aher würde ich gerne heute einen Faden zur Diskussion eröffnen, die sich frei mit dieser Thematik kritisch und sachlich sowie personenungebunden auseinandersetzt.
Habt ihr selbst derartige Erfahrungen gemacht? Hat jemand vielleicht auch selbst Gotteserfahrungen gemacht und wie hat sich das in seinem/ihrem Leben ausgewirkt? Wurde der Missionierungs-Auftrag gleich mitgeliefert?
@Amant - wer derartige Erfahrungen bereits als Kind-Geisel gemacht hat tut sich schwer mit der eigenen Sachlichkeit, denn die Indoktrination sitzt tief, selbst nach Jahren ohne Kontakt zur Sekte.
Im Alter von 5 rein, 14 Jahre indoktriniert, 3 Jahre Ablösungsprozess u. nun 30 Jahre schon raus. Ich ertappe mich trotzdem ab u. zu dass mir diese Gemeinschaft fehlt, denn oberflächlich betrachtet hatte ich bis zur körperlichen u. geistigen Pubertät ein gutes, klares Leben.
Ok, keine tiefgehenden Freundschaften u. schon gar nicht mit andersdenkenden Klassenkameraden. Aber was macht das schon, gemobbt zu werden, wenn du glaubst dass Gott höchstpersönlich dir zur Seite steht? Es stärkt sogar den Glauben, wenn du in der Klasse gute Noten schreibst, weil du eben nicht wie die anderen am Wochenende aus warst. Und diese idiotische Prahlerei Montags wieviel man an Alk konsumieren konnte ehe es ans kotzen ging. Oder mit wem man eeeendlich 1x geknutscht hat. Einfach dumm. Jepp, mir ist viel entgangen!
Zu meiner Schande muss ich gestehen dass ich, nach meinem Abgang von dieser Bühne, eine Zeit lang anarchischer gelebt habe als meine Klassenkameraden bis heute zusammengenommen. Aber das ist ein gängiges Symptom bei Aussteigern im Jugendalter u. hat sich bei mir zumindest nach einiger Zeit eingependelt.
Da ich nun nicht aus Erfahrung schreiben kann warum ich da reingeraten bin, da im zarten Alter von 5 wohl kaum von freiwillig die Rede sein kann, möchte ich einigermaßen objektiv von meiner Mutter erzählen, wie man Opfer einer Sekte werden kann.
Katholisch aufgewachsen, ein sehr ruhiges, braves Kind. Verstand nicht warum die schöne aber bösartige u. wohlhabende Nachbarstochter vom Christkind so reich beschenkt wurde. Da stimmte doch was nicht! Und dann kam der Krieg. Auf 1x waren sich die eigenen Eltern spinnefeind weil aus 2 verschiedenen Nationen. Warum?!
Ende der 40ger ins höhere Mädchenpensionat u. anschliessend eine Stelle als "Herrenköchin" angenommen bei einem kath. Theologen u. Professor (kein gewöhnlicher Pfarrer). "Da hast du es gut!" meinte die Mutter. Naja, getäuscht hatte sie sich. Er ging der jungen Frau an die Wäsche. Alles ausser Penetration sei erlaubt. Ein alter Sack der dir den Zimmerschlüssel wegnimmt u. sagt "Es glaubt dir ja doch niemand, wenn du etwas erzählst! Wer bist du denn? Ich bin Professor!" Sie hat sich ca. 5 Jahre quasi vergewaltigen lassen u. selbst getröstet mit "Solange ich da bin, begeht er keine Sünde."
Dann hat sie ihren zukünftigen Mann kennengelernt, Samstags beim tanzen. Ausschlaggebend waren jedoch nicht seine Tanzkünste sondern eher dass die beiden 1x an einem sonnigem Sonntagnachmittag an einer Kirche vorbeigingen u. er sagte "Komm, wir statten dem lieben Gott einen Besuch ab." Es folgte die Familiengründung u. "nur" Hausfrau wie in den 50ger u. 60ger Jahren üblich.
Aber obwohl sie das Ehe- u. Familienleben genoss, blieb die Frage nach einem höherem Sinn. Esoterik war in ihrem Umfeld selbst Mitte der 60ger ein Fremdwort u. nur im Sinne von Kartenlegen im Zigeunerwagen auf der Kirmes bekannt. Alle paar Jahre klingelten Zeugen Jehovas, denen sie sofort die Tür vor der Nase zuknallte, da es eine Sekte sei.
In unserer Straße entdeckte sie irgendwann ein Gotteshaus der Neuapostolischen Kirche. Schleppte meinen Vater mit, der der Liebe wegen mitzog. Es war nicht von langer Dauer, denn als sie sah dass nach einem Gottesdienst sich Kinder - die kurz zuvor noch fromm in der Bank saßen - rauften, stand für sie fest, dass dort nicht der Geist Gottes gewesen sein kann. So schnell hätte der nicht weg sein dürfen!
Dann folgten Gespräche mit Mormonen, unsern Untermietern. Das war 1967, ich gerade mal 2 Jahre alt. Der Vietnamkrieg war voll im Gange u. junge amerikanische Männer die als Missionare nach Europa kamen, umgingen dadurch das eingezogen werden (u. nebenbei wurde denen die bei uns wohnten nach der Rückkehr 1969 in die USA ihr Studium finanziert). Alle adrette, gut erzogene Jungs, mit viel Bibelwissen, so ganz nach dem Geschmack meiner Mutter, die daraufhin mit dieser Religion liebäugelte. Aber meinem Vater war das Buch Mormon suspekt u. so sollte es nicht sein.
Anfang der 70ger kamen wieder mal die ZJ vorbei. Wie immer knallte meine Mutter ihnen die Tür vor der Nase zu. Eines Tages sah meine Mutter meine Brüder u. andere Kinder in der Nebenstrasse Cowboy u. Indianer spielen, mit sich gegenseitig erschiessen. Krieg war u. ist für sie ein rotes Tuch u. so wollte sie dahin um die Kinder zu stören. Dafür musste sie einen Pfad zwischen den Häusern nehmen u. ein Mann kann ihr entgegen. Er fragte warum sie so aufgebracht wäre u. wo sie hin wolle. Sie: "Die Kinder stören." Er: "Warum? Sie spielen doch nur-" Sie: "Ja, aber WAS spielen sie!" Jaaaaaaa u. da fängt der Typ an aus der Bibel zu zitieren. Den genauen Wortlaut konnte meine Mutter es mir später, als ich älter war, nicht mehr erzählen. Vielleicht "Schwerter zu Pflugscharen". Auf jeden Fall wollte sie nichts davon hören, als sich herausstellte dass er ein ZJ sei. (Das nennt sich übrigens "informelles Zeugnis geben", wenn nicht von Haus-zu-Haus gepredigt.)
Die beiden einigten sich darauf dass er wiederkommen dürfte, wenn er ihr erklären könne ob u. was an der katholischen Kirche falsch sei. Das hat er dann auch über Monate getan, in Begleitung seiner Frau.
Diesmal zog mein Vater nicht mit. Hat aber nichts genützt.
Die Tatsache dass die ZJ meiner Mutter schwarz auf weiß zeigen konnten wo bei den Katholiken der Wurm drin ist hat gereicht sie zu fangen.
Diese Erlösung, dass es nicht von Gott gewollt ist dass man nicht viel zu Weihnachten bekommt. Dieses Wissen, dass Jesus nie gesagt hat Pfarrer dürften nicht heiraten (nur empfohlen, kein muss). Dass die exzessive Heiligenverehrung von Menschen geschaffen ist. Dass die Hostie nur ein Symbol ist u. man nicht von Gott bestraft wird falls man ungewollt 1x drauf kaut (war bis in die 70ger noch ein Thema, heute belächeln es selbst die Katholiken). ... und und und…
Alles Erklärungen, die ein gewöhnlicher evangelischer/protestantischer Mensch ihr hätte zeigen können. Leider war niemand da, denn das missionieren lag auch damals schon länger fest in Sektenhand u. in unserer Gegend gab u. gibt es bis heute kaum evangelische Kirchen.
Mann, meine Kindheit hätte soviel einfacher ablaufen können... Naja, wenigstens war ich in der Schule nicht zu viel durch Freizeitaktivitäten abgelenkt. Meine Bibelkenntnis wäre natürlich auch nicht so gross geworden wie sie jetzt ist u. eigentlich hilft diese mir bis heute in vielen Dingen.