Tommy
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Ockhams Rasiermesser hat keinen absoluten für immer gültigen Wahrheitsanspruch. Es ist aber ein sehr guter Wegweiser, welche Hypothesen es sich anzuschauen lohnt und welche nicht.
Richtig gesehen hast du, daß Ockhams Rasiermesser nichts, aber auch gar nichts über die Wahrheit von Theorien aussagt. Es ist ein heuristisches Prinzip, und sagt, jawohl "welche Hypothesen es sich anzuschauen lohnt und welche nicht", aber und das verschweigst du (bzw. hast es am Rasiermesserprinzip nicht begriffen) unter zeitökonomischen Aspekt.. Es ist eine methodische Hilfe dafür, wie man möglichst effizient forscht. Zuerst die ganz einfache Hypothese prüfen, die mit so wenig wie möglichen Hypothesen und Zusatzannahmen auskommt; wenn das nichts fruchtet, dann die nächstkompliziertere usw.
Warum ist das sinnvoll?
Von mehreren Theorien, die die gleichen Sachverhalte erklären, sind die einfachsten meist am leichtesten überprüfbar, weil man wenige Variablen hat, die man bei der Überprüfung miteinbeziehen muß.
Wenn man etwas erklären will, fängt man also, wenn man schnell verwertbare Ergebnisse haben will, mit Theorien an, die nur wenige Faktoren berücksichtigen. Von diesen einfachen Theorien findet man durch Experimente heraus, welche am besten zutrifft.
Erst danach beginnt man sich zu überlegen, wie die Abweichungen zwischen Theorie und Experiment zu erklären sind und überprüft ob sie eher durch eine der nächst komplizierteren Theorien oder eher durch Nachbesserungen der bisher richtigsten Theorie korrigiert werden könnten.
Wenn man so vorgeht wird man schneller zu nützlichen Ergebnissen kommen, als wenn man zuerst versuchen würde, komplizierte Theorien zu überprüfen. Deshalb beschleunigt die Anwendung von Ockhams Skalpell die wissenschaftliche Forschung und hilft ihr, zu besseren Ergebnissen zu kommen.
http://www.kersti.de/VB053.HTM
Ich hoffe, es ist deutlich geworden, daß sich das Prinzip "Ockhams Rasiermesser" (Kant und Leibniz hielten dieses Rasiermesserprinzip für groben Unfug, nur mal so nebenbei) auf zeitkritische Forschungsprozesse und auf nichts anderes bezieht.
Wir hier im Forum, und jetzt schön die Ohren gespitzt, Joey, sind aber nicht in zeitkritischen Diskussionsprozessen involviert, und deshalb ist der fortlaufende Rekurs aufs Rasiermesser des Herrn Ockham blanker Unsinn. Wir haben hier alle Zeit der Welt, auch komplexe Theorien mit mehreren Variablen zu diskutieren und ins Spiel zu bringen.
Kants bis dato richtiges Argument lautet, daß in den seltensten Fällen die Wirklichkeit durch die einfachste Theorie angemessen beschrieben wird, unde daß wir, wenn der Wissenschaftsprozess der Menschheit tatsächlich so verlaufen wäre, wie es Ockham bzw. genauer gesagt: seine Interpreten behaupten, also daß die komplizierten Theorien zugunsten der einfachen, die bereits bekannt sind, weggeschnitten würden, wir immer noch auf den Bäumen sitzen und Nüsse knacken würden. Es wäre erst gar nicht so etwas, was wir "Fortschritt" nennen, in Gang gekommen.
Wieso z.B. von einer geistigen Welt ausgehen, wenn sich sehr viele der Beobachtungen, die als Hinweis auf diese gewertet werden, auch ohne erklären lassen?
Es sind Interpretationen, ob sie sich auch *ohne* erklären lassen. Und zum zweiten lassen sich die skurilsten Nebenannahmen registrieren, die die "ohne"-Theoretiker an den Haaren herbeiziehen, nur damit ihr enges "Ohne"-Weltbild keinen Kratzer kriegt. Das habe ich selbst schon zur Genüge in Diskussionsprozessen erlebt, ich denke, du weißt, was ich meine, wir hatten schon mal einige Male die Ehre.
Lustig ist es, wenn in einer Diskussion beide Seiten Ockhams Rasiermesser für sich beanspruchen. Das geschah beispielsweise in der Diskussion dark matter vs. modification of newtonian dynamics.
Lustig ist das nicht, Es sollte dich eigentlich stutzig machen in Hinsicht auf die Vereinnahmung von "Ockhams Rasiermesser". Ich pack gern noch ein Beispiel aus deinem Fachbereich drauf, wenns recht ist.
Quantenphysik: Vertreter der Kopenhagener Deutung und Vertreter der Viele-Welten-Theorie (Everett) bezichtigen sich gegenseitig, gegen *Ockhams Rasiermesser*-Prinzip verstoßen zu haben, bzw. verbuchen den Wahrheitsgehalt der eigenen Theorie unter Berufung auf Ockham:
Der wohl bekannteste und häufigste Kritikpunkt an der VWI ist ihre extravagante Ontologie: Ihr wird vorgeworfen, das Prinzip der Einfachheit (Ockhams Rasiermesser) zu verletzen, da sie zwar die Existenz von Myriaden von verschiedenen Welten voraussagt, jedoch selber den Beweis dafür liefert, dass diese nicht beobachtbar sind. Vertreter der VWI halten dem entgegen, dass die vielen Welten kein unabhängiges Postulat sind, sondern aus der universellen Gültigkeit der Schrödingergleichung folgen. Dies verkürzt und vereinfacht die Axiomatik der Quantenmechanik, demzufolge bevorzugt Ockhams Rasiermesser die VWI vor der Kopenhagener Interpretation.[16]
http://de.wikipedia.org/wiki/Viele-Welten-Interpretation
Wenn man sich dieser Dinge bewusst ist, gibt es soweit ich sehe keine Probleme.
Ähm....wie meinen?
Wenn man sich dieser Probleme bewußt ist, nämlich daß man mit Ockham alles rechtfertigen kann, weil man sich stundenlang darüber streiten kann, was "einfach" und was "kompliziert" ist bzw. wer wo die meisten Unbekannten einführt (was keineswegs objektivierbar, sondern eine subjektive Auslegung ist), dann kann man nur zu dem Schluß kommen,. diese alberne Metapher in Diskussionen in die Tonne zu treten, statt sie auch noch für angeblich eigenen Punktvorteil zu mißbrauchen.
Wenn mich nicht alles täuscht, hast du das weiter oben gemacht.
Wobei ich meiner Ansicht nach Ockhams Rasiermesser auf meiner Seite habe - wie oben beschrieben.
Zur GWUP und ihrer angeblich wissenschaftlichen Ausrichtung sag ich mal lieber nix.