Verloren in den un-endlichen russischen Wäldern - um Mitternacht herum

Eher widerstrebend also ging ich den Weg zurück, den ich eben gekommen war.

Mein Gefühl sagte mir: Dieser Weg ist falsch!

Mein Verstand sagte mir: Der Einheimische wird sich doch hier sicher besser auskennen als du!

Ich überlegte ....

Es wäre nicht das erste Mal, dass ich mich in einem fremden Land besser auskenne als die Einheimischen. *lächel*

Und dann: Der Mann war in jenem Auto nicht alleine gewesen, sondern in Begleitung einer jungen Frau. Und die beiden hatten in jenem Auto mehr gelegen als gesessen.

Nun frag ich euch: Wenn ihr mit eurer Freundin in den Wald fährt, und dann irgendwo im Halbdunkel parkt, um zu verrichten fromme Gebete, oder auch mehr, und dann kommt ein Fremdling und fragt euch lästige Fragen nach Straßen, die ihr selber nicht recht kennt, was macht ihr da?

Eben! Der Mann hatte mich nur schnellstes loswerden wollen und auf Geradewohl in irgendeine Richtung gezeigt.

So musste es gewesen sein. So, und nicht anders.

Und ich beschloss, meinem Gefühl mehr zu vertrauen als Handbewegungen seltsamer Männer, und kehrte zum zweiten Male um ...
 
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Ich kehrte also zum zweiten Male um, und ging die gleiche Strecke zum vierten Male. Menschen sah ich keine, die ich hätte fragen könne.

So experimentierte ich mit den Wegen. Die Namen endeten meist auf -stan.

Ich kam nach Usbekistan, Tadschikistan, Kirgistan, aber Turkestan fand ich nicht ....

Doch war ich guten Mutes. Elena hatte mir gesagt, dass in ihrem Stadtviertel die Straßen vor allem nach den ehemaligen südlichen Sowjet-Republiken benannt seien.

Mit Usbekistan, Tadschikistan, Kirgistan war ich also auf der richtigen Spur.

Solange ich nicht die ehemalige Sowjet-Union verließ und aus Versehen in Afghanistan einmarschierte, war alles in Ordnung.

Kein Grund zur Besorgnis also.

Alles war im grünen Bereich.
 
Nett wäre es allerdings gewesen, wenn ich mal Menschen angetroffen hätte.

Die Mitternacht kam näher schon,
in stiller Ruh lag Permylon.

Da sag ich von weitem im Halbdunkel zwei Menschen, umgeben von vielen vielen Schäferhunden.

Ich ging auf sie zu .....
 
Es war so:

Im düsteren Halbdunkel erkannte ich einen Mann und eine Frau mit je einem großen Schäferhund an der Leine. Und um die beiden herum sprachen noch eine ganze Meute weiterer Schäferhunde, ohne Leine.

Die beiden Hundefreunde hatten sich wohl so etwas vor Mitternacht hier im Walde verabredet, um ein gemütliches Schätzchen zu halten.

Ähm - Schwätzchen zu halten, meinte ich natürlich.

Vielleicht aber wollte der Mann auch mal wieder gemütlich sein Schätzchen halten. Who knows ....

Anyway:

Als ich nahe genug herangekommen war, sagte ich meinen Spruch:

"Seid gegrüßt! Vermögt ihr mir zu sagen, wo sich befindet die Straße, die da genannt ist nach der schönen Republik Turkestan?"

Bevor die beiden mir recht antworten konnten, kamen alle Hunde, die nicht angeleint waren, auf mich zugerannt und sprangen an mir hoch. Ich konnte ihre Krallen durch meine Jeans hindurch spüren.

Würde ich nun also nicht nach drei Tagen verhungert im Wald gefunden werden, sondern heute abend schon, aber von Hunden zerrissen?

Auch eine Option.

Die beiden Hundefreunde taten ihr bestes, um ihre Vierbeiner zurückzurufen.

Nach einer Weile konnte ich mich neu verständlich machen, und sie auch.

Sie sprachen sehr viel auf Russisch, aber ich achtete mehr auf ihr Mienenspiel und auf ihre Handbewegungen.
 
In Worte übersetzt sagten sie mir dieses:

"Ihr seid nicht auf dem richtigen Wege, oh Fremdling, aber auch nicht auf dem völlig falschen. Gehet dahin zurück, von dannen ihr gekommen seid, aber bieget ab, hört ihr, bieget ab! Aber wo genau ihr des Abbiegens teilhaftig werden sollet, das vermögen wir euch nicht zu sagen. Fraget eine andere gute Seele, so ihr eine findet zu dieser mitternächtlichen Stunde ..."

Also ging ich den Weg zurück, von dannen ich gekommen war ....
 
Ich ging also weiter. Das war gar nicht so leicht. Die Wege waren etwa so: Eine unregelmäßige Schotterlandschaft, bei der man sich jeden Schritt überlegen musste.

Links und rechts der Wege waren immer kleine Trampelpfade. Da ging es über Stock und Stein, über Bächelein und Gräbelein. Meist waren ein paar Holzbalken über die Bächelein gelegt, manchmal auch nicht. An einer Stelle hatte jemand seine alte Haustür über den Bach gelegt. Ein echt netter hilfreicher Mensch!

Überall heulten Schäferhunde auf, wenn ich vorbeikam, und rissen an ihren Ketten.

Menschen aber waren nicht zu sehen.

Ich war mir sicher, den rechten Weg zu finden. Irgendwann. Aber wann?

Mir kam der Gedanke, dass ich die erste Nacht in Russland doch lieber in einem Bett schlafen wollte, statt auf Moos und Gras.
 
Da kam ein Auto aus Samarkand .....

Ich meine, aus der Samarkand Straße.

Drinnen zwei junge Männer. Ich winkte ihnen zu, um sie nach der Turkestan Straße zu fragen. Aber sie fuhren nur langsam an mir vorbei, ohne anzuhalten. Im Vorbeifahren rief ich ihnen durch das offene Fenster noch zu: "Turkestan Straße?"

Das heißt, natürlich rief ich das auf Russisch. Also etwa so: "Uliza Turkestanskaja?" :weißnix

Aber sie reagierten nicht.

Sicher hatte ihnen ihre Mutti-Mutti begebracht, dass man nachts im Wald nicht mit fremden Männern reden soll ....

Oder es waren eben einfach doofe Stoffel, wie man sie überall findet auf der Welt.
 
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Weiter ging ich des Weges. Ich nahm mir vor, dem nächsten Auto den Weg zu versperren, und die Insassen mit vorgehaltener Gartenschere aufzufordern, mich in die Turkestan Straße zu fahren.

Allerdings: Ich hatte keine Gartenschere dabei ....

Bald sah ich auch ein Auto.

Es war aber stationär, und zwei Männer waren offensichtlich damit beschäftigt, es zu reparieren.

So sagte ich nur mein Sprüchlein, ob man vermöchte, mir den Weg zur Turkestan Straße zu weisen.

Die zwei Männer wiesen in die Richtung, in die ich ohnehin gerade ging.

Also ging ich weiter ....
 
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