Zu dem Thema habe ich eine interessante Geschichte:
Irgendwann Anfang 2019 war ich einkaufen und wollte danach auch noch Flaschen wegbringen, wobei ich letzteres wirklich ungerne mache. Als ich die Rolltreppe in dem Center wo ich einkaufe runterkam sah ich einen alten Mann der gerade in einen Mülleimer guckte. Ich fragte ihn ob er Flaschen sammelt und erklärte, dass ich erstens viele habe zweitens nur 200 m entfernt wohne und drittens mich freuen würde wenn er die nimmt (habe irgendeinen Grund erfunden... "muss verreisen, keine Zeit" oder so). Ich gab ihm dann meine Flaschen, vom Wert her etwas über 10 Euro würde ich sagen.
Einige Monate später kam nahezu exakt dasselbe noch mal vor (lediglich anderer Ort an dem ich ihn sah) und dann noch mal. Und dann haben wir das zu einer Art Deal gemacht und Handynummern ausgetauscht. Ab Oktober 2019 kam er dann alle zwei Wochen und holte meine Flaschen ab, was wirklich Win-Win war. Für ihn etwas mehr Geld und mir fehlt es nicht und ich bin froh wenn die weg sind.
Wir haben uns natürlich auch unterhalten.
Er ist 86 Jahre alt, lief zu jener Zeit um die 8 km pro Tag und hat im Monat so ungefähr 100 bis 150 Euro mit Flaschen dazu verdient.
Dann, eigentlich waren wir für Mitte Januar 2020 "verabredet" (er meldet sich oder umgekehrt), aber er kam nicht und rief nicht an. Umgekehrt habe ich ihn nicht erreicht, wobei das immer schwer war weil sein Handy nicht gut funktionierte (Ich musste ihm mehrfach erklären wie man einen Fehler umgeht - das ging nur mit Lautsprecher und noch irgendwas). Jedenfalls war ich dann irgendwann davon überzeugt das ihm was passiert sein muss, er vielleicht nicht mehr lebt.
Anfang Februar sah ich ihn dann auf einmal wieder in jenem Einkaufs-Center, er wollte selbst gerade einkaufen. Ich sprach ihn an und er schien total schuldbewusst, erklärte mir das er ja kommen wollte, aber dass er einen Herzinfarkt hatte und Wochen in Krankenhaus und dann Reha war. Dort war er zudem noch gefallen und hat sich am Knie verletzt. Es ging ihm richtig schlecht. Zudem funktionierte sein Handy wieder nicht.
Um das abzukürzen: Unseren Deal haben wir dann geändert. Seitdem bringe ich die Flaschen für ihn weg und bringe ihm dann den Zettel vorbei (er wohnt auch sehr nahe). War nicht so gedacht und alle die mich kennen, und daher wissen wie sehr ich Flaschen wegbringen hasse, lachen

Habe ihm auch ein neues Senioren-Handy geschenkt, denn in jener Nacht als er den Herzfinarkt hatte konnte er nicht mal selbst telefonisch um Hilfe rufen. Er hat sich auf seinen Balkon geschleppt , dort um Hilfe gerufen und jemand anders hat dann den Notarzt verständigt.
Seine Situation ist übrigens in etwa so: Er wohnt in einer sehr kleinen aber perfekt aufgeräumten Wohnung und bekommt Hartz4. Er würde auch ohne Flaschen klar kommen vermute ich, aber 100-150 Euro mehr im Monat wären dann schon ein großer Unterschied. Als ich das neue Handy einrichtete wurde mir zudem klar das der niemanden kennt. Ich speicherte Nummern ein, Arzt und Pflegedienst und noch irgendwas. Aber die einzige Nummer einer Privatperson war meine.
Interessanterweise nimmt er ansonsten keine Hilfe an. Das mit dem Flaschengeld fing ja so an dass ich ihm sagte dass ich froh bin wenn ich die nicht selbst wegbringen muss, eher als ob er mir einen Gefallen tut. Und jetzt mache ich es weil sein Knie nach wie vor nicht in Ordnung ist. Aber wenn ich ihn sonst mal frage ob ich was mitbringen soll, sagt er immer "Nein danke, ich war heute/gestern/vorgestern schon einkaufen" usw. Nur Masken habe ich ihm mal gebracht.
Was hier in Berlin auffällt ist: Vor 20 Jahren habe ich keine oder kaum Flaschensammler gesehen. Das machten dann nur Obdachlose. Mittlerweile machen es viele alte Menschen die sich einfach etwas dazuverdienen wollen, weil sie zuwenig Rente bekommen oder Hartz4. Und das Problem ist eigentlich nicht das es zu wenig Flaschen gibt (in normalen Zeiten, nicht Corona), eher dass die Konkurrenz groß ist. Die kennen sich teilweise auch untereinander und manchmal gibts sogar Streit.