Guten Morgen,
Hi,
Soweit ich weiß vertreten Buddhisten das Konzept des Nicht-Selbst und das Konzept der Wiedergeburt.
Wie können das Konzept des Nicht-Selbst (Anatta) und das Konzept der Wiedergeburt gleichzeitig Teil des gleichen (logischen) Systems sein, ohne dass das System einen Widerspruch in sich selbst enthalten würde?
ach, das ist alles nicht so einfach ...
"Die Buddhisten" ist schon eine höchst unpräzise Formulierung, denn je nach Tradition gibt es da auch in den Ansichten ganz extreme Unterschiede. Wen meinst du also, Theravada-Anhänger, Tibetische Buddhisten, Zen-Praktizierende, Reine-Land-Sekte...?
Was meiner Ansicht nach wichtig zu beachten ist, ist aber in jedem Fall, dass es nicht einfach um "Konzepte" geht. Nicht-Selbst ist in allererster Linie eine ERFAHRUNG, die sich aus der eigenen Praxis ergeben sollte. Als "logisches Konzept" würde Nicht-Selbst als Grundlage für alle möglichen Arten von negativen Handlungen dienen können, und das ist genau
nicht der Sinn und Hintergedanke des Ganzen.
Auch Reinkarnation funktioniert möglicherweise anders als man sich das vorstellt, ist aber ein extrem schwieriges Thema.
Was zu beachten ist, wenn man diese Begriffe als "Konzepte" aufgreift, ist u.a. auch der sehr menschliche Faktor, dass es unterschiedliche Typen von "Buddhisten" gibt. Wer einfach nur in eine Kultur hineingeboren wird, die von religiösem Buddhismus geprägt ist, wird ggf. einfach diese Dinge "glauben", weil er oder sie mit diesem "Glauben" aufgewachsen ist bzw. aufgezogen wurde. Dann gibt es eine Menge praktizierender "Buddhisten", was Mönche oder Nonnen, aber auch Laienanhänger sein können, die ihre Zeit hauptsächlich damit verbringen, solche wie die genannten Begriffe als eine "Schriftendiskussion" von oben nach unten und von rechts nach links sprachlich auseinanderzunehmen, und die den ganzen Tag über wenig anderes tun als sich darüber zu "streiten", sei das nun mehr oder weniger freunschaftlich oder tatsächlich feindselig gemeint, was genau welcher der Begriffe nun "bedeutet" und wie er sprachlich am besten ausgelegt und interpretiert werden kann.
Das wären beides Gruppen, die dir zustimmen würden, dass es da um Konzepte geht, denn die Einen haben das Ganze eben als Glaubenssystem gelernt, die Anderen tun ja tatsächlich den ganzen Tag so, als seien das in irgendeinem Sinne "Konzepte".
Meiner Ansicht nach sind beides Dinge, über die sich erst diskutieren lässt und über die erst Diskussionen geführt werden sollten, wenn eben Erfahrungen damit vorliegen, und sich aus diesen Erfahrungen in irgendeinem Sinne Hindernisse ergeben
sollten.
Wenn ich mal zur eigentlichen Bedeutung des Begriffes "Buddhismus" gehe, sollte das was mit dem "Buddha", dem "Erwachten" zu tun haben, also irgendwie etwas mit dem Erwachen des Einzelnen zu tun haben. Das ist verständlicherweise ein Aspekt, auf den große Religionen, auch die großen, religiösen Ausprägungen des Buddhismus, wenig Wert legen, denn Religionen sind nunmal die politisch organisierte Form der Spiritualität, deren Hauptziel im Selbsterhalt besteht. Religionen sind extrem sinnvoll, wenn es darum geht, Lehren zu erhalten, und, wenn es welche sind, die Tugenden vermitteln, ganz bestimmt auch sinnvoll bei der Begleitung vieler Menschen auf dem Weg zu einem "guten" Leben .. aber was religiöse Autoritäten JEDER Religion am wenigsten wollen, ist die Selbstständigkeit und das Erwachen der einzelnen Anhänger. Nicht nur im Christentum sind es die Heiligen, die die besten Chancen haben, als Ketzer ausgeschlossen zu werden.
Abschließend noch: Buddhismus ist kein "logisches" religiöses System. Im besten Falle bietet Buddhismus eine Menge an verschiedenen, überlieferten Lehren, die dazu verhelfen, zu erwachen, und, wenn das nicht, zumindest eine Grundlage zu Erwachen in einer künftigen Daseinsform zu legen. Wer aktiv auf dem Weg dahin ist, wird irgendwann Erfahrungen machen, die selbst ein Verständnis dieser Begriffe ermöglichen .. wer solche Erfahrungen nicht macht, kann sie bloß lernen und behalten (auswendig lernen), und hoffen, irgendwann zu dem Verständnis zu gelangen.
Nicht-Selbst ist sicher wichtiger als die Reinkarnationsgeschichte, auf der Gesamtskala - allerdings falsch "verstanden" auch nicht gerade ungefährlich. Wer die Erfahrung macht, kommt nicht umhin, anschließend MEHR Verständnis und MEHR Liebe für alle Wesen zu entwickeln - wer darüber einfach als Konzept diskutiert, läuft Gefahr, auf die Idee zu kommen, diese Wesen und ihre Empfindungen und ggf. Leiden seien egal, da ja eigentlich nichtmal wirklich existent.
Das Herz-Sutra mag ich da für den Einstieg - Leerheit und der Weg dahin ist heilsam. Gibt allerdings wenige Lehrer, auch im Buddhismus, die über die Religion hinausgehen, und wirklich realisiert haben, was sie da "lehren". Wirkliches, vollständiges Erwachen ist extremst selten.
Hoffe, das hilft weiter.