Judenfeindlichkeit

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Im Zentrum des christlichen Glaubens steht das Bekenntnis zu dem gekreuzigten Juden Jesus von Nazareth. Bereits die Petruspredigten der Apostelgeschichte machen das Volk Israel insgesamt für Jesu Tod verantwortlich.

In der Kirchengeschichte wurde die Botschaft von der Schuld der Juden am Tode Jesus zur kollektiven Verdammung des Judentums. Der Vorwurf "Die Juden haben Jesus getötet" löste in der europäischen Geschichte oft unmittelbar Pogrome (gewaltsame Massenausschreitungen) an Juden aus. Denn Jesus war für Christen als Sohn Gottes das gottgleiche Wesen Gottes unter den Menschen. Wer ihn tötete, tötete Gott selbst. Daraufhin machten die Christen die "Christusmörder" auch sonst für alle erdenklichen Verbrechen verantwortlich. Sie bestimmten ihr "Wesen" als teuflisch und unterstellten ihnen permanente Mordabsichten.

Die traditionelle christliche Bibelauslegung versucht den Juden die Schuld am Tode Jesus zu geben. Sie behauptet:

1. Jesus Gebotsübertretungen hätten die Tora außer Kraft gesetzt. Deshalb hätten damalige jüdische Autoritäten ihn beseitigen lassen.
2. Seine Messiaswürde sei mit dem jüdischen Messiasglauben unvereinbar und habe seine Verurteilung zwangsläufig provoziert.

Dieses Bild hält weder einer genauen Prüfung der Evangelien noch dem sonstigen Wissen vom damaligen Judentum in Palästina stand. Die Auslegung des Neuen Testaments in der christlichen Theologie sieht Jesu Nähe und Distanz zu verschiedenen damaligen jüdischen Gruppen und die Gründe für seine Hinrichtung heute daher viel differenzierter. Sie unterscheidet damalige innerjüdische Konflikte von den wahrscheinlichen Ursachen des römischen Todesurteils. Unabhängig davon steht für die Kirchen jedoch seit 1965 einhellig fest, dass eine Mitschuld damaliger Teilgruppen des Judentums am Tod Jesu heutigen Antijudaismus unter keinen Umständen rechtfertigt.

Zwei Hauptpositionen haben sich seit 1945 herauskristallisiert. Da ist zum einen die nicht-christliche (jüdische) Einschätzung und daneben natürlich die Position, die von der christlichen Kirche vertreten wird. In diesem Beitrag soll die nicht-christliche Ansicht dargestelt werden. Im nächsten Beitrag dagegen die Ansicht aus christlicher Sicht dargestellt werden.

Sehen wir uns zu nächst einmal die nicht-christliche (jüdische) Darstellung an:

1. Römer, nicht Juden, tragen die Hauptverantwortung für Jesu Kreuzigung. Politische, nicht religiöse Motive hätten sie dazu bewegt. Die Beteiligung des jüdischen Hohen Rats (Sanhedrin) sei seiner damaligen Zwangslage geschuldet, er habe nur eine Helferrolle ohne eigenen Handlungsspielraum gehabt.

2. der jüdische Historiker Paul Winter sieht bereits Jesu Festnahme von Römern, nicht vom jüdischen Hohen Rat veranlasst und bestreitet, dass es einen Religionsprozess mit Todesurteil gegen Jesus gab.

3. Haim Cohn, Richter am Obersten Gerichtshof des Staates Israel, bestreitet, dass ein Straftatbestand des antiken jüdischen Religionsgesetzes auf Jesus anwendbar war und hält es daher sogar für wahrscheinlich, dass der jüdische Hohe Rat (Sanhedrin) Jesus damals vor den Römern zu retten versuchte. Dies hätten die Evangelisten umgedeutet, um sich vor römischer Verfolgung zu schützen und die Heidenmission zu erleichtern.

4. Pinchas Lapide sieht das Todesurteil des Sanhedrin als nachträgliche christliche Erfindung, da das Messiasbekenntnis Jesu vor Kaiphas keine "Gotteslästerung" gewesen sein könne.

5. Nach dem deutschen Juristen Weddig Fricke dagegen hätte der Hohe Rat durchaus ein Todesurteil fällen können; dass er es nicht tat, beweist für ihn, dass allein Pilatus Jesu Hinrichtung veranlasst habe, die er als politischen Mord einstuft.

Zum Schluß ein kleiner geschichtlicher Rückblick, der die Rolle des Hohepriesters Kaiphas etwas verdeutlichen soll:

Kaiphas wurde im Jahr 18 n. Chr. durch den römischen Präfekten Valerius Gratus in das Amt des jüdischen Hohepristers berufen. Das Amt des Hohenpriesters wurde nach jüdischem Brauch jährlich neu durch den jüdischen Sanhedrin ("Hoher Rat") an ein Mitglied der Priesteraristokratie der Sadduzäer vergeben. Der jüdische Hohe Rat bestand zu jener Zeit ausschließlich aus Sadduzäern, die von den Römern eingesetzt wurden.

Insofern gilt die außergewöhnlich lange Amtszeit des Kaiphas von 19 Jahren als Folge seiner geschickten Amtsführung nach außen und innen. Da auch die jüdisch-religiösen Ämter in dieser Zeit wesentlich von dem Wohlwollen der römischen Besatzungsmacht in Palästina abhingen, wird Kaiphas in erheblichem Maße auf römische Belange Rücksicht genommen haben.

Der jüdische Hohe Rat und namentlich der amtierende Hohepriester Kaiphas soll federführend an der Auslieferung Jesu an die Römer, die seine Kreuzigung betrieben haben sollen, beteiligt gewesen sein. Die jüdische Führung besaß zur Zeit Jesu aber nicht das Recht auf Kapitalgerichtsbarkeit. Das heißt, sie durften keine Todesurteile fällen.

Nach Matthäus (26,59-68) soll Kaiphas Jesus aber wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilt haben. Formaljuristisch widerspricht das in den Evangelien geschilderte Verfahren gegen Jesus damit aber zeitgenössisch-jüdischen Rechtsgrundsätzen. Dennoch hat die Darstellung des Kaiphas bei Matthäus und Johannes in der Geschichte des Christentums zu erheblichen antijüdischen Tendenzen geführt. Die Frage nach der Schuld am Tod Jesu wurde so häufig Anlass zu generell judenfeindlichen Einstellungen und Verhaltensweisen. Dabei wurde häufig nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, dass die Sichtweisen der Evangelien nicht unbedingt historisch gesicherten Tatsachen entsprechen, sondern vielmehr einer Absicht, die religiöse Gestalt und Botschaft Jesu zu vermitteln.

Antijudaismus im Neuen Testament
Kaiphas
Sadduzäer
 
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opti schrieb:
Hallo Afrodelic
Zunächst einmal halte ich dieses ganze Gerede von der Dualseele für Unsinn.
Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir die Bibelstelle benennen könntest, aus der ersichtlich ist, dass Jesus oder Judas Interesse an Maria Magdalene hatten. Dieser Unsinn wird immer wieder behauptet, ohne ihn belegen zu können.



ich meine, das was in der bibel steht nicht umbedingt den damaligen tatsachen entsprechen muß wäre inzwischen klar und das nicht erst seit kumran und den apokryphen! was glaubt ihr wie oft die bibel in den letzten 2000 jahren übersetzt worden ist? und da soll heute noch alles genau so drin stehen wie im original? was meint ihr, glaubt das heute wirklich noch jemand?
gruß



El-Hombre
 
Hallo El-Hombre

El-Hombre schrieb:
ich meine, das was in der bibel steht nicht umbedingt den damaligen tatsachen entsprechen muß wäre inzwischen klar und das nicht erst seit kumran und den apokryphen! was glaubt ihr wie oft die bibel in den letzten 2000 jahren übersetzt worden ist? und da soll heute noch alles genau so drin stehen wie im original? was meint ihr, glaubt das heute wirklich noch jemand?

gruß El-Hombre

Ich bin ganz deiner Meinung. Genau dieses Problem ging mir gestern durch den Kopf. Schon vor längerer Zeit hatte ich mich damit beschäftigt, dass viele Darstellungen in der Bibel nicht den historischen Gegebenheiten entsprechen. Du siehst ja aus dem, was ich oben geschrieben haben, wie widersprüchlich die Darstellungen sind. Der eine sagt, der jüdische Hohe Rat hätte Todesurteile fällen dürfen, andere wiederum behaupten genau das Gegenteil.

Was mir aber an der ganzen Darstellung über das Todesurteil an Jesus missfällt, ist die Tatasache, dass man eigentlich immer nur etwas von der christlichen Version hört, die besagt, dass Jesus von den Juden getötet wurde, weil er gegen jüdische Gesetze verstieß. Dabei wird die ganze politische Situation vollkommen außer acht gelassen. Somit sind die Juden natürlich die Buhmänner, die für diese Bibelauslegung teuer bezahlen mussten.

Erzähl doch bitte einmal, wer oder was Kumran und die Apokryphen sind.
 
Hallo El-Hombre

El-Hombre schrieb:
ich meine, das was in der bibel steht nicht umbedingt den damaligen tatsachen entsprechen muß wäre inzwischen klar...

Ich möchte noch einmal auf deinen Einwand eingehen. Es ist teilweise sogar noch viel schlimmer als du es ausdrückst. Ich habe mir z.B. eben die Lebensgeschichte von Mose(s) durchgelesen. Es geht dabei um den Auszug der Juden aus Ägypten. Und ein Wunder reiht sich ans andere. Da fragt man sich, wer soll so etwas glauben. Aber ich glaube, von vielen religiösen Menschen wird das überhaupt nicht hinterfragt (genau so wie die Literatur Jan van Helsings von vielen Jan van Helsing-Lesern genau so wenig hinterfragt wird - sorry, aber den konnte ich mir jetzt nicht verkneifen) sondern schlicht und einfach als Wahrheit akzeptiert.

Dazu ist zwar von Seiten der Gläubigen eine gewisse Naivität und Leichtgläubigkeit vorauszusetzen, aber die sehe ich bei gläubigen Menschen allemal gegeben. Ist eben Glauben und nicht Wissen. Wenn man also gutmütig ist, dann kann man das Alte Testament bzw. das Buch Mose, indem der Auszug der Juden aus Ägypten beschrieben wird, als Gleichnis durchgehen lassen, dann müsste man allerdings noch deuten, wie das Gleichnis zu deuten ist, und mir scheint, dies gleicht dem Kaffesatzlesen, oder man betrachtet es schlicht und einfach als Märchenbuch.

Moses
 
Ich bin auf einen Artikel aufmerksam gemacht worden, der die Verhaftung, Verurteilung und Kreuzigung Jesus aus jüdischer Sicht schildert. Der Artikel bezieht sich auf das Buch des jüdischen Richters Chaim Cohn (Der Prozess und Tod Jesu aus jüdischer Sicht, 2001, Insel Verlag), der sich mit der Rechtsprechung zur Zeit Jesus auseinander setzte. Eigentlich sollten sich auch alle Christen einmal den Artikel über die jüdische Rechtsgeschichte durchlesen.

Die Berichte der Evangelien

Die Geschehnisse stellen sich nach den Evangelien folgendermaßen dar: Jesus und die Jünger verließen nach dem "letzten Abendmahl" Jerusalem, begaben sich zum Ölberg (Mk 14, 26; Mt 26, 30; Lk 22, 39) und kamen zu einem Ort namens Gethsemane (Mk 14, 32; Mt 26, 36). Bei diesem Ort könnte es sich um denselben Ort gehandelt haben, der bei Johannes (18, 1) als Garten jenseits des Kidronbaches beschrieben ist. Wichtig ist, dass sich Jesus und seine Jünger öfter an diesem Ort aufgehalten haben (vgl. Lk 22, 39; Joh 18, 2).Während Jesus zu seinen Jüngern sprach, tauchten plötzlich Leute auf, die von Judas angeführt wurden. Die Evangelisten beschreiben diese Leute folgendermaßen: nach Markus (14, 43) und Matthäus (26, 47) war es eine mit Schwertern und Knüppeln bewaffnete Schar, die von den führenden Priestern, den Gesetzeslehrern und Ratsältesten geschickt worden waren; nach Lukas (22, 47 ff.) kam eine Schar, Jesus indes wandte sich direkt an die führenden Priester, die Offiziere der Tempelwache und die Ratsältesten (22, 52). Johannes (18, 3) hingegen beschreibt die auftauchenden Menschen als römische Soldaten, die von einigen Tempelwächtern begleitet wurden; die Verhaftung nahmen die Römer und die jüdischen Tempelwächter gemeinsam vor (18, 12).

Die Beteiligten an der Verhaftung

Nach heutigen Erkenntnissen ist man sich einig, dass es sich bei der Truppe um eine Kohorte und ihren Tribun (eine römische Militäreinheit und ihr Befehlshaber) gehandelt hat (vgl. P. Winter: On the trial of Jesus, S. 44 ff; S.G.F. Brandon: The trial of Jesus of Nazareth, S. 196).Fraglich ist jedoch, um wen es sich bei den beteiligten Juden gehandelt hat, da diese einmal als eine mit Schwertern und Knüppeln bewaffnete Schar, einmal als Tempelwächter bezeichnet werden und teilweise behauptet wird, Älteste und Hohenpriester hätten sich unter der Menge befunden.Die Behauptung, dass Älteste und Hohenpriester bei der Verhaftung anwesend waren, stellt sich als unrealistisch und übertrieben dar, denn eine Verhaftung wird gewöhnlich – und so verhielt es sich auch damals – nicht von einem Ältesten oder Richter vorgenommen und ganz gewiss nicht von vielen Ältesten oder Richtern, die sich zu diesem Zweck zusammentun. Die Obrigkeit hätte, um eine Verhaftung vorzunehmen, selbstverständlich einen oder mehrere ausgebildete, bewaffnete Beamte losgeschickt.

Auch die Annahme, Älteste hätten sich unter den Leuten befunden, erweist sich als nicht glaubwürdig. Es ist nicht anzunehmen, dass eine bedeutende Persönlichkeit die Mühe auf sich nimmt, zu einer späten Nachtstunde die Stadt zu verlassen und eine nicht unerhebliche Entfernung bergauf zurückzulegen, um persönlich der Verhaftung eines als Verbrecher Verdächtigen beizuwohnen, wer auch immer dieser Verdächtige sei. Insbesondere muss dies auf diese Nacht zutreffen, da diese eine besondere Nacht war, nämlich die Nacht des Pessachfestes (laut Johannes geschah die Verhaftung am Vorabend des Pessachfestes). In dieser Nacht war jeder jüdische Hausinhaber entweder mit der Sederfeier (Pessachfest) oder aber, wenn man mit Johannes die Verhaftung auf den Vorabend des Pessachfestes datiert, mit den Vorbereitungen dieses wichtigen Festes und seiner Opfer beschäftigt. Es ist undenkbar, dass er in einer solchen Nacht in die Berge hinausgelockt werden konnte, um an einer Polizeiaktion teilzunehmen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass, sollten wirklich Älteste und Priester hinter der Verhaftung gesteckt haben, diese wohl kaum persönlich anwesend gewesen wären; es ist eher wahrscheinlich, dass sie in diesem Falle ihre Agenten und Beamten geschickt hätten, um selbst nicht gesehen und identifiziert zu werden.

Die wahre Identität der jüdischen Beteiligten an der Verhaftung erschließt sich direkt aus der Bezeichnung "Offiziere der Tempelwache" bei Lukas (22, 52). Auch bei Johannes (18, 2) werden die beteiligten Juden als "einige Tempelwächter" bezeichnet. Wie bereits oben erwähnt, erfolgte die Verhaftung eines Verdächtigen nicht von Scharen oder von Ältesten oder Priestern, sondern durch eine Polizeieinheit. Daneben ist zu beachten, dass die einzigen Menschen, die autorisiert waren, eine Verhaftung im Auftrag des Hohenpriesters vorzunehmen, Beamte der Tempelpolizei gewesen sind. Bei den jüdischen Beteiligten handelte es sich also keinesfalls um Scharen (es ist auch nicht einzusehen, warum eine Volksmenge, die Jesus noch Stunden zuvor bejubelt hat, ihn plötzlich verhaften und getötet sehen will; auch fürchteten die Hohenpriester und Schriftgelehrten einen Aufruhr im Volke, wenn sie Hand an Jesus legten [Mk 14, 2], nun sollten sie sich der Hilfe dieses Volkes bedienen?), es handelte sich vielmehr um eine Abordnung der Tempelwache.Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es sich bei der Verhaftung Jesu um ein gemeinsames Unterfangen römischer Soldaten und Angehöriger der jüdischen Tempelpolizei gehandelt hat.

Prozess um Jesus
 
Als ein Indiz für eine jüdische Initiative zur Verhaftung Jesu dient der Verrat des Judas. Der Verrat des Judas wird in allen vier Evangelien geschildert (Mt 26, 14 ff.; Mk 14, 10 f.; Lk 22, 3 ff.; Joh 13, 2). Allerdings ist diese ganze Erzählung zu unwahrscheinlich und zu unstimmig, so dass sie keine Glaubwürdigkeit verdient.

Jesus kehrte offen und im Triumphzug nach Jerusalem zurück. Laut Johannes (12, 12) hatte die "große Menge zuvor gehört", dass "Jesus auf das Fest kommen wird". Es besteht deshalb auch kein Zweifel, dass die Behörden, sofern sie an Jesus interessiert waren, über seine bevorstehende Ankunft unterrichtet waren. In den Evangelien wird berichtet, dass die Verschwörung zwischen Judas und den Priestern zwei Tage vor dem Pessachfest ausgemacht worden war (Mk 14, 1; Mt 26, 2), also entweder am Tag des triumphalen Einzugs Jesu selbst oder am nächsten Tag, aber zu einem Zeitpunkt, wo jeder seinen Aufenthaltsort erfahren hatte.

Es hätte demnach keinerlei Schwierigkeiten bereitet, ihn aufzuspüren, weder für die römischen Behörden und erst recht nicht für die Tempelpolizei. Nach Lukas sagte Jesus selbst bei seiner Festnahme: "Ihr seid wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen ausgezogen. Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt nicht Hand an mich gelegt" (Lk 22, 52 f.). Hätte die jüdische Obrigkeit ein Interesse an der Festnahme gehabt, so hätte sie ihn im Tempel oder auf dem Weg zum Tempel oder zurück festnehmen können.

Die Tempelwache hätte Jesus auch überall hin mit Leichtigkeit folgen können; es bestand also keinerlei Notwendigkeit für irgendeinen Verrat oder eine Verschwörung, und auch jeder Aufwand von Geld für solche Dienste wäre Verschwendung gewesen. Auch das Argument, der Hohepriester hätte Angst vor einem öffentlichen Aufruhr im Falle einer offenen Verhaftung gehabt (vgl. Mk 14, 2), geht fehl. So war bekannt (vgl. oben unter 2.1.), dass Jesus jeden Abend auf den Ölberg hinausging.

Jesus versammelte sich oft dort mit seinen Jüngern (Joh 18, 2). Man konnte ihm ohne Schwierigkeiten und ohne die Hilfe eines Informanten dorthin folgen. Es bestand also auch hier keine Notwendigkeit, dass die Tempelpolizei das Angebot einer Führung durch Judas in Anspruch genommen hat. Ebenso bestand auch keine Notwendigkeit dafür, dass Judas Jesus als Erkennungszeichen küsste, schließlich predigte Jesus jeden Tag im Tempel; er muss daher auch den Angehörigen der Tempelpolizei bekannt gewesen sein.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für die Festnahme weder eine Verschwörung noch ein Verrat des Judas in irgendeiner Weise erforderlich war. Insoweit kann diese Geschichte vom Verrat Judas nicht als Indiz für eine jüdische Initiative zur Verhaftung Jesu gesehen werden.

Prozess Jesus
 
Wie bereits festgestellt, besaßen die jüdischen Gerichte die Befugnis, Haftbefehle auszustellen. Dies haben sie in der Praxis auch regelmäßig getan, denn das Vornehmen von Verhaftungen stellt einen integralen Bestandteil der Ausübung der Strafverfolgung dar. Demzufolge muss auch ein Gericht, das bevollmächtigt ist, Verbrechern den Prozess zu machen, das Recht haben, alle notwendigen Schritte zu ergreifen, damit ein Angeklagter zum Prozess vor Gericht gebracht wird.

Es ist behauptet worden, das Fehlen eines förmlichen Haftbefehls deutet darauf hin, dass die Festnahme Jesu von den Juden und nicht von den Römern angeordnet worden sei, weil der Sanhedrin keiner förmlichen Anklage bedurfte, während dies im römischen Strafrecht unerlässlich war (vgl. F.J. Powell: The trial of Jesus Christ, S. 50 ff.). Indes, während der Festnahme Jesu wurde kein Hinweis bzw. keine Information darüber gegeben, welchen Vergehens er verdächtigt und weshalb er verhaftet wurde. Wären Äußerungen in diese Richtung getan worden, dass es um eine Angelegenheit der jüdischen Religion ging, ein Bereich, in dem die jüdischen Gerichte allein die Rechtsprechung ausübten, wäre die Schlussfolgerung klar gewesen, dass die Verhaftung von einem jüdischen Gericht angeordnet worden war. Da solche Informationen fehlen, muss man sich der Indizien in den Erzählungen der Evangelisten über die Verhaftung bedienen, um zu einer Schlussfolgerung zu gelangen.

Besonders beachtenswert ist die Tatsache, dass eine römische Kohorte mitsamt ihrem römischen Befehlshaber und die jüdische Tempelpolizei gemeinsam an der Verhaftung beteiligt waren, das heißt, dass beide in Übereinstimmung miteinander und aufgrund vorheriger Absprachen handelten. Dies bedeutet auch, dass beide Seiten den Grund für die Festnahme gekannt und beide sie auch für berechtigt und wünschenswert erachtet haben, denn die Römer hätten sich nicht für eine ungesetzliche oder unnötige Verhaftung zur Verfügung gestellt.

Eine Möglichkeit besteht darin, dass der jüdische Gerichtshof die römische Besatzungsmacht gebeten hat, bei der Verhaftung Jesu behilflich zu sein. Allerdings scheidet diese Möglichkeit von vornherein aus, da die Römer niemals den jüdischen Obrigkeiten bei der Durchführung einer Festnahme geholfen hätten; zudem ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass sich die Juden um die Hilfe der Römer bemüht haben, hätte dies doch bedeutet, dass sie nicht in der Lage sind, ihre eigenen Angelegenheiten selbständig zu erledigen.

Aufgrund der Anwesenheit der römischen Soldaten bei der Verhaftung scheint es, als ob dies der Beweis für eine römische Initiative zur Verhaftung ist. Die Römer waren nicht gewohnt und nicht dafür zugänglich, ihre Truppen auf Betreiben anderer zu entsenden. Die Tatsache, dass Jesus am nächsten Tag zum römischen Statthalter geschafft wurde, zeigt auf, dass es sich bei der Verhaftung Jesu durch die Römer um den ersten Schritt des gerichtlichen Verfahrens handelte, dass eben an diesem nächsten Tag vor Pilatus stattfinden sollte.

Bemerkenswert ist, dass Pilatus bereit gewesen sein soll, früh am nächsten Morgen zu Gericht zu sitzen, zu einer Stunde, zu der es ungewöhnlich war, dass ein Statthalter Gerichtsangelegenheiten anhörte (vgl. P. Winter: On the trial of Jesus, S. 47). Diese Bereitschaft des Statthalters deutet auf eine vorherige Kenntnis der Sache und des Mannes hin. Er muss sogar vorher Kenntnis gehabt haben, denn es ist nicht anzunehmen, dass der Statthalter nachts mit Informationen behelligt worden ist.

Auch die Anwesenheit eines Offiziers im Range eines Tribuns ist zu beachten. Aufgrund des hohen Ranges eines Tribuns ist behauptet worden, der Befehl müsse vom Statthalter persönlich ausgegangen sein (vgl. J. Wellhausen: Das Evangelium Johannis, S. 105; P. Winter: On the trial of Jesus, S. 171). Für die Existenz eines solchen Befehls von hoher oder höchster Stelle spricht auch, dass ansonsten der Tribun nicht nach Gethsemane gegangen oder seine Truppen dorthin gebracht hätte. Aus dem Gesagten ist daher zu schließen, dass wegen der Anwesenheit der römischen Soldaten ein römischer Haftbefehl gegen Jesus vorgelegen haben muss.

Fraglich ist, warum, wenn Jesus aufgrund römischer Initiative und auf Befehl des Statthalters oder auf eine in seinem Namen hin verfügte Anordnung hin verhaftet wurde, jüdische Tempelpolizei bei der Verhaftung anwesend war. Es gibt zwei Theorien, diese Frage zu beantworten.

Eine Theorie besagt, der Sanhedrin habe zuvor einen Haftbefehl ausgestellt. Die jüdischen Behörden hätten dann den römischen Statthalter gebeten, einen zweiten, eigenen Haftbefehl auszustellen, damit er besser und schneller ausgeführt werden würde (vgl. P. Winter: On the trial of Jesus, S. 42f., 146f.). Zu dieser Theorie ist zu sagen, dass die vorherige Ausstellung eines Haftbefehls durch ein jüdisches Gericht aus römischer Sicht nicht die geringste Veranlassung geboten hätte, einen zweiten Haftbefehl anzuordnen. Im Gegenteil, die römischen Behörden hätten zu recht einen weiteren Haftbefehl für vollkommen überflüssig gehalten. Aus dem Verhältnis der römischen Besatzungsmacht zu den jüdischen Obrigkeiten ist bekannt, dass die Römer auf keinerlei Wünsche der Juden reagiert haben, es sei denn, dieser Wunsch hätte im römischen Interesse gelegen, doch solch ein Sachverhalt war dann gewöhnlich nicht im Interesse der Juden.

Die zweite Theorie lautet, dass "diese von Pilatus angeordnete Verhaftung von den Juden provoziert wurde, dass aber Pilatus, der schlechte Beziehungen zu den jüdischen Behörden hatte, imstande war, zwar ihren Vorschlägen zu folgen, jedoch darauf zu beharren, sie dürften ihn nicht in eine Falle locken" (M. Goguel: Jesus and the Origins of Christianity, S. 481). So hat der Statthalter darauf bestanden, dass die jüdische Tempelpolizei an der Verhaftung teilnehmen sollte und auch darauf, das jüdische Gericht solle eine Voruntersuchung durchführen, um sicher zu stellen, dass der römische Statthalter nicht in eine Falle gelockt werden würde.

Voraussetzung dieser Theorie ist jedoch, dass die jüdischen Behörden nicht in der Lage waren, Jesus selbst zu verhaften, sondern auf die Mitwirkung oder das Einverständnis des Statthalters angewiesen waren. Diese Annahme ist allerdings falsch (vgl. oben 1.2.). Selbstverständlich konnte Pilatus anordnen, dass bei der Festnahme Jesu jüdische Tempelpolizei teilzunehmen hat, doch für solch eine Anordnung seitens Pilatus finden sich in den Evangelien keinerlei Anhaltspunkte. Auch finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass Pilatus bei der Anordnung der Verhaftung auf eine jüdische Petition hin reagiert hat. Er hätte niemals auf eine solche jüdische Aufforderung reagiert, es sei denn, diese wäre im ureigenen römischen Interesse gewesen. Bei einem solchen Sachverhalt wäre allerdings eine jüdische Petition überflüssig gewesen; in so einem Falle hätte die römische Besatzungsmacht von allein reagiert.

Zusammenfassend ist festzuhalten: der Befehl zur Verhaftung Jesus ging von den Römern aus, der von einem Tribun und seiner Kohorte ausgeführt wurde. Die Anwesenheit der jüdischen Tempelpolizei während der Festnahme kann nicht durch eine römische Anweisung oder Forderung erklärt werden. Auch lässt sich keine hinter dem römischen Befehl zur Verhaftung Jesu stehende Anstiftung beweisen oder vernünftig annehmen. Jesus wurde nicht von der jüdischen Tempelpolizei festgenommen, diese waren lediglich anwesend. Die Verhaftung Jesu erfolgte durch die Römer (vgl. zum gesamten Punkt 2 auch C. Cohn: Der Prozess und Tod Jesu aus jüdischer Sicht, S. 111 ff.).

Prozess Jesu
 
Kein Strafprozess an Feiertagen oder am Vorabend eines Feiertages

Gegen keinen Menschen durfte an Feiertagen oder am Vorabend eines Festes ein Strafprozess durchgeführt werden. Nach Markus (Mk 14, 1) wollten die Hohenpriester und die Schriftgelehrten Jesus töten. Die Verhaftung Jesu fand am Vorabend des Passahfestes statt. Da nach der oben genannten Regel bei Todesstrafsachen das Urteil zuungunsten erst am nächsten Tag gefällt werden durfte, hätte dieses am ersten Tag des Passahfestes geschehen müssen. Dies spricht also dagegen, dass der Hohe Rat der Juden, Gericht über Jesus hielt.


Verurteilung aufgrund von Zeugenaussagen, nicht wegen eigenen Geständnisses

Kein Mensch durfte aufgrund seines eigenen Zeugnisses oder kraft seines eigenen Geständnisses verurteilt werden. Ein Mensch durfte nur aufgrund des Zeugnisses (mindestens) zweier rechtsfähiger Augenzeugen wegen eines Kapitalverbrechens verurteilt werden. Diese Vorschriften folgen, wie schon die Regel über den Tempel als Gerichtsort, aus dem Buch Deuteronomium. Im Vers Dtn 17, 6 steht geschrieben: "Wenn es um Leben oder Tod eines Angeklagten geht, darf er nur auf die Aussage von zwei oder drei Zeugen hin zum Tode verurteilt werden. Auf die Aussage eines einzigen Zeugen hin darf er nicht zum Tod verurteilt werden." Diese Vorschrift wird wiederholt in Dtn 19, 15: "Wenn es um ein Verbrechen oder ein Vergehen geht, darf ein einzelner Belastungszeuge nicht Recht bekommen, welches Vergehen auch immer der Angeklagte begangen hat. Erst auf die Aussage von zwei oder drei Zeugen darf eine Sache Recht bekommen." Zu den Unterschieden zwischen Zivilfällen und Strafprozessfällen gehört, dass ein Mensch zwar in Zivilfällen durch sein eigenes Geständnis gebunden ist, nicht aber in Strafprozessen; jedes Bekenntnis, ob innerhalb oder außerhalb des Gerichts, ist als Beweismaterial gegen ihn unzulässig (vgl. T Schebuot III, 8).

Nach den Überlieferungen von Matthäus und Markus trug sich indes folgendes zu: obwohl eine Vielzahl von Zeugen aufgeboten wurde, widersprachen sich deren Aussagen, so dass diese nicht geeignet waren, um eine Verurteilung aussprechen zu können (Mt 26, 59, 60; Mk 14, 55, 56). Daraufhin wurde Jesus selbst befragt und legte ein "Geständnis" ab. Dieses "Geständnis" soll zu dem Ausspruch des Hohenpriesters geführt haben "Das ist eine Gotteslästerung! Wir brauchen keine Zeugen mehr! Ihr habt es ja selbst gehört" (Mt 26, 65; Mk 14, 63, 64). Ob tatsächlich eine Gotteslästerung durch Jesus vorgelegen hat (dazu später unter 3.6. Das Kapitalverbrechen der Gotteslästerung), kann an dieser Stelle dahinstehen, denn das Erfordernis, dass ein Mensch nur aufgrund der Aussagen von mindestens zwei Augenzeugen verurteilt werden darf, nicht aber aufgrund eigenen Geständnisses, galt auch für das Verbrechen der Gotteslästerung.

Prozess Jesu
 
Das Kapitalverbrechen der Gotteslästerung bestand im Aussprechen des Namens Gottes, Jahwe, der nur einmal im Jahr von dem Hohenpriester im Allerheiligsten des Tempels ausgesprochen werden durfte. Es war irrelevant, welche Gotteslästerungen geäußert wurden, solange dabei nicht der göttliche Name ausgesprochen wurde. Dies folgt aus einem Vers des Buches Levitikus (Lev). Nach Lev 24, 15, 16 "soll seine Schuld tragen, wer seinem Gott flucht. Wer des Herrn Namen lästert, der soll des Todes sterben; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen. Ob Fremdling oder Einheimischer, wer den Namen lästert, soll sterben". Es wird klar unterschieden zwischen dem Vergehen der Verfluchung Gottes, dass nicht mit dem Tode bedroht war, und der Lästerung Gottes durch das Aussprechen seines unaussprechlichen Namens, wofür die Todesstrafe vorgesehen war. Der Unterschied besteht darin, dass der Gotteslästerer, der "nur" Gott flucht, seine Schuld tragen soll, während der todeswürdige Gotteslästerer zusätzlich zu dem Fluch den Namen Gottes lästert. Demnach wurde folgendes als Gesetz festgelegt: "Der Gotteslästerer ist nur dann strafbar, wenn er den Gottesnamen ausgesprochen hat" (M Sanhedrin VII, 5). Gott zu verfluchen oder zu lästern, ohne den Namen auszusprechen, indem man einen der vielen beschreibenden bzw. umschreibenden Beinamen verwendet, ist lediglich mit Auspeitschung zu bestrafen (B Sanhedrin 56a).

Nach Mt 26, 64; Mk 14, 62 sagt Jesus: "[…] Ich bin es, und ihr werdet sehen, wie der Menschensohn an der rechten Seite des Allmächtigen sitzt und mit den Wolken des Himmels kommt!" Hier hat Jesus sicher Gott gelästert, indem er sich selbst als Gottes Sohn bezeichnet und von sich behauptet, er werde zur rechten Seite Gottes sitzen. Indes, das todeswürdige Verbrechen der Gotteslästerung bestand, wie oben bereits erwähnt, im Aussprechen des Namens Gottes, der nur einmal im Jahr von dem Hohenpriester im Allerheiligsten des Tempels ausgesprochen werden durfte. Diesen Namen hat Jesus jedoch nicht ausgesprochen. Doch nur das wäre mit dem Tode zu bestrafen gewesen (vgl. zum gesamten Punkt 3 auch C. Cohn: Der Prozess und Tod Jesu aus jüdischer Sicht, S. 140 ff.).

Genauer müsste die Überschrift natürlich heißen: Die todeswürdige Gotteslästerung wird mit dem Tode bestraft.

Prozess Jesu
 
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Die kirchliche Unterdrückung hatte das Judentum Jahrhunderte lang in ganz Europa isoliert. Zudem wurden Juden gezielt ausgegrenzt und sogar in Pogromen misshandelt und ermordet. Erste Judengesetze, die in den folgenden Jahrhunderten ähnlich übernommen wurden, erließ Justinian 564 im Corpus iuris. Seit der Spätantike war den Juden der Erwerb von Landbesitz und damit ein Leben als Bauer verboten, seit dem 9. Jahrhundert schlossen christliche Zünfte sie von allen „ehrenwerten" Berufen aus.

Seit dem 4. Laterankonzil 1215 wurden sie auch offiziell in Ghettos gezwungen. So blieben ihnen nur wenige ökonomische Nischen, aus denen sie aber bald wieder vertrieben wurden. So beendeten die blutigen Massaker beim Ersten Kreuzzug 1096 den jüdischen Fernhandel; der Geldverleih wurde ihnen großenteils im Zusammenhang mit den Judenpogromen zur Zeit der Pest 1348 abgenommen.

Martin Luther sammelte in seiner Schrift "Von den Juden und iren Lügen" (Originaltitel) 1543 alle mittelalterlichen Vorurteile gegen Juden und überlieferte sie der Neuzeit. Die Reformation verstärkte die Tendenz zur Nationalreligion durch die Konfessionalisierung der Länder und die Interessengegensätze der Fürsten. Im politisch zersplitterten deutschen Sprachraum waren die Juden bis etwa 1670 aus den meisten Städten verbannt worden, konnten aber in ländlichen Regionen und Vorstädten ein Auskommen finden.

Ganz wenigen gelang eine Karriere als privilegierte „Hofjuden“ wie Joseph Süß Oppenheimer, der 1738 in Stuttgart einem Justizmord zum Opfer fiel. Die Herrscher Preußens erlaubten den Juden zwar, in Berlin zu leben, begrenzten den Zuzug aber streng auf die Reichsten, denen sie hohe Abgaben auferlegten. So blieben Juden in Europa zu Beginn des 18. Jahrhunderts vom normalen bürgerlichen Leben weithin ausgegrenzt.

Antisemitismus
 
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