Liebe Pluto!Das klingt für mich sehr kompliziert und vor allem nach stark ausgeprägtem Kontrollbedürfnis. Das ergibt eine Schere, in der ich so hin- und hergerissen wäre, dass ich alles Mögliche dabei erfahren könnte, aber wohl kaum ein brauchbares Aufstellungsergebnis.
Ich möchte gern mal den Begriff "Verantwortung" ein bisschen rausnehmen, das klingt für mich in dem Kontext schon nahezu wie Schuldzuweisung - "wer ist schuld, wenn die Aufstellung anscheinend danebengeht?" Vielleicht können wir darüber reden, welche Haltungen und Einstellungen für einen Aufstellungsverlauf förderlich sind und welche womöglich zu Hindernissen werden?
Matthias Varga von Kibéd (und inzwischen auch andere) sind vom Begriff "AufstellungsLEITER" abgekommen und sprechen u.a. zum Beispiel vom "Gastgeber" einer Aufstellung. Und zwar aus der Haltung, dass eine Aufstellung ein äußerst komplexer Vorgang ist, der sich nicht auf ein simples Gegensatzpaar reduzieren lässt: hier die Leitung, dort die Geleiteten. Ich hab eine Weile versucht, das durch Klammerschreibweise auszudrücken - "Aufstellungs(beg)leiter". Geht aber nur schriftlich.
Für wesentlich halte ich es, dass der AL (ich bleib mal dabei, die Vorbehalte liegen ja nun auf dem Tisch) mit einer allparteilichen und offenen Haltung in die Aufstellung reingeht und nicht schon vorher ein Bild entwickelt hat, wohin der Hase wohl laufen wird ... das ist ein Merkmal schlichter Professionalität und eine Frucht guter Ausbildung. Wenn nun die Aufstellung läuft, geht es um die Wahrnehmung der dynamischen Bezüge, die sich zeigen - auch hier wieder: offenes Hinschauen ist gefragt, und die Überprüfung des Wahrgenommenen ist gefragt. Überprüfung nicht durch mentales Hinterfragen, sondern Überprüfung durch die der Aufstellung eigene Möglichkeit, Unterschiede festzustellen. Wenn ich aus dem Wahrgenommenen heraus das Aufstellungsbild umstelle, umordne - führt das dann zu Unterschieden in den Empfindungen der RepräsentantInnen, und, wenn ja, zu welchen? Kommt etwas in Bewegung, zeigt sich Kraft, oder schwächt das eher, zieht es zusammen, wird es kalt?
Für wenig förderlich halte ich es, wenn ein AL seine Wahrnehmungen bzw. jene der Repräsentanten sofort für bare Münze hält und dann die Aufstellung ohne weitere Überprüfung darauf aufbaut - da entstehen dann ganz schnell diese Szenerien, in denen gegen auftretenden Widerstand operiert wird oder in denen scheinbare Idylle aufgestellt werden. Zum Beispiel das oft kolportierte Beispiel mit dem "Zwang, die Eltern nehmen zu müssen" ... da steht dann eine Hypothese dahinter, wie "die Ordnung" auszusehen hätte, und wenn jemand das nicht frisst, wird ihm vielleicht vorgehalten, er nähme seine Verantwortung als Klient nicht wahr, die "Aufstellung zu nehmen". Alternative Haltung eines AL: zu überprüfen, warum in dieser Phase der Aufstellung Widerstand auftritt, den Widerstand mit Freude und Interesse wahrnehmen als wegweisendes Signal, und dann zu untersuchen, ob sich aus der Aufstellung heraus andere Schritte anbieten, ob eine Dynamik noch nicht gesehen wurde, ob eine kleine Intervention in der Stellung etwas verändert etc. ... das ganze Repertoire halt.
Ich habe ziemlich oft gesehen, dass an solchen Stellen, an denen Widerstand auftritt, sich die Haltung von AL, aber auch KlientInnen, recht zugespitzt zeigt. Wenn die Aufstellungsleitung, aus welchen Gründen auch immer, dem auftretenden Widerstand einen eigenen Widerstand entgegensetzt, marschiert die Sache ganz schnell in Richtung Machtkampf, und es geht im Handumdrehen nicht mehr um die eigentliche, aufgestelle Situation, sondern um die Vermischung mit Dynamiken aus den aktuellen Seelenkostümen von AL, RepräsentantInnen etc. Das kommt "in den besten Familien" vor, darum gibt es Supervisionen, darum fühlen sich nur ganz schlechte AL erhaben über solche Schwierigkeiten. Es mag oft auch Unsicherheit oder Hilflosigkeit sein... wenn eine Aufstellung in eine scheinbare Sackgasse geraten ist und die AL nicht mehr weiter weiß bzw. es für unvereinbar mit dem eigenen Status hält, die Ratlosigkeit zuzugeben und wertzuschätzen als Signal, dass der bessere Weg anderswo zu suchen wäre. Eine "Beauftragung" durch einen Klienten als so ein "mach mit mir...", eine Machtübertragung, erschwert den offenen Umgang mit Unsicherheiten als Quelle möglicher Einsichten - wenn der AL den alles wissenden und beherrschenden Guru spielen soll und der sich womöglich dadurch noch geschmeichelt fühlt und sich darauf einlässt, kann's nur in die Hose gehen.
Weniger kritisch erscheinen die erwähnten Idylle, die offensichtliche Erwartungshaltungen von KlientInnen bedienen - da herrscht schon rasch mal allseitige Befriedigung; AL hat Glücksgefühle bringen können, KlientIn schöpft für ein Weilchen aus einem rosaroten Bild... das ist das Orakel. Schokoladeaufstellungen. Gehen gut runter, schmecken, sind nicht wirklich nahrhaft und haben einiges Suchtpotenzial. Auf der Ebene können sich AL und Klienten lange begegnen, und es passiert ja auch kaum etwas Schlimmeres dabei als dass nichts passiert, dass sich daraus verlässliche Geschäftsbeziehungen entwickeln und die Kulisse der Empfindungs-Surrogate nicht allzusehr wackelt.
Eric Berne (nicht Aufsteller, sondern Transaktionsanalytiker) hat einmal den "unausgesprochenen Behandlungsvertrag" beschrieben, mit dem ihm viele seiner KlientInnen gegenübertreten: "Mach es intensiv, lass es lange dauern, geh schonungslos mit mir um, lass es teuer werden, mach alles mit mir, was du machen willst, nur verlange eines nicht: dass ich mich ändere!"
Mein Gegenbild: Eine Aufstellung könnte ein Feld guter Zusammenarbeit sein. Der AL bringt seine Kompetenz und Erfahrung ein, der Klient bringt seine Offenheit und Bereitschaft ein, am Ergebnis mitzuarbeiten, statt einfach zu sagen "Mach!", die RepräsentantInnen stellen sich in den Dienst der Sache ... ein Klima der Kooperation und der gegenseitigen Wertschätzung. Da wird nicht einmal Vertrauen wirklich ein Thema, denn da kann ich in jedem Augenblick hinschauen und sehen, was läuft, da gibt es keinen Anlass für einen Verdacht, dass da "etwas" mit mir geschehen könnte; so eine Aufstellung ist ja unheimlich transparent. Und die Verantwortung, wenn ich schon davon reden will, ist auf alle gleichermaßen verteilt; vielleicht mit einer kleinen Verlagerung auf den AL als "Teamleader", der es kraft seiner Kompetenz versteht, den Haufen zusammenzuhalten und als "Gastgeber" für Bedingungen und Kontexte zu sorgen, die Bewegungen produktiv werden lassen. Wo so ein kooperatives Klima entsteht, ist es auch später kaum eine Frage, ob und wie die Aufstellung wirkt und wer im Guten oder Schlechten diese Wirkung zu verantworten hätte ... das geht dann einfach ins Leben hinein und ist dort, was es ist, und wird in all der facettenreichen Vielschichtigkeit teilweise wahrgenommen und teilweise nicht und alles ist anders. Und ich werde nie wissen, ob es in anderer Weise anders ist als es gewesen wäre, wenn ich nicht aufgestellt hätte, um mal eine klare Aussage an den Schluss zu stellen...
Alles Liebe,
Jake