Brief, sondern einen seiner Jünger, der dem Täufer eine mündliche Botschaft überbringen sollte. Ich erinnere dazu an Paulus, der an seine Gemeinden in der Diaspora Briefe geschrieben hatte.
Jesus hatte seine größten Erfolge auch in der jüdischen Diaspora, aber er hatte keine Briefe gesandt, sondern hatte sie persönlich aufgesucht oder seine Jünger entsandt. Ja und letztlich sollte man sich daran erinnern, dass Jesus, wie sein Vater Bauhandwerker war.
All das schmälert für mich jedoch nicht im geringsten seine Botschaft von der Nächstenliebe und dem Himmelreich. Ich denke, dass man dazu kein Schriftgelehrter sein muss, wie auch andere, die nach ihm seinem Weg folgten.
Wie anderes zu Jesus dürfte auch dieser Punkt ein legitimer Teil für seine Glorifizierung zum Christus gewesen sein. Ich denke also nicht, dass die Menschen Jesus liebten, weil wir in ihm einen Schriftgelehrten sehen wollten. Er hätte es sicherlich auch selbst nicht so gewollt.
Aber lassen wir das alles einfach einmal so stehen. Es sind ja nur so ein paar Gedanken meinerseits und es könnte deshalb am Ende alles ganz anders gewesen sein.
Eventuell liegt ja darin die Kraft der Geschichte um Jesus, weil sie uns auch einen Raum für unsere Fantasie einräumt. Wunder brauchen also nicht unbedingt eine Wirklichkeit – oder?
Merlin