Mahabharata

Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 96


Maha-bhisha wird Shantanu,
Ganga seine Frau,
die Vasus seine Kinder

Vaisampayana sprach:
Es gab einmal einen König aus dem Geschlecht des Ikshvaku mit Namen Mahabhisha. Er war der Herr über die Erde, wahrhaft in seinen Reden und von echtem Heldenmut. Mit tausend Pferdeopfern und hundert Rajasuya Opfern hatte er den Herrn der Himmlischen erfreut und ging letztendlich in den Himmel ein. Eines Tages versammelten sich die Himmlischen, um Brahmaa zu ehren. Viele königliche Weise nebst König Mahabhisha waren zugegen.

Auch Ganga, die Königin der Flüsse, kam, um dem Großen Vater ihre Verehrung zu zollen. Dabei gerieten ihre mondweißen Kleider durch den Wind durcheinander. Als ihr Körper nun unbedeckt zu sehen war, neigten die Himmlischen ihre Häupter. Nur der königliche Weise Mahabhisha starrte unablässig auf die Königin der Flüsse. Für diese grobe Tat verfluchte Brahmaa den Mahabhisha sogleich und sprach: „Lump, da du dich beim Anblick der Ganga vergessen hast, sollst du auf Erden geboren werden. Danach wirst du hierher zurückkehren.

Auch Ganga soll in die Welt der Menschen geboren werden und dir Schmerzen bereiten. Doch wenn dein Zorn provoziert wird, sollst du von meinem Fluch befreit sein.“ Da erinnerte sich Mahabhisha an alle Monarchen und Asketen auf Erden und wünschte sich, als Sohn des heldenhaften Pratipa geboren zu werden. Die Königin der Flüsse beobachtete, wie König Mahabhisha seine Entschlossenheit (ihr gegenüber) verlor, ging davon und dachte sehnend über ihn nach.

Auf dem Weg traf sie die Vasus, diese Himmelsbewohner, welche den gleichen Pfad nahmen. In selbiger Zwangslage fragte sie die Vasus: „Warum seht ihr so niedergeschlagen aus? Ihr Himmelsbewohner, ist alles mit euch in Ordnung?“ Die Vasus antworteten: „Oh Königin der Flüsse, für einen verzeihlichen Fehler wurden wir vom ruhmreichen Vasisht im Zorn verflucht. Dieser Beste der Rishis widmete sich seiner Anbetung im Dämmerlicht. Wir konnten den Sitzenden nicht sehen und kreuzten ihn unwissend.

Wütend verfluchte er uns und sprach: „Werdet unter Menschen geboren.“ Wir haben nicht die Macht, die Worte dieses Brahma Sprechenden zu vereiteln. Oh Ganga, wenn du eine menschliche Frau wirst, dann mach uns Vasus zu deinen Kindern! Oh Liebenswerte, wir möchten nicht in den Leib irgendeiner anderen Frau eintreten.“ Die Königin der Flüsse sprach: „So sei es.“, und fragte sie: „Wer ist der Auserwählte unter den Männern auf Erden, den ihr zu eurem Vater machen möchtet?“

Die Vasus sprachen: „Dem Pratipa soll der Sohn Shantanu geboren werden, der ein großer König von weltweitem Ruhm werden wird.“ Da sagte Ganga: „Oh ihr Himmlischen, das ist auch mein Wunsch, den ihr gerade ausgesprochen habt. Ja, ich werde Shantanu Gutes tun, und dies ist auch euer Begehr.“ Erneut sprachen die Vasus: „Doch bitte, wirf deine Kinder gleich nach der Geburt wieder ins Wasser, oh du mit den drei Wegen (himmlisch, irdisch, unterirdisch), damit wir sogleich errettet werden, ohne lange auf Erden verweilen zu müssen.

“ Ganga antwortete: „Ich werde tun, was ihr wünscht. Doch damit meine Vereinigung mit dem König nicht völlig fruchtlos sei, sorgt dafür, daß zumindest ein Sohn am Leben bleibt.“ Die Vasus sprachen: „Wir werden jeder ein Achtel unserer Energien beitragen. Zusammengenommen wird dies ein Sohn gemäß euren Wünschen sein. Doch dieser Sohn soll keine Kinder auf Erden haben. Dein Sohn wird über große Energie verfügen, doch kinderlos bleiben.“ So war die Vereinbarung zwischen der Ganga und den Vasus beschlossene Sache und ein jeder ging seiner Wege.
 
Werbung:
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 97


Pratipa, der Vater von Mahabhisha (Shanthanu)

Da gab es also diesen König namens Pratipa, der allen Wesen freundlich gesinnt war. Er verbrachte viele Jahre in asketischer Enthaltsamkeit am Ufer der Ganga. Eines Tages nahm die geschickte und liebliche Ganga die Gestalt einer wunderschönen Frau an, erhob sich aus den Wassern und näherte sich dem Monarchen. Diese himmlische Maid von atemberaubender Schönheit setzte sich auf den rechten Oberschenkel des Askese übenden Monarchen, der in männlicher Stärke einem Sal Baum glich. Der Monarch sprach zu der auf seinem Schoß Sitzenden: „Oh du Liebliche, was ist dein Begehr? Was soll ich tun?“ Die Dame antwortete: „Ich wünsche dich, oh König, zum Ehemann. Oh du Bester der Kurus, sei mein. Eine Frau zurückzuweisen, welche aus eigenen Stücken kam, wird von den Weisen niemals gelobt.“

Doch Pratipa antwortete: „Oh du mit dem schönsten Gesicht, ich verbinde mich niemals aus Lust mit den Frauen anderer Männer oder mit Frauen aus einer anderen Kaste. Dies ist mein feierliches Gelübde der Tugend.“ Das Mädchen erwiderte: „Ich bin weder unpassend, noch häßlich. Ich bin auf jede Weise würdig, Freude zu spenden. Ich bin eine himmlische Maid von seltener Schönheit. Und ich begehre dich zum Gatten. Weise mich nicht zurück, oh König.“ Und Pratipa: „Oh Dame, ich halte mich von dem Pfad fern, auf den du mich führen willst. Wenn ich meinen Eid breche, wird die Sünde mich überwältigen und vernichten. Oh du mit dem schönen Gesicht, du hast mich umarmt und sitzt auf meinem rechten Bein. Nun wisse, du Zarte, daß dies der Platz für Töchter oder Schwiegertöchter ist.

Der linke Oberschenkel ist für die Gattin, und den hast du nicht beachtet. Daher, oh Beste der Damen, kann ich mich nicht an dir als liebevolle Begleiterin erfreuen. Sei meine Schwiegertochter. Ich heiße dich für meinen Sohn willkommen.“ Da sprach die Dame: „Es sei, wie du gesagt hast, du Tugendhafter. Ich werde mit deinem Sohn vereint sein. Aus Respekt für dich, werde ich eine Gattin im gefeierten Geschlecht der Bharatas sein. Ihr seid der Halt für alle Monarchen auf Erden. Nicht in hundert Jahren bin ich in der Lage, alle eure Tugenden aufzuzählen. Größe und Güte vieler gefeierter Monarchen dieses Geschlechts sind grenzenlos. Oh Herr von allen, wisse nur, daß dein Sohn die Richtigkeit meiner Taten niemals beurteilen darf, wenn ich deine Schwiegertochter werde. Ich werde mit deinem Sohn leben, sein Glück vermehren und ihm Gutes tun. Und er wird am Ende in den Himmel kommen, aufgrund der Söhne, die ich ihm gebäre, wegen seiner Tugenden und seines guten Verhaltens.“

Vaisampayana fuhr fort:
Nach diesen Worten, oh König, verschwand die himmlische Dame. Und der König wartete auf die Geburt seiner Söhne, um sein Versprechen zu erfüllen. Zu dieser Zeit übte der König, dieser Bulle unter den Bharatas, mit seiner Gattin asketische Buße mit dem Wunsch nach Kindern. Als sie bereits alt geworden waren, wurde ihnen ein Sohn geboren. Und dies war kein anderer als Maha-bhisha (der vom Himmel gefallen war). Er wurde Shantanu genannt, weil sein Vater bei seiner Geburt seine Leidenschaften mit asketischer Enthaltsamkeit kontrolliert hatte. Shantanu, dieser Beste der Kurus, hatte verstanden, daß die Bereiche von unzerstörbarer Glückseligkeit nur durch eigene Taten erreichbar sind, und wandte sich der Tugend zu.

Als Shantanu zum Jüngling herangewachsen war, sprach Pratipa zu ihm: „Vor einiger Zeit, oh Shantanu, kam zu deinem Besten eine himmlische Dame zu mir. Wenn du diese Schöngesichtige im Geheimen triffst, und sie dich um Kinder bittet, akzeptiere sie als deine Ehefrau. Oh du Sündenloser, beurteile niemals, was sie tut, ob es richtig sei oder falsch. Frage nicht, wer sie ist oder woher sie kommt, doch nimm sie auf mein Wort hin zur Gattin.“ Nach diesen Anweisungen an seinen Sohn überließ Pratipa Shantanu den Thron und zog sich in die Wälder zurück. König Shantanu war mit großer Klugheit und einer Pracht ausgestattet, welche Indra glich. Er war dem Jagen äußerst zugetan und verbrachte viel Zeit in den Wäldern. Ständig tötete dieser Beste der Monarchen Hirsche und Büffel.

Eines Tages wanderte er am Ufer der Ganga entlang und kam in eine von Siddhas (Perfekte Asketen) und Charanas oft besuchte Gegend. Dort traf er auf eine reizende Dame von strahlender Schönheit wie eine zweite Shri (die Frau des Transzendentalen Herrn Narayan). Sie hatte makellose und perlweiße Zähne, war mit himmlischen Ornamenten geschmückt, in feine Tücher gehüllt und glänzte wie das Innere einer Lotusblüte. Als der Monarch die Dame erblickte, war er sehr verwirrt und vor Entzücken standen ihm die Haare zu Berge. Mit starrem Blick schien er ihren Zauber zu trinken, doch keiner der Züge konnte seinen Durst stillen. Auch die Dame war beim Anblick des herrlichen Monarchen sehr bewegt und fühlte große Zuneigung für ihn. Sie schaute und schaute und sehnte sich danach, ihn immer weiter anzuschauen. Dann sprach sie der Monarch in sanften Worten an: „Oh du Schlankhüftige, seist du eine Göttin oder die Tochter eines Asura-Gott, seist du aus dem Geschlecht der Gandharvas oder Apsaras, der Yakshas oder Nagas oder von menschlicher Herkunft - ich flehe dich an, sei meine Gattin, du himmlisch Schöne.“
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 98


Der ehemalige Maha-bhisha, nun Shantanu (auf der Erde) heiratet Ganga Devi

Nach diesen sanften und süßen Worten des lächelnden Monarchen erinnerte sich das Mädchen an ihr Versprechen an die Vasus und gab dem König Antwort. Und mit ihren makellosen Gliedern rief sie im Herzen des Königs mit jedem ihrer Worte prickelndes Entzücken hervor: „Oh König, ich werde deine Gattin sein und deine Befehle befolgen. Doch, oh Monarch, du darfst dich in nichts einmischen, was ich tue, sei es angenehm für dich oder nicht. Auch darfst du niemals unfreundlich zu mir sprechen. Solange du dich freundlich verhältst, werde ich mit dir leben. Das verspreche ich. Doch ich werde dich ganz sicher in dem Moment verlassen, in dem du dich einmischst oder ein unfreundliches Wort zu mir sprichst.

Der König erwiderte: „So sei es.“ So hatte die Dame den hervorragenden Monarchen zum Ehemann gewonnen, diesen Besten der Bharatas, und war hoch erfreut. Und König Shantanu genoß ihre Gesellschaft voll und ganz. Seinem Versprechen folgend fragte er sie nichts. Dafür war er ihrem Betragen, ihrer Schönheit, ihrem Großmut und ihrer Aufmerksamkeit für sein Wohlbehagen äußerst zugetan. Und Ganga, die Göttin der drei Wege, die eine menschliche Gestalt von überragender, himmlischer Schönheit angenommen hatte, lebte glücklich als Gattin des Indra an Glanz gleichenden Shantanu, welchen sie sich aufgrund ihrer tugendhaften Taten zum Mann gewonnen hatte.

Sie erfreute den König mit ihrer Anhänglichkeit und Liebe, mit Zuneigung und Geschick, mit Musik und Tanz, und fand selbst darin ihre Befriedigung. Der Monarch war so hingerissen von seinem schönen Weib, daß die Monate, Jahreszeiten und Jahre dahinflogen, ohne daß er es bemerkte. Während sich der König an seiner Gattin erfreute, wurden ihm von ihr acht Kinder geboren, welche an Schönheit den Himmlischen glichen. Doch, oh Bharata, sobald ein Kind geboren war, wurden sie von Ganga in die Fluten geworfen mit den Worten: „Das ist für dein Wohl.“ Und die Kinder sanken hinab, um sich nicht mehr zu erheben.

Den König dauerte dies sehr. Doch er sprach kein Wort, damit seine Frau ihn nicht verließe. Erst als das achte Kind geboren war, und seine Frau wie zuvor sich daran machte, es lächelnd in den Fluß zu werfen, da konnte der Monarch nicht mehr an sich halten und mit trauriger Miene und dem Wunsch, es zu retten, sprach er zu ihr: „Töte es nicht. Wer bist du und woher kommst du? Warum tötest du deine eigenen Kinder? Als Mörderin deiner Söhne trägst du eine große Sünde mit dir herum.“

Und Ganga sprach:
Oh du, der sich Nachfahren wünscht, du wurdest eben zum Besten, welcher Kinder hat. Ich werde dieses Kind von dir nicht töten. Doch gemäß unserer Abmachung ist mein Verweilen hier bei dir zu Ende. Ich bin Ganga, die Tochter von Jahnu. Ich werde allseits von allen großen Weisen verehrt. Ich lebte mit dir so lange auf Wunsch der Himmlischen. Die acht ruhmreichen Vasus mit großer Energie mußten wegen eines Fluchs von Vasishta menschliche Gestalt annehmen. Hier auf Erden hatte niemand außer dir die Ehre verdient, ihr Erzeuger zu sein. Und es gab keine andere Mutter für sie hier auf Erden, außer mir, eine Himmlische in Menschengestalt.

Ich nahm diese menschliche Gestalt an, um sie zu gebären. Und indem du der Vater der acht Vasus wurdest, hast du dir viele Gefilde immerwährenden Glücks gewonnen. Es war ausgemacht zwischen mir und den Vasus, daß ich sie sofort nach ihrer Geburt wieder von ihrer menschlichen Gestalt befreien sollte. Und so errettete ich sie vom Fluch des Rishi Apava (Vasishta). Gesegnet seist du. Ich verlasse dich nun, oh König. Zieh dieses Kind der strengen Gelübde groß und gib ihm den Namen Ganga-datta. Daß ich so lange mit dir lebte, entsprach dem Versprechen, welches ich den Vasus gab.
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 99

Der Vasu namens Dyau wird der Sohn von Shantanu (vorher als Mahabhisha bekannt)

Da fragte Shantanu:
Welchen Fehler begingen die Vasus und wer war Apava, durch dessen Fluch die Vasus unter Menschen geboren wurden? Was hat dieses Kind, Ganga-datta, getan, weil er unter Menschen leben soll? Und warum wurden die Vasus, diese Herren der drei Welten, zum Menschsein verdammt? Oh Tochter des Jahnu, erklär mir alles.

Und Ganga-Devi antwortete ihrem Ehemann:
Oh du Bester der Bharatas, der Sohn Varunas wird Vasisht genannt, dieser Muni, der später als Apava bekannt wurde. Er wohnte am Fuße des Meru, des Königs der Berge. Der Ort war heilig, voller Vögel und Tiere, und die Blumen blühten das ganze Jahr hindurch. Dieser Erste unter den tugendhaften Menschen, der Sohn Varunas, praktizierte dort in den Wäldern voller süßer Wurzeln, Früchte und Wasser seine asketische Buße.
Daksha hatte eine Tochter namens Surabhi. Und Surabhi gebar für das Wohl der Welten aus ihrer Vereinigung mit Kasyapa ihre Tochter Nandini in Gestalt einer Kuh.

Diese Beste aller Kühe war die Kuh des Wohlstandes, denn sie konnte alle Wünsche erfüllen. Der tugendreiche Sohn Varunas bekam Nandini als seine Homa Kuh. Und die Kuh lebte vom Muni verehrt in dieser Einsiedelei und wanderte furchtlos durch die heiligen und entzückenden Wälder. Eines Tages kamen die Vasus mit Prithu an ihrer Spitze in diesen von den Göttern und himmlischen Rishis geschätzten Wald. Sie streiften mit ihren Gattinnen durch die Wälder und erfreuten sich an Bäumen und Bergen. Und eine der schlankhüftigen Vasu Gattinnen erblickte Nandini, die Kuh des Wohlstandes. Sie sah, daß die Kuh allen Reichtum besaß mit ihren großen Augen, den vollen Eutern, einem hübschen Schwanz, schönen Hufen, viel Milch und allen glücksbringenden Zeichen.

Sie zeigte die Kuh ihrem Gatten Dyau. Und auch Dyau begann beim Anblick der Kuh alle ihre vorzüglichen Eigenschaften zu bewundern. Dann sprach er zu seiner Frau: „Oh du Schwarzäugige mit den schönen Schenkeln, diese hervorragende Kuh gehört dem Rishi, der in dieser wunderbaren Einsiedelei lebt. Der Sterbliche, welcher von ihrer süßen Milch trinkt, bleibt unverändert jung für zehntausend Jahre, du mit der schlanken Taille.“ Nun, bester Monarch, die schlankhüftige Göttin mit dem makellosen Angesicht erwiderte daraufhin ihrem strahlenden Herrn: „Es gibt da eine Freundin von mir auf Erden namens Jitavati, welche große Schönheit und Jugend besitzt.

Sie ist die Tochter des königlichen Usinara, dieses Gottes unter Menschen, welcher klug und der Wahrheit zugetan ist. Ich möchte diese Kuh mit ihrem Kalb für meine Freundin haben, oh du Ruhmreicher. Bring mir diese Kuh, bester Himmlischer, so daß meine Freundin von der Milch trinken kann und als einzige auf Erden von Krankheit und Alter verschont bleibt. Oh du Ruhmreicher und Tadelloser, bitte gewähre mir diesen Wunsch. Es gibt nichts, was mich mehr erfreuen könnte.“ Dyau wollte seiner Frau ihren Willen erfüllen und stahl mit Prithu und seinen anderen Brüdern die Kuh. Ja, von seiner lotusäugigen Frau gedrängt, tat Dyau, wie sie ihm geheißen, und vergaß in diesem Moment den Rishi mit den hohen asketischen Verdiensten, dem die Kuh gehörte. Auch dachte er nicht einen Augenblick daran, daß er die Sünde des Diebstahls beging.

Am Abend kehrte der Sohn Varunas in seine Einsiedelei zurück mit all den Früchten, die er tagsüber gesammelt hatte. Da er nirgends die Kuh mit ihrem Kalb entdeckte, begann er nach ihnen im Wald zu suchen. Doch die Suche war vergebens, und so entdeckte der große und höchst kluge Asket in einer Vision, daß die Vasus sie gestohlen hatten. Sofort regte sich sein Zorn, und er verfluchte die Vasus: „Weil die Vasus meine Kuh mit der süßen Milch und dem hübschen Schwanz gestohlen haben, sollen sie auf Erden als Menschen geboren werden.“ Nun, so verfluchte der ruhmreiche Rishi die Vasus im Zorn, oh Bulle unter den Bharatas, und widmete sich anschließend wieder seiner asketischen Meditation.

Als die Vasus von dem Fluch erfuhren, eilten sie schnell zu Vasishtas Einsiedelei, und versuchten, ihn zu besänftigen. Doch nichts konnte ihn umstimmen, oh du Tiger unter den Männer, und sie gewannen nicht die Gunst des mit allen Regeln der Tugend vertrauten Rishi. Doch der tugendhafte Vasisht sprach: „Ihr Vasus wurdet von mir verflucht. Doch ihr sollt innerhalb eines Jahres nach eurer Geburt auf Erden von meinem Fluch befreit sein. Nur Dyau, für dessen Tat ihr alle von mir verflucht wurdet, soll für lange Zeit auf Erden leben wegen seiner Sünde. Niemals werden meine Worte vergebens sein, auch wenn ich sie im Zorn aussprach.

Wenn Dyau auf Erden lebt, wird er keine Kinder zeugen. Doch er wird tugendhaft sein und mit allen Shastren vertraut. Er wird seinem Vater ein gehorsamer Sohn sein, doch niemals die Freude weiblicher Gesellschaft erfahren.“ Danach ging der große Rishi davon, und die Vasus kamen zu mir. Und, oh König, sie baten mich um den Segen, daß ich sie gleich nach ihrer Geburt in den Fluß werfen soll. Ich tat, wie sie es wünschten, um sie von ihrem irdischen Leben zu befreien. Doch wegen des Fluchs des Rishi, oh bester König, muß Dyau allein für einige Zeit auf Erden bleiben.

Vaisampayana fuhr fort:
Nach diesen Worten verschwand die Göttin und nahm das Kind mit. Dieses Kind von Shantanu wurde sowohl Gangeya als auch Devavrata genannt und übertraf seinen Vater in allen Fähigkeiten. Nachdem seine Ehefrau verschwunden war, kehrte Shantanu mit traurigem Herzen in seine Hauptstadt zurück. Und nun werde ich dir über die vielen Tugenden und das große Schicksal von König Shantanu aus dem Geschlecht des Bharata erzählen. Denn dies ist die herrliche Geschichte, welche Mahabharata genannt wird.
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 100 -I

Shantanu - Tugend steht immer höher als Vergnügen und Gewinn
Während Shantanu die Erde regierte, wurden keine Hirsche, Eber, Vögel oder andere Tiere ohne Grund getötet
Die große Tugend der Freundlichkeit für alle Wesen
gleicher Schutz allen Wesen

Während seiner Regentschaft wurde die Rede mit der Wahrheit vereinigt

Vaisampayana erzählte:
Der Monarch Shantanu (im vorigen Leben Mahabhisha) wurde von den königlichen Weisen und sogar den Göttern verehrt, denn für seine Weisheit, Tugend und wahrhafte Rede war er in allen Welten berühmt. Selbstkontrolle, Großzügigkeit, Großmut, Klugheit, Ehrlichkeit, Geduld und außerordentliche Energie lebten immerwährend in diesem Bullen unter den Männern, Shantanu, dem großen Wesen. Er war mit allen Fähigkeiten ausgestattet und geübt in der Interpretation der Shastren. Er war sowohl der Beschützer des Bharata Geschlechts als auch der aller Menschen. ...

Monarchen und kamen zu dem Schluß, daß Tugend immer höher steht als Vergnügen und Gewinn. Solcherart waren die Eigenschaften, die in Shantanu lebten, diesem Bullen unter den Männern. Es gab wahrlich keinen König wie ihn. Alle Könige, die dem Tugendhaften begegneten, übergaben ihm den Titel König der Könige. Alle anderen Könige waren während seiner Regentschaft ohne Leid, Angst oder irgendwelche Sorgen. Sie alle schliefen friedvoll und erhoben sich am Morgen von ihrem Lager nach glücklichen Träumen. Wegen dieses prächtigen Monarchen, der an Energie Indra selbst glich, wurden alle Könige auf Erden tugendhaft, großzügig und Opfern und religiösen Taten zugetan.

Wenn die Erde von Shantanu und anderen Königen wie ihm regiert wird, vergrößert sich der tugendhafte Verdienst jeder Sozialen Klasse immens. Die Kshatriyas dienten den Brahmanen. Die Vaisyas warteten den Kshatriyas auf. Und die Shudras verehrten die Brahmanen und Kshatriyas und dienten den Vaisyas. Shantanu residierte in Hastinapur, der entzückenden Hauptstadt der Kurus, und beherrschte die ganze, von den Ozeanen umgürtete Erde. Er war wahrhaft, arglos und wie der König der Himmlischen bekannt mit den Geboten der Tugend. Diese Kombination in ihm aus Großmut, Tugend, Gerechtigkeit und Askese schenkte ihm großes Glück.

Er war ohne Ärger oder Groll und gut aussehend wie Soma selbst. In Glanz glich er der Sonne und in ungestümem Heldenmut dem Vayu (Wind). Im Zorn war er wie Yama, und in Geduld glich er der Erde. Während Shantanu die Erde regierte, wurden keine Hirsche, Eber, Vögel oder andere Tiere ohne Grund getötet. In seinem Reich herrschte die große Tugend der Freundlichkeit für alle Wesen.

Und der König selbst gewährte gleichen Schutz allen Wesen mit seiner Seele voller Mitgefühl und ohne jegliche Begierde oder Wut.

Die Opfer zu Ehren der Götter, Rishis und Ahnen wurden vollbracht, doch keinem Wesen wurde sündhaft das Leben genommen. Shantanu war der König und Vater von allen - auch von den Elenden und Schutzlosen, von Vögeln und Tieren und wirklich jedem Wesen. Während seiner Regentschaft wurde die Rede mit der Wahrheit vereinigt und der Geist der Menschen verband sich mit Großzügigkeit und Tugend.

Und nachdem sich Shantanu seines freudvollen Hausstandes für sechsunddreißig Jahre erfreut hatte, zog er sich in die Wälder zurück. Sein Sohn, der von Ganga geborene Vasu namens Deva-brata glich seinem Vater in Schönheit, Fertigkeiten, Benehmen und Gelehrtheit. Sein Geschick in allen Zweigen des Wissens, ob weltlich oder spirituell, war sehr groß. Er war außergewöhnlich stark und mächtig und wurde ein herausragender Wagenkämpfer. Denn auch er war ein großes Wesen.
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 100 -II

Shantanu bringt seine Sohn zu sich und
verliebt sich in der Tochter des Führers der Fischer


Eines Tages verfolgte König Shantanu einen Hirsch, den er mit seinem Pfeil getroffen hatte. Er lief am Ufer der Ganga entlang und bemerkte, daß der Fluß sehr seicht geworden war. Da begann dieser Beste der Menschen über die seltsame Erscheinung nachzudenken. Warum nur floß dieser Erste der Ströme nicht so schnell wie sonst? Er suchte nach einem Grund und erblickte schon bald einen Jüngling von großer Attraktivität, einen wohlgebauten und liebenswerten jungen Mann, wie Indra selbst, welcher den Fluß des Wassers durch seine heftigen, himmlischen Waffen aufhielt.

Mit großem Staunen beobachtete der König diese außergewöhnliche Kontrolle des Jünglings über den Fluß der Ganga. Dieser Jüngling war kein anderer als Shantanus Sohn. Doch da Shantanu seinen Sohn nur für einige Momente nach seiner Geburt gesehen hatte, konnte er den Jüngling nicht erkennen. Der Knabe jedoch erkannte seinen Vater sofort, als er ihn sah. Doch anstatt sich zu offenbaren, umgarnte er die Wahrnehmung des Königs mittels seiner himmlischen Kräfte der Täuschung und verschwand vor seinen Augen.

König Shantanu wunderte sich sehr darüber und vermutete wohl, daß dieser Jüngling sein Sohn war. So sprach er zur Ganga: „Zeig mir unser Kind.“ Ganga nahm eine schöne Gestalt an und erschien vor Shantanu mit dem himmlisch geschmückten Kind an ihrer rechten Hand. Shantanu erkannte die schöne Frau in ihrem Schmuck und den feinen Kleidern nicht wieder, obwohl er sie einmal gut gekannt hatte.

Da sprach Ganga:
Oh du Tiger unter den Männern, dies ist der achte Sohn, den du mit mir vor einiger Zeit bekamst. Wisse, daß dieses vorzügliche Kind alle Waffen kennt. Oh Monarch, nimm ihn nun zu dir. Ich habe ihn mit Sorgfalt großgezogen. Geh nach Hause, oh Tiger unter den Menschen, und nimm ihn mit. Er ist mit überragender Klugheit ausgestattet und hat mit Vasisht die ganzen Veden nebst den Zweigen studiert. Er geht trefflich mit allen Waffen um und ist ein großer Bogenschütze wie Indra selbst in der Schlacht. Sowohl die Sura Götter als auch die Dämonen schauen auf ihn mit Wohlwollen, oh Bharata.

Welche Arten von Wissen dem Sukra auch bekannt sind, dein Sohn kennt sie vollständig. Er ist ein Meister aller Shastren (Schriften), welche der Sohn von Angiras beherrscht, Vrihaspati, den die Sura und Asura Götter verehren. Und alle Waffen, die dem mächtigen und unbesiegbaren Raam, bekannt sind, kennt auch dein ruhmreicher Sohn mit den mächtigen Armen. Nun, oh König mit dem überragenden Mut, führe deinen heldenhaften Sohn heim, den ich dir jetzt übergebe. Er ist ein gewaltiger Bogenschütze und kennt alle Gebote und Abhandlungen über die Pflichten eines Königs. Oh Held, nimm deinen heldenhaften Sohn von mir an.

Nach diesen Worten der Ganga nahm Shantanu dieses der Sonne an Pracht gleichende Kind mit sich und kehrte in seine Stadt zurück. Zu Hause angekommen betrachtete sich der Monarch der Puru Linie als sehr glücklich. Er rief alle Pauravas zusammen und setzte zum Schutz seines Königreiches seinen Sohn als Thronerben und Mitregenten ein. Schon bald erfreute der Prinz seinen Vater, alle Familienmitglieder und sogar sämtliche Untertanen durch sein tadelloses Betragen. So lebte der König mit der unvergleichlichen Heldenkraft glücklich mit seinem Sohn zusammen. Es waren vier Jahre vergangen, als der König wieder einmal in den Wald und ans Ufer der Yamuna ging.

Auf seiner Wanderung nahm er einen unwiderstehlichen süßen Duft wahr, von dem er nicht wußte, woher er kam. Suchend wanderte er umher und erblickte schließlich ein schwarzäugiges Mädchen von himmlischer Schönheit, die Tochter eines Fischers. Der König sprach sie an: „Wer bist du und wessen Tochter? Und was machst du hier, du Zarte?“ Sie antwortete: „Gesegnet seist du. Ich bin die Tochter des Anführers der Fischer. Auf sein Geheiß und für religiösen Verdienst rudere ich Reisende in meinem Boot über den Fluß.“

Shantanu betrachtete die Maid mit der himmlischen Gestalt, lieblichen Schönheit und dem süßen Duft und begehrte sie zur Frau. Er begab sich zu ihrem Vater und bat um seine Zustimmung zu der gewünschten Verbindung. Doch der Fischer sprach zum König: „Oh König, sobald meine Tochter mit der herausragenden Schönheit geboren war, war natürlich beschlossen, daß sie einmal heiraten würde. Doch höre den Wunsch, den ich schon lange im Herzen trage. Oh du Sündenloser, wenn du diese Maid als Gabe von mir begehrst, dann gib mir dein Versprechen.

Wenn du dein Wort gibst, werde ich dir wahrlich meine Tochter übergeben, denn einen Ehemann, der dir gleicht, werde ich niemals für sie erhalten.“ Shantanu erwiderte: „Wenn ich von dem Versprechen erfahren habe, welches du begehrst, werde ich dir sagen, ob ich es gewähren kann oder nicht. Wenn es gewährt werden kann, werde ich es sicher tun. Wie könnte ich vorher etwas versprechen?“ Der Fischer sprach: „Oh König, was ich von dir erbitte, ist dies: Der Sohn meiner Tochter soll von dir auf den Thron gesetzt werden und niemand sonst soll dein Nachfolger sein.“
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 100 -III

Shantanu erzählt seinem Sohn, er hätte gern noch ein Kind


Vaisampayana fuhr fort:
Oh Bharata, als Shantanu dies hörte, fühlte er keine Neigung, dieses Verspechen zu geben, obwohl das Feuer des Verlangens heftig in ihm brannte. Mit liebeskrankem Herzen kehrte er nach Hastinapur heim und dachte die ganze Zeit an die Tochter des Fischers. Zu Hause versank er in trauriges Nachdenken. Eines Tages trat Deva-brata vor seinen kummervollen Vater und fragte ihn: „Jeder Wohlstand ist dein, und alle Anführer verehren dich. Warum bist du so traurig? In Gedanken versunken sprichst du kein Wort mit mir. Du reitest nicht mehr aus.

Du bist bleich und ausgemergelt und hast alle Munterkeit verloren. Ich möchte die Krankheit erfahren, unter der du leidest, so daß ich mich um ein Heilmittel bemühen kann.“ Shantanu antwortete seinem Sohn: „Ja, ich bin schwermütig. Und ich werde dir sagen, warum. Oh du aus der Linie des Bharata, du bist der einzige Nachfahre unserer großen Dynastie. Du widmest dich der Handhabe von Waffen und der Erlangung von Kraft. Doch ich, mein Sohn, denke immer an die Unsicherheit des menschlichen Lebens. Wenn dich eine Gefahr übermannt, oh Kind der Ganga, dann sind wir ohne Sohn. Daher bist du für mich eine Hundertschaft an Söhnen wert. Denn ich möchte mich nicht wieder verheiraten.

Ich wünsche mir nur alles Gute für dich, damit unser Geschlecht weiter währen möge. Die Weisen sagen, wer nur einen Sohn hat, hat keinen Sohn. Opfer vor dem Feuer und Studium der drei Veden hält ewig-währenden Verdienst bereit, das ist wohl wahr. Doch alles das erreicht wohl nicht den sechzehnten Teil vom Verdienst, den man durch die Geburt eines Sohnes bekommt. In dieser Hinsicht gibt es kaum einen Unterschied zwischen Menschen und Tieren. Oh du Weiser, ich habe nicht den Schatten eines Zweifels, daß der Vater eines Sohnes in den Himmel gelangt.

Die Veden, welche die Wurzel der Puranas sind und als Autorität sogar von den Göttern geschätzt werden, enthalten zahllose Beweise dafür. Oh du aus dem Geschlecht des Bharata, du bist ein Held von erregbarem Temperament und übst dich ständig in Waffen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß du auf dem Schlachtfeld getötet wirst. Doch wenn das geschieht, was passiert dann mit der Bharata Dynastie? Dieser Gedanke macht mich so schwermütig. Nun habe ich dir alles erzählt.“
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 100 -IV

Deva-vrata verzichtet auf dem Thron; er wird als Zölibatär leben
Shantanu bekommt Satyavati als Frau


Vaisampayana erzählte:
Der kluge Devabrata hatte gut zugehört und dachte eine Weile nach. Dann ging er zum alten Minister, dem das Wohle seines Vaters am Herzen lag, und befragte ihn nach dem Grund für den Kummer des Königs. Und der Minister erzählte ihm von der Bedingung, die der Fischer bezüglich seiner Tochter gestellt hatte. Nun begab sich Devabrata in Begleitung vieler Kshatriya Anführer in ehrbarem Alter zum Fischer und bat ihn um seine Tochter für den König. Der Fischer empfing ihn in allen Ehren, und nachdem sich der Prinz gesetzt hatte, sprach der Fischer zu ihm: „Oh du Bulle unter den Bharatas, du bist der erste Waffenträger und der einzige Sohn von Shantanu.

Dein Einfluß ist groß, doch ich muß dir etwas sagen. Selbst, wenn Indra der Vater der Braut wäre, würde er es bereuen, einen solch ehrenvollen und wünschenswerten Heiratsantrag abzuschlagen. Der große Mann, von dessen Samen die gefeierte Maid Satyavati geboren wurde, gleicht dir wahrlich an Heldenmut. Er sprach zu mir viele Male von den Tugenden deines Vaters und sagte mir, daß der König allein ein würdiger Gatte für Satyavati wäre. Laß mich dir sagen, daß ich eben den himmlischen Rishi Asita, diesen Besten der Brahmarshis, abgewiesen habe, der schon oft um Satyavatis Hand gebeten hat.

Als Vater dieses Mädchens werde ich nur einem mein Wort geben. Der einzige Hinderungsgrund für diese Heirat ist die Rivalität, welche mit einem Sohn der zweiten Ehefrau entsteht. Oh du Feindebezwinger, dieser Sohn hat keine Sicherheit mit dir als Rivalen, selbst wenn er ein Asura oder Gandharva wäre. Dies ist der einzige Einwand und nichts sonst. Gesegnet seist du! Und dies ist alles, was ich zu dieser Sache sagen kann.“

Da antwortete ihm Devabrata vor allen anwesenden Fürsten und zum Wohle seines Vaters: „Oh bester und ehrlicher Mann, höre den Eid, den ich ausspreche. Es gab und wird wohl keinen anderen Mann geben, der den Mut hat, einen solchen Eid auf sich zu nehmen. Doch ich werde alles erfüllen, was du forderst. Der Sohn, den diese Maid zur Welt bringen wird, soll unser König sein.“ Darauf sprach der Fischer erneut, um die scheinbar unmögliche, alleinige Herrschaft (seines Enkelsohnes) zu erlangen:

„Oh du tugendhafte Seele, du kamst hierher für das Wohl deines unermeßlich prachtvollen Vaters Shantanu. Sei auch um mein Wohl besorgt, was die Heirat meiner Tochter angeht. Es gibt noch etwas anderes, du freundlicher Herr, was dich betrifft und worüber du nachdenken mußt. Oh du Feindebezwinger, ich muß dies sagen, denn es gehört zu den Pflichten des Vaters einer Tochter. Oh du Wahrheitsliebender, das Gelübde, welches du in Anwesenheit all der Fürsten zum Wohle von Shantanu auf dich nahmst, ist deiner wahrlich würdig.

Oh du mit den mächtigen Armen, ich habe nicht den kleinsten Zweifel, daß du dein Gelübde brechen könntest. Doch was ist mit den Kindern, die du vielleicht zeugen wirst?“ Nun wußte Devabrata von allen Zweifeln des Fischer, und dieser Sohn der Ganga sprach aus Liebe zu seinem Vater: „Bester Fischer, höre genau, was ich in Anwesenheit der versammelten Fürsten spreche. Ich habe bereits auf den Thron verzichtet und werde nun meine Nachfolge regeln. Oh Fischer, von heute an folge ich dem Eid eines Brahmacharya (Studium und Meditation im Zölibat). So werde ich, wenn ich sterbe, auch ohne einen Sohn in die himmlischen Bereiche ewigwährenden Glücks eingehen.“

Nach diesen Worten des Sohnes der Ganga sträubten sich dem Fischer die Haare vor Glück, und er sprach: „Ich übergebe meine Tochter.“ Da ließen die Götter, Rishis und Apsaras Blumen vom Himmel und auf das Haupt Devabratas regnen und riefen: „Dieser ist Bhishma (der Schreckliche, Extreme).“ Danach sprach Bhishma zur ruhmreichen Dame im Dienst für seinen Vater: „Oh Mutter, besteige diesen Wagen und laß uns nach Hause eilen.“

Die schöne Maid folgte seinen Worten und alle kehrten nach Hastinapura zurück, wo Shantanu die ganze Geschichte erfuhr. Alle versammelten Fürsten und Adligen spendeten Bhishma und seiner außerordentlichen Tat ihren Beifall und sprachen: „Er ist wirklich ein Bhishma.“ Shantanu freute sich sehr über seinen Sohn und gewährte ihm den Segen, daß er seinen Tod selbst bestimmen könne. Er sagte: „Der Tod möge nicht zu dir kommen, solange du wünschst zu leben. Ja, der Tod wird nur auf deinen Befehl hin zu dir treten, oh du Sündenloser.“

 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 101


Satyavatis Söhne und Chitrangadas Tod

Vaisampayana sprach:
Nach der Hochzeit setzte Shantanu seine schöne Braut im Haushalt ein und schon bald wurde ein kluger und heldenhafter Sohn namens Chitrangada geboren.
Er war mit großer Energie versehen und wurde der Erste unter den Männern. Dann bekam der heldenmütige Shantanu mit Satyavati noch einen Sohn namens
Vichitra-virya, welcher ein mächtiger Wagenkämpfer und König nach seinem Vater wurde. Doch bevor dieser Bulle unter den Männern, Vichitravirya,
erwachsen wurde, unterlag der weise König Shantanu dem unvermeidbaren Einfluß der Zeit.

Nach seinem Aufstieg in den Himmel begab sich Bhishma unter den Befehl von Satyavati und setzte den Feindebezwinger Chitrangada auf den Thron.
Schon bald eroberte Chitrangada mit seinem Heldenmut alle Monarchen. Er betrachtete keinen anderen Mann als ebenbürtig. Und als der König der
Gandharvas mit gleichem Namen sah, daß Chitrangada fähig war, Männer, Asuras- und sogar Sura-Götter zu besiegen, da forderte er ihn zum Kampf.
So nahm die schreckliche Schlacht zwischen diesen beiden mächtigen Helden, dem Gandharva und dem Ersten der Kurus, auf dem Felde von Kurukshetra
seinen Lauf. Sie dauerte für volle drei Jahre am Ufer der Sarasvati.

Dichte Schauer von Waffen fielen, die Feinde setzten sich mächtig zu und letztendlich tötete der Gandharva mit der größeren Macht der Täuschung den Kuru Prinz.
Nach dem Tode von Chitrangada, diesem Tiger unter den Männern, stieg der Gandharva wieder zum Himmel auf. Und Bhishma, der Sohn von Shantanu, führte
seine Trauerriten durch. Danach setzte er Vichitravirya auf den Thron der Kurus, obwohl der noch ein Knabe war. Vichitravirya gehorchte stets dem Bhishma,
regierte das alte Königreich und verehrte Bhishma sehr, denn dieser wußte um alle Regeln der Religion und der Gesetze. Und Bhishma beschützte den Knaben,
welcher dem Diktat der Pflicht so gehorsam folgte.
 
Werbung:
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 102 - I


Bhishma raubt die Prinzessinnen von Kasi, Tod des Vichitravirya

Vaisampayana sprach:
Nach dem Tode von Chitrangada folgte ihm Vichitravirya auf dem Throne nach. Und da er anfangs noch ein Kind war, regierte Bhishma das Königreich und stellte sich dabei immer unter Satyavatis Befehle. Nach einiger Zeit stellte Bhishma fest, daß sein Bruder ins Jünglingsalter kam und so beschloß Bhishma, daß er heiraten sollte. Er hatte davon gehört, daß die drei Töchter des Königs von Kasi, welche alle drei wunderschönen Apsaras glichen, in einer Gattenwahl ihre Ehemänner wählen sollten. So begab sich dieser treffliche Wagenkämpfer und Feindebezwinger mit Erlaubnis seiner Mutter mit einem einzigen Streitwagen nach Varanasi. Dort hatten sich zahllose Fürsten und Könige aus allen Ländern versammelt. Bhishma erblickte auch die drei Mädchen, welche sich ihre Gatten wählen sollten. Als die versammelten Könige vorgestellt wurden, beschloß Bhishma, die Mädchen für seinen Bruder zu erwählen. Er trug die Mädchen zu seinem Wagen und sprach mit einer Stimme wie Gewitterdonner zu den anderen Königen.

Bhishma sagte:
Die Weisen sprechen davon, daß eine geschmückte Maid einem Auserwählten übergeben werden kann nebst vielen wertvollen Geschenken in dem Maße, wie es sich der Brautvater leisten kann. Es ist auch möglich, eine Tochter zu übergeben und dafür ein paar Kühe anzunehmen. Oder andere verheiraten ihre Töchter und akzeptieren eine festgesetzte Summe. Und wieder andere erobern sich die Mädchen durch eigene Kraft. So heiraten manche mit dem Einverständnis der Mädchen (z.B. Gattenwahl), andere überreden sie zur Einwilligung, und manche gehen zu den Eltern der Mädchen und gewinnen ihr Einverständnis.

Es gibt auch welche, die erhalten Ehefrauen als Geschenk, weil sie bei einem Opfer geholfen haben. Die Gelehrten loben immer diese acht von all den Möglichkeiten der Heirat. Könige sprechen anerkennend über eine Gattenwahl und verheiraten sich gern auf diese Weise. Doch die Weisen sagen, daß die Gattin wahrlich kostbar ist, welche durch eigene Kraft im siegreichen Kampf mit den Gegenspielern der zu einer Gattenwahl eingeladenen Königen und Fürsten heimgeführt wurde. Daher, ihr Monarchen, trage ich diese Mädchen gewaltsam von hier fort. Versucht euer Bestes, mich zu besiegen, oder werdet besiegt! Monarchen, ich stehe hier entschlossen zum Kampf.

So sprach der Kuru Prinz zu den versammelten Königen und dem Monarchen von Kasi und trug die Mädchen zu seinem Wagen. Er setzte sie hinein und trieb den Wagen davon, alle geladenen Könige zur Schlacht fordernd. Jene sprangen auf, schlugen sich auf die Arme und bissen sich wütend auf die Lippen. Und laut war das Getöse, als alle in großer Hast die Ornamente abwarfen und ihre Rüstungen anlegten. Als ihr glitzernder Schmuck davonflog und die Rüstungen blinkten, da schien es, als ob Kometen durch den Himmel zuckten, oh Janamejaya. Mit gerunzelten Stirnen und zornesroten Augen stürmten die Monarchen ungeduldig voran mit lose hängenden Rüstungen und im Takt ihrer schnellen Schritte baumelnden Ornamenten.

Die Wagenlenker brachten schnell die schönen Wagen heran und spannten die Pferde vor. Da fuhren die prächtigen Krieger in ihren Wagen los mit allen Arten von erhobenen Waffen und verfolgten den eilenden Kuru Prinzen. Und dann begann eine gräßliche Schlacht zwischen den zahllosen Monarchen auf der einen Seite und dem einzelnen Kuru Krieger auf der anderen. Die Könige schossen zehntausend Pfeile auf einmal auf ihren Feind, doch Bhishma wehrte sie alle schnell ab, bevor sie ihn erreichen konnten. Und seine Pfeile waren so zahllos wie die Haare an einem Körper. Dann umringten ihn die Könige, und es regnete von allen Seiten Pfeile auf ihn, als ob Unmengen von Wolken sich an einem Berg abregnen. Doch Bhishma versperrte mit seinen Geschossen allen gegnerischen Pfeilen den Weg und durchbohrte jeden Monarchen mit drei Pfeilen.

Doch diese schossen auf Bhishma jeweils fünf Pfeile ab. Die trafen nicht, denn Bhishma stoppte sie mit seiner heldenhaften Macht und schoß selber auf jeden kämpfenden König zwei weitere Pfeile ab. Die Schlacht wurde so heftig mit diesen dichten Schauern von allen Arten an Geschossen, daß es aussah wie damals, als die Sura-Götter mit den Asura-Götter kämpften und mutige Männer schon beim Anblick mit Furcht geschlagen wurden. Bhishma schnitt mit seinen Pfeilen Bögen, Fahnenstangen, Rüstungen und königliche Häupter zu hunderten und tausenden auf dem Schlachtfeld entzwei. Seine heroische Macht, die Leichtigkeit seiner Hand und sein Geschick, sich selbst zu beschützen, waren so furchterregend und wunderbar, daß die beteiligten Wagenkrieger, obwohl sie gegeneinander kämpften, ihm laut zu applaudieren begannen. So besiegte dieser Beste von allen Waffenträgern im Kampf alle diese Monarchen, und nahm seinen Weg nach Hastinapura wieder auf, die Mädchen mit sich führend.
 
Zurück
Oben