Nicht erbetene Hilfestellungen

Liebe Silke :)

ich habe nun schon mehrfach zu einer Antwort angesetzt, aber es will nicht so recht. Mir liegt was quer. Das hat aber nichts mit dir zu tun, das möchte ich vorausschicken.

Ich kann mir vorstellen, daß deine Erklärung, dein Sohn sei verstorben, große Reaktionen in den Menschen auslöst. Unwillkürlich trifft einen dieser Satz: "Mein Sohn ist verstorben" sehr heftig.

Hm, vielleicht ist das ein Teil dessen, was ich nicht so ganz nachvollziehen kann.

Da stutzt man unwillkürlich, denn das ist im ersten Augenblick so eine ungeheure Tatsache.... Das geht einem wirklich nahe, zumal wenn der Betroffene es ausspricht, denn dann ist es wirklich und wahrhaftig so: Der Sohn ist nicht mehr da, ihn gibt es nicht mehr.

Ich bekomme das wirklich nicht so richtig klar: Ich war auch völlig geschockt, als ich begriff, dass mein Kind nicht mehr da ist. Es ist mir aber schon immer schwer gefallen, die ein oder andere Betroffenheit zu "verstehen" - ganz allgemein.

Kann es nicht einfach sein, daß die Menschen, die darauf ungefragt Bezug nehmen, Dir in irgendeiner weise helfen wollen, weil sie einfach nicht wissen (können), das Du bereits den Status des Anerkennens/Annehmens erreicht hast? Sie wissen ja nicht, daß es jetzt schon ein Teil deiner Geschichte ist. Vielleicht wird vermutet, daß Du noch mitten in einer Verarbeitung steckst und wollen dir beistehen?

Ich gehe derzeit davon aus, dass es die Menschen "schockt", warum auch immer und auch davon, dass sie helfen wollen. Wobei meine Vermutung ist - und es ist eine Vermutung, kein Wissen - dass damit die unguten Gefühle des Helfers reduziert werden sollen. Da ist es egal, ob ich das für mich verarbeitet habe oder nicht - der Punkt ist der, dass sie eigentlich etwas für sich tun, aber denken, sie tun es für mich (oder jemand anderen).

Ich würde es ihnen nachsehen. Und wenn Du es hier und da wieder einmal erwähnen solltest, einen kleinen Satz der Erklärung beifügen.

Das nachzusehen, das ist es nicht. Da bin ich mir sicher. Aber ich spüre, dass sich auch bei dem Gedanken, eine Erklärung hinzuzufügen, etwas querlegt. Möglich, dass dieses Querliegen daher rührt, dass ich ja spontan etwas im Austausch äußern können möchte, und diese Erklärung aber das Spontane sozusagen verhindern würde.

Himmel, schwer auszudrücken. Also, wenn ich die jeweilige mögliche Reaktion vorausdenken und auch noch in meinen Äußerungen berücksichtigen soll, dann kann ich eben nicht frei von der Leber weg etwas sagen.

Ich zupfe da mal weiter, vielleicht klärt sich da noch etwas.

Danke und liebe Grüße
Rita
 
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Liebe Pluto :)

Vom systemischen her würde ich eher vermuten, dass die Rollen nicht eingehalten werden und dass, wie schon beschrieben, derjenige nicht mit Tabu-Themen umgehen kann, als zu helfen. Anstatt zu fühlen, etwas zu tun, ist leichter auszuhalten und ergibt gewissermaßen einen Handlungsspielraum als sich einzugestehen, dass der andere einfach "nur" angenommen und in seinem Sein akzeptiert werden möchte. Im Prinzip will der andere seine verletzte Seite nicht spüren und seine Hilflosigkeit: der andere kommt mit Problemen klar, und ich nicht, das darf nicht sein. Der andere wird als innerlich stark wahrgenommen und dass er mit seinem Leben und Herausforderungen alleine klar kommt, das darf auch nicht sein.

Die Rollen, die nicht eingehalten werden... ich bin mir fast sicher, dass da ein Hund begraben ist. Und ein weiterer da, wo es darum geht, unangenehme Gefühle nicht aushalten zu können oder wollen (was ich eben auch Silke gegenüber als möglichen Grund nannte). Was so etwas angeht, bin ich sozusagen "Expertin" - und zwar für beide Seiten der Münze. Es kann verdammt schwer fallen, auszuhalten, dass es jemandem nicht gut geht, ohne in Aktionismus zu verfallen.

Was ich jedoch immer noch nicht weiß: Wie gehe ich mit Menschen um, die sich ungefragt einmischen? (Auf ungefragtes Einmischen reagiere ich mittlerweile entweder mit Rückzug oder mit extremer Aggression, was mich beides letztlich noch mehr leiden lässt.)

Da bin ich auch noch am Herumprobieren. Das eine einzige Patentrezept wird es wohl nicht geben. Mir scheint, als müsse ich das immer wieder ausbalancieren: Ziehe ich mich zurück, sage ich von vornherein nichts mehr oder haue ich drauf... Oder gibt es noch andere Möglichkeiten? Ich mache das eigentlich auch davon abhängig, wie es mir gerade geht. Wenn möglich, versuche ich, mich in eine "gute Position" zu bringen. Das kann sein, dass ich mir Zeit nehme, um das sacken zu lassen, es kann sein, dass ich einen ruhigen Moment abwarte. Es kann aber auch sein, dass ich jemandem um die Ohren fliege. Manchmal bin ich so gut "bei mir", dass ich mit einem Lachen sage: "Das geht dich nichts an" und das auch exakt so meine.

Ich weiß ja nicht, wie es bei dir war, aber ich bin mit verdrehten Rollen groß geworden und vermutlich deshalb sehr sensibel schon für kleine "Anflüge" von "Rollentausch", empfinde das schnell als Zumutung und werde dann sauer, weil ich eben nicht für die Bedürftigkeit andererer herhalten möchte. Sich da innerhalb einer Familie abzugrenzen ist wohl eine lebenslange Übung.

Liebe Grüße
Rita
 
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